Leitsatz (amtlich)
Bei Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich mit der zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Folge der Strafmilderung nach § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB regelmäßig ein Geständnis zu verlangen.
Normenkette
StGB § 46a Nrn. 1-2
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 15.05.2002) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 15. Mai 2002 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision greift die Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde die Bemessung der Freiheitsstrafe und die Strafaussetzung zur Bewährung an. Sie wendet sich insbesondere gegen die mit einem Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB begründete Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen lernten sich der Angeklagte und die 20jährige Geschädigte in einer Diskothek kennen. Sie tauschten dort einvernehmlich Zärtlichkeiten aus. Sie verließen gemeinsam die Diskothek und gingen über einen Parkplatz zu einer nahegelegenen Autowaschanlage. In einer Waschbox hielt der Angeklagte plötzlich mit einer Hand das Handgelenk der Geschädigten fest und drückte sie gegen die Wand. Gegen ihren erkennbaren Willen küßte er sie heftig, faßte unter ihr Oberteil und knetete fest ihre Brüste. Er zog ihre Hose bis zu den Knien herunter und führte zwei oder drei Finger seiner anderen Hand in ihre Scheide ein. Anschließend versuchte er mit seinem Penis von hinten in die Scheide einzudringen, was ihm nicht gelang; dafür führte er an ihr den Oralverkehr durch. Er fügte dem Tatopfer aufgrund dieser Behandlung Kratzwunden sowie erhebliche Schmerzen zu.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die von ihm an der Geschädigten vorgenommenen sexuellen Handlungen in der Waschbox eingeräumt. Er hat aber bestritten, Nötigungsmittel angewandt zu haben; alle sexuellen Handlungen seien einverständlich erfolgt. Die Kammer hat sich jedoch aufgrund der glaubhaften Aussage der Geschädigten von der Schuld des Angeklagten überzeugt.
2. Zur Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB hat die Strafkammer folgendes ausgeführt: Nach der Vernehmung des Tatopfers in der Hauptverhandlung sei der zunächst bestreitende Angeklagte mit einem gerichtlichen Hinweis gemäß § 155a StPO auf die Möglichkeiten des Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen worden. Er sei daraufhin von seiner ursprünglichen Einlassung insoweit abgewichen, als er ein „Mißverständnis bzw. ein Verschulden einräumte”. Der Angeklagte habe sich bei dem Tatopfer – nach Auffassung der Kammer ernsthaft – entschuldigt. Er habe kein volles Geständnis abgelegt, was in Anbetracht der in der Hauptverhandlung anwesenden Familienangehörigen und Freunde des Angeklagten sowie seiner Verlobten nachvollziehbar sei. Er habe in der Hauptverhandlung ernsthaft angeboten, sich durch Vermittlung eines Sozialtherapeuten mit dem Tatopfer an einen Tisch zu setzen und ihr durch ein Gespräch dabei zu helfen, die Sache endgültig zu verarbeiten. Ferner habe er sich bereit erklärt, zum Ausgleich des immateriellen Schadens ein Schmerzensgeld von 3.500 Euro zu bezahlen. Seine Familie habe diesen Betrag in der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt und der Geschädigten ausgehändigt, „die diesen Betrag durch ihren Beistand als gewissen Ausgleich akzeptiert” habe (UA S. 7). Zur weiteren Begründung hat die Strafkammer ausgeführt, ein Täter-Opfer-Ausgleich könne in jeder Lage des Verfahrens erfolgen. Der Angeklagte habe erst durch den gerichtlichen Hinweis von der Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs erfahren. Er habe zwar dem Tatopfer eine peinliche Befragung nicht erspart, habe sich aber am Ende der Beweisaufnahme darum bemüht, einen kommunikativen Prozeß mit der Geschädigten in die Wege zu leiten. Er habe auch seiner in der Hauptverhandlung anwesenden Familie zugesagt, den Betrag von 3.500 Euro durch Arbeitsleistungen zurückzuerstatten. Die Kammer habe – auch unter Beobachtung des in Haftsachen besonders zu berücksichtigenden Beschleunigungsgrundsatzes – davon abgesehen, die Hauptverhandlung zur Ermöglichung einer weiteren Kommunikation zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten auszusetzen.
