Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 11.04.1967) |
Tenor
Die Revision des Klägers und die Anschlußrevision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 11. April 1967 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat zu 24/25 der Kläger, zu 1/25 die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger überquerte am 2. Oktober 1956 gegen 19.55 Uhr mit seinem Personenkraftwagen den unbeschrankten, aber mit Warnzeichen und einer Blinklichtanlage versehenen Bahnübergang in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Buchen. Dabei wurde sein Wagen von einem aus Richtung Aachen-Nord herankommenden Personenzug erfaßt und etwa 54 m mitgeschleift. Der Kläger erlitt bei diesem Unfall Arm- und Beinbrüche; sein linker Unterarm mußte im oberen Drittel amputiert werden.
In einem Teil- und Grundurteil vom 8. November 1960 hat das Landgericht den zunächst geltend gemachten Schadensersatzanspruch des Klägers (26.661,99 DM) vorbehaltlich der Aufrechnung durch die Beklagte dem Grunde nach zu 1/2 für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger die Häfte seines Schadens aus den Unfall zu ersetzen.
In der Berufungsinstanz schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sie darauf verzichteten, gegeneinander Schuldvorwürfe zu erheben und sich damit einverstanden erklärten, daß bei der Entscheidung des Rechtsstreits nur die von jeder von ihnen zu tragende Betriebsgefahr berücksichtigt wird. Mit dieser Einschränkung sollen die Folgen des Unfalls zu 1/3 von dem Kläger und zu 2/3 von der Beklagten getragen werden, der Kläger jedoch kein Schmerzensgeld beanspruchen können. Die Beklagte verpflichtete sich, unabhängig von der Dauer des Höheverfahrens an den Kläger 10.000 DM bis zum 1. März 1963 sowie weitere je 10.000 DM am 1. Februar 1964 und am 1. Februar 1965 zu zahlen. Dabei sollten die beiden zuletzt genannten Summen nur dann entrichtet werden, wenn das Höheverfahren an den Fälligkeitsterminen noch nicht rechtskräftig beendet war.
Entsprechend diesem Vergleich hat der Kläger im Höheverfahren vor dem Landgericht nur noch den Schaden weiterverfolgt, der ihm infolge des Unfalls entstanden ist und weiterhin entsteht.
Er hat vorgetragen:
Infolge des Unfalls seien seine Arbeitsfähigkeit und seine Verdienstmöglichkeiten als Kunstmaler und Bildhauer erheblich vermindert worden, weil er gerade als Künstler weitgehend darauf angewiesen sei, auch den linken Arm zu benutzen. Bis zu dem Unfall hätten seine künstlerische Entwicklung, seine Erfolge und das daraus erzielte Einkommen eine eindeutig steigende Tendenz aufgewiesen. Er habe, vor allem infolge gut gelungener Porträts bekannter Persönlichkeiten wie Dr. Eckener, Albert Schweitzer, Thomas Mann und Alfred Cortot, schon einen gewissen Ruf gehabt, der eine ständige Zunahme von Auftragen habe erwarten lassen. Bei seiner besonders raschen und präzisen Malweise habe er früher in kurzer Zeit ein Porträt schaffen können. Das sei ihm jetzt nicht mehr möglich, weil das den Gebrauch beider Arme voraussetze. Durch das Fehlen des linken Armes sei er in seiner persönlichen Technik der Farb- und Malbehandlung lahmgelegt. Vor allem seien die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die er als Porträtmaler durch seine besonders präzise und rasche Maltechnik gehabt habe, hinfällig geworden. Seine Einnahmen seien nach dem Unfall erheblich zurückgegangen und hätten auch in den folgenden Jahren nicht mehr die frühere Höhe erreicht. Wäre seine erst am Anfang stehende künstlerische Entwicklung nicht durch den Unfall unterbrochen worden, so hätte er neben einem Anstieg seines bereits anerkannten künstlerischen Könnens auch die Möglichkeit größten finanziellen Erfolges gehabt.
