Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungs- und Beweislast für Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Insolövenzverwalters. schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Ausschlussgrund der Wissentlichkeit der Pflichtverletzung ist der Versicherer darlegungs- und beweispflichtig.
2. Hierfür hat er - wenn es sich nicht um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann - Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.
Normenkette
AVB-I § 4 Nr. 5
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 31.01.2013; Aktenzeichen 8 U 203/12) |
LG Hannover (Entscheidung vom 27.06.2012; Aktenzeichen 6 O 94/11) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Celle vom 31.1.2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger war Insolvenzverwalter der Fa. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Seine gesetzliche Haftpflicht aus dieser Tätigkeit hatte er durch einen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsvertrag bei der Beklagten versichert. Nach § 4 Nr. 5 der diesem Vertrag zugrunde liegenden "Allgemeine(n) Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Insolvenzverfahren (AVB-I)" sind Haftpflichtansprüche wegen Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Rz. 2
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.7.2000 führte der Kläger den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zunächst fort. Unter anderem hielt er die Geschäftsbeziehung zur F. (im Folgenden: F.) aufrecht, die die Schuldnerin weiter belieferte. Nach Eintritt eines Liquiditätsengpasses Anfang 2001 sagte er der F. mit Schreiben vom 1.3.2001 nochmals ausdrücklich den Ausgleich ihrer Neuforderungen zu. Infolge weiterer Lieferungen der F. wurden Forderungen gegen die Schuldnerin von mehr als 1 Mio. EUR begründet.
Rz. 3
Nachdem die Gläubigerversammlung den vom Kläger erarbeiteten Insolvenzplan nicht angenommen hatte und auch eine von ihm angestrebte sanierende Übertragung des Unternehmens an einen Erwerber gescheitert war, zeigte er am 18.9.2001 dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. Die Forderungen der F. wurden nicht mehr befriedigt.
Rz. 4
Der Insolvenzverwalter der inzwischen ebenfalls insolventen F. nahm daraufhin den Kläger auf Schadensersatz gem. §§ 60, 61 InsO in Anspruch. In diesem Haftpflichtprozess wurde der hiesige Kläger rechtskräftig zur Zahlung von 830.451,86 EUR nebst Zinsen verurteilt.
Rz. 5
Er begehrt nunmehr im Wege der Deckungsklage die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Versicherungsschutz für die im Klageantrag näher bezeichneten Haftpflichtforderungen des Insolvenzverwalters der F. zu gewähren.
Rz. 6
In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision ist begründet; sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 8
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte gem. § 4 Nr. 5 AVB-I leistungsfrei sei, weil der Kläger die aus § 61 InsO folgende Pflicht wissentlich verletzt habe, indem er Verbindlichkeiten zu Lasten der Masse begründet habe, zu deren Erfüllung diese nicht ausreichte.
Rz. 9
Zwar sei eine wissentliche Pflichtverletzung nicht bereits mit Bindungswirkung im Haftpflichtprozess festgestellt und der Versicherer sei darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Merkmale des Risikoausschlusses. Zuvor habe aber der Versicherungsnehmer im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast vorzutragen und plausibel zu machen, aus welchen Gründen es zum Verstoß gekommen sei. Dazu genüge der Vortrag des Klägers (die F. sei über die wirtschaftlichen Risiken ihres Engagements hinreichend informiert gewesen und der Kläger habe aufgrund des Wertes des Warenbestandes und im Hinblick auf einen "asset deal" davon ausgehen dürfen, dass dieser zur Befriedigung der Verbindlichkeiten ausreiche) nicht.
Rz. 10
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
Rz. 11
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass hinsichtlich der zum Schadensersatzanspruch führenden Pflichtverletzung Bindungswirkung an das Haftpflichturteil und die dort getroffenen Feststellungen besteht. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut in Frage gestellt werden können (BGH, Urt. v. 8.12.2010 - IV ZR 211/07, VersR 2011, 203 unter II 1b; v. 24.1.2007 - IV ZR 208/03, VersR 2007, 641 unter II 1).