3. Die Beschwerdeführerin trägt – insoweit enthält die Revisionsbegründung eine noch zulässige Verfahrensrüge nach § 261 StPO – vor, der Angeklagte habe im Ermittlungsverfahren Zeugen benannt, die bekunden sollten, die Geschädigte biete sich vor der Diskothek gegen Geld an. Nachdem sich dieses als falsch herausgestellt habe, sei dem Angeklagten, dem im gesamten Ermittlungs- und Hauptverfahren ein Verteidiger zur Seite gestanden habe, im Eröffnungsbeschluß ein Hinweis nach § 155a StPO auf einen Ausgleich gegeben worden. Dessen ungeachtet habe seine Verteidigung über zwei Verhandlungstage auf einen Freispruch abgezielt. Dies habe in einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gegipfelt, die Geschädigte habe die Unwahrheit gesagt. Das darin zum Ausdruck gekommene weitere Bestreiten des Angeklagten hätte nicht mit dem erneuten rechtlichen Hinweis gemäß § 155a StPO unterlaufen werden dürfen. Auch nach dem Hinweis habe sich der Angeklagte nur dahin eingelassen, es handele sich um ein Mißverständnis und es tue ihm leid. Er habe damit die vorsätzliche Mißachtung der sexuellen Selbstbestimmung relativiert und die Tat weiter in Abrede gestellt. Dies komme auch darin zum Ausdruck, daß der Verteidiger im Schlußvortrag Freispruch beantragt habe. Nach dem gerichtlichen Hinweis hätten sich mehrere im Gerichtssaal anwesende Familienmitglieder entfernt und 2.500 Euro beigebracht. Erst nach den Schlußvorträgen habe der Vater des Angeklagten dem Vertreter der Nebenklage 2.500 Euro in Anwesenheit des Tatopfers übergeben. Der Vater habe zugesichert, im Laufe des Tages weitere 1.000 Euro zu übergeben und habe auf Drängen des Nebenklägervertreters zugesagt, die Kosten des Adhäsionsverfahrens und die bis dahin angefallenen Gebühren zu übernehmen. Aufgrund dieser Umstände seien wesentliche Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs nicht erfüllt. Der Angeklagte habe seine schädigende Handlung niemals eingeräumt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Bejahung der Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a StGB durch das Landgericht begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Übernahme des im Jugendstrafrecht erfolgreich angewandten Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 45 Abs. 2 Satz 2 JGG) in das allgemeine Strafrecht die Absicht, auch im Erwachsenenstrafrecht die Belange des Opfers von Straftaten stärker in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Gleichzeitig kann der Täter auf diesem Wege besser als mit bloßer Bestrafung zur Einsicht in die Verwerflichkeit seines Tuns und zur Übernahme von Verantwortung für die Folgen seiner Straftat veranlaßt werden (BTDrucks. 12/6853 S. 21). § 46a StGB will einen Anreiz für Ausgleichsbemühungen seitens des Täters schaffen, dem Opfer durch sein persönliches Einstehen für die Folgen der Tat, durch immaterielle Leistungen oder auch durch materielle Schadensersatzleistungen Genugtuung zu verschaffen. Allerdings will die Norm mit den Anforderungen an einen friedensstiftenden Ausgleich auch in dem aus generalpräventiver Sicht erforderlichen Umfang sicherstellen, daß nicht jede Form des Schadensausgleichs ausnahmslos und ohne Rücksicht auf den Einzelfall dem Täter zugute kommt (BTDrucks. aaO S. 21). Der Gesetzgeber hat zwar mit § 46a StGB – ähnlich mit § 31 BtMG für aufklärungsbereite Betäubungsmittelstraftäter – für um Ausgleich und Wiedergutmachung bemühte Beschuldigte den Anreiz eines Strafmilderungsgrundes geschaffen; die Vorschrift soll aber kein Instrument zur einseitigen Privilegierung reuiger Täter sein (Schöch, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft S. 309, 323; zur Gefahr, daß die Vorschrift entgegen den gesetzgeberischen Intentionen doch zu einem Freikauf durch den Täter führen kann, vgl. BGH Beschl. vom 14. Dezember 1999 – 4 StR 554/99 –, StV 2000, 129).