Der Kläger hat beantragt
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2/3 des Betrages zu zahlen, den das Gericht - eventuell auf Grund eines Sachverständigengutachtens - als den dem Kläger seit dem 1. Oktober 1956 entstandenen Verdienstausfall festsetzen möge, jedoch nicht mehr als 15.000 DM jährlich, abzüglich der am 1. März 1963 und am 1. Februar 1964 gezahlter und am 1. Februar 1965 noch zu zahlenden je 10.000 DM,
2.
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren Schaden aus dem Unfall zu ersetzen, jedoch nicht mehr als 15.000 DM jährlich.
Die Beklagte hat gebeten, die Klage abzuweisen.
Sie hält es für unwahrscheinlich, daß sich das Einkommen des Klägers ohne den Unfall so günstig entwickelt hätte, wie er behaupte. Die nicht zu verkennenden Nachteile durch den Verlust des linken Armes würden im Laufe der Zeit weitgehend durch den Gebrauch einer Prothese und durch Gewöhnung ausgeglichen.
Vorsorglich hat die Beklagte mit Ersatzansprüchen aufgerechnet, die sie daraus herleitet, daß ihr bei dem Unfall ein eigener Schaden in Höhe von 367,41 DM entstanden sei.
Das Landgericht hat dem Kläger als Ersatz seines Verdienstausfalls für die Zeit bis 31. Oktober 1964 85.777,53 DM abzüglich am 1. März 1963 und am 1. Februar 1964 gezahlter je 10.000 DM zugesprochen. Ferner hat es festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger 2/3 allen weiteren Schadens zu ersetzen, der ihm nach dem 31. Oktober 1964 ans dem Unfall noch entstehen werde, jedoch begrenzt bis zu 15.000 DM jährlich und unter Anrechnung von weiteren 10.000 DM, die nach dem Vergleich am 1. Februar 1965 zu zahlen seien.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, soweit sie verurteilt worden ist, an den Kläger mehr als 57.065,03 DM zu zahlen. Der Kläger hat sich der Berufung angeschlossen. Er hat beantragt, den Feststellungsantrag für erledigt zu erklären und in teilweiser Änderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte vom Jahre 1958 ab bis 31. Dezember 1964 zur Zahlung des Höchstbetrages von 15.000 DM pro Jahr nebst Zinsen zu verurteilen.
Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts wie folgt geändert und neu gefaßt:
"Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Verdienstausfall bis 31. Dezember 1964 einen Betrag von 59.444,23 DM abzüglich gezahlter 57.065,03 DM zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die gesamten Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben".
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag aus dem Berufungsrechtszug weiter. Die Beklagte hat Anschlußrevision eingelegt. Sie erstrebt mit ihrem Rechtsmittel die Abweisung der Klage, soweit sie über den schon bezahlten Betrag von 57.065,03 DM hinausgeht.
Entscheidungsgründe
I.
Bei der Ermittlung des Verdienstausfalls, den die Beklagte in Höhe von 2/3 zu ersetzen hat, ist das Berufungsgericht von der Entwicklung ausgegangen, die das Einkommen des Klägers aus seiner künstlerischen Tätigkeit in den Jahren 1950 bis zum Unfall im Oktober 1956 genommen hat. Es hat dem das Einkommen gegenübergestellt, das der Kläger nach dem Unfall von 1957 bis 1964 in den einzelnen Jahren erzielt hat. Das Berufungsgericht ist überzeugt davon, daß der Rückgang des Einkommens in den Jahren 1957 bis 1962 auf den Unfall des Klägers zurückzuführen ist.