Rz. 12
Danach besteht die vom Kläger verletzte Pflicht in der Begründung von Masseverbindlichkeiten, die schon im Zeitpunkt ihrer Begründung aus der Masse voraussichtlich nicht vollständig erfüllt werden konnten (§ 61 InsO). Allein hierauf ist die Verurteilung im Haftpflichtprozess gestützt. Im Deckungsprozess ist es nicht mehr möglich, eine andere schadenverursachende Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zugrunde zu legen als dies im Haftpflichtprozess geschehen ist (BGH, Urt. v. 20.6.2001 - IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103 unter II 2b). Dabei ist allein auf die im Haftpflichtprozess festgestellten tatsächlichen Elemente der Pflichtwidrigkeit abzustellen (BGH, Urt. v. 8.12.2010 - IV ZR 211/07, VersR 2011, 203 Rz. 13).
Rz. 13
2. Weiter zutreffend erkennt das Berufungsgericht, dass hinsichtlich der Wissentlichkeit der somit maßgeblichen Pflichtverletzung keine Bindungswirkung besteht. Dieser Ausschlussgrund ist vielmehr im Deckungsprozess selbständig zu prüfen (BGH, Urt. v. 24.1.2007 - IV ZR 208/03, VersR 2007, 641 unter II 2 und 3; v. 28.9.2005 - IV ZR 255/04, VersR 2006, 106 unter II 2a; v. 20.6.2001 - IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103 unter II 2b).
Rz. 14
3. Die vom Berufungsgericht auf dieser Grundlage getroffene Feststellung einer wissentlichen Pflichtverletzung des Klägers beruht jedoch auf einer Verkennung der Darlegungs- und Beweislast.
Rz. 15
a) Wissentlich handelt nur derjenige Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reicht dafür ebenso wenig aus wie eine fahrlässige Unkenntnis. Es muss vielmehr feststehen, dass der Versicherte die Pflichten zutreffend gesehen hat (BGH, Urt. v. 28.9.2005 - IV ZR 255/04, VersR 2006, 106 unter II 2b).
Rz. 16
Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer (BGH, Urt. v. 20.6.2001 - IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103 unter II 3; v. 5.3.1986 - IVa ZR 179/84, VersR 1986, 647 unter 2d). In diesem Rahmen muss vom Versicherer dargelegt werden, der Versicherungsnehmer habe gewusst, wie er sich hätte verhalten müssen.
Rz. 17
b) Von dieser Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist das Berufungsgericht zwar im Grundsatz ausgegangen. Es schränkt die den Versicherer treffende Darlegungslast jedoch unzulässig ein, indem es ausführt, der Versicherungsnehmer habe im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast vorzutragen und plausibel zu machen, aus welchen Gründen es zum Verstoß gekommen sei, "bevor" der Versicherer die Wissentlichkeit darzulegen und zu beweisen habe.
Rz. 18
aa) Soweit sich das Berufungsgericht für diese Ansicht auf Urteile anderer OLG berufen hat (OLG Köln VersR 2012, 560; VersR 1990, 193; OLG Saarbrücken ZfSch 2008, 219; ZfSch 2007, 522; OLG Frankfurt NVersZ 2000, 439; OLG Hamm VersR 2000, 482), ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass sich eine entsprechende Rechtsauffassung einem Teil der zitierten Urteile nicht entnehmen lässt.
Rz. 19
Lediglich das OLG Saarbrücken hat ausgeführt, dass ein Versicherungsnehmer schon aufgrund der bloßen Behauptung des Versicherers, es sei Wissentlichkeit der Pflichtverletzung gegeben, plausibel machen müsse, aus welchen Gründen es zu seinem Fehlverhalten gekommen ist; anderenfalls sei vom Vorliegen dieses Umstands auszugehen (OLG Saarbrücken ZfSch 2008, 219 unter II 1a (2); ZfSch 2007, 522 unter II 2c).