2. § 46a Nr. 1 StGB macht das Angebot an den Täter und das Opfer, mit Hilfe eines Vermittlers oder einer sonstigen auf Ausgleich ausgerichteten Kommunikation eine von allen Beteiligten einverständlich getragene Regelung zu finden, die geeignet ist, Konflikte beizulegen, die zu der Straftat geführt haben oder durch sie verursacht wurden. Ergeben die Ausgleichsbemühungen, daß die Wiedergutmachung ganz oder zum überwiegenden Teil aus materiellen Leistungen in Form von Schadensersatz oder Schmerzensgeld bestehen, so verlangt § 46a Nr. 2 StGB, daß der Täter diese tatsächlich erbracht und dafür erhebliche persönliche Anstrengungen unternommen und Verzicht geleistet hat. Beide Alternativen des § 46a StGB beschreiben selbständige Voraussetzungen, die übereinstimmend einen Schadensausgleich bezwecken. Der Tatrichter kann die Strafmilderung für den Täter nach den Umständen des Einzelfalles auf jede der beiden Alternativen stützen; liegen jedoch die Voraussetzungen für beide Alternativen vor, können sie nebeneinander festgestellt werden (Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 46a Rdn. 4a). Der Unterschied zwischen Nr. 1 und Nr. 2 besteht darin, daß Nr. 2 für die materiellen Wiedergutmachungsleistungen den Eintritt des Erfolges (d.h. die geleistete Zahlung) verlangt, während sich Nr. 1 unter Umständen mit den mit dem erstrebten Erfolg verbundenen Ausgleichsbemühungen (hinsichtlich der materiellen Leistungen deren Zusage) begnügt (Schöch aaO S. 309 ff., 319, 323, 335).
a) Der Gesetzgeber hat sich in § 46a Nr. 1 StGB inhaltlich an der im Jugendstrafrecht geltenden Konfliktregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 7 JGG und den dort zur Verfügung stehenden jugendspezifischen Modellen des formalisierten Täter-Opfer-Ausgleichs orientiert. Bei der Übernahme des Täter-Opfer-Ausgleichs in das allgemeine Strafrecht hat er sich wegen der Vielfalt der nach Landesrecht geregelten Verfahren und wegen der nur bedingt möglichen Übertragbarkeit auf kein formalisiertes Verfahren festgelegt. Bei dieser Konzeption ist er auch anläßlich der Einführung der verfahrensrechtlichen Grundnormen der § 155a und § 155b StPO geblieben (Gesetz vom 20. Dezember 1999; BGBl. I S. 2491), mit denen er den in das materielle Strafrecht eingestellten Täter-Opfer-Ausgleich verfahrensrechtlich verankern und stärken wollte (BTDrucks. 14/1928 S. 8).
