Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des sozialversicherten Verletzten auf Ersatz der Kosten der zweiten Pflegeklasse gegen den Schädiger
Leitsatz (amtlich)
Soweit der Schädiger im Einzelfall verpflichtet ist, einem sozialversicherten Verletzten nicht nur die Kosten der dritten, sondern der zweiten Pflegeklasse zu ersetzen, verbleibt der Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen dem Verletzten und geht nicht auf den Sozialversicherungsträger über.
Normenkette
RVO § 1542; StVG § 7; PflVG § 3 Nrn. 1-2
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 30. November 1971 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.
Tatbestand
Am 13. November 1968 wurde die bei der Barmer Ersatzkasse (im folgenden: BEK) sozialversicherte Klägerin beim Überqueren des M. Dammes in H. von einem von der Erstbeklagten gesteuerten Pkw während eines Überholvorganges erfaßt und verletzt. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer der Erstbeklagten. Die Klägerin erlitt bei denk Unfall erhebliche Verletzungen. Sie wurde in der zweiten Pflegeklasse stationär behandelt. Die BEK erstattete auf der Grundlage einer Behandlung in der dritten Klasse.
Durch die Behandlung in der zweiten Pflegeklasse entstanden der Klägerin Mehraufwendungen für ärztliche Behandlung von 3.237,00 DM und für Arznei- und Verbandmittel von 26,80 DM, insgesamt also von 3.263,80 DM die die BEK nicht erstattet hat. Auf der Grundlage einer Haftungsquote von 70 % hat die Klägerin unter Berücksichtigung der bevorrechtigten Leistungen des Sozialversicherungsträgers (SVT) schließlich die Zahlung von 1.899,74 DM nebst Zinsen und eines angemessenen Schmerzensgeldes gefordert.
Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten. Sie haben ein Verschulden der Erstbeklagten in Abrede gestellt. Im Hinblick auf deren Schadensbeteiligung ist nach ihrer Auffassung der geminderte Ersatzanspruch nach dem Straßenverkehrsgesetz wegen des Quotenvorrechts in vollem Umfange auf den SVT übergegangen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 979,14 DM nebst Zinsen zu zahlen; im übrigen hat es die Klageabweisung bestätigt.
Mit der zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
1.
Das Berufungsgericht geht in Übereinstimmung mit dem Landgericht davon aus, daß die Erstbeklagte den Unfall nicht schuldhaft herbeigeführt hat. Es bejaht eine Haftung der Beklagten nur nach § 7 StVG, der Zweitbeklagten i.V. mit § 3 Nr. 1, 2 PflVG., nimmt aber an, daß die Klägerin den Unfall in erheblichem Umfange mitverschuldet hat. Daher hält es die Beklagten zum Ersatz des Vermögensschadens lediglich zu 30 % für verpflichtet, soweit die Ansprüche nicht gemäß § 1542 RVO auf den SVT übergegangen sind.
Diese Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie werden auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
2.
Die Parteien streiten nunmehr nur noch darum, ob der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen von unangefochten 3.263,80 DM zu 30 % zusteht, die ihr durch die Behandlung als Privatpatientin in der zweiten Klasse des Krankenhauses in erster Linie für ärztliche Behandlung zusätzlich entstanden sind.
Das hat das Berufungsgericht bejaht und die Beklagten dementsprechend zur Zahlung von 979,14 DM verurteilt. Hierbei geht es davon aus, daß der Klägerin aus den besonderen Gegebenheiten ein Anspruch auf Ersatz dieser Mehraufwendungen gegen die Beklagten zusteht. Es verneint aber einen Übergang dieses Anspruchs auf den SVT nach § 1542 RVO.
II.
Der Auffassung des Berufungsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen.
1.
Zu Unrecht vermißt die Revision Darlegungen der Klägerin darüber, daß sie sich keine Doppelbehandlung geleistet hat, und Feststellungen im Berufungsurteil über die Erforderlichkeit der zusätzlichen privaten Behandlung.
Das vom Berufungsgericht zutreffend gewürdigte Vorbringen der Klägerin geht dahin, daß sie sich, um eine Operation durch Dr. B. selbst sicherzustellen, in der zweiten Pflegeklasse behandeln ließ, und daß sie deshalb verpflichtet war, zusätzlich die geltend gemachten Arztkosten unmittelbar an den sie behandelnden Chirurgen sowie an die von diesem konsiliarisch zugezogenen Ärzte zu bezahlen. Eine Doppel behandlung hat auch nach dem bisherigen Vorbringen der Beklagten nicht stattgefunden. Schon deshalb hatte das Berufungsgericht keinen Anlaß, Feststellungen zu treffen oder Ausführungen zu machen über die Erforderlichkeit einer zusätzlichen privaten Behandlung.
