Leitsatz (amtlich)
Der Bund haftet im Rahmen dieser Bestimmung auch für Ausgleichsansprüche von Mitschädigern gegen das Deutsche Reich aus Anlaß von Personenschäden, die durch Angehörige der früheren Deutschen Wehrmacht und ihnen gleichgestellte Personen verursacht worden sind.
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Entscheidung vom 04.05.1955) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Mai 1955 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 30. März 1943 stießen ein Straßenbahntriebwagen der Klägerin und ein Lastkraftwagen der Deutschen Wehrmacht zusammen. Hierbei wurde ein Fahrgast der Straßenbahn, der Maschinenschlosser August L., verletzt. Für die L. entstandenen Schäden ist in der Zeit bis zum Zusammenbruch die Wehrkreisverwaltung V aufgekommen. Nach der Währungsreform hat L. weiteren Schadensersatz von der Klägerin gefordert. Die Klägerin hat darauf gewisse Zahlungen an ihn geleistet und ist durch Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. November 1951 - 4 U 77/51 - rechtskräftig verurteilt worden, an Lenz weitere 2.785,00 DM zu zahlen, wovon 2.520 DM auf den Verdienstausfall des L. in der Zeit vom 1. April 1950 bis 31. Mai 1951 entfallen.
Die Klägerin hat behauptet, für L. insgesamt 7.135 DM aufgewandt zu haben. Sie ist der Auffassung, daß das Deutsche Reich wegen dieses Betrages ausgleichspflichtig sei, und hat Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen von der Beklagten verlangt, die, wie die Klägerin meint, auf Grund Rechts- oder Funktionsnachfolge und nach § 8 Abs. 2 des 20 Überleitungsgesetzes vom 21. August 1951 (BGBl I, 774) für diese Schuld des Deutschen Reiches aufkommen müsse.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2.520 DM nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts sind erfolglos geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Bundesrepublik die hier in Frage stehende Verbindlichkeit zu tragen hat.
I.
Die Klägerin und das Deutsche Reich hafteten dem Verletzten auf Ersatz des Betrages von 2.520 DM als Gesamtschuldner gemäß § 421 BGB (RGZ 84; 415 [421 ff]).
Der Anspruch des Verletzten gegen die Klägerin auf Zahlung dieses Betrages hat seine Grundlage im Beförderungsvertrag und in §§ 1, 3 a HaftpflG, wie, in dem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts im Vorprozeß näher ausgeführt worden ist.
Der Verletzte hätte denselben Betrag auch von dem Deutschen Reich ersetzt verlangen können, denn gemäß §§ 7, 11 StVG (früher KrfzG) steht ihm ein Anspruch gegen das Deutsche Reich als Halter des Wehrmachtskraftwagens auf Ersatz seines Verdienstausfalls zu, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat und die Revision auch nicht in Zweifel zieht. Dagegen ist der Revision zuzugeben, daß entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine Haftung des Deutschen Reichs gemäß § 839 BGB in Verb, mit Art. 131 WeimVerf ausscheidet, weil dem Wehrmachtskraftfahrer nach Lage der Sache bei der Verursachung des Unfalls nur Fahrlässigkeit zur Last fällt und der Verletzte hier durch Inanspruchnahme der Klägerin für seinen Verdienstausfall die Möglichkeit gehabt hat, auf andere Weise Ersatz zu erlangen. Dieser Rechtsfehler des Berufungsgerichts beeinflußt jedoch nicht die Entscheidung, da das Deutsche Reich dem Verletzten den den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Verdienstausfall von 2.520 DM in voller Höhe aus dem Straßenverkehrsgesetz (Kraftfahrzeuggesetz) schuldete. Denn die Beträge, die das Deutsche Reich, einschließlich seiner Leistungen an den Krankenversicherungsträger, für den Unfall aufgewendet hat, und der eingeklagte Betrag übersteigen zusammengerechnet ersichtlich nicht die für die Kapitalabfindung in § 12 StVG vorgesehene Grenze von 25.000 DM. Dies ergibt sich aus dem Urteil des Berufungsgerichts und aus dem ausweislich dieses Urteils vom Berufungsgericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Urteil im Vorprozeß. Die Beklagte hat Abweichendes in den Tatsacheninstanzen auch nicht geltend gemacht. Daß der hier für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. Mai 1951 geltend gemachte Betrag von 2.520 DM den in § 12 StVG vorgesehenen jährlichen Rentenhöchstbetrag übersteigt, ist unschädlich, weil zur Zeit des Urteils bereits fällige Beträge für Erwerbsminderung in Kapitalform zuzusprechen sind und die Höchstgrenze für die Kapitalabfindung nicht überschritten ist (Müller, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl, § 12 StVG, Erl. B II a).
Die vom Berufungsgericht gemäß §§ 246 BGB, 17 StVG für das Innenverhältnis zwischen der Klägerin und dem Deutschen Reich vorgenommene Abwägung, derzufolge die von der Straßenbahn ausgehende Betriebsgefahr gegenüber dem erheblich schuldhaften Verhalten des Wehrmachtskraftfahrers überhaupt nicht ins Gewicht fällt, ist rechtlich nicht zu beanstanden und von der Revision auch nicht angegriffen worden.
II.
Entgegen der Ansicht der Revision haftet die beklagte Bundesrepublik für diese Schuld des Deutschen Reiches, gemäß § 8 des zweiten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund vom 21. August 1951 - BGBl I, 774 (2. ÜberlG).