Der 1. Strafsenat hat schon kurz nach Inkrafttreten die Vorschrift des § 46a StGB dahin ausgelegt, daß dessen Wortlaut – entgegen der Entwurfsbegründung – offen läßt, ob die Lösung des der Tat zugrundeliegenden Gesamtkonflikts „stets” unter Anleitung eines Dritten anzustreben ist oder ob dies nur „tunlichst” geschehen soll. Dafür hat der Senat aber in ständiger Rechtsprechung zumindest einen „kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer” verlangt, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Tat verursachten Folgen gerichtet sein muß. Er hat damit gegenüber dem in Täter-Opfer-Ausgleichs-Verfahren von fachkundigen Personen vermittelten „Gespräch als Medium parteiautonomer Konfliktregulierung” (Messmer, Täter-Opfer-Ausgleich, Zwischenbilanz und Perspektiven, Bonner Symposium, 1991, S. 127) einen offeneren Kommunikationsbegriff gewählt, um auch anderen Kommunikationsformen zur Schadenswiedergutmachung Raum zu lassen. Sofern ein Verfahren nicht offensichtlich für einen Täter-Opfer-Ausgleich ungeeignet ist, sollen Staatsanwaltschaft und Gericht nach § 155a StPO grundsätzlich in die Prüfung eintreten, ob ein Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem erreicht werden kann. Dies gilt nach § 155a Satz 1 und 2 StPO ausdrücklich für jedes Stadium des Verfahrens (BTDrucks. aaO S. 8). Schwerpunkt der durch Dritte vermittelten Ausgleichsbemühungen wird nach dem gesetzgeberischen Willen aber das Ermittlungsverfahren mit der dazu neu geschaffenen Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens nach § 153 a Abs. 1 Nr. 5 StPO sein. In der Hauptverhandlung kann der Tatrichter ebenfalls noch auf den Täter-Opfer-Ausgleich hinwirken, jedoch wird das in diesem Verfahrensstadium bei einem bestreitenden oder schweigenden Angeklagten nur eingeschränkt möglich und angezeigt sein.
b) Die Eignung eines Verfahrens für den Täter-Opfer-Ausgleich und das Maß des zu verlangenden kommunikativen Prozesses sind abhängig von dem zugrundeliegenden Delikt, vom Umfang der beim Tatopfer eingetretenen Schädigungen und damit von dem Grad der persönlichen Betroffenheit des Opfers. Schwere – auf einzelne Opfer bezogene – Gewaltdelikte, insbesondere Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung (etwa Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Mißbrauch von Kindern) sind nicht prinzipiell vom Täter-Opfer-Ausgleich ausgeschlossen. Allerdings wird in diesen Fällen der kommunikative Prozeß seltener durch ein persönliches Gespräch zwischen Täter und Opfer geprägt sein. Für den erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich wird eher eine über Angehörige, den Verteidiger und den Nebenklägervertreter oder den Beistand vermittelte Kommunikation ausreichen. Um der Gefahr zu begegnen, daß der Täter die Vergünstigung des § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB durch „ein routiniert vorgetragenes Lippenbekenntnis” oder einen Anwaltsschriftsatz erlangt, oder das Opfer während der Kommunikation Pressionen aussetzt und dem Tatrichter bei Sexualstraftaten oder Körperverletzungsdelikten „ein versöhntes Opfer” präsentiert, hat der Tatrichter seine Feststellungen zum erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich in den Urteilsgründen darzulegen. Dabei wird er insbesondere den Willen des Opfers zur Versöhnung und die Frage einer erzielten Genugtuung zu berücksichtigen haben (vgl. König, Anm. zum Urt. vom 25. Mai 2001 – 2 StR 78/01 – JR 2002, 251, 253).
aa) Nach dem Wortlaut des § 46a StGB ist ein bestimmtes Prozeßverhalten des Beschuldigten nicht ausdrücklich gefordert. Da es aber beim Täter-Opfer-Ausgleich um eine strafrechtliche Konfliktskontrolle geht, muß der Beschuldigte prinzipiell – im Einzelfall in Abwägung zwischen dem Ziel der Schuldmilderung und dem nemo-tenetur-Prinzip – akzeptieren, daß er für das am Opfer begangene Unrecht einzustehen hat; dazu gehört auch, daß er die Opferrolle respektiert. Der rechtliche Konflikt über die Rollenverteilung von Täter und Opfer kann nicht jedesmal von den Beteiligten neu und individuell festgelegt werden (Rössner, Bonner Symposium aaO S. 210, 217). Das bedeutet, daß ein explizit bestreitender Beschuldigter von einer Überweisung an eine nach landesrechtlichen Vorschriften für den Täter-Opfer-Ausgleich zuständige geeignete Stelle oder von einer durch Dritte vermittelten friedensstiftenden Kommunikation ausgeschlossen bleiben muß. Dagegen kann neben dem geständigen Täter auch der schweigende Täter in die Kommunikation einbezogen werden (vgl. Hartmann, Staatsanwaltschaft und Täter-Opfer-Ausgleich, 1998, S. 68).
