Leitsatz (amtlich)
Zu den Wirkungen eines Anerkenntnisses.
Normenkette
ZPO § 307
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 21. Juli 2020 - den Parteien an Verkündungs statt am 27. und 30. Juli 2020 zugestellt - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der den anerkannten Betrag von 20.759,49 € übersteigende Berufungsantrag nicht beschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Rz. 2
Die Beklagten zu 1 und 3 bieten Omnibusdienstleistungen an. Die zum damaligen Zeitpunkt bei der Beklagten zu 3 als Busfahrerin angestellte Beklagte zu 2 fuhr am 16. September 2015 mit einem Gelenkbus der Beklagten zu 3 über einen Bahnübergang in Buxtehude. Nach dem Bahnübergang wollte sie mit dem Bus rechts abbiegen, was ihr nicht gelang. Ein herannahender Zug der Klägerin kollidierte mit dem in den Bahnübergang hineinragenden Heck des Busses und wurde beschädigt.
Rz. 3
Die Klägerin macht gegen die Beklagten insgesamt Schäden in Höhe von 691.702,09 € geltend. Bezahlt wurden 375.892 €. Die Beklagten haben hierbei eine Haftungsquote von 2/3 zugunsten der Klägerin angenommen, geforderte Mietkosten um ersparte Aufwendungen gekürzt und die Aufrechnung mit eigenen Schadensersatzansprüchen erklärt.
Rz. 4
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin restlichen Schadensersatz in Höhe von 315.810,09 € nebst Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin - unter dem Vorbehalt der Erweiterung des Rechtsmittels - zunächst beantragt, das Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von Reparaturkosten für den Doppelstockwagen Nr. 50211 in Höhe des aus der Rechnung vom 15. Februar 2016 nicht beglichenen Anteils von 20.759,49 € zu verurteilen. Nachdem die Beklagten diesen Anspruch mit am 14. Juli 2020 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz anerkannt haben, hat die Klägerin am selben Tag ihren Berufungsantrag erweitert und beantragt, das Urteil des Landgerichts insgesamt abzuändern und die Beklagten entsprechend ihrem erstinstanzlichen Antrag zu verurteilen. Das Oberlandesgericht hat mit Anerkenntnisurteil vom 21. Juli 2020 das Urteil des Landgerichts abgeändert, neu gefasst und die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 20.759,49 € verurteilt. Einen Antrag der Klägerin auf Erlass eines Ergänzungsurteils hat das Berufungsgericht durch Beschluss als unstatthaft verworfen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt im Berufungsverfahren gestellten Antrag weiter, soweit durch das Anerkenntnisurteil nicht über ihn entschieden worden ist.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht, dessen Urteil (vom 21. Juli 2020 - 14 U 36/20) in juris veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Die Beklagten seien ihrem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen. Über den erweiterten Berufungsantrag der Klägerin sei nicht mehr zu entscheiden, da die Beklagten dem Berufungsgericht durch das zeitlich vor dem erweiterten Berufungsantrag eingegangene Anerkenntnis die Entscheidung über den Streitgegenstand entzogen hätten. Die Berufungserweiterung sei gegenstandslos, da aufgrund des Anerkenntnisses keine Berufung mehr bestanden habe, die hätte erweitert werden können. Aus dem Umstand, dass sich die Klägerin bei der Einlegung der Berufung eine Erweiterung vorbehalten habe, folge nicht, dass das Berufungsgericht vor Erlass des Anerkenntnisurteils Rücksprache mit der Klägerin hätte halten müssen, ob es bei den angekündigten Anträgen bleibe. Durch ihr Anerkenntnis vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung hätten die Beklagten verhindert, dass die Klägerin die Berufung habe erweitern und das wirtschaftliche Risiko für die Beklagten erhöhen können.
II.
Rz. 8
Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg.
Rz. 9
1. Die Revision ist zulässig, da die Klägerin - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - durch die Entscheidung des Berufungsgerichts beschwert ist.
Rz. 10
Die Zulässigkeit des von der Klägerin eingelegten Rechtsmittels hängt vom Vorliegen der "formellen Beschwer" ab. Ein Kläger ist bereits dann beschwert, wenn das angefochtene Urteil von seinen Anträgen abweicht, seinem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (Senatsurteile vom 9. Oktober 1990 - VI ZR 89/90, NJW 1991, 703, 704; vom 2. Februar 1999 - VI ZR 25/98, BGHZ 140, 335, 338; BGH, Urteile vom 29. Juni 2000 - I ZR 29/98, NJW-RR 2001, 620, 621; vom 12. März 2004 - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019, 2020).
