Leitsatz (amtlich)

›a) Behauptet ist ein Pflichtverstoß im Sinne von § 14 Abs. 3 ARB, wenn ein Sachvortrag vorliegt, der ernst gemeint ist und zumindest den Tatsachenkern eines Pflichtverstoßes enthält.

b) Der ernsthaft erhobene Vorwurf, der Prozeßgegner habe gegen grundlegende vertragliche Pflichten verstoßen (hier: als Geschäftsführer eines Betriebes), ist so gewichtig, daß er nicht als bloßes "Kolorit" (vgl. Senatsurteil VersR 1984,530) eingestuft werden kann.‹

 

Verfahrensgang

LG Essen

OLG Hamm

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Versicherungsschutz von der Beklagten. Sie unterhält bei der Beklagten eine mit Wirkung vom 13. März 1981 abgeschlossene Rechtsschutzversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) zugrundeliegen. Der Versicherungsschutz umfaßt auch arbeitsgerichtliche Streitigkeiten.

Die Klägerin war kaufmännische Angestellte in einer Klischeeanstalt, in der sie nach dem Tod des Betriebsinhabers im Jahre 1979 aufgrund entsprechender Vereinbarung mit dessen Witwe die Aufgaben einer Geschäftsführerin übernommen hatte. Anfang November 1981 sah sich die seinerzeitige Betriebsinhaberin zur Schließung des Betriebes veranlaßt und teilte der Klägerin in einem Schreiben vom 10. November 1981 mit, sie möge ihr Vertragsverhältnis als mit dem 14. November 1981 gelöst betrachten.

Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und Klage auf rückständiges Gehalt und Urlaubsgeld. Das Verfahren endete mit einem Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht, nach dessen Ziffer 4 sämtliche Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben wurden.

Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht hatte die seinerzeitige Beklagte geltend gemacht, die Betriebsschließung sei einverständlich zum 14. November 1981 erfolgt, nachdem der Klägerin in einem Gespräch Anfang Juni 1981 deutlich gemacht worden sei, eine Betriebsschließung werde unumgänglich, wenn keine Umsatzsteigerung erfolge. Daneben hatte die Beklagte wörtlich vortragen lassen: "Ab Mai 1981 wurden noch monatliche Umsätze von nur ca. 10.000,- DM erzielt, was nicht zuletzt auf die fehlerhafte Geschäftsführung durch die Klägerin zurückzuführen sein dürfte, wie sich jetzt herausgestellt hat. Beweis: Zeugnis (Steuerberater) K.

Die seinerzeitige Beklagte vertrat die Auffassung, daß auch eine Kündigung wegen erheblicher Vertragsverstöße der Klägerin begründet sei, ohne den angekündigten weiteren Sachvortrag hierzu folgen zu lassen.

Nach Einsichtnahme in Unterlagen aus dem Arbeitsgerichtsprozeß lehnte die nunmehrige Beklagte Versicherungsschutz ab, weil der Klägerin im Arbeitsgerichtsprozeß vorgeworfen worden sei, seit Mai 1981 durch fehlerhafte Geschäftsführung nur noch Umsätze von ca. 10.000,- DM monatlich erzielt zu haben. Die Klage auf Erstattung von 4.686,11 DM (erstinstanzliche Kosten des Arbeitsgerichtsprozesses) nebst Zinsen und Feststellung, daß die Beklagte ihr auch für den Berufungsrechtszug des Arbeitsgerichtsprozesses Rechtsschutz zu gewähren habe, hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der ergangenen Urteile und zur Klageabweisung.

1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß in einem Aktivprozeß des Versicherungsnehmers dessen zeitlich vor einem Rechtsverstoß des Vertragspartners tatsächlich bzw. angeblich erfolgter Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften als das gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB den Versicherungsfall auslösende Ereignis zu gelten habe. Damit steht das Berufungsgericht im Einklang mit der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Senats vom 14. März 1984 - IVa ZR 24/82 - VersR 1984, 530.