bb) Dem entspricht, daß der Bundesgerichtshof für den kommunikativen Prozeß verlangt, daß das Verhalten des Täters im Verfahren „Ausdruck der Übernahme von Verantwortung” ist, um die friedensstiftende Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (Senat, Beschl. vom 25. Juli 1995 – 1 StR 205/95 –, NStZ 1995, 492, 493; BGH, Beschl. vom 20. Februar 2001 – 4 StR 551/00 –, StV 2001, 346; BGH, Beschl. vom 25. Oktober 2000 – 5 StR 399/00 –, NStZ 2001, 200; kritisch zu dieser Wortwahl Schöch aaO S. 326; König, Anm. zu BGH, Urt. vom 25. Mai 2001 – 2 StR 78/01, JR 2002, 251, 252). Hieran hält der Senat fest. Im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung kann nur dem Täter die Strafmilderung nach § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zuteil werden, der gegenüber seinem Opfer eine konstruktive Leistung erbringt, die diesem Genugtuung verschafft.
Jedenfalls für Gewaltdelikte und Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die sich gegen einzelne Opfer gerichtet haben, wird für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich mit der zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Folge der Strafmilderung nach § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB regelmäßig ein Geständnis zu verlangen sein. Oftmals wird dem Opfer gerade ein Bekennen des Täters zu seiner Tat im Strafverfahren besonders wichtig sein, so daß ohne ein Geständnis die angestrebte Wiedergutmachung kaum denkbar sein wird (BGH, Beschl. vom 20. September 2002 – 2 StR 336/02 –, StV 2002, 649). Es obliegt dem Tatrichter, unter Beachtung dieses Maßstabs nach den Umständen des Einzelfalls in wertender Betrachtung festzustellen, inwieweit der Täter freiwillig Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Dies wird namentlich der Fall sein, wenn er die Haltung des Opfers zu respektieren lernt und diese zu seinem eigenen Verhalten in Bezug setzt (Oberlies, Streit 1999 S. 110). Eine solche Einzelfallprüfung ist erforderlich, um der in der tatrichterlichen Rechtsprechung zu beobachtenden Entwicklung des Täter-Opfer-Ausgleichs zu einem Freikauf von der Verantwortung zu Lasten der Opfer entgegenzuwirken.
cc) Die Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB läßt bei einem Täter, dem es erkennbar auf die Aussöhnung ankommt und dessen persönliche Leistungen sich als „Ausdruck der Übernahme von Verantwortung” erweisen, im Einzelfall auch schon das „Bemühen um umfassenden Ausgleich” ausreichen. Im Fall eines materiellen Ausgleichs steht der Annahme ausreichender Bemühungen nicht von vornherein entgegen, daß der Täter den finanziellen Ausgleich durch seinen Verteidiger und etwa erst zu einem Zeitpunkt veranlaßt hat oder sich dazu verpflichtet hat, zu dem ihn das Opfer bereits auf Zahlung in Anspruch genommen hat (BGH, Beschl. vom 14. Dezember 1999 – 4 StR 554/99, StV 2000, 129; BGH, Beschl. vom 17. Juni 1998 – 1 StR 249/98; StV 1999, 89).
dd) Aus der Sicht des Opfers ist es für die verlangte Kommunikation unabdingbar, daß der Verletzte in den Dialog mit dem Täter über die zur Wiedergutmachung erforderlichen Leistungen einbezogen wird. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, daß das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (BGH, Urt. vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02 –, NStZ 2002, 646). Dies ergibt sich schon daraus, daß überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können (ebenso Oberlies, Streit 2000 S. 99, 110). Läßt sich das Tatopfer – etwa weil das Delikt oder Art und Umfang der Schädigungen ihm einen Ausgleich unmöglich machen – auf einen kommunikativen Prozeß nicht ein, so ist – wie es der 1999 eingeführte § 155a Satz 3 StPO ausdrücklich klargestellt – das Verfahren für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht geeignet (vgl. BTDrucks. 14/1928 S. 8).
