Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobe Fahrlässigkeit im Straßenverkehr
Leitsatz (redaktionell)
Zur Begründung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit infolge zu hoher Geschwindigkeit bei schlechter Wetter- und Straßenlage ist zu beweisen, inwieweit der Fahrer die drohende Gefahr erkannt hat oder hätte erkennen können.
Normenkette
BGB § 276
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.10.2003; Aktenzeichen 3 U 17/03) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 23.10.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 7. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt Versicherungsleistungen i.H.v. 24.393,89 EUR aus einer bei der Beklagten gehaltenen Kfz-Kaskoversicherung.
In der Nacht zum 23.11.2001 geriet er mit dem versicherten Pkw auf dem Weg vom Fußballtraining zu seinem Wohnort ins Schleudern, kam nach links von der Fahrbahn ab und prallte sodann mit dem Fahrzeug frontal gegen einen neben der Fahrbahn stehenden Baum. Der Kläger wurde dabei erheblich verletzt, das versicherte Fahrzeug erlitt einen wirtschaftlichen Totalschaden.
Die Beklagte hält sich für leistungsfrei, weil der Kläger den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Der Kläger habe - wie er in zweiter Instanz nicht mehr bestritten hat - vor der Fahrt Weizenbier getrunken und zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,55 o/oo aufgewiesen. Auch sei er mit einer den Witterungsverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit von mindestens 80 km/h gefahren. In der Unfallnacht sei es auf der vom Kläger befahrenen Strecke verbreitet zu Eisglätte gekommen, auch habe es teilweise geschneit. Ausgehend von der Annahme, der Unfall sei gegen Mitternacht geschehen, meint die Beklagte, der Kläger habe die winterlichen Straßenverhältnisse bemerken müssen. Das Abkommen von der Fahrbahn auf freier, gerader Strecke spreche im Übrigen dafür, dass vorrangig der Alkoholgenuss die Unfallursache gewesen sei.
Der Kläger meint, er sei - ohne dabei grob fahrlässig zu handeln - von einem vereinzelten glatten Straßenabschnitt überrascht worden und auf einer Eisplatte ins Schleudern geraten. Der Unfall habe sich schon weit vor Mitternacht zu einem Zeitpunkt ereignet, zu dem bei Antritt der Fahrt in B. noch keinerlei Anzeichen für einsetzende Straßenglätte gesprochen hätten und auch die Straße im Bereich der Unfallstelle insgesamt noch griffig und allenfalls stellenweise glatt gewesen sei. Geschneit habe es noch nicht. Einzelheiten zum Unfallgeschehen könne er infolge der erlittenen Verletzungen nicht mehr rekonstruieren. Dass die Tachonadel im Unfallfahrzeug bei dem Skalenwert "80 km/h" hängen geblieben sei, besage jedenfalls nichts über die tatsächlich zuletzt gefahrene Geschwindigkeit, die in Wahrheit niedriger gewesen sei. Der vor der Fahrt genossene Alkohol habe bei ihm zu keiner unfallursächlichen Beeinträchtigung geführt, ein alkoholbedingter Fahrfehler sei ihm nicht unterlaufen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein in den Vorinstanzen erfolgloses Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat Erfolg, es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts (§ 563 Abs. 1 S. 2 ZPO).
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nach § 61 VVG von der Leistung frei, weil der Kläger den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.
Es hat allerdings weder den genauen Unfallzeitpunkt noch die Straßenverhältnisse am Unfallort geklärt und es insoweit offen gelassen, ob die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt noch überwiegend trocken und griffig, durch Eis und Schnee glatt oder aber schon vom Winterdienst mit Salz abgestreut und nur noch vereinzelt, an verzögert abtauenden Abschnitten, glatt war.
Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,55 o/oo aufgewiesen, mithin eine relative Fahruntauglichkeit vorgelegen habe, und sich der Unfall auf gerader Strecke ereignet habe, auf der der Kläger durch keinerlei Gegenverkehr behindert worden sei. Seine Annahme, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, hat es sodann auf eine wahlweise Begründung gestützt:
1. Seien die Straßenverhältnisse noch nicht durch Eis oder Schnee beeinträchtigt, sondern trocken und griffig gewesen, lasse sich das Abkommen von der Fahrbahn auf gerader Strecke nur damit erklären, dass ein alkoholbedingter Fahrfehler vorgelegen habe. Denn in diesem Falle spreche ein Anscheinsbeweis für die Alkoholbedingtheit des Unfalls.
2. Habe es sich hingegen so verhalten, wie der Kläger behaupte, sei er also an einer vereisten Stelle (Eisplatte) von der Fahrbahn abgekommen, so sei dies vorhersehbar gewesen und dem Kläger vorzuwerfen, dass er den Unfall durch überhöhte Geschwindigkeit verursacht habe, anstatt seine Geschwindigkeit dem Gebot des § 3 Abs. 1 StVO folgend den besonderen Sicht- und Wetterverhältnissen, ferner seinen persönlichen Eigenschaften anzupassen und im konkreten Fall auf maximal 40 km/h zu verringern.
Der Kläger habe zwar zunächst bestritten, mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h gefahren zu sein. Eine Beweisaufnahme über die Aussagekraft einer bei einem bestimmten Skalenwert des Tachometers hängen gebliebenen Tachonadel erübrige sich aber deshalb, weil der Kläger in der Berufungsverhandlung eingeräumt habe, zumindest 80 km/h gefahren zu sein. Zur Unfallzeit sei es dunkel gewesen, der Kläger habe im Übrigen den genossenen Alkohol und somit eine zumindest leichte Beeinträchtigung seiner Fahrtauglichkeit in Rechnung stellen müssen. Die Beweisaufnahme habe weiter ergeben, dass der Kläger - auch dann, wenn er seine Heimfahrt schon gegen 23.00 Uhr angetreten habe - sich auf stellenweise Eisflächen auf der Fahrbahn habe einstellen müssen. Ein dazu vernommener, in der Unfallnacht Dienst habender Polizeibeamter habe ausgesagt, damals sei bereits ab 21.00 Uhr ein Wetterwechsel eingetreten und bis 21.30 Uhr habe es "im gesamten Bereich" bereits zehn Unfallmeldungen wegen Glatteises gegeben.
Insgesamt stelle sich die zu schnelle Fahrweise des Klägers auch in diesem Fall als grob fahrlässiges Verhalten dar.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Ohne Erfolg beanstandet die Revision allerdings, dem Berufungsgericht sei bei der Feststellung der Alkoholisierung des Klägers ein Verfahrensfehler unterlaufen, weil das im Ermittlungsverfahren gegen den Kläger erstellte Blutalkoholgutachten v. 26.11.2001 an schweren Mängeln leide.
Zwar trifft es zu, dass diesem Gutachten eine fehlerhafte Rückberechnung des BAK-Wertes für den Unfallzeitpunkt zu Grunde liegt, weil das Trinkende hier nicht feststeht und deshalb zu Gunsten des Klägers hätte angenommen werden müssen, dass er zuletzt kurz vor Fahrtantritt Alkohol konsumiert und sich nach dem Unfall noch knapp zwei Stunden lang in der Resorptionsphase befunden hatte. Bei einer Fahrtdauer von etwa 10 Minuten, einem Unfallzeitpunkt um Mitternacht und einer Blutentnahmezeit von 2.30 Uhr hätte einer ordnungsgemäßen Rückrechnung daher lediglich eine Abbauzeit von ca. 40 Minuten anstelle von 2 Stunden und 30 Minuten zu Grunde gelegt werden dürfen mit der Folge, dass dann ein deutlich geringerer BAK-Wert für die Unfallzeit errechnet worden wäre (BGH, Urt. v. 15.6.1988 - IVa ZR 8/87, MDR 1988, 1040 = VersR 1988, 950, unter 2a, b; BGHSt 25, 246 [250 f.]; BayObLG DAR 2002, 80 f.; BayObLG v. 29.11.1994 - 2St RR 212/94, VersR 1996, 1037 f.).
