Leitsatz (amtlich)

Die Verjährung des Ersatzanspruchs aus § 945 ZPO beginnt im Regelfall erst mit dem Abschluß des Arrestprozesses bzw. des Verfahrens betreffend den Erlaß einer einstweiligen Verfügung.

 

Normenkette

ZPO § 945; BGB § 852

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 30. November 1976 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegenüber der Zweitbeklagten zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die noch offene Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten bleibt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Wegen eines Brandes in seinem Möbellager hatte der Kläger von der Zweitbeklagten (künftig; die Beklagte; die beiden anderen Beklagten sind infolge Nichtannahme gemäß § 554 b ZPO der gegen sie gerichteten Revision am Revisionsverfahren nicht mehr beteiligt) eine Versicherungsleistung erhalten. Später geriet er in den Verdacht, seinen Deckungsanspruch mindestens der Höhe nach betrügerisch manipuliert zu haben.

Mit am 21. Februar 1971 zugestellter Klage begehrte daraufhin in einen Vorprozeß die Beklagte vom Kläger Teilrückzahlung von 150.000 DM. Gleichzeitig erwirkte sie im Februar und März 1971 gegen ihn zwei Arrestbefehle über 30.000 DM und 120.000 DM. Aufgrund dieser ließ sie in der Folge Bankkonten, Fahrnis und einen angeblichen GmbH-Anteil des Klägers pfänden sowie auf einem Grundstücksanteil Zwangshypotheken eintragen.

Durch Urteil des Landgerichts vom 29. April 1971 wurden indes beide Arrestbefehle aufgehoben. Das Urteil wurde dadurch rechtskräftig, daß die Beklagte (damals Klägerin) am 8. Februar 1973 ihre (allerdings zunächst auf 30.000 DM beschränkte) Berufung zurücknahm. Schon mit Beschluß vom 7. Mai 1971 hatte das Landgericht sämtliche Pfändungsbeschlüsse aufgehoben. Die damalige Klage zur Hauptsache wies ein alsbald rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil des Landgerichts von 12. Februar 1973 ab.

Mit der gegenwärtigen, am 16. April 1975 beim Landgericht eingekommenen und der Beklagten am 7. Mai 1975 zugestellten Klage begehrt der Kläger von der Beklagten 100.000 DM Schadensersatz. Er begründet dies damit, daß ihm durch die von der Beklagten schuldhaft veranlaßten Ermittlungen der Kriminalpolizei und durch die Pfändungen infolge zeitweiser völliger Lahmlegung seines Geschäftsbetriebs ein Schaden jedenfalls in dieser Höhe entstanden sei.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers, deren Annahme der Senat insoweit nicht abgelehnt hat, verfolgt sie weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Soweit der Kläger seine Ansprüche auf den Vorwurf stützt, daß die Beklagte aufgrund eines erkennbar unbegründeten Verdachts ein Ermittlungsverfahren gegen ihn veranlaßt habe, hat dies neben den auf § 945 ZPO gestützten Ansprüchen selbständige Bedeutung. Denn nach seiner Darstellung beschränkt sich sein Schaden nicht auf denjenigen, der durch die Vollstreckungsmaßnahmen verursacht sein soll. Die demnach erforderliche gesonderte Prüfung kann der Revision insoweit aber keinen Erfolg bringen.

1. Der Kläger hat seinen Ersatzanspruch auch auf unerlaubte Handlung (§ 823 BGB i. V. mit §§ 164, 186 StGB) gestützt. Dem ist das Berufungsgericht schon deshalb nicht nachgegangen, weil es einen so begründeten Deliktsanspruch ohne Rechtsfehler als nach § 852 BGB verjährt ansieht. Die Revision ist denn auch auf diesen Haftungsgrund nicht mehr zurückgekommen.

2. Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß sich auch Ansprüche aus sog. positiver Vertragsverletzung ergeben könnten, die als solche wegen der dafür geltenden Verjährungsfrist des § 195 BGB keinesfalls verjährt wären. Seine Zweifel, ob eine Verletzung vertraglicher Pflichten noch nach Eintritt des Versicherungsfalls denkbar gewesen sei, bedürfen keiner Prüfung. Denn die von ihm hilfsweise angestellten Erwägungen, die zu einer Verneinung des Anspruchs führen, haben Bestand.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche gegen den Vertragspartner nicht an sich schon eine positive Vertragsverletzung sein kann (BGHZ 20, 169, 172). Es legt dann im Einzelnen dar, daß die Beklagte ihre damaligen Maßnahmen gegen den Kläger einschließlich der Einleitung des Klagerzwingungsverfahrens weder in böswilliger Schädigungsabsicht noch ohne Anhaltspunkte für einen vertretbaren Verdacht getroffen hat.

