Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwendung eines Konkurses durch Vergleich. Sozialversicherungsträger. Rückgewähr von Beitragszahlungen. Zahlungseinstellung wegen Liquiditätsproblemen. Abwendung der Zwangsvollstreckung. Vollstreckungsdruck. Inkongruenz der Deckung. Benachteiligungsabsicht. Beiträge zur Sozialversicherung in vollem Umfang Vermögen des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Konkursverwalter kann den Sozialversicherungsträger auf Rückgewähr von Beitragszahlungen der Gemeinschuldnerin in Anspruch nehmen.
2. Die Beiträge zur Sozialversicherung gehören in vollem Umfang – auch die sog. Arbeitnehmeranteile – zum Vermögen des Arbeitgebers. Im Konkursverfahren besteht kein Anspruch auf Aussonderung.
3. Sind Zahlungen unter Zwang und Drohung geleistet worden, z. B. unter Vollstreckungsdruck, kann eine inkongruente Deckung vorliegen, die nach ständiger Rechtsprechung ein starkes Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners und entsprechende Kenntnis des Gläubigers wäre.
Normenkette
KO §§ 31, 30 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2, § 37; SGB IV § 28d; ZPO §§ 286, 563
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 31. März 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung gegen die Abweisung der Anfechtungsklage wegen der Zahlungen vom 25. Juni 1997 in Höhe von 19.083,14 DM und vom 30. Juni 1997 in Höhe von 182.155,36 DM und wegen der entsprechenden Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der klagende Konkursverwalter nimmt nach den Vorschriften der Konkursanfechtung den verklagten Sozialversicherungsträger auf Rückgewähr von Beitragszahlungen der späteren Gemeinschuldnerin (im folgenden nur noch: Gemeinschuldnerin) in Anspruch.
Im Sommer 1996 endete ein Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses über das Vermögen der Gemeinschuldnerin mit einem Vergleich. Davon hatte die Beklagte Kenntnis. Bereits ab September 1996 zahlte die Gemeinschuldnerin die Sozialversicherungsbeiträge wieder mit Verzögerung, teilweise erst nach Einleitung der Zwangsvollstreckung. Die am 15. Februar 1997 fälligen Beiträge für Januar 1997 in Höhe von 175.538,36 DM sollten von der Gemeinschuldnerin durch Scheck bezahlt werden. Dieser wurde indes bei Vorlage nicht eingelöst. Der Beklagten wurde eine telegraphische Überweisung avisiert. Sie erhielt die Beiträge jedoch erst Anfang April 1997. Inzwischen waren am 15. März 1997 die Februar-Beiträge in Höhe von insgesamt 156.250,24 DM fällig geworden. Auch diese wurden nach Mahnung nicht bezahlt. Ein deswegen am 8. April 1997 durchgeführter Vollstreckungsversuch verlief fruchtlos. Nachdem die Beklagte am 10. April 1997 erfolglos einen Konkursantrag angedroht hatte, stellte sie diesen am 2. Mai 1997. Sie begründete ihn damit, daß die Gemeinschuldnerin zahlungsunfähig im Sinne der Konkursordnung sei. Am 21. Mai 1997 übersandte die Gemeinschuldnerin der Beklagten einen Scheck über 173.527,86 DM zur Begleichung der offenen Beiträge für Februar 1997. Am 28. Mai 1997 wurde der Scheck nicht eingelöst. Bereits mit Schreiben vom 27. Mai 1997 entschuldigte sich die Gemeinschuldnerin bei der Beklagten für die Nichteinhaltung der Zahlungsverpflichtungen. Sie wies darauf hin, „die wirtschaftliche Situation … und die Rückgänge im Umsatz” hätten bei ihr zu Liquiditätsproblemen geführt, stellte die Überweisung der angemahnten Beträge in Aussicht und bat um Zurücknahme des Konkursantrages. Am 30. Mai 1997 zahlte sie 372.706,55 DM. Daraufhin nahm die Beklagte ihren Konkursantrag am 4. Juni 1997 zurück. Mittlerweile waren am 15. Mai 1997 die Beiträge für April 1997 fällig geworden. Auf diese zahlte die Gemeinschuldnerin am 19./25. Juni 1997 per Scheck 19.083,14 DM. Ein weiterer, von der Gemeinschuldnerin für die April-Beiträge ausgestellter Scheck über 182.155,36 DM wurde nicht eingelöst. Statt dessen zahlte die Gemeinschuldnerin den fraglichen Betrag per „Blitzüberweisung” am 30. Juni 1997. Am selben Tage stellten die O. GmbH & Co. KG und am 17. Juli 1997 erneut die Beklagte Konkursantrag. Diese Anträge führten zur Verfahrenseröffnung.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die Revision des Klägers hat der Senat nur wegen der Rückforderung der Zahlungen vom 25. und 30. Juni 1997 in Höhe von insgesamt 201.238,50 DM angenommen. Insoweit verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Im Umfang der Annahme führt die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:
