Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. September 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des in seinem Berufungsantrag zu 1 näher bezeichneten Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte am 22. Dezember 2015 von der Beklagten ein von ihr hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug vom Typ Mercedes GLK 250 CDI. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, S. 1; im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Abgasrückführung erfolgt in Abhängigkeit von der Lufttemperatur (Thermofenster).
Rz. 3
Der Kläger macht geltend, bei dem in seinem Fahrzeug verbauten Thermofenster handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Mit seiner im April 2018 erhobenen Klage hat er die Beklagte erstens unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts vom Kaufvertrag und zweitens unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs auf Zahlung in Höhe von 25.867 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger nach teilweiser Rücknahme des Rechtsmittels vor der mündlichen Revisionsverhandlung seine Klageanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die wirksam beschränkte (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2023 - VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 4 ff. und vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 8 f) Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB. Der von ihm vorgetragene Gesichtspunkt, dass im Fahrzeug die Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen reduziert werde, begründe keinen Sittenwidrigkeitsvorwurf. Der Senat könne keine in der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung liegende unzulässige Abschalteinrichtung feststellen, da die für das Fahrzeug erteilte bestandskräftige Typgenehmigung Tatbestandswirkung dahingehend entfalte, dass die Kontrolle der Zulässigkeit des sogenannten Thermofensters der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen sei. Die Beklagte habe im Rahmen des Typgenehmigungsantrags gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt angegeben, dass die Abgasrückführungsmenge unter anderem durch die Lufttemperatur gesteuert werde. Die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung werde daher von der Typgenehmigung umfasst.
Rz. 7
Dem Kläger sei zwar insoweit zu folgen, als dass trotz der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung deliktische Ansprüche wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung grundsätzlich denkbar seien, wenn feststehe, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden sei, wie dies beim Einsatz einer sogenannten "Schummelsoftware" (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden müsse. Vorliegend sei jedoch gerade nicht festzustellen, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller erschlichen worden sei. Solches wäre nur der Fall, wenn die Beklagte wissentlich ein gänzlich unvertretbares Thermofenster dergestalt programmiert hätte, dass eine Abgasrückführung nur innerhalb des Neuen Europäischen Fahrzyklus stattfinde, und das Kraftfahrt-Bundesamt über dieses vorsätzlich im Unklaren gelassen hätte. Dies habe der Kläger zwar erstinstanzlich behauptet. Er sei für diese Behauptung jedoch beweisfällig geblieben.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden. Zudem hat das Berufungsgericht übersehen, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen kann.
Rz. 9
1. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Beklagten im Verhältnis zum Kläger wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einem Thermofenster kein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen sei.
Rz. 10
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr., zB Senat, Urteil vom 4. August 2022 - III ZR 230/20, ZIP 2022, 2181 Rn. 13; BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, WM 2021, 2108 Rn. 13 f; jew. mwN).
Rz. 11
b) Das Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Kraftfahrzeugs durch einen Fahrzeughersteller ist nicht schon wegen des darin liegenden Gesetzesverstoßes als sittenwidriges Verhalten gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs anzusehen. Damit eine unzulässige Abschalteinrichtung eine Haftung des Fahrzeugherstellers wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auslösen kann, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weitere Umstände hinzutreten, die sein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2022 - VII ZR 733/21, juris Rn. 17 mwN und vom 5. September 2022 - VIa ZR 51/21, juris Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, WM 2021, 354 Rn. 13 ff mwN).
Rz. 12
Einen derartigen Umstand kann es darstellen, dass die Abschalteinrichtung danach unterscheidet, ob das Kraftfahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird oder sich im normalen Fahrbetrieb befindet. Bei der Prüfstandbezogenheit handelt es sich um eines der wesentlichen Merkmale, nach denen die den sogenannten Abgasskandal auslösende, von der Volkswagen AG im Motortyp EA 189 verwendete Manipulationssoftware nicht nur eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, sondern die deutlich höheren Anforderungen an eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfüllt hat. Die Tatsache, dass eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde (BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2022 aaO Rn. 18, vom 5. September 2022 aaO und vom 10. Januar 2023 - VIII ZR 9/21, ZIP 2023, 989 Rn. 28 mwN).
Rz. 13
Sofern die verwendete Abschalteinrichtung demgegenüber auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, ist darauf abzustellen, ob die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 26; Beschluss vom 19. Januar 2021 aaO Rn. 24). Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt in einem solchen Fall jedenfalls voraus, dass der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Senat, Urteil vom 2. Juni 2022 aaO Rn. 19 mwN; BGH, Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 16; Beschluss vom 19. Januar 2021 aaO Rn. 19).