Grundsätzlich kann nichts anderes gelten für die in § 46a Nr. 1 StGB genannten „Bemühungen” des Täters, die im Einzelfall ausreichen können, um zu einem erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich zu gelangen. Verweigert der Verletzte auch insoweit seine Zustimmung, so hat dies der Täter trotz der herabgesetzten Anforderungen an einen erfolgreichen Ausgleich hinzunehmen, denn ohne Zustimmung des Opfers fehlt bereits die Basis für sein Bemühen (offengelassen für den Fall des nicht festgestellten entgegenstehenden Willens von Bankangestellten als Opfer eines Banküberfalls, denen der Täter Schmerzensgeld angeboten und Schadensersatz an die Banken geleistet hatte, von BGH, Urt. vom 25. Mai 2001 – 2 StR 78/01 –, NStZ 2002, 364 mit Anm. Kühl/Häger JZ 2002, 363; Dölling/Hartmann NStZ 2002, 366 und König JR aaO S. 252). Allein auf die Sicht „eines vernünftigen Dritten” kann es nicht ankommen (Schöch aaO S. 322; Oberlies aaO S. 107; a.A. Kilchling NStZ 1996, S. 309, 314 unter Berufung auf SK-Horn § 46a Rdn. 3). Dem Tatrichter wird vielmehr auferlegt, unter Berücksichtigung der Interessen des Opfers und des Täters in wertender Betrachtung zu entscheiden, „wie sich das Tatopfer etwa in dem Fall zu den Bemühungen des Angeklagten stellt und welche Folgen die Schmerzensgeldverpflichtung für den Angeklagten hat, aber auch wie sicher deren Erfüllung ist” (BGH, Beschl. vom 22. August 2001 – 1 StR 333/01 –, NStZ 2002, 29).
ee) Kommt es nach diesem Maßstab zu einer Kommunikation zwischen Täter und Opfer, ist der Täter-Opfer-Ausgleich gelungen, wenn das Tatopfer in die Kommunikation einbezogen ist und dieses die erbrachten Leistungen oder Bemühungen nach Form und Inhalt als Wiedergutmachung akzeptiert hat (BGH, Urt. vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02 –, NStZ 2002, 646). Als Fälle eines fehlgeschlagenen Ausgleichs sind solche Ergebnisse einer Kommunikation anzusehen, bei denen eine Einigung wegen unterschiedlicher Vorstellungen über die immateriellen oder materiellen Leistungen nicht zustande gekommen oder deren Vereinbarungen nicht eingehalten worden sind.
(1) Eine Ausgleichsvereinbarung ist schon dann nicht erfolgreich, wenn der Täter die ideelle Komponente seiner Wiedergutmachung nicht erfüllt, er etwa eine Entschuldigung nur formal abgibt und das Tatopfer diese deshalb nicht annimmt. Gleiches gilt für Arbeitsleistungen, die der Täter zu Gunsten des Tatopfers persönlich oder gegenüber gemeinnützigen Einrichtungen anbietet. Ein vollwertiger Täter-Opfer-Ausgleich liegt auch nicht vor, wenn ein vom Tatopfer getragener Aussöhnungsversuch zwischen Verwandten, Freunden oder den beauftragten Anwälten nicht zustande kommt.
(2) Für die materielle Wiedergutmachung genügt allein die Erfüllung von dem Tatopfer nach dem Zivilrecht ohnehin zustehenden Schadensersatzansprüchen nicht (BGH, Urt. vom 25. Mai 2001 – 2 StR 78/01 –, NStZ 2002, 364). Der Täter muß einen über die rein rechnerische Kompensation hinausgehenden Beitrag erbringen (BGH, Urt. vom 18. November 1999 – 4 StR 435/99 –, NStZ 2000, 205). Andererseits kann aber im Einzelfall ein Ausgleich erfolgreich sein, wenn der Täter sein gesamtes Vermögen zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung stellt und so persönlichen Verzicht leistet und den Geschädigten zum überwiegenden Teil entschädigt (BGH, Beschl. vom 19. Oktober 1999 – 1 StR 515/99 –, NStZ 2000, 83).