Rz. 11
Da das Berufungsgericht mit seinem Anerkenntnisurteil nur über den von den Beklagten anerkannten Betrag von 20.759,49 €, nicht aber über den darüber hinausgehenden Berufungsantrag im klägerischen Schriftsatz vom 14. Juli 2020 entschieden hat, ist die Klägerin im Umfang des nicht beschiedenen Antrags beschwert.
Rz. 12
Wie sich aus dem Berufungsurteil ergibt, hat das Berufungsgericht bewusst keine weitergehende Entscheidung getroffen. Da das Berufungsurteil damit nicht nur versehentlich lückenhaft ist, hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO abgelehnt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2005 - V ZR 230/04, juris Rn. 9; Ergänzungsurteil vom 1. Juni 2011 - I ZR 80/09, juris Rn. 7 - Klageverzicht als Prozesshandlung). Die Nichtberücksichtigung des weitergehenden Antrags kann die Klägerin mit der statthaften Revision gegen das Urteil geltend machen (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 2019 - VIII ZR 190/18, NJW 2019, 1950 Rn. 20 mwN).
Rz. 13
2. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es eine Entscheidung über den weitergehenden Berufungsantrag abgelehnt hat, halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 14
a) Das Anerkenntnis der Beklagten hat - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - dem Gericht "den Streitgegenstand" nicht "entzogen". Es hat nur den Streit um die Begründetheit des anerkannten Anspruchs zwischen den Parteien beendet (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1953 - III ZR 206/51, BGHZ 10, 333, 335, 339; Beschluss vom 10. November 2009 - XI ZB 15/09, NJW-RR 2010, 275 Rn. 15). Die Klägerin war aufgrund des Anerkenntnisses nicht daran gehindert, ihren Berufungsantrag zu erweitern.
Rz. 15
Das Anerkenntnis nach § 307 ZPO ist eine Prozesshandlung, die bewirkt, dass die Beklagten an ihren Inhalt gebunden sind und das Gericht sein Urteil ohne Sachprüfung auf die anerkannte Rechtsfolge gründen kann. Die anerkennende Partei übernimmt mit dem Anerkenntnis das Beurteilungsrisiko bezüglich der dem Anerkenntnis zugrunde gelegten tatsächlichen und rechtlichen Vorstellungen. Insoweit ist das Gericht von der Prüfung des Streitstoffes enthoben (vgl. BGH, Urteile vom 8. Oktober 1953 - III ZR 206/51, BGHZ 10, 333, 335; vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 391 ff.; vom 5. April 1989 - IVb ZR 26/88, BGHZ 107, 142, 146 f.; vom 8. November 2005 - XI ZR 90/05, BGHZ 165, 53, 61).
Rz. 16
Ein Anerkenntnis beendet den Prozess aber nicht unmittelbar mit der Folge, dass dem Gericht wie bei einer Klagerücknahme die Möglichkeit zu entscheiden genommen ist (BGH, Anerkenntnisurteil vom 6. Mai 2014 - X ZR 11/14, NJW-RR 2014, 831 Rn. 6). Erst die aufgrund eines Anerkenntnisses ausgesprochene Verurteilung erledigt die Hauptsache (so der Wortlaut des § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1953 - III ZR 206/51, BGHZ 10, 333, 334 f.). Der weitere Prozessverlauf nach dem Anerkenntnis folgt den allgemeinen Regeln (vgl. Stein/Jonas-Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 307 Rn. 32).
Rz. 17
b) Durch die zunächst nur teilweise Anfechtung des landgerichtlichen Urteils war die Klägerin nicht gehindert, ihren Berufungsantrag zu erweitern.
Rz. 18
Die Teilanfechtung des erstinstanzlichen Urteils durch die Klägerin hat die Rechtskraft dieses Urteils insgesamt gehemmt (§ 705 ZPO). Hat ein Urteil mehrere prozessuale Ansprüche zum Gegenstand, erstreckt sich die Hemmungswirkung des Rechtsmittels grundsätzlich auf das gesamte Urteil. Sie erfasst insbesondere auch diejenigen Teile, die ausweislich der Berufungsanträge nicht angefochten werden (Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91, VersR 1992, 1110, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657, 659, jeweils mwN). Einer Erweiterung der Berufungsanträge hätte nur dann die teilweise Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils entgegengestanden, wenn ein Schriftsatz der Klägerin eine Beschränkung im Sinne eines teilweisen Rechtsmittelverzichts enthalten hätte (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1952 - IV ZR 81/52, BGHZ 7, 143, 144 f.; Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91, VersR 1992, 1110, juris Rn. 10). Weder der Berufungsschrift noch der Berufungsbegründung ist ein Verzicht der Klägerin auf weitergehende Ansprüche zu entnehmen. Die Klägerin hat sich vielmehr in der Berufungsbegründung ausdrücklich vorbehalten, den Berufungsantrag zu erweitern.
