Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 27.11.1975)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. November 1975 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin vom 1. September 1974 bis zum 31. August 1975 monatlich über die gezahlte Pension von 4.500 DM hinaus mehr als weitere 750 DM zu zahlen. In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Kosten der Revisionsinstanz fallen zu 5/9 der Beklagten zur Last. Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Berufungsgericht vorbehalten.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Witwe des am 27. August 1965 verstorbenen Wirtschaftsprüfers Dr. Karl Br.. Dieser war Alleinaktionär und Vorstand der beklagten Aktiengesellschaft, bis er am 24. März 1965 seinen Aktienbesitz zu 80 % seinem Sohn schenkte; dieser hat den größten Teil davon im März 1967 veräußert. Die restlichen 20 % hat die Klägerin von ihrem Ehemann geerbt.

Zu Lebzeiten des Erblassers hatte die Beklagte ihren Führungskräften Versorgungszusagen erteilt, aufgrund deren auch der Klägerin eine Witwenrente zusteht. Diese wurde am 24. März 1958 auf 2.000 DM und im März 1965 auf 2.500 DM erhöht. Seit Ende 1965 zahlt die Beklagte der Klägerin monatlich 4.500 DM. Durch Beschluß vom 29. Juni 1966 bestätigte der Aufsichtsrat der Beklagten diese Regelung zusammen mit anderen ihren Führungskräften erteilten Versorgungszusagen sowie eine Neufassung der mit diesen Zusagen verbundenen Anpassungsklausel. Danach sollen sich bei einer durch Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse bedingten anderweitigen Festsetzung der Versorgungsrenten, die den noch amtierenden leitenden Herren versprochen worden sind, im gleichen Verhältnis auch die dann schon laufenden Renten ändern.

Nachdem sich die Klägerin seit 1972 vergeblich um eine Angleichung ihrer Witwenrente an die gestiegenen Lebenshaltungskosten bemüht hatte, hat sie im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten eine Erhöhung der Rente um 30 % verlangt. Sie hat demgemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Zeit vom 1. September 1974 bis zum 31. August 1975 monatlich über die gezahlte Pension von 4.500 DM hinaus weitere 1.350 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat eingewandt, eine Rentenanpassung nach § 242 BGB könne die Klägerin mit Rücksicht auf die vertragliche Anpassungsregelung und die Ende 1965 bereits erfolgte Aufstockung ihrer Pension um 2.000 DM nicht fordern, zumal dem Aufsichtsrat damals nicht bekannt gewesen sei, daß sie außerdem von der Firma Ba. eine Rente beziehe, die sich – wie unstreitig ist – zur Zeit auf monatlich 3.400 DM belaufe. Eine weitere Erhöhung entspräche auch in Anbetracht der sonstigen hohen Einkünfte der Klägerin nicht der Billigkeit. Die den anderen Führungskräften – vier Vorstandsmitgliedern und zwei Generalbevollmächtigten – zugesagten Versorgungsbezüge seien wesentlich geringer und bis heute nicht angehoben worden.

Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, möchte die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.

 

Entscheidungsgründe

1. Das Berufungsgericht sieht in der Anpassungsklausel, mit der die vom Aufsichtsrat der Beklagten am 29. Juni 1966 bestätigte Versorgungszusage ebenso wie ihre Vorläufer verbunden ist, kein Hindernis für einen auf § 242 BGB gestützten Anspruch der Klägerin auf Angleichung ihrer Witwenrente an die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Die Klausel habe Rechte der Versorgungsempfänger nicht ausschließen, sondern nur begründen sollen; sie regele die Frage der Rentenanpassung nicht abschließend.