Diese die Entscheidung insoweit tragenden Erwägungen liegen im Bereich der tatrichterlichen Feststellung und Würdigung. Sie sind damit an sich der Prüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Soweit die Angriffe der Revision hiergegen als Verfahrensrügen aus § 286 ZPO gedeutet werden können, hat sie der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend befunden (§ 565 a ZPO).

II.

Daß dem Kläger der Beklagten gegenüber Ansprüche aus § 945 ZPO jedenfalls dem Grunde nach zugestanden haben, ist außer Streit; auch das Berufungsgericht geht davon aus, hält diese Ansprüche indessen für nach § 852 BGB verjährt. Darin kann ihm nicht gefolgt werden.

1. Das Berufungsgericht führt hierzu aus:

Die in § 852 BGB vorausgesetzte Kenntnis vom Schaden und Schädiger ergebe sich ohne weiteres aus der Zustellung der Arrestbefehle und der Klage im Hauptprozeß im März 1971. Damit habe der Kläger Kenntnis von allen Tatsachen gehabt, die auf ein schuldhaftes Verhalten aller Beklagten hingewiesen hätten. Die Verjährung eines etwaigen Ersatzanspruchs habe daher jedenfalls mit der Aufhebung der Arrestbefehle mit Urteil vom 29. April 1971 begonnen. Daß im Jahre 1971 weder das Arrestverfahren noch das Hauptklageverfahren rechtskräftig abgeschlossen gewesen seien und auch nicht das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, habe einer Feststellungsklage des Klägers nicht die Erfolgsaussicht genommen und deshalb auch nicht den Lauf (Beginn) der Verjährungsfrist hinausschieben können. Im Regelfall könne es nämlich für den Beginn der Verjährung nur auf die Kenntnis der maßgeblichen Umstände und nicht auf die rechtskräftige Entscheidung zweifelhafter Rechtsfragen ankommen.

2. In dieser Ansicht vermag der Senat dem Berufungsgericht nicht zu folgen.

a) Zwar ist die grundsätzliche Anwendbarkeit der Verjährungsvorschrift des § 852 BGB auf den besonderen Haftungstatbestand des § 945 ZPO unbestritten und auch zutreffend. Hinsichtlich der Art dieser Anwendung kann sich das Berufungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts stützen (zuletzt RGZ 157, 14 mit weiteren Hinweisen, insbes. auf RGZ 106, 289). Dem folgen ohne nähere Erörterung die meisten Erläuterungsbücher (einschränkend nur Zöller/Scherübel ZPO 11. Aufl. Anm. 4, ablehnend wohl Wieczorek ZPO Anm. A I a 1, beide zu § 945 ZPO), so daß diese Meinung als derzeit noch herrschend bezeichnet werden kann. Gleichwohl bestehen gegen sie durchgreifende Bedenken.