Rz. 20
bb) Diese Rechtsauffassung trifft jedoch nicht zu. Aus der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers folgt vielmehr, dass dieser zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Dabei wird der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien dann entbehrlich sein, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann, so wie dies etwa in einem vom OLG Köln entschiedenen Fall gewesen ist (Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen, kein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen und den Mandanten über den Verfahrensstand zu unterrichten; OLG Köln VersR 2012, 560).
Rz. 21
Jenseits der Fälle der Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, ist es aber Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.
Rz. 22
c) Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts vermögen nach diesen Maßstäben die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung nicht zu tragen.
Rz. 23
aa) Eine Feststellung dahingehend, dass Art und Umfang der vom Kläger verletzten Pflicht aus sich heraus auf eine wissentliche Begehung hindeuten, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es hat im Gegenteil selbst angenommen, dass allein das Fehlen eines Liquiditätsplans für eine solche Annahme nicht genügt (eingangs unter II 2c bb der Gründe). Dies ist jedenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 24
bb) Auch im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht die Feststellung getroffen, der Kläger habe positiv gewusst, dass die Eingehung der Verbindlichkeiten auf unzureichender Prüfung ihrer Erfüllbarkeit beruhte. Dem Berufungsurteil lässt sich lediglich entnehmen, dass der Kläger nicht ausreichend vorgetragen habe, weshalb er von einer genügenden Sicherung der neu begründeten Verbindlichkeiten ausgegangen sein will. Daraus folgt aber noch nicht, dass er positiv wusste, den Wert des Warenbestandes unzureichend ermittelt zu haben. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, was der Kläger alles nicht hätte tun dürfen, tragen außer dem Befund einer objektiven Pflichtverletzung allenfalls noch einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Für das Wissen des Klägers ist dagegen nicht entscheidend, ob er so hätte handeln dürfen wie geschehen.
Rz. 25
Ferner hat der Kläger vorgetragen, er habe nicht gewusst, einen Liquiditätsplan aufstellen zu müssen, weil eine entsprechende Konkretisierung der Pflicht aus § 61 InsO erst durch das Urteil des BGH vom 6.5.2004 (IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104) erfolgt sei, und er habe auf eine ausreichende Abdeckung der Verbindlichkeiten durch eine spätere Verwertung des Warenlagers vertraut. Ungeachtet der Frage, ob ein solches Vertrauen gerechtfertigt war oder dem Kläger insoweit ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, hat er damit Gründe, warum er sich für berechtigt erachtete, die Masseverbindlichkeiten einzugehen, dargelegt. Selbst wenn der vom Kläger erwartete "asset deal" nur eine unbestimmte Hoffnung gewesen sein sollte, würde dies deshalb möglicherweise nur dazu führen, dass ihm hinsichtlich der Frage, ob die Masse zur Erfüllung in der Lage sein wird, eine fahrlässige Fehleinschätzung vorzuwerfen wäre.
Rz. 26
d) Das Berufungsgericht wird deshalb die Frage der Wissentlichkeit der Pflichtverletzung auf zutreffender rechtlicher Grundlage erneut zu beurteilen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass sich Erklärungen, die dem Versicherungsnehmer ggf. im Rahmen sekundärer Darlegungslast obliegen, nur auf den fehlenden Vorsatz der Pflichtverletzung beziehen müssen. In keinem Fall obliegt es ihm darzulegen, dass das tatsächliche Handeln auch objektiv gerechtfertigt gewesen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 7565424 |
DB 2015, 244 |
DB 2015, 6 |
DStR 2015, 1206 |
DStRE 2015, 1021 |
NJW 2015, 8 |
NJW 2015, 947 |
EBE/BGH 2015, 42 |
EWiR 2015, 187 |
IBR 2015, 226 |
WM 2015, 185 |
WuB 2015, 126 |
ZIP 2015, 184 |
DZWir 2015, 296 |
JZ 2015, 128 |
MDR 2015, 279 |
NZI 2015, 271 |
VersR 2015, 181 |
ZInsO 2015, 259 |
ZfS 2015, 157 |
InsbürO 2015, 246 |
VK 2015, 39 |
r+s 2015, 133 |
BRAK-Mitt. 2015, 75 |