2.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist ebenfalls, daß das Berufungsgericht die Klägerin gegenüber den Beklagten für befugt gehalten hat, eine Privatbehandlung in der zweiten Pflegeklasse in Anspruch zu nehmen. Die im wesentlichen dem Tatrichter obliegende Beurteilung der Angemessenheit läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht hat seiner Beurteilung die Grundsätze zugrundegelegt, die der Senat für die Inanspruchnahme der zweiten Pflegeklasse in früheren Entscheidungen aufgestellt hat (vgl. Urt. des Senats vom 11. November 1969 - VI ZR 91/68 = VersR 1970, 129 m.w.Nachw.). Die Revision greift diese Ausführungen auch nicht an.
3.
Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, daß dieser in der Person der Klägerin entstandene Anspruch auf Ersatz von 30 % Mehraufwendungen für Arzt- und Arzneimittelkosten wegen Inanspruchnahme der zweiten Klasse nicht auf den SVT (BEK) übergegangen und daher ihr verblieben ist.
a)
Zutreffend geht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats davon aus, daß dem SVT bei einer quotenmäßigen Haftung des Schädigers ein Quotenvorrecht zusteht. Infolgedessen geht der Anspruch des Geschädigten auf anteiligen Schadensersatz vorrangig auf den SVT über, soweit er der Versicherungsleistung kongruent ist, also demselben Zweck dient wie die Versicherungsleistung (vgl. BGH Urteil vom 29. Oktober 1968 - VI ZR 280/67 = LM § 1542 RVO Nr. 62 = VersR 1968, 1182 m.w.Nachw.).
Beurteilt man die Frage der (sachlichen) Kongruenz nach bestimmten Schadensgruppen (vgl. Wussow UHR 11. Aufl. Tz 1485) in dem Sinne, daß es nur auf die Zugehörigkeit zur gleichen Schadensart ankommt, nicht aber darauf, ob innerhalb dieser Gruppe der einzelne Schadensposten vom Versicherer gedeckt wird (zu § 67 VVG: BGH Urteil vom 21. November 1957 - II ZR 82/56 = VersR 1958, 15; Urteil vom 28. Januar 1958 - VI ZR 308/56 = LM § 67 VVG Nr. 11 = VersR 1958, 161), dann spricht hier Überwiegendes für die Bejahung einer solchen Kongruenz. Geltend gemachte Schadensforderung und Versicherungsleistung des SVT gehören zur Schadensgruppe der "Heilungskosten". Davon geht offenbar auch das Berufungsgericht aus.
b)
Trotzdem verneint das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht hier einen Übergang des Anspruchs auf Ersatz der Mehraufwendungen auf den SVT.
Der SVT lehnt eine Erstattung dieser Mehraufwendungen ab, weil er satzungsgemäß nur die Kosten für die dritte Pflegeklasse erstattet. Obgleich er für die hier in Frage stehenden bestimmten Mehraufwendungen grundsätzlich keine Versicherungsleistungen erbringt, könnte er sich damit schadlos halten auch an dem Ersatzanspruch der geschädigten Klägerin, der ihr nur deshalb erwachsen ist, weil sie eigene Mittel zur Erlangung weiterer vom SVT grundsätzlich nicht gedeckter Leistungen aufgewendet hat. Somit stünde der SVT bei gleichen Versicherungsleistungen besser als in dem Fall, in dem der geschädigte Versicherte sich in der dritten Pflegeklasse behandeln läßt. Das erscheint unbillig (so auch Wussow UHR a.a.O. Tz 1487 a.E.; vgl. auch WI 1970, 9). Nach Auffassung des Senats besteht für eine solche Auslegung kein rechtfertigender Sachgrund.