Der Anfechtungsgrund des § 31 Nr. 1 KO greife nicht ein, weil kein Anhalt für die Annahme bestehe, daß die Schuldnerin bei ihren Rechtshandlungen in der der Beklagten bekannten Absicht gehandelt habe, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Die Voraussetzungen des § 30 Nr. 2 KO seien nicht erfüllt, weil die Beklagte eine kongruente Deckung erhalten habe. Der Kläger könne auch nicht den Anfechtungsgrund des § 30 Nr. 1 Fall 2 KO geltend machen. Unerheblich sei, daß die angefochtenen Zahlungen nach dem Konkursantrag vom 2. Mai 1997 erfolgt seien; denn dieser habe nicht zur Verfahrenseröffnung geführt. Unerheblich sei des weiteren, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt der Leistungserbringung zahlungsunfähig gewesen sei, weil die Beklagte eine etwaige Zahlungsunfähigkeit nicht gekannt habe.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen auf Seiten der Gemeinschuldnerin die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung vorlagen (§ 30 Nr. 1 Fall 2 oder Nr. 2 KO), ist in der Revisionsinstanz zugunsten des Klägers davon auszugehen.
2. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann das Vorliegen der subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen nicht verneint werden.
Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, das sich davon überzeugt zeigt, daß die Mitarbeiter K. und W. der Beklagten eine Zahlungseinstellung nicht gekannt haben, wird von der Revision erfolgreich mit Verfahrensrügen angegriffen. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt (§ 286 ZPO), daß die Gemeinschuldnerin in den letzten drei Monaten vor den angefochtenen Zahlungen drei Mal einen Scheck nicht eingelöst hat, und zwar am 12. März 1997, am 28. Mai 1997 – wobei schon diese Nichteinlösung mit „Liquiditätsproblemen” entschuldigt worden ist – und am 24. Juni 1997. Hinsichtlich des zuletzt genannten Vorgangs hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht beanstandet, die Aussage des bei der Beklagten angestellten Zeugen K. außer acht gelassen, sein Kollege W. habe die Gemeinschuldnerin am 23. Juni 1997 als Vollstreckungsbeamter aufgesucht und dabei über die beiden Beträge, um die nunmehr gestritten wird, zwei Schecks ausgehändigt bekommen. Der über den höheren Betrag (182.155,36 DM) ausgestellte Scheck sei kurz danach (am 24. Juni 1997) nicht eingelöst worden. „Platzt” ein dem Vollstreckungsbeamten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gegebener Scheck, muß das den Vollstreckungsgläubiger selbst dann alarmieren, wenn kurz danach eine „Blitzüberweisung” in Höhe des ausgefallenen Betrages eingeht. Jedenfalls kann fortan nicht mehr, wie es das Berufungsgericht getan hat, auf den uneingeschränkt positiven Eindruck abgehoben werden, den die Angestellten der Beklagten von dem Betrieb der Gemeinschuldnerin aus Äußerungen von deren leitenden Mitarbeitern gewonnen haben wollen. Das Berufungsgericht hat ferner nicht berücksichtigt, daß die Gemeinschuldnerin eine am 4. Juni 1997 mit der Beklagten getroffene Zahlungsabsprache hinsichtlich der April-Beiträge nicht eingehalten hat. Außer acht gelassen hat es schließlich, daß zum Zeitpunkt der Zahlung vom 25. Juni 1997 bereits wieder die Beiträge für Mai 1997 fällig, aber nicht beglichen worden waren. Das Berufungsgericht hat pauschal von „immer wieder eingetretenen erheblichen Rückstände(n)” gesprochen und diese unter Hinweis darauf verharmlost, daß sie „jeweils durch größere Überweisungen vollständig zurück-” geführt worden seien. Eine vollständige Rückführung hat jedoch zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.
