Entscheidungsstichwort (Thema)
Missverständliche Parteibezeichnung im Berufungsprozess. Ermittlung des richtigen Amtshaftungsbeklagten durch Auslegung der Klageschrift
Leitsatz (amtlich)
Zur hinreichenden Bezeichnung der beklagten öffentlich-rechtlichen Körperschaft trotz widersprüchlicher Angaben im Rubrum einer Amtshaftungsklage.
Normenkette
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 1; ZPO BGB; ZPO § 839 Abs. 1; GG Art. 34
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Urteil vom 11.03.2003; Aktenzeichen 3 U 671/02) |
LG Erfurt |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Jena v. 11.3.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die beklagte Stadt lehnte durch Bescheid v. 7.5.1996 den Bauantrag der Kläger v. 16.11.1995, betreffend den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses auf dem Grundstück J. Straße ... in Erfurt, ab. In dem hiergegen von den Klägern geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren schlossen die Parteien am 1.7.1998 einen Vergleich, durch den die Beklagte sich verpflichtete, die beantragte Baugenehmigung unter bestimmten Voraussetzungen zu erteilen. Die Kläger verpflichteten sich, im Hinblick auf die vergleichsweise getroffene Regelung den anhängigen Verwaltungsrechtsstreit und das Widerspruchsverfahren nicht weiterzuverfolgen. Die Baugenehmigung wurde am 26.5.2000 erteilt.
Die Kläger halten die ursprüngliche Ablehnung ihres Bauantrags für rechtswidrig und machen gegen die Beklagte einen Amtshaftungsanspruch auf Ersatz des ihnen in Form entgangener steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten entstandenen Verzögerungsschadens geltend.
In der am 29.6.2001 per Fax (Eingangsstempel: 2.7.2001) und am 2.7.2001 im Original beim LG eingegangenen Klageschrift ist als beklagte Partei der "Freistaat Thüringen, vertreten durch die Landeshauptstadt Erfurt, diese vertreten durch den Oberbürgermeister ..., diese vertreten durch das Bauordnungsamt" bezeichnet. Die Zustellung wurde mit Postzustellungsurkunde v. 11.7.2001, die als Empfänger den "Freistaat Thüringen, Bauordnungsamt" ausweist, an das Bauordnungsamt der Beklagten unter dessen Anschrift bewirkt.
Mit Schriftsatz v. 19.7.2001 beanstandete die Beklagte, dass die Klageschrift nicht ordnungsgemäß zugestellt sei, da sich die Klage gegen den Freistaat Thüringen richte, dieser aber nicht durch die Landeshauptstadt vertreten werde. Daraufhin erklärten die Kläger mit Schriftsatz v. 30.7.2001, die Beteiligten gingen zu Recht davon aus, dass Beklagte die Stadt Erfurt sei; insoweit sei die Klagezustellung korrekt erfolgt. Dieser Schriftsatz wurde der Beklagten mit einer richterlichen Verfügung v. 1.8.2001 formlos übersandt, die den Hinweis enthielt, dass Beklagte die Stadt Erfurt sei und insoweit eine ordnungsgemäße Zustellung vorliege. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits hielt die Beklagte ihre Beanstandung, dass keine ordnungsgemäße Klagezustellung an sie vorläge, durchgängig aufrecht.
Das LG hat die Klageforderung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Amtshaftungsanspruch gegen die Beklagte weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, zwischen den Parteien sei kein wirksames Prozessrechtsverhältnis zu Stande gekommen. Die Klage habe sich gegen den Freistaat Thüringen und nicht gegen die Stadt Erfurt gerichtet. Die Klage sei jedoch nicht diesem, sondern der Stadt Erfurt zugestellt worden, mithin einer anderen juristischen Person als derjenigen, die in der Klageschrift als Beklagter benannt worden sei. In einem solchen Fall werde - vorbehaltlich der Heilung des Zustellungsmangels - niemand Partei: der in der Klageschrift Bestimmte (hier: der Freistaat Thüringen) nicht, weil es an der gebotenen Zustellung ihm gegenüber fehle; der Zustellungsempfänger (hier: die Stadt Erfurt) nicht, weil er ausweislich der Klageschrift nicht Partei sein sollte. Die Zustellung habe nicht die Aufgabe, die Person des Beklagten zu bestimmen, sondern zu finden. Eine Heilung des Zustellungsmangels sei nicht eingetreten.