Die Meinung des Reichsgerichts wendet die Vorschrift des § 852 Abs. 1 BGB, wonach der Lauf der Verjährungsfrist durch die Kenntnis von Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen ausgelöst wird, auf die Fälle des § 945 ZPO allzu undifferenziert an. Die Person des „Ersatzpflichtigen” ist, wenn man darunter nur den Arrestgläubiger oder Verfügungskläger verstehen wollte, dem Geschädigten ohnehin stets alsbald bekannt. Demnach käme es für den Beginn der Verjährung nur darauf an, daß dem Geschädigten der Eintritt eines durch die Vollziehung des Arrests bzw. der einstweiligen Verfügung bedingten Schadens bewußt wird. Da auch der sichere oder doch wahrscheinliche Eintritt eines Schadens durch den Vollzug dem Betroffenen im Regelfall alsbald erkennbar sein wird, würde nach der Ansicht des Reichsgerichts die Verjährungsfrist für Ansprüche nach § 945 ZPO fast immer alsbald zu laufen beginnen. Sie kann also in der Praxis nicht seltenen Fällen, zu denen auch der vorliegende gehört, nicht nur schon abgelaufen sein, ehe noch der Hauptprozeß entschieden ist, sondern sogar schon ehe noch das Verfahren über Arrest oder einstweilige Verfügung seinen endgültigen Abschluß gefunden hat. Damit wäre der Arrestschuldner bzw. Antragsgegner oft genötigt, zur Abwendung der Verjährung klageweise die Feststellung eines (zunächst noch in mehrfacher Weise bedingten) Schadensersatzanspruches zu erheben. Daß dieses Ergebnis prozeßökonomisch ganz unerwünscht ist, steht wohl außer Zweifel (vgl. dazu jetzt auch BGHZ 73, 363 bzgl. des Verjährungsbeginns bei Schadensersatzansprüchen gegen einen Steuerberater). Es sind auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, die es erwünscht erscheinen ließen, einen Schadensersatzgläubiger mit seinem Anspruch schon zu einem Zeitpunkt der Verjährung auszusetzen, in dem er häufig eine Leistungsklage deshalb gar nicht durchsetzen kann, weil – wie noch auszuführen sein wird – die Berechtigung seines Anspruchs mitunter schon den Grunde nach noch nicht endgültig feststeht.

b) Dieses von der Rechtsprechung des Reichsgerichts hingenommene Ergebnis erscheint im Lichte eines differenzierenden Verständnisses des Gesetzeswortlauts vermeidbar. Dabei kommt es für die Entscheidung der vorliegenden Falles nur darauf an, ob der Beginn der Verjährungsfrist schon vor einem noch zu erwartenden Abschluß, des Arrestprozesses liegen kann; denn der Arrestprozeß war hier wegen der Möglichkeit einer Berufungserweiterung bis zur Rücknahme der Berufung auch nicht teilweise abgeschlossen. Dagegen mag die Frage, inwieweit im Verfahren über den Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO einem bereits anhängigen” etwa gemäß § 926 ZPO erzwungenen Hauptprozeß vorgegriffen werden kann oder darf, dahinstehen.

aa) In diesem Zusammenhang gilt es zunächst zu beachten, daß § 852 BGB von der Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen spricht. Das bedeutet mehr, als die Kenntnis von der Person dessen, der den Schaden verursacht hat, (vgl. Gadow, Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht 1936, 97, 99), denn es impliziert auch das Wissen um die Umstände, die die Haftpflicht begründen, also regelmäßig ein schuldhaftes Fehlverhalten oder auch die Voraussetzungen für das Eingreifen einer Gefährdungshaftung. Ein Wissen um den Tathergang im Großen und Ganzen wird diesen Voraussetzungen in Regelfall genügen.

Dies verhält sich aber anders bei Ansprüchen, deren Bestand noch von einem weiteren prozessualen Geschehen (nicht von dessen sachlicher Richtigkeit) abhängt, so daß im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses selbst ein „optimaler Beobachter” die Haftung noch nicht einmal dem Grunde nach abschließend zu beurteilen vermöchte. Hierzu gehört etwa der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO (vgl. dazu das Senatsurteil vom 8. Oktober 1957 – VI ZR 212/56 – VersR 1957, 753). Einen solchen reinen Formaltatbestand (F. Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz 1967, S. 103) enthält auch die Haftungsvorschrift des § 945 ZPO zunächst insoweit, als die einstweilige Entscheidung später aufgrund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 ZPO aufgehoben wird. Darüber hinaus entspricht es aber auch der herrschenden Meinung (BGHZ 15, 356, 358 m. Nachw.; a. A. u.a. Baur a.a.O. S. 106, BGH Urt. v. 7. Mai 1971 – I ZR 148/69 – WM 1971, 1129, 1130; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 19. Aufl. § 945 Anm. II 2 c aa m. Nachw.), daß die Aufhebung des Arrests oder der einstweiligen Verfügung im vorläufigen Verfahren als von Anfang an unbegründet hinsichtlich des Bestandes des Schadensersatzanspruchs bindet. Insoweit trägt die Praxis der besonderen Formulierung des Gesetzes Rechnung, daß sich Arrestgrund und Arrestanspruch als von Anfang an unbegründet „erweisen” müssen (vgl. Gadow a.a.O. S. 99). Es hilft also z.B. dem Arrestgläubiger nichts, wenn sich das Bestehen von Grund und Anspruch von Anfang an späterhin mit den überlegenen Erkenntnismitteln des ordentlichen Prozeßverfahrens doch ergibt; vielmehr bleibt er zum Schadensersatz verpflichtet. Auch insoweit enthält also der Haftungstatbestand ein ausgesprochen formales Element, das sich in Augenblick des schädigenden Vorgangs schwerlich voll beurteilen läßt. Wenn sich deshalb auch in einem Rest der Fälle, in denen Arrest oder einstweilige Verfügung im vorläufigen Verfahren Bestand behalten haben, deren anfängliche Unbegründetheit erst im Verfahren zur Hauptsache oder in einem besonderen Schadensersatzprozeß herausstellen kann, mit den Ergebnis, daß der Ersatzanspruch dann doch noch als begründet erscheint, so vermag das nichts daran zu ändern, daß der hinsichtlich eines wesentlichen Teils seiner positiven Elemente formal gestaltete Haftungstatbestand erst durch den Abschluß eines noch im Gange befindlichen vorläufigen Verfahrens überhaupt voll beurteilbar wird.

