Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung des Tatrichters bei Mietwagenkosten grundsätzlich auf der Grundlage von Listen oder Tabellen. Abweichung von solchen Listen nur bei Mängeln in erheblichem Umfang
Leitsatz (amtlich)
a) Der Tatrichter darf bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Mietwagenkosten in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den "Normaltarif" grundsätzlich auf der Grundlage von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, ermitteln.
b) Die Eignung solcher Listen oder Tabellen zur Schadensschätzung bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 254; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Deggendorf (Urteil vom 21.10.2008; Aktenzeichen 1 S 79/08) |
AG Viechtach (Urteil vom 29.05.2008; Aktenzeichen 1 C 221/07) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Deggendorf vom 21.10.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin macht gegen den beklagten Haftpflichtversicherer des Unfallgegners die Zahlung restlicher Mietwagenkosten im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall geltend, bei dem ihr Fahrzeug beschädigt wurde und repariert werden musste. Die Beklagte hat auf die für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges in Rechnung gestellten 1.770,80 EUR vorgerichtlich lediglich einen Betrag von 753 EUR gezahlt. Über den Differenzbetrag hat die Klägerin Klage erhoben. Das AG hat ihr unter Klageabweisung im Übrigen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens einen weiteren Betrag i.H.v. 126,80 EUR zuerkannt. Auf die Berufung der Klägerin hat das LG das Urteil des AG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.017,80 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Gegen sein Urteil hat das LG die Revision zugelassen, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Rz. 2
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 3
1. Allerdings ist die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. BGH BGHZ 92, 84, 86 f.; 102, 322, 330; 161, 151, 154; Urt. v. 9.12.2008 - VI ZR 173/07, VersR 2009, 408, 409 und Urt. v. 9.6.2009 - VI ZR 110/08, VersR 2009, 1092).
Rz. 4
2. Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht bleiben. Auch darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen auf nach Sachlage unerlässliche fachliche Erkenntnisse nicht verzichten. Gleichwohl können in geeigneten Fällen Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.2008 - VI ZR 164/07, VersR 2008, 699, 700; v. 14.10.2008 - VI ZR 308/07, VersR 2008, 1706, 1708). Demgemäß hat der Senat mehrfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den "Normaltarif" grundsätzlich auch auf der Grundlage des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im maßgebenden Postleitzahlengebiet (ggf. mit sachverständiger Beratung) ermitteln kann (vgl. BGH, Urt. v. 9.5.2006 - VI ZR 117/05, VersR 2006, 986, 987; v. 30.1.2007 - VI ZR 99/06, VersR 2007, 516, 517; v. 12.6.2007 - VI ZR 161/06, VersR 2007, 1144, 1145; v. 24.6.2008 - VI ZR 234/07, VersR 2008, 1370, 1372). Er hat auch die Schätzung auf der Grundlage des "Schwacke-Mietpreisspiegels 2006" grundsätzlich nicht als rechtsfehlerhaft erachtet (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.2008 - VI ZR 164/07 -, a.a.O.; v. 19.1.2010 - VI ZR 112/09, VersR 2010, 494, 495; v. 2.2.2010 - VI ZR 139/08, VersR 2010, 545 und - VI ZR 7/09 -, z.V.b.), was jedoch nicht bedeutet, dass eine Schätzung auf der Grundlage anderer Listen oder Tabellen, wie etwa der sog. Fraunhofer-Liste, oder eine Schätzung nach dem arithmetischen Mittel beider Markterhebungen (vgl. etwa OLG Saarbrücken SVR 2010, 103 mit Anm. Nugel jurisPR-VerkR 7/2010; LG Bielefeld NJW-Spezial 2009, 762) grundsätzlich rechtsfehlerhaft wäre. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.2008 - VI ZR 164/07 -, a.a.O.; v. 14.10.2008 - VI ZR 308/07 -, a.a.O.; v. 19.1.2010 - VI ZR 112/09 -, a.a.O.; v. 2.2.2010 - VI ZR 139/08 -, a.a.O., und - VI ZR 7/09 -, z.V.b.).
Rz. 5
3. Die Beklagte hat im Streitfall - wie die Revision mit Recht geltend macht - deutlich günstigere Angebote anderer Anbieter als Beispiele für die von ihr geltend gemachten Mängel des Mietpreisspiegels 2006 aufgezeigt. Sie hat umfassenden Sachvortrag dazu gehalten und Beweis dafür angetreten, dass die Klägerin ein vergleichbares Fahrzeug für elf Tage inklusive sämtlicher Kilometer und Vollkaskoversicherung zu konkret benannten, wesentlich günstigeren Preisen bestimmter anderer Mietwagenunternehmen hätte anmieten können. Diese Preise hätten unter dem Betrag gelegen, welche die Beklagte an die Klägerin vorgerichtlich gezahlt habe. Des Weiteren hat sich die Klägerin die Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen zu Eigen gemacht, der in sieben von neun örtlichen Vermietstationen einen üblichen Grundmietpreis i.H.v. 641,89 EUR für die entsprechende Mietdauer ermittelt hat. Schließlich hat die Beklagte sich mit konkretem Sachvortrag gegen die Vergleichbarkeit des angemieteten Ersatzfahrzeuges, die Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Zustellkosten und einen Aufschlag für die Ausstattung des Mietfahrzeuges mit Winterreifen gewandt.
Rz. 6
4. Das Berufungsgericht hat sich mit diesem Sachvortrag verfahrensfehlerhaft nicht auseinandergesetzt. Dadurch verletzt es den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör und überschreitet die Grenzen seines tatrichterlichen Ermessens im Rahmen des § 287 ZPO. Deshalb war das Urteil des LG aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob sich aus dem übergangenen Vorbringen der Beklagten im vorliegenden Fall gewichtige Bedenken gegen die Eignung des Mietpreisspiegels 2006 als Schätzungsgrundlage ergeben.
Fundstellen
Haufe-Index 2350717 |
BB 2010, 1674 |