2. Diese Betrachtungsweise vermag der Senat nicht zu teilen.
a) Der Senat legt - in Übereinstimmung mit dem LG - die Klageschrift dahin aus, dass richtige Beklagte von vornherein die Landeshauptstadt Erfurt gewesen ist.
aa) Das Passivrubrum der Klageschrift war insoweit widersprüchlich, als dort zwar einerseits als Beklagter der Freistaat Thüringen benannt, andererseits jedoch angegeben worden war, dieser werde durch die Landeshauptstadt Erfurt vertreten. Die Landeshauptstadt Erfurt ist keine vertretungsbefugte Landesbehörde i.S.d. § 18 ZPO, vielmehr eine selbständige juristische Person. Ihr - und nicht dem Freistaat Thüringen - ist die Klage auch zugestellt werden.
bb) Dieser Widerspruch ist - wovon auch das Berufungsgericht im Ansatz zu Recht ausgeht - durch Auslegung zu beheben. Für diese Auslegung gilt der allgemeine Grundsatz des § 133 BGB: Es ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Insbesondere ist zur Ermittlung des richtigen Beklagten auch der klagebegründende Sachverhalt heranzuziehen. Aus diesem wurde - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - hinreichend deutlich, dass diejenige Körperschaft in Anspruch genommen werden sollte, deren Amtsträger für die Ablehnung der Baugenehmigung verantwortlich waren. Dies ergab sich insb. auch aus dem vorprozessualen Kontext, in den die Amtshaftungsklage eingebettet war: Schon im vorangegangenen Verfahren des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes hatten die Kläger ordnungsgemäß die jetzige Beklagte in Anspruch genommen. Der jetzige klagebegründende Sachverhalt war der gleiche wie damals. Auch das der Klageschrift beigefügte Schreiben v. 23.12.1999, in dem die Kläger "letztmalig Gelegenheit" gaben, durch Zahlung von 102.841 DM Schadensersatz eine "gerichtliche Auseinandersetzung" wegen der begangenen Amtspflichtverletzung zu vermeiden, war an die Stadt Erfurt selbst gerichtet. Von daher liegt die Annahme des Berufungsgerichts, die Kläger hätten sich nunmehr in bewusster Abkehr von ihrem damaligen Rechtsschutzbegehren gezielt für einen anderen Anspruchsgegner, nämlich den Freistaat Thüringen, entschieden, fern. Vielmehr handelte es sich, was der Senat uneingeschränkt nachzuprüfen hat (BGHZ 4, 328 [334]), auch bei voller Würdigung des berechtigten Anliegens, dass im Zivilprozess die Parteien klar und eindeutig zu bezeichnen sind, um eine bloße der Beklagten und dem Gericht erkennbare ungenaue Parteibezeichnung, die - wie hier auch durch den Schriftsatz der Kläger v. 30.7.2001 geschehen - jederzeit berichtigt werden konnte (BGH, Urt. v. 13.7.1972 - III ZR 29/70, WM 1972, 1128; Urt. v. 12.10.1987 - II ZR 21/87, MDR 1988, 560 = NJW 1988, 1585 [1587]).
b) Da vorliegend die Klageschrift trotz der missverständlichen Parteibezeichnung an die richtige Partei gelangt ist, ist auch die ordnungsgemäße Zustellung der Klage nicht in Zweifel zu ziehen (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.1978 - VIII ZR 147/77, Rpfleger 1978, 439 f.).
3. Das Berufungsurteil kann nach alledem keinen Bestand haben. Die Zurückverweisung, bei der der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch macht, gibt dem Berufungsgericht nunmehr Gelegenheit, in eine Sachprüfung der von der Beklagten erhobenen Angriffe gegen das landgerichtliche Urteil einzutreten. Eine Verjährung des Amtshaftungsanspruchs - die sich hier noch nach § 852 BGB a.F. richtet - ist allerdings nicht eingetreten. Sie war hier nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. durch die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes zunächst unterbrochen worden (st.Rspr. seit BGH v. 11.7.1985 - III ZR 62/84, BGHZ 95, 238 = MDR 1985, 915; s. Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb., 2002, § 839 Rz. 397, m.zahlr.w.N.). Diese Unterbrechung dauerte fort, bis der Verwaltungsprozess durch den Vergleich v. 1.7.1998 "anderweit erledigt" wurde (§ 211 Abs. 1 BGB a.F.). Die Klageschrift ist spätestens am 2.7.2001, einem Montag, eingegangen, mithin rechtzeitig (§ 193 BGB; § 270 Abs. 3 ZPO a.F.).
Fundstellen
Haufe-Index 1283896 |
BGHR 2005, 462 |
BauR 2005, 843 |
NVwZ-RR 2005, 148 |
MDR 2005, 530 |
BayVBl. 2005, 541 |
ProzRB 2005, 113 |