2. Das Berufungsgericht hat die Eintrittspflicht der Beklagten trotz des Umstandes bejaht, daß der Klägerin von ihrer Prozeßgegnerin im Arbeitsgerichtsprozeß ein Pflichtverstoß angelastet worden war, der in einen Zeitraum einzuordnen ist, für den die Beklagte gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 ARB keinen Versicherungsschutz gewährt. Es hat seine Auffassung damit begründet, daß der Sachvortrag der seinerzeitigen Beklagten zu dem Pflichtverstoß jeglicher Substanz entbehrt habe; es sei nicht einmal andeutungsweise erkennbar geworden, worin die fehlerhafte Geschäftsführung gelegen haben solle. Ein so unsubstantiierter, jeder Überprüfbarkeit entbehrender Sachvortrag sei nicht geeignet, zum Verlust des Versicherungsschutzes gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 ARB zu führen. Das Tatbestandsmerkmal "behauptete Verstoße" sei einschränkend dahin auszulegen, daß nur solche Behauptungen eines Pflichtverstoßes zum Ausschluß des Versicherungsschutzes führen könnten, die so mit Tatsachen belegt seien, daß sie in dem Verfahren, in dem sie aufgestellt worden seien, möglicherweise entscheidungserheblich, d.h. im konkreten Rechtsstreit beachtlich werden könnten. Durch den Begriff der adäquaten Kausalität seien einzelne Elemente der Schlüssigkeitsprüfung des Parteivorbringens in den Tatbestand des § 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 ARB aufgenommen worden.

3. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Das Berufungsgericht stellt ausdrücklich klar, daß auch nach seiner Auffassung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 ARB Versicherungsschutz für das Arbeitsgerichtsverfahren nicht bestünde, wenn die Klägerin tatsächlich "unter Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten die Geschäfte schlecht geführt" und dadurch ab Mai 1981 Umsatzeinbußen verursacht hätte, da dieses Verhalten geeignet gewesen wäre, den Keim für die spätere arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung zu legen. Diese Ansicht ist rechtsfehlerfrei. Mit ihr zeigt das Berufungsgericht, daß es in der Darlegung, durch fehlerhafte Geschäftsführung habe die Klägerin einen Umsatzrückgang verursacht, jedenfalls einen Tatsachenkern gesehen hatte, der ihm die Beurteilung erlaubte, es handle sich um einen adäquat kausalen Pflichtverstoß im Sinne von § 14 Abs. 3 ARB.

b) Diesen richtigen Ausgangspunkt verläßt das Berufungsgericht indes bei seiner weiteren Wertung. Zwar sieht es, daß bereits die Behauptung eines Pflichtverstoßes, die eine der streitenden Parteien zur Stützung ihrer Position aufstellt, unabhängig von ihrer Berechtigung oder Erweislichkeit, dazu führt, daß der Versicherungsfall gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 ARB als mit Beginn des behaupteten Verstoßes eingetreten gilt. Bei der Auswertung des Prozeßvortrages der seinerzeitigen Beklagten im Arbeitsgerichtsprozeß hält es dagegen die unter Beweis gestellte Behauptung, durch fehlerhafte Geschäftsführung habe die Klägerin ab Mai 1981 erhebliche Umsatzrückgänge verursacht, d.h. verschuldet, für nicht geeignet, einen behaupteten Verstoß im Sinne von § 14 Abs. 3 ARB darzulegen (vgl. hierzu die Urteilskritik von Winter in VersR 1985, 116, 119, 120 f.).

An der Ernsthaftigkeit des Sachvortrages der Beklagten im Arbeitsgerichtsprozeß hat das Berufungsgericht allerdings Zweifel nicht gehabt. Anhaltspunkte für derartige Zweifel bestanden in der Tat nicht, zumal die Beklagte Beweis für ihr Vorbringen angetreten hatte.