(3) Die Vereinbarung und die Zahlung von Schmerzensgeld müssen sich an den zivilrechtlichen Schmerzensgeldansprüchen messen lassen. Eine Vereinbarung über ein Schmerzensgeld, das in einem Mißverhältnis zu den zivilrechtlich zu realisierenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldleistungen steht, kann nicht zu einem erfolgreichen Ausgleich führen (Oberlies aaO S. 110). Akzeptiert etwa das Tatopfer einer Vergewaltigung unter dem Druck des Strafverfahrens eine von dem Verteidiger des Angeklagten und dem Nebenklägervertreter vereinbarte schriftliche Abrede, weil sie befürchtet, ansonsten keinerlei Ersatzleistungen von dem Angeklagten zu erhalten, reicht dies nicht aus (BGH, Urt. vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02 –, NStZ 2002, 646).
(4) Findet eine an den dargestellten Maßstäben zu messende Kommunikation statt, äußert sich das Tatopfer aber nicht zu dem vereinbarten Ausgleich oder den Bemühungen des Täters, so kann daraus nicht in jedem Fall auf eine ausdrückliche Ablehnung der Verletzten mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. In diesem Fall müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, ob darin der verständliche Wunsch nach „Nichtbefassung” im Sinne einer Ablehnung zu sehen ist. Mit der Ausgestaltung der Vorschrift als „vertyptem Strafmilderungsgrund” wollte der Gesetzgeber einen nachhaltigen Anreiz für Ausgleichsbemühungen im Strafrecht schaffen. Das verbietet nach Auffassung des Senats in diesen Fällen ein allzu enges Verständnis der Vorschrift jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen ein kommunikativer Prozeß zwischen Täter und Opfer stattgefunden hat; dies wird vornehmlich für Taten im Familienverbund oder innerhalb sonstiger persönlicher Beziehungen zu gelten haben (Senat, Urt. vom 27. August 2002 – 1 StR 204/02 –, StV 2002, 654).
c) Nach der als prozessuale Grundnorm anzusehenden Vorschrift des § 155a Satz 1 StPO „sollen” die Staatsanwaltschaft und das Gericht in jedem Stadium des Verfahrens prüfen, ob ein Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem erreichbar ist (vgl. BTDrucks. 14/1928 S. 8). In der Hauptverhandlung ist es dem Tatrichter je nach den Umständen des Einzelfalles nicht verwehrt, zur Anbahnung oder Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs die Hauptverhandlung zu unterbrechen. Allerdings ergibt die Verfahrensvorschrift des § 155a StPO (vgl. auch den unverändert gebliebenen § 265 Abs. 3 StPO) keinen Anspruch des Angeklagten auf Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung.
d) Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat der Tatrichter die wesentlichen Einzelheiten über den erfolgreichen oder den nicht erfolgreichen Ausgleich einschließlich der Frage der Zustimmung oder der Verweigerung des Tatopfers in den Urteilsgründen in dem Umfang darzulegen, daß sie die revisionsgerichtliche Überprüfung – insbesondere unter Beachtung der Opferinteressen – ermöglichen. Die Urteilsgründe müssen die „wertende Betrachtung” und die Ausübung tatrichterlichen Ermessens erkennen lassen, ob der Tatrichter die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs annimmt und danach von der so eröffneten Milderungsmöglichkeit Gebrauch macht.