Auf all das kommt es aber deshalb nicht an, weil das Berufungsurteil sich nicht mehr auf das fehlerhafte Gutachten stützt. Denn der Kläger hatte in zweiter Instanz mehrfach, insb. im Berufungsbegründungsschriftsatz seines Prozessbevollmächtigten, die Tatsache unstreitig gestellt, dass die Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt 0,55 o/oo betrug. Das Berufungsgericht hatte dazu weder Beweise zu erheben noch zu würdigen, weshalb ihm insoweit auch kein Verfahrensfehler unterlaufen ist.
2. Das Berufungsurteil kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil seine zweite Variante zur (wahlweisen) Begründung grober Fahrlässigkeit nicht trägt. Das beruht darauf, dass das Berufungsgericht hier zum einen wesentlichen Klägervortrag ersichtlich übergangen und damit das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) verletzt hat; zum anderen setzt sich die Beweiswürdigung mit nahe liegenden Umständen nicht ausreichend auseinander (§ 286 ZPO).
Ausgehend von der - der zweiten Begründungsvariante zu Grunde liegenden - Prämisse, das Fahrzeug des Klägers sei auf einer vereisten Stelle der Fahrbahn ("Eisplatte") ins Schleudern geraten, war mit Blick auf den Vorwurf grober Fahrlässigkeit infolge zu hoher Geschwindigkeit die zur Beweislast der Beklagten stehende Frage zu klären, inwieweit der Kläger die drohende Gefahr erkannt hat oder hätte erkennen können. Er hat dazu behauptet, bei Antritt der Heimfahrt auf dem Weg von einer Gaststätte in B. zu seinem Auto keinerlei Anzeichen für einen Wetterumschwung oder einsetzende Straßenglätte bemerkt zu haben, obwohl dieser Weg zum Fahrzeug sogar über Kopfsteinpflaster geführt habe.
Damit setzt sich das Berufungsurteil nicht auseinander. Statt dessen legt es lediglich dar, welche Feststellungen der in der Unfallnacht im Streifendienst eingesetzte, als Zeuge vernommene Polizeibeamte zur Wetter- und Straßenlage hatte treffen können. Damit war jedoch die Frage danach, was der Kläger in der kurzen Zeit vom Verlassen der Gaststätte bis zum Erreichen des Unfallortes hätte erkennen können, solange nicht zu beantworten, wie der Zeuge seine Erkenntnisse allein auf Umstände gestützt hat, die ihm nur in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter bekannt waren, bei dem die Unfallmeldungen der gesamten Region in der fraglichen Nacht zusammenliefen. Dass sich ab 21.00 Uhr die Glatteisunfälle auffallend gehäuft hatten (zehn Unfälle in einer halben Stunde), war dem Kläger nicht nur nicht bekannt, das Berufungsgericht hat es vielmehr auch versäumt, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit der nahe liegenden, den Kläger möglicherweise entlastenden Frage zu befassen, ob diese ungewöhnliche Häufung nicht auch ein Beleg dafür sein kann, dass die Autofahrer in jener Nacht tatsächlich von der umschlagenden Witterung ohne ausreichend erkennbare Anzeichen überrascht worden sind. Soweit der Polizeibeamte die Umstände und Straßenverhältnisse auf seiner ca. halbstündigen Fahrt zum Unfallort geschildert hat, spiegeln seine Beobachtungen angesichts des raschen Wetterumschwungs schon deshalb die Situation, die der Kläger zuvor vorgefunden hatte, nicht verlässlich wider, weil ungeklärt geblieben ist, wann sich der Unfall ereignet hat.
III. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass er dem Protokoll der Berufungsverhandlung v. 2.10.2003 nicht entnehmen kann, dass der Kläger eingeräumt hätte, mit einer Geschwindigkeit von jedenfalls 80 km/h gefahren zu sein. Der Tatrichter wird deshalb zu prüfen haben, ob die bereits mit Beschluss des LG v. 19.7.2002 angeordnete, sodann aber unterbliebene Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgeholt werden muss.
Fundstellen
ZfS 2005, 394 |
SVR 2006, 65 |
r+s 2005, 282 |