Die Formulierung "zurückzuführen sein dürfte" zeigte nur auf, daß die Beklagte sich bei der - Sachverständnis erfordernden - Beurteilung, daß die behauptete schlechte Geschäftsführung der Klägerin Ursache des Umsatzrückgangs sei, Zurückhaltung auferlegen wollte.

c) Ein Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften ist begriffsnotwendig ein im tatsächlichen Geschehen wurzelnder Vorgang. Mit einem reinen Werturteil kann deshalb ein derartiger Verstoß, der in einem pflichtwidrigen Handeln oder in dem Unterlassen eines rechtlich gebotenen Tuns besteht, nicht geltend gemacht werden. Es fehlt dann an einem Behaupten, das nur gegeben ist, wenn eine Äußerung jedenfalls einen Tatsachenkern enthält. Ein Sachvortrag, innerhalb wie außerhalb eines Prozesses, ohne Tatsachenkern kann die Rechtsfolge des § 14 Abs. 3 ARB nicht auslösen. Es fehlt überhaupt an einer Behauptung, ohne daß es auf Schlüssigkeit, Substantiiertheit oder Entscheidungserheblichkeit im jeweiligen Verfahren ankäme. Die Äußerung kann weder unstreitig gestellt werden noch ist sie einer Beweiserhebung zugänglich.

Das Vorbringen, die Klägerin habe durch fehlerhafte Geschäftsführung einen Umsatzrückgang verursacht, der zur Betriebsschließung genötigt habe, hat Tatsachengehalt, wenn es auch im prozeßrechtlichen Sinn noch nicht ausreichend substantiiert ist. Es hätte indes von der Klägerin unstreitig gestellt werden können mit der Folge, daß das Vorgetragene als ein tatsächlicher Verstoß zu berücksichtigen gewesen wäre, den das Berufungsgericht richtigerweise als geeignet ansieht, den Keim einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung zu legen. Das Vorbringen erlaubt die in § 14 Abs. 3 ARB vorgesehene Beurteilung, ob es sich um einen adäquat kausalen Verstoß handelt oder nur um sog. "Kolorit" (vgl. hierzu auch die bereits zitierte Senatsentscheidung). Der ernsthaft erhobene Vorwurf, der Prozeßgegner habe gegen grundlegende vertragliche Pflichten verstoßen, ist derart gewichtig, daß er eine Einstufung als bloßes Kolorit nicht zuläßt. Nicht abgestellt ist in § 14 Abs. 3 ARB darauf, welches prozessuale Schicksal die Behauptung eines Pflichtverstoßes erleidet.

Hierfür besteht auch kein Bedürfnis. Eine andere Interpretation des Begriffes "behauptete Verstöße" träge erhebliche Unsicherheiten in die Beziehung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer und könnte es von der Prozeßgewandtheit des Gegners des Versicherungsnehmers abhängig werden lassen, ob Versicherungsschutz bestehender auch davon, ob das angegangene Gericht Gelegenheit zur Nachholung der Substantiierung des vorgeworfenen Pflichtverstoßes zum Zwecke der Beweisaufnahme gibt.

Die gemäß § 14 Abs. 3 ARB gebotene Abgrenzung ist demnach nicht nach Gesichtspunkten der Schlüssigkeit, Substantiiertheit oder Entscheidungserheblichkeit innerhalb des Verfahrens, in dem die Behauptung aufgestellt wird, vorzunehmen, sondern danach, ob eine ernsthafte Behauptung vorliegt, d.h. ein Vortrag, der zumindest einen Tatsachenkern enthält, der die Beurteilung erlaubt, ob hiermit ein adäquat kausaler Vorgang für den zwischen den Beteiligten ausgebrochenen Konflikt dargetan ist. Der Vortrag der Beklagten im Arbeitsgerichtsprozeß genügte den genannten Anforderungen.

Mit dieser Abgrenzung bleiben die Belange von Versicherungsnehmer und Versicherer gleichmäßig gewahrt. Sie führt im umgekehrten Fall, in dem nach abgelaufener Versicherungszeit ein prozeßrechtlich zwar noch nicht hinreichend substantiierter, jedoch bereits einen Tatsachenkern enthaltender Vorwurf eines Pflichtverstoßes ernsthaft erhoben wird, der innerhalb der Versicherungsdauer begangen worden sein soll, zu dem Ergebnis, daß der Versicherer eintrittspflichtig ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992781

DRsp II(228)135c

VersR 1985, 540

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