Rz. 14
c) Diese Grundsätze gelten unabhängig von der Erteilung einer EG-Typ-genehmigung für den jeweiligen Fahrzeugtyp. Die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung kann einem Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller aus §§ 826, 31 BGB wegen des Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs nicht entgegengehalten werden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, juris Rn. 10 ff, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Die durch Verwaltungsakt festgestellte Rechtmäßigkeit eines beschriebenen Fahrzeugtyps ist für eine tatbestandliche Schädigung unerheblich (BGH aaO Rn. 14). Daran vermag auch eine zur EG-Typgenehmigung hinzutretende Übereinstimmungsbescheinigung nichts zu ändern. Insbesondere kann sie nicht die Wirkung des in einer EG-Typgenehmigung liegenden Verwaltungsakts über seinen Gegenstand hinaus auf das konkrete Fahrzeug in der Weise erstrecken, dass eine Haftung des Herstellers von der Rücknahme der EG-Typgenehmigung abhängig ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 aaO Rn. 15).
Rz. 15
d) Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es sich bei dem im Fahrzeug des Klägers implementierten Thermofenster um keine Abschalteinrichtung handelt, die danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Dagegen bringt die Revision auch nichts vor. Es hat nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze aber rechtsfehlerhaft angenommen, dass wegen der grundsätzlichen Angabe der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung im Typgenehmigungsverfahren ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nur "denkbar" sei, wenn sie - im Sinne des Erschleichens einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung - wissentlich ein gänzlich unvertretbares Thermofenster dergestalt programmiert hätte, dass eine Abgasrückführung nur innerhalb des Neuen Europäischen Fahrzyklus stattfinde, und das Kraftfahrt-Bundesamt darüber vorsätzlich im Unklaren gelassen hätte. Dabei kann auf sich beruhen, dass die Abhängigkeit der Abgasrückführung von der Lufttemperatur allein nicht dazu führen kann, dass eine bestimmte Abgasrückführung nur innerhalb des Neuen Europäischen Fahrzyklus stattfindet, weil entsprechende Temperaturen auch im normalen Fahrbetrieb herrschen. Die Angabe der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung durch die Lufttemperatur gesteuert werde, kann zwar für die tatrichterliche Würdigung des Verhaltens der für sie handelnden Personen von Bedeutung sein (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2022 - III ZR 270/20, juris Rn. 22; BGH, Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 26 mwN). Sie führt jedoch nicht dazu, dass ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, sofern die Abgasrückführung nicht ausschließlich unter den Temperaturbedingungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus aktiviert wird. Gleiches gilt für die Erteilung der EG-Typgenehmigung. Ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zusteht, ist ungeachtet einer erteilten EG-Typ-genehmigung nach den vom Bundesgerichtshof geklärten Maßstäben zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 aaO Rn. 48 mwN). Eine entsprechende Prüfung wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.
Rz. 16
2. Zudem hat das Berufungsgericht übersehen, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen kann, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden nach Maßgabe der Differenzhypothese, also ein Differenzschaden, entstanden ist. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines solchen Anspruchs dem Grunde nach sind mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zu unterstellen.
Rz. 17
a) Der Regelung des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV lässt sich zwar kein Anspruch auf Gewähr "großen" Schadensersatzes entnehmen, weil der durch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 begründete Schutz des Vertrauens des Käufers auf die Übereinstimmung des Kraftfahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf sich nicht auf das Interesse des Käufers erstreckt, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden (BGH aaO Rn. 19 ff). Geschützt wird dadurch aber nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden (BGH aaO Rn. 28 ff). Mit Senatsurteil vom heutigen Tag (III ZR 267/20, unter C II 2 a, zur Veröffentlichung bestimmt) hat der Senat sich der entsprechenden Rechtsprechung des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichthofs angeschlossen.
Rz. 18
b) Revisionsrechtlich ist mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erfüllt sind.
Rz. 19
aa) Zu unterstellen ist, dass die Beklagte eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt hat.
Rz. 20
(1) Der VIa. Zivilsenat hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass eine Übereinstimmungsbescheinigung unzutreffend ist, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, ohne dass es dabei auf den Inhalt der zugrundeliegenden EG-Typgenehmigung ankommt (BGH aaO Rn. 34). Ausreichend sei, dass die Bescheinigung in einem solchen Fall eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausweise. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das Vorliegen einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung ausschließlich vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 abhängig gemacht und sei nicht näher auf den Inhalt der EG-Typgenehmigung sowie die dafür maßgebende Beschreibung des genehmigten Fahrzeugtyps eingegangen (siehe dazu auch BGH aaO Rn. 29 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. März 2023 - C-100/21, NJW 2023, 1111 Rn. 79). Die Übereinstimmungsbescheinigung weise danach gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweise nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorlägen.