III.
Das angefochtene Urteil ist auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis teilweise richtig (§ 563 ZPO).
Für den Fall, daß die Anfechtung durchgreift, beruft sich die Beklagte „bezüglich der Hälfte der Klagesumme” auf ein Aussonderungsrecht. Die Arbeitnehmeranteile an den vereinnahmten Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. §§ 28 d ff. SGB IV) habe die Gemeinschuldnerin als Treuhänderin für ihre Arbeitnehmer gezahlt. Stünde die Zahlung noch aus, könnte die Beklagte die Aussonderung der fraglichen Beträge verlangen. Dann könne auch der Kläger nicht auf Herausgabe gemäß § 37 KO bestehen, weil er die Beträge sogleich wieder an die Beklagte auskehren müßte.
Diese Einwendung greift nicht durch. Wie der Senat vor kurzem entschieden hat (Urt. v. 25. Oktober 2001 – IX ZR 17/01, Umdruck S. 6 ff, z.V.b. in BGHZ), gehören die Beiträge zur Sozialversicherung in vollem Umfang – also auch die sogenannten Arbeitnehmeranteile – zu dem Vermögen des Arbeitgebers.
IV.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO); dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die angefochtenen Zahlungen nicht sogar inkongruent sind (§ 30 Nr. 2 KO). Da der Kläger vorgetragen hat, die Zahlungen vom 25. und 30. Juni 1997 seien „unter Zwang und Drohung” geleistet worden (GA 69, 70), und der Zeuge K. bekundet hat, sein Kollege W. habe die Schecks am 23. Juni 1997 als Vollstreckungsbeamter entgegengenommen, liegt möglicherweise nahe, daß die Schecks unter Vollstreckungsdruck gegeben worden sind (zur Anwendung des § 30 Nr. 2 KO in derartigen Fällen vgl. BGHZ 136, 309, 311, 312). Daß nur einer von den Schecks eingelöst worden, für den Betrag des anderen hingegen kurz danach eine „Blitzüberweisung” erfolgt ist, rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme, die Überweisung sei ohne Vollstreckungsdruck geschehen. Denn jene Überweisung sollte ersichtlich den nicht eingelösten Scheck ersetzen. Liegt eine inkongruente Deckung vor, kommt es nicht darauf an, ob die Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt der Scheckbegebung bzw. der Zahlung ihre Zahlungen eingestellt hatte. Denn die angefochtenen Zahlungen sind innerhalb der letzten zehn Tage vor Stellung des Konkursantrags durch die O. GmbH & Co. erfolgt. Die möglicherweise vorliegende Inkongruenz der Deckung wäre nach ständiger Rechtsprechung ein starkes Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners und für eine Kenntnis des Gläubigers von dieser Absicht (BGHZ 123, 320, 326; 137, 267, 283; BGH, Urt. v. 21. Januar 1999 – IX ZR 329/97, ZIP 1999, 406, 407). Dieses Beweisanzeichen müßte die Beklagte entkräften, weil § 30 Nr. 2 KO die Beweislast insoweit dem Anfechtungsgegner auferlegt (BGH, Urt. v. 5. April 2001 – IX ZR 216/98, ZInsO 2001, 464, 466).
Selbst wenn die Anwendung des § 30 Nr. 2 KO ausscheidet, sind bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 30 Nr. 1 Fall 2 KO die zu den subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen erhobenen Beweise unter Vermeidung der dargestellten Verfahrensfehler neu zu würdigen. Wegen der Voraussetzungen einer Zahlungseinstellung wird auf das Senatsurteil vom 4. Oktober 2001 (IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097 f.) verwiesen.
Unterschriften
Kreft, Kirchhof, Fischer, Ganter, Kayser
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.11.2001 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 668090 |
BGHR 2002, 394 |
EWiR 2002, 297 |
KTS 2002, 314 |
ZIP 2002, 228 |
NZI 2002, 31 |
ZInsO 2002, 125 |
ZBB 2002, 218 |
NJOZ 2002, 769 |