Eine sachgerechte Wertung führt vielmehr zu dem Ergebnis, daß der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Ersatz der Mehraufwendungen nicht von dem Übergang nach § 1542 RVO erfaßt wird. Allerdings soll sich der SVT grundsätzlich für seine Entschädigungsleistungen auch an solche Forderungen halten können, die auf Ersatz von Schäden gehen, für die er im konkreten Fall keinen Ersatz zu leisten brauchte und auch nicht geleistet hat, wenn der Schaden des Versicherten seiner Natur nach und die Versicherungsleistung zur gleichen Gruppe ("Heilungskosten") gehören. Voraussetzung ist aber bereits nach bisheriger Rechtsauffassung, daß der SVT wenigstens möglicherweise dem Versicherten Entschädigung für solche Schäden zu leisten hat. Ersatzansprüche des Verletzten gehen nach § 1542 RVO nur "insoweit" über, als der SVT sachlich entsprechende Leistungen gewährt. Damit ist der Rückgriffsanspruch, wie der Senat bereits ausgesprochen hat (Urteil vom 22. September 1970 - VI ZR 270/69 = LM BVG § 81 a Nr. 2 = VersR 1970, 1053) nicht nur in seiner Höhe begrenzt, sondern auch seinem sachlichen Inhalt nach beschränkt. Die Verneinung des Übergangs widerspricht auch nicht Sinn und Zweck dieser Regelung, die dahin gehen, einmal eine ungerechtfertigte Entlastung des Schädigers zu vermeiden - was hier nicht in Frage steht, da er jedenfalls diesen Schaden entweder dem SVT oder dem Geschädigten zu ersetzen hat - und weiterhin eine doppelte Entschädigung des Verletzten zu verhindern (vgl. auch BGHZ 54, 377, 382 = LM RVO § 1542 Nr. 71). Gerade in dem Fehlen dieses Geltungsgrundes hat der Senat die Erklärung dafür gesehen, daß ein Schmerzensgeldanspruch nicht übergeht (Urteil vom 22. September 1970 - VI ZR 270/69 = aaO). Der Senat hat auch einen Übergang nach § 1542 RVO verneint, wenn der Sozialversicherte die Sozialversicherungsleistung nicht mehr geltend machen kann (BGH Urteil vom 3. Mai 1960 - VI ZR 74/59 = VersR 1960, 709) oder wenn er die Leistung des SVT aufgrund freier Entschließung nicht in Anspruch nimmt (Urteil vom 17. November 1964 - VI ZR 171/63 = VersR 1965, 161). Allerdings hatte dort der SVT für den jeweiligen Krankheitsfall überhaupt keine Leistungen erbracht. Die diesen Entscheidungen zugrunde liegende Wertung trifft aber auch zu, wenn ein bestimmter abgrenzbarer Teil des Gesamtschadens grundsätzlich von der Leistungspflicht des SVT ausgeschlossen ist.
Ähnlich liegt es auch hier. Die Klägerin kann von der BEK (SVT) keine Heilbehandlung der zweiten Klasse und keinen Ersatz der dadurch entstandenen Mehraufwendungen verlangen. Für diese hat der SVT nichts aufzuwenden und nichts aufgewendet. Damit besteht nicht die Gefahr einer Doppelentschädigung des Geschädigten. Darüber hinaus besteht unter diesen Umständen kein Anlaß, dem Verletzten (Klägerin) den aus eigenen Aufwendungen erwachsenen Ersatzanspruch zu nehmen mit der Folge, daß sich der SVT wegen seiner Leistungen schadlos halten kann (im Ergebnis so auch Geigel, Der Haftpflichtprozeß 15. Aufl., 30, 32 ff und LG Bielefeld VersR 1971, 226; vgl. auch BGH Urt. vom 22. Oktober 1957 - VI ZR 227/56 = VersR 1957, 790).
Es mag dahinstehen, ob Sinn der Regelung des § 1542 RVO auch ist, den SVT möglichst weitgehend zu entlasten (im Urteil des BGH vom 29. Oktober 1968 - VI ZR 280/67 = a.a.O. m.w.Nachw. offen gelassen). Jedenfalls reichte ein solcher Grund nicht aus, auf den SVT Ansprüche auf Ersatz von Schäden wie hier übergehen zu lassen, zu deren Deckung er grundsätzlich keine Versicherungsleistung zu erbringen hat, die vielmehr allein vom Versicherten (oder einer von ihm genommenen Zusatzversicherung) getragen werden.
c)
Das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Januar 1958 (VI ZR 308/56 = LM VVG § 67 Nr. 11 = VersR 1958, 161), mit der sich das Berufungsgericht auseinandersetzt, ist zu § 67 VVG ergangen (Übergang des Anspruchs auf Ersatz des merkantilen Minderwerts auf den Kaskoversicherer), während hier ein Übergang im Rahmen des § 1542 RVO in Frage steht (vgl. jetzt Österr. OGH Urteil v. 29. Oktober 1969 = ZVR 1970, 157 Nr. 116 = VersR 1970, 776 LS, dazu WI 1970, 105). Schon deshalb bestand kein Anlaß zu einer erneuten Stellungnahme zu dem dort entschiedenen Sachverhalt.
4.
Entgegen der Meinung der Revision konnte das Berufungsgericht auch die Frage dahinstehen lassen, ob während des Krankenhausaufenthaltes ersparte Aufwendungen der Klägerin in Höhe von 380 DM anzurechnen sind. Das Berufungsgericht hat diese Frage zu Recht im Rahmen des Ersatzes der Kosten für den Krankenhausaufenthalt erörtert und die Aufwendungen dort berücksichtigt. Gegenüber dem in der Revision allein noch streitigen Anspruch auf Ersatz von Mehraufwendungen, die in erster Linie für Arztkosten entstanden sind, scheidet eine Anrechnung aus.
III.
Nach alledem erweist sich die Revision als unbegründet. Sie war deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Nüßgens
Dunz
Scheffen
Dr. Steffen
Dr. Kullmann
Fundstellen
Haufe-Index 1456404 |
NJW 1973, 1196 |
JZ 1973, 631 |