Diese rechtlich einwandfreie Vertragsauslegung sucht die Revision vergeblich durch eine andere Deutung zu ersetzen. Richtig ist zwar, daß sich eine Anwendung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Überprüfung laufender Versorgungsbezüge von einer bestimmten Teuerungsrate an (vgl. zuletzt das Urt. d. Senats v. 23.5.1977 – II ZR 44/76, WM 1977, 778, m.w.N.) dann erübrigt, wenn diese Frage vertraglich in einer Weise geregelt ist, die dem Versorgungszweck und Entgeltcharakter der Leistung bei Berücksichtigung der Belange beider Teile bereits genügend Rechnung trägt. Das ist hier aber nicht der Fall, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat. Müßte die Klägerin warten, bis die Beklagte die Versorgungsbezüge ihrer noch tätigen Führungskräfte erhöht hat, so wäre sie von Entscheidungen abhängig, die möglicherweise ohne Rücksicht auf ihre Belange als Versorgungsempfängerin getroffen werden. Die Folgerung der Revision, das Unterbleiben einer solchen Erhöhung sei ein untrügliches Zeichen dafür, daß der Betrieb höhere Versorgungslasten zur Zeit nicht tragen könne, ist nicht zwingend. Daß die Beklagte nach ihrem Vortrag seit Ende Juni 1966 (Bl. 71 d.A. 8 U 67/73) ihre Pensionszusagen nicht mehr geändert hat und die noch im Amt befindlichen oder schon in den Ruhestand getretenen Versorgungsberechtigten eine Aufbesserung bisher nicht verlangt und durchgesetzt haben, kann mannigfache Gründe haben, die für die Klägerin aus tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen nicht maßgebend zu sein brauchen. Es kann daher dahingestellt bleiben, inwieweit ein Überprüfungsanspruch wegen Geldentwertung, wie ihn der Senat für die Zeit bis zum Inkrafttreten des § 16 BetrAVG Versorgungsempfängern unter bestimmten Voraussetzungen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zugebilligt hat, vertraglich überhaupt wirksam ausgeschlossen werden konnte.

Eine andere, nicht in diesen Zusammenhang gehörige Frage ist es, ob die Beklagte genügend dafür vorgetragen hat, daß die von der Klägerin gewünschte Rentenerhöhung untragbare Auswirkungen auf die gesamte Versorgungsregelung in ihrem Unternehmen haben würde; das hat das Berufungsgericht ebenfalls rechtlich fehlerfrei verneint.

2. Unstreitig ist der Preisindex für die Lebenshaltungskosten von dem Zeitpunkt, in dem die Versorgungsbezüge das letzte Mal neu festgesetzt worden sind (Ende 1965), bis zum Anfangsdatum der geforderten Erhöhung (1. September 1974) um mehr als 40 % gestiegen. Damit sind die in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für eine Anwendung des § 315 BGB erfüllt.

3. Bei der Frage, ob und inwieweit hiernach eine Anhebung der Versorgungsleistung billigem Ermessen entspricht, hat das Berufungsgericht sowohl die weitere Rente in Höhe von zur Zeit 3.400 DM, die der Klägerin von Bahlsen gezahlt wird, als auch die sonstigen, nach der Behauptung der Beklagten sehr günstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin außer acht gelassen. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 61, 31, 40). Es ist nicht ersichtlich, daß die der Klägerin versprochene Rente der Höhe nach in irgendeiner Weise an ihre sonstigen Einkünfte habe geknüpft sein sollen. Auch läßt sich rechtlich nichts gegen die Feststellung des Berufungsgerichts einwenden, die Frage, ob die Klägerin noch von anderer Seite eine Versorgungsrente beziehe, habe für die zwischen den Parteien maßgebliche Pensionsvereinbarung keine entscheidende Rolle gespielt.

4. Das Berufungsgericht hat ferner unberücksichtigt gelassen, daß die Witwenrente der Klägerin, die erst im März 1965 auf 2.500 DM festgesetzt worden war, schon von Dezember 1965 an um 2.000 DM und damit weit stärker erhöht worden ist, als es der zwischenzeitlichen Teuerung entsprochen hätte. Dabei stützt es sich darauf, daß die Beklagte ihr ursprüngliches Vorbringen, der Grund hierfür sei die Vorwegnahme eines späteren Teuerungsausgleichs gewesen, fallengelassen hat. Es hält aber auch die Behauptung der Beklagten, in der beträchtlichen Aufstockung der Rente liege eine Art „Schweigegeld”, vergleichbar mit der Abfindung eines „lästigen Gesellschafters”, für unerheblich, weil nicht dargetan sei, daß diese Vorstellung für den Aufsichtsrat der Beklagten eine wesentliche Rolle gespielt und die Klägerin dies erkannt und hingenommen habe. Es müsse also davon ausgegangen werden, daß die Parteien seinerzeit einen Rentenbetrag von 4.500 DM als angemessene Versorgung der Klägerin betrachtet hätten.

In diesem Punkt hat die Revision Erfolg.

Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe eine Versorgungsrente nach billigem Ermessen an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzugleichen ist, sind neben der in erster Linie maßgebenden Preisentwicklung alle von den Parteien vorgetragenen Umstände, die im Hinblick auf den Zweck der Versorgungsleistung bei Abwägung der beiderseitigen Belange von Bedeutung sein können, angemessen zu berücksichtigen, auch soweit sie nicht im Rechtssinne Vertragsinhalt oder Geschäftsgrundlage geworden sind. Deshalb könnten hier auch die Gründe eine Rolle spielen, aus denen die Witwenrente der Klägerin noch vor Ablauf eines Jahres seit einer vorausgegangenen Erhöhung nahezu verdoppelt worden ist. Dabei kommt es nicht allein darauf an, daß diese weitere Erhöhung nach der Darstellung der Beklagten den Charakter einer Abfindung gehabt haben soll. Denn auch eine Abfindung kann als Versorgungsleistung im Sinne der Anpassungsrechtsprechung anzusehen sein (Urt. d. Senats v. 23.5.1977 – II ZR 44/76, a.a.O.).