Könnte man demnach eine Entstehung des Ersatzanspruches bereits mit dem Schadensereignis ohnehin nur für diejenigen Fälle bejahen, in denen nicht letztlich eine formal gestaltete Anspruchsgrundlage den Ausschlag gibt, dann erscheint es sowohl aus Gründen der Billigkeit wie auch der Praktikabilität und Prozeßwirtschaftlichkeit insgesamt nicht angängig, dem Antragsgegner des vorläufigen Verfahrens eine Klage auf Erfüllung oder Feststellung eines Anspruchs zuzumuten, dessen Voraussetzungen zwar vielleicht noch nicht gegeben sind, aber durch die weitere Entwicklung des vorläufigen Verfahrens noch eintreten können. All dies spricht nach Ansicht des Senats dafür, die Verjährung des Ersatzanspruchs aus § 945 ZPO nicht beginnen zu lassen, solange der Ausgang des vorläufigen Verfahrens noch aussteht. Der zur Entscheidung stehende Fall gibt keinen Anlaß zur Beantwortung der Frage, auf welchen Zeitpunkt der Verjährungsbeginn dann angesetzt werden müßte, wenn sich abzeichnete, daß mit einem Abschluß des vorläufigen Verfahrens nicht mehr gerechnet werden kann.

bb) Das alles hat mit der sowohl vom angefochtenen Urteil als auch vom Reichsgericht (RGZ 157, 14, 20 f. und sonst; vgl. auch Gadow a.a.O. S. 98 f.) erörterten Frage, inwieweit besondere sachlich-rechtliche Unklarheiten die für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis des Geschädigten ausnahmsweise ausschließen können, nichts zu tun. Denn insoweit steht nicht die Frage der materiellen Berechtigung im Vordergrund, sondern ein prozessuales Geschehen, das in seiner Abhängigkeit sowohl von legitimen Prozeßhandlungen wie auch von den unvermeidbaren Risiken und Zweifelsfragen der Rechtsfindung tatbestandlich hingenommen werden muß.

c) Jedenfalls also, solange der Arrestprozeß bzw. das Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Verfügung noch nicht abgeschlossen ist, kann, wie bemerkt, die Verjährung nicht beginnen. Daher bedarf es in solchen Fällen nicht des Gegeneinwandes der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB; Gadow a.a.O. will ihn in weniger überzeugender Weise aus § 826 BGB herleiten), den das Reichsgericht in RGZ 157, 14, 21/22 nur ausnahmsweise dann zulassen wollte, wenn der Gegner Verjährung einwendet, wobei es andererseits aber in einem anhängigen Rechtsstreit noch selbst die Meinung verficht, Arrest bzw. einstweilige Verfügung seien zu Recht erlassen.

III.

Das Berufungsgericht wird nach allem bei seiner anderweiten Entscheidung davon auszugehen haben, daß ein etwa bestehender Anspruch aus § 945 ZPO noch nicht verjährt ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609607

BGHZ, 1

NJW 1980, 189

JZ 1979, 759

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