Für die Auffassung der Revision, der Bund brauche nach dem 2. ÜberlG nur solche Reichsverbindlichkeiten zu tragen, die rechtskräftig festgestellt oder vergleichsweise vom Reich anerkannt worden seien, fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Da es sich im Revisionsrechtszug nur noch um Verdienstausfall handelt, den der Verletzte nach dem 1. April 1950 erlitten hat, hält sich das Urteil des Berufungsgerichts im Rahmen der Entscheidung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 12, 349). Auch hat der Verletzte keine Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz erworben, da er nicht durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung gemäß § 5 Bundesversorgungsgesetzes in der Fassung vom 7.8.1953 (BGBl I, 866) geschädigt worden ist.
Die Revision hält § 8 des 2. ÜberlG hauptsächlich deshalb nicht für anwendbar, weil diese Vorschrift dahin ausgelegt werden müsse, daß sie nur unmittelbar geschädigten natürlichen Personen Ansprüche gegen den Bund habe geben sollen, dieser daher zur Erfüllung von Ausgleichsansprüchen - eines Dritten, zumal einer juristischen Person, nicht verpflichtet sei. Außerdem vertritt die Revision die Auffassung, daß die Ansprüche des Verletzen gegen den Bund wegen ihres Versorgungscharakters nicht übertragbar seien.
Der Revision ist zuzugeben, daß die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gewisse Anhaltspunkte für die Annahme gibt, der Gesetzgeber habe damit aus Billigkeitsgründen einen Versorgungsanspruch für körperlich geschädigte natürliche Personen schaffen wollen (vgl. das Kurzprotokoll der 90, Sitzung des (11.) Bundestagsausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 6.7.1951 und Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, 159. Sitzung, S 6394). Indes lassen diese wenigen und nicht klären Hinweise den von der Revision hieraus gezogenen Schluß nicht als zwingend erscheinen, der Gesetzgeber habe bei der Schaffung dieser Vorschrift dem Bund die Haftung für Ausgleichsansprüche von Mitschädigern nicht auferlegen wollen, zumal sowohl in den Gesetzesmaterialien als auch in dem Gesetzestext jeder Anhalt fehlt, der in die bezeichnete Richtung weisen könnte. Gegen die Auslegung der Revision spricht weiter der Umstand, daß der Gesetzgeber dem Verletzten keinen bloßen Versorgungsanspruch zugebilligt, sondern einen Schadensersatzanspruch gewährt hat. Die Revision kann bei dieser Sachlage nicht damit gehört werden, daß entgegen dem Wortlaut des Gesetzes und ohne entsprechenden Anhalt in den Gesetzesmaterialien einzelne an der Gesetzgebungsarbeit beteiligte Personen den Sinn, der Vorschrift des § 8 2. ÜberlG anders verstanden hätten.
Der selbständig neben dem Schadensersatzanspruch stehende Ausgleichsanspruch (RGZ 84, 415 [421]; Geigel: Der Haftpflichtprozeß, 8. Aufl, S 136) ist ebenfalls eine Verbindlichkeit "aus Anlaß eines Personenschadens". Da er im Zeitpunkt des Unfalls entstanden ist (BGHZ 11, 170 [174]), hat er darin seine Wurzel, daß der Verletzte geschädigt wurde. Der Anspruch ist auch nicht verjährt, denn er unterliegt einer gegenüber dem Schadensersatzanspruch des Verletzten selbständigen, und zwar der 30-jährigen Verjährung (RGZ 146, 97 [101]). Die Klägerin hat den Ausgleichsanspruch originär erworben, so daß auch der Gedankengang der Revision, es handle sich um einen nicht übertragbaren Anspruch, nichts zu ihren Gunsten ergibt. Ebensowenig läßt sich der Bestimmung des § 8 2.ÜberlG oder den Gesetzesmaterialien entnehmen, daß Verbindlichkeiten gegenüber juristischen Personen von der Übernahme durch den Bund ausgeschlossen werden sollten. Eine solche Auslegung hat übrigens die Beklagte selbst dieser Bestimmung sonst nicht gegeben (vgl. Erlaß des Bundesministers der Finanzen II B - O 5620 - 58/52 vom 8. Juli 1952 Nr. I 10).
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat die Beklagte, weiter darauf hingewiesen, daß der von dem (22.) Bundestagsausschuß für Geld und Kredit beschlossene § 13 b des Kriegsfolgenschlußgesetzes, überschrieben Ausgleichsansprüche, die Erfüllung von Ausgleichsansprüchen vorgesehen hat. Sie meint, die in § 13 b beabsichtigte Regelung deute darauf hin, daß erst durch das künftige Kriegsfolgenschlußgesetz Ausgleichsansprüche gewährt werden sollten und sich daher § 8 2. ÜberlG nicht auf Ausgleichsansprüche beziehen könne. Diese Erwägung kann indes der Revision ebenfalls nicht zum Erfolge verhelfen. Auch wenn das künftige Kriegsfolgenschlußgesetz eine ausdrückliche und umfassende Regelung der Ausgleichsansprüche enthalten würde, so schließt das nicht aus, daß hinsichtlich der in § 8 2. ÜberlG erwähnten Verbindlichkeiten Ausgleichsansprüche von Mitschädigern gegen den Bund, der derartige Verbindlichkeiten als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches nach dieser Vorschrift zu tragen hat, bereits jetzt geltend gemacht werden können. Aus der von dem Ausschuß vorgeschlagenen Fassung des § 13 b Kriegsfolgenschlußgesetz lassen sich daher keine Anhaltspunkte für die Lösung der hier zu entscheidenden Frage zu Gunsten der Beklagten gewinnen.
Dem angefochtenen Urteil ist daher im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung zu folgen, so daß die Revision zurückgewiesen werden muß. Einer Erörterung des vom Berufungsgericht abgelehnten Gedankens der Haftung des Bundes aus Rechts- oder Funktionsnachfolge bedarf es mithin nicht mehr.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 3018535 |
NJW 1957, 183 |
NJW 1957, 183 (amtl. Leitsatz) |