3. Das Landgericht hat diese Maßstäbe nicht ausreichend beachtet. Die Urteilsgründe belegen die Voraussetzungen eines erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleichs nicht.
a) Ein ernsthaftes, auf einen Ausgleich mit der Geschädigten gerichtetes Bemühen des Angeklagten nach § 46a Nr. 1 StGB ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Nach den bisherigen Feststellungen hat die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit ihrem wiederholten Hinweis nach § 155a StPO nach durchgeführter Beweisaufnahme einschließlich der Einvernahme des Tatopfers auf den Täter-Opfer-Ausgleich hingewirkt. Dies ist zwar nach dessen Satz 1 StPO rechtlich zulässig. Allerdings hätte die Strafkammer bei dieser Sachlage näher darlegen müssen, woher sie die Überzeugung nimmt, es sei dem Angeklagten zu diesem späten Zeitpunkt um eine friedensstiftende Kommunikation gegangen. Dazu bestand Anlaß, weil sich bereits aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ergab, daß der Angeklagte versucht hat, das Tatopfer herabzuwürdigen. Auch nachdem sich diese Behauptung als nachweislich falsch herausgestellt hatte und ihm im Eröffnungsbeschluß ein Hinweis auf den Täter-Opfer-Ausgleich gegeben worden war, hat er in der Hauptverhandlung die Geschädigte der falschen Aussage bezichtigt. Er hat ihr auch die Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht erspart. Er hat sogar noch den Beweisantrag gestellt, ein Sachverständiger werde zu dem Ergebnis gelangen, sie habe in ihrer Vernehmung die Unwahrheit gesagt. Erst danach hat der Angeklagte die gegen den Willen der Geschädigten durchgeführten sexuellen Handlungen als „Mißverständnis” bezeichnet und sich entschuldigt. Seine Bereitschaft, sich durch Vermittlung eines Therapeuten mit der Geschädigten an einen Tisch zu setzen, um „ihr dabei durch ein Gespräch dabei zu helfen, die Sache endgültig zu verarbeiten”, zeigt nicht ohne weiteres auf, daß das Verhalten des Angeklagten sich als Übernahme von Verantwortung für seine Tat erweist. Dafür spricht letztlich auch, daß sein Verteidiger im Schlußvortrag Freispruch beantragt hat. Angesichts dieser Umstände liegt eine Strafmilderung nach § 46a StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB eher fern.
b) Nach den Urteilsgründen genügt auch die Zahlung des Schmerzensgeldes von 3.500 Euro den Anforderungen des § 46a Nr. 1 StGB nicht. Die Urteilsgründe teilen lediglich mit, der Angeklagte müsse einen Betrag von 3.500 Euro an seine Familie zurückzahlen, die diesen Betrag als Schmerzensgeld zur Verfügung gestellt und der Geschädigten ausgehändigt habe. Demgegenüber sprechen die von der Revision mitgeteilten tatsächlichen Umstände zur Sammlung, der Übergabe und dem Vorzählen des Geldes in Gegenwart der Geschädigten eher dafür, daß die Familie den Angeklagten „freigekauft” hat. Die Strafkammer räumt nicht aus, daß diese Form des Aushandelns des „Preises” eine einseitig dem Täter günstige Strafmilderung bewirkt hat, damit aber die Genugtuungsfunktion des Täter-Opfer-Ausgleichs auf seiten des Tatopfers nicht erfüllt wurde.
c) Aus den Urteilsgründen ergibt sich schließlich kein Anhalt dafür, daß die Geschädigte den Täter-Opfer-Ausgleich „ernsthaft mitgetragen” und diesen als friedensstiftende Konfliktregelung „innerlich akzeptiert” hat. Die Urteilsgründe teilen dazu vielmehr mit, die Geschädigte habe „diesen Betrag durch ihren Beistand auch als gewissen Ausgleich akzeptiert”.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2558552 |
BGHSt 2004, 134 |
BGHSt |
NJW 2003, 1466 |
EBE/BGH 2003, 76 |
JR 2003, 423 |
NStZ 2003, 365 |
NStZ 2004, 382 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2003, 282 |
Streit 2004, 37 |
NPA 2003, 0 |
StV 2003, 272 |
StraFo 2003, 248 |