Rz. 21
Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat mit Senatsurteil vom heutigen Tag (III ZR 267/20, unter C II 2 b) angeschlossen. Die von der Revisionserwiderung erhobenen Einwendungen führen zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Frage, ob der EG-Typgenehmigung eine unionsrechtliche Bindungswirkung zukomme und wie weit diese reiche, nicht veranlasst. Der erkennende Senat teilt die Auffassung des VIa. Zivilsenats, dass diese Frage in Bezug auf Schadensersatzansprüche eines Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit der Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung geklärt ist (vgl. Senat aaO).
Rz. 22
(2) Die Feststellungen des Berufungsgerichts gestatten nicht die Prüfung, mit welchen das Emissionskontrollsystem betreffenden Vorrichtungen das Fahrzeug des Klägers ausgerüstet ist und ob die vorhandenen Vorrichtungen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 für eine unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen. In Bezug auf das im Fahrzeug des Klägers implementierte Thermofenster hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Umständen und zu einer ausnahmsweisen Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 715/2007 getroffen.
Rz. 23
bb) Außerdem ist zugunsten des Klägers mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zu unterstellen, dass die Beklagte schuldhaft, nämlich mindestens leicht fahrlässig (vgl. hierzu BGH aaO Rn. 35), gehandelt hat. Da § 37 Abs. 1 EG-FGV den vorsätzlichen und fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV als Ordnungswidrigkeit behandelt, genügt für eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB der fahrlässige Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung im Sinne des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dem Berufungsurteil lassen sich Feststellungen nicht entnehmen, die ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten ausschlössen (vgl. BGH aaO Rn. 62 ff zur Bedeutung der EG-Typgenehmigung für die Frage eines unvermeidbaren Verbotsirrtums).
Rz. 24
cc) Schließlich ist aus Rechtsgründen davon auszugehen, dass der Kläger, weil die sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV revisionsrechtlich zu unterstellen sind, einen Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat (vgl. BGH aaO Rn. 39 ff). Der Kläger hat ein Kraftfahrzeug erworben, das dem Gebrauch als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dient. Da ihm infolge der revisionsrechtlich zu unterstellenden unzulässigen Abschalteinrichtung Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung durch die Zulassungsbehörde gemäß § 5 Abs. 1 FZV drohen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 19 ff), steht die zweckentsprechende Nutzung des erworbenen Fahrzeugs in Frage. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Fahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des Klägers bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 aaO Rn. 41).
Rz. 25
Anders als die Revisionserwiderung (Hinweis auf BGH, Urteil vom 9. Juli 1986 - GSZ 1/86, BGHZ 98, 212) meint, steht der Annahme eines Vermögensschadens die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Nutzungsentschädigung beim deliktisch bedingten Entzug von Sachen nicht entgegen. Diese Rechtsprechung betrifft die Voraussetzungen, unter denen ein zeitweiser Verlust des Eigengebrauchs einer Sache einen ersatzfähigen Vermögensschaden begründen kann, obwohl dieser Verlust selbst in einer am Vermögensbestand ausgerichteten Differenzrechnung nicht ausgewiesen ist (vgl. BGH aaO S. 216 ff). Darum geht es hier nicht. Der Vermögensschaden des Klägers beruht auf der Verringerung des objektiven Werts des von ihm erworbenen Fahrzeugs infolge der Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 aaO).
Rz. 26
Der VIa. Zivilsenat hat am 26. Juni 2023 weiter entschieden, dass bei der Ermittlung der gemäß § 287 Abs. 1 ZPO festzustellenden Höhe des Differenzschadens das Schätzungsermessen des Tatrichters aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben innerhalb einer Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt ist (BGH aaO Rn. 71 ff). Der Gerichtshof der Europäischen Union habe festgehalten, dass die vorzusehenden Sanktionen nach Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG und Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten und dass nationale Vorschriften dem Käufer die Erlangung eines angemessenen Schadensersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften (BGH aaO Rn. 73 unter Hinweis auf EuGH aaO Rn. 90, 93). Der geschätzte Schaden könne daher aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität nicht geringer sein als 5 % des gezahlten Kaufpreises. Umgekehrt könne ein allein nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und nicht auch nach §§ 826, 31 BGB geschuldeter Schadensersatz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht höher sein als 15 % des gezahlten Kaufpreises (BGH aaO Rn. 74 f). Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens sei der Tatrichter bei seiner Schätzung innerhalb dieses Rahmens nicht gehalten (BGH aaO Rn. 78 u.a. unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 23. März 2021 - VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 11). Dem hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom heutigen Tag (III ZR 267/20, unter II 2 b cc) angeschlossen.
Rz. 27
c) Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne dem Kläger Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Denn dem vom Kläger auf §§ 826, 31 BGB gestützten "großen" Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (vgl. BGH aaO Rn. 45).
III.
Rz. 28
Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil der Rechtsstreit nicht endentscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO).
Remmert |
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Arend |
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Böttcher |
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Herr |
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Liepin |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15862637 |