Entscheidend ist aber, ob die auffallend hohe Anhebung noch in einer erkennbaren Beziehung zu dem Versorgungszweck der ursprünglich vereinbarten Leistung und den Diensten steht, die der Ehemann der Klägerin für das Unternehmen erbracht hat und deren Wert durch jene Leistung mit abgegolten werden sollte. Denn der besondere Grund dafür, daß Versorgungsempfängern im Gegensatz zu anderen Geldgläubigern auch ohne Wertsicherungsabrede eine Aufbesserung ihrer Bezüge bei wesentlicher Teuerung zuzubilligen ist, liegt in dem Versorgungszweck der Leistung in Verbindung mit der Tatsache, daß sie als ein Teil des Entgelts für die Dienste aufzufassen ist, die der Vertragspartner zum Wohl des Unternehmens geleistet hat (BGHZ 61, 31, 36). Sollten diese Gesichtspunkte hier bei der letzten Pensionsfestsetzung keine Rolle gespielt haben, so könnte dies die Beurteilung des Klageanspruchs dahin beeinflussen, daß der zusätzliche Betrag von 2.000 DM bei der Anpassung außer Betracht bleiben müßte.

Zwar ist dieser Betrag nach dem Wortlaut des Aufsichtsratsbeschlusses vom 29. Juni 1966 Bestandteil der insgesamt als „Witwenrente” bezeichneten Leistung. Aber was die Parteien dazu weiter vorgetragen haben, erweckt Zweifel, ob es sich hierbei nicht in Wirklichkeit um ein Entgelt für eine Leistung oder Unterlassung handelt, die mit der Vorstandstätigkeit des Ehemannes der Klägerin als Grundlage der Versorgungszusage nichts mehr zu tun hat. So hat die Beklagte unter anderem behauptet und unter Beweis gestellt, die Klägerin habe nach dem Tod ihres Ehemannes die Gesellschaft überall schlecht gemacht und deren Ruf zu untergraben gesucht; um sie hiervon abzubringen, habe sich der Vorstand der Beklagten dazu entschlossen, der Klägerin den zusätzlichen Betrag von monatlich 2.000 DM zu zahlen. Wäre dies richtig, so könnte damit der Feststellung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten Ende 1965 eine Witwenrente von 4.500 DM als angemessene Versorgung betrachtet, der Boden entzogen sein. Wenn auch ohne Kenntnis der näheren Zusammenhänge nicht ohne weiteres einleuchten mag, daß der Wunsch, die Klägerin zum Schweigen zu bringen, der ausschlaggebende Grund für eine laufende Mehrzahlung in solcher Höhe gewesen sein soll, so durfte das Berufungsgericht gleichwohl den dahingehenden Beweisantrag der Beklagten nicht vorweg als unbeachtlich ansehen. Da andererseits ein sonstiger überzeugender Grund für jene Mehrzahlung bislang nicht zu erkennen ist, hätte auch die Klägerin zu einer Klärung beitragen und deutlich machen müssen, daß diese Zahlung als eine an das frühere Dienstverhältnis anknüpfende echte Versorgungsleistung gewollt gewesen sei. Hierüber gibt ihr bisheriger Vortrag zu wenig Aufschluß. Sollte etwa der Zusatzbetrag von 2.000 DM eine Gegenleistung für den Verzicht auf eine höhere Dividende aus Aktienbesitz gewesen sein (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 14. August 1975 S. 3), so spräche dies vielmehr gegen eine Anpassung nach § 242 BGB, weil eine solche nach der Rechtsprechung des Senats nur für Versorgungszusagen in Frage kommt, die auf einem Dienstverhältnis beruhen.

Da es in diesem Punkt noch einer weiteren tatsächlichen Klärung bedarf, ist die Sache zur erneuten Prüfung, ob auch der zusätzliche Betrag von 2.000 DM an die Teuerung anzugleichen ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Unberührt bleibt hiervon der Anspruch der Klägerin auf Erhöhung des unstreitig als dienstvertragliche Versorgungsrente zu betrachtenden Teilbetrags von 2.500 DM um 30 %; das sind 750 DM monatlich. Insoweit ist die Revision zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Fleck, Dr. Kellermann, Bundschuh

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1502409

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