Rz. 19
c) Die Klägerin war auch in zeitlicher Hinsicht nicht gehindert, ihren Berufungsantrag zu erweitern.
Rz. 20
Eine Erweiterung des Berufungsantrags ist grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2012 - VI ZB 74/11, NJW-RR 2012, 662 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - VIII ZR 98/16, NZM 2017, 358 Rn. 9 mwN). Zwar hat das Berufungsgericht nach Eingang des Anerkenntnisses den für denselben Tag anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben; da das Anerkenntnis den Rechtsstreit jedoch nicht beendet hat (vgl. oben unter a), war die Klägerin weder durch das Anerkenntnis noch durch die Terminsaufhebung an der Erweiterung ihres Berufungsantrags durch Schriftsatz vom 14. Juli 2020 gehindert.
Rz. 21
d) Der erweiterte Berufungsantrag ist zulässig. Wird der Berufungsantrag - wie hier - erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erweitert, ist er nur dann zulässig, wenn er durch die fristgerecht eingereichten Berufungsgründe (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO) gedeckt ist (vgl. Senatsurteil vom 29. September 1970 - VI ZR 74/69, NJW 1971, 33, 34 - insoweit in BGHZ 54, 283, 284 nicht abgedruckt; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1953 - V ZR 6/51, BGHZ 12, 52, 67 f.; Beschluss vom 8. Oktober 1985 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063; Versäumnisurteil vom 6. Juli 2005 - XII ZR 293/02, BGHZ 163, 324, 327 f.; Beschluss vom 10. Januar 2017 - VIII ZR 98/16, FamRZ 2017, 820 Rn. 9). Das ist hier, was der Senat selbst zu prüfen hat, der Fall.
Rz. 22
Das Landgericht hat die Klage wegen der von ihm angenommenen Mithaftung der Klägerin und der daraus folgenden Haftungsquote (Klägerin zu 40%, Beklagte zu 60%) abgewiesen. Insoweit hat es - ausgehend von dem geltend gemachten Gesamtschaden von 691.702,09 € - einen Ersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 60% (415.021,25 €) bejaht und hiervon die vorprozessuale Zahlung von 375.892 € abgezogen. Es hat dann angenommen, dass der restliche Anspruch von 39.129,25 € aufgrund der Aufrechnung der Beklagten mit einem Gegenanspruch auf Ersatz von 40% des Eigenschadens aus dem Verkehrsunfall erloschen sei. Die Klägerin hat mit der Berufungsbegründung - neben der vom Landgericht verneinten Passivlegitimation der Beklagten zu 1 - die Quote bekämpft und eine 100%ige Haftung der Beklagten geltend gemacht. Damit würde, wenn die Klägerin mit der Haftung recht hätte, der Argumentation des Landgerichts in vollem Umfang der Boden entzogen. Darauf, ob die Beklagten den Schaden der Klägerin teilweise bestritten haben (20% Abzug bei den Kosten für die Anmietung der Ersatzfahrzeuge), kommt es nicht an, weil das Landgericht darauf nicht abstellt, sondern seiner Entscheidung den gesamten von der Klägerin geltend gemachten Betrag zugrunde legt.
Rz. 23
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist aufzuheben, soweit über den erweiterten Berufungsantrag nicht entschieden worden ist. Insoweit ist die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 24
Soweit der Klageanspruch anerkannt worden ist, hätte das Berufungsgericht nach § 307 Satz 1 ZPO durch Teilanerkenntnisurteil entscheiden müssen (vgl. BAG, Urteil vom 29. Januar 1981 - 2 AZR 1055/78, ZIP 1981, 1250, 1252; MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl., § 301 Rn. 36; Stein/Jonas-Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 301 Rn. 41 und § 307 Rn. 52; Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 301 Rn. 20 und § 307 Rn. 8). Das Anerkenntnisurteil bleibt daher als Teilanerkenntnisurteil aufrechterhalten.
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