Mit Recht hat es bei seinen weiteren Erwägungen darauf abgestellt, wie sich das Einkommen des Klägers ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte. Dabei ist es davon ausgegangen, daß der Kläger seine Fähigkeit, als Maler und Bildhauer zu arbeiten, nicht verloren hat, daß sie aber durch den Unfall, besonders durch den Verlust des linken Armes, in einem schwer zu bestimmenden Maße eingeschränkt war. Die Kunstsachverständigen Professor Dr. Lützeler und Museumsdirektor Dr. Keller, denen das Berufungsgericht folgt, haben übereinstimmend erklärt, daß die künstlerische Potenz des Klägers durch den Unfall nicht gelitten hat. Dr. Keller hat Arbeiten des Klägers, die vor und nach dem Unfall entstanden sind, geprüft und dabei die Überzeugung gewonnen, daß die Leiderfahrung und die Verlangsamung des künstlerischen Vorgehens dem Schaffen des Klägers eher zuträglich als abträglich waren. Nach seiner Meinung hätte das Fortsetzen der Malweise aus der Zeit vor dem Unfall "das Bravouröse seines künstlerischen Auftretens weiter forciert und um jene psychische Tiefe gebracht, die allein den Porträtisten von hohem Hang bestimme". Professor Dr. Lützeler hat ebenfalls einigen Porträts des Klägers aus der Zeit nach dem Unfall (Casals, Königstein) den Vorzug vor früheren Arbeiten gegeben.
Andererseits hält das Berufungsgericht vor allem auf Grund der Gutachten für bewiesen, daß der Kläger vor dem Unfall ein sogenannter Schnellmaler war, der seine Porträts sehr rasant und bravourös geschaffen hat, daß er seine Malweise aber infolge des Unfalls ändern mußte und daß er jetzt als Künstler mühsamer und langsamer schafft. Bei seiner Prüfung, wie sich diese Änderung der Malweise auf das Einkommen des Klägers ausgewirkt hat, hat es an die Schätzungen angeknüpft, zu denen die Sachverständigen gekommen sind. Dr. Keller, der während zweier Jahrzehnte als Berater von Auftraggebern und als Vermittler von Porträtaufträgen tätig war, hat das Einkommen, das der Kläger ohne den Unfall als Porträtmaler erreicht hätte, auf jährlich 15.000 DM geschätzt. Nach seinen Erfahrungen hat er bezweifelt, daß der Kläger in den Jahren 1958 bis 1964 als Maler jährlich 20.000 DM verdient hätte. Professor Dr. Lützeler meint, als gefälliger Maler habe der Kläger mit 7 bis 8 Porträtaufträgen im Jahr und mit Honoraren von 3.000 bis 5.000 DM pro Porträt rechnen können, wenn er ein Schnellmaler hätte bleiben können und weiter als Porträtmaler international bekannter Leute wie Thomas Mann und Gortot in der internationalen Gesellschaft empfohlen worden wäre. Das Berufungsgericht hat im einzelnen die Gründe dargelegt, aus denen es sich dieser Schätzung des Professors Dr. Lützeler nicht anzuschließen vermochte. Dabei hat es vor allem auf die wirkliche Einkommensentwicklung bis 1956 verwiesen (1950: 980 DM, 1951: 900 DM, 1952: 1.020 DM, 1953: 1.585 DM, 1954: 2.179 DM, 1955: 5.640 DM und 1956 bis zum Unfall 7.788 DM). Es hat sich nicht davon überzeugen können, daß er ohne den Unfall in der hier in Betracht kommenden Zeit bis 1964 den von Professor Dr. Lützeler angenommenen Spitzenwert von 40.000 DM als Jahreseinkommen hätte erreichen können. Nach der Ansicht des Berufungsgerichts hatte der Kläger ohne den Unfall ein Einkommen erzielt, das zwischen der Schätzung von Dr. Keller (15.000 DM im Jahr) und der Mindestschätzung von Professor Dr. Lützeler (21.000 DM in Jahr) bei 18.000 DM im Jahresdurchschnitt gelegen hätte. Es hat die Betriebskosten des Klägers mit dem Landgericht auf 20 % des Bruttoeinkommens geschätzt und ist so zu folgender Berechnung des von der Beklagten zu ersetzenden Verdienstausfalls gekommen:
Durchschnittsverdienst des Klägers für
die Zeit vom Oktober 1956 bis zum
31. Dezember 1964 |
147.000 DM |
abzüglich 20 % Betriebskosten |
29.400 DM |
abzüglich des tatsächlich erzieltenEinkommens |
28.249,94 DM |
verbleiben |
89.350,06 DM |
davon 2/3 |
59.566,70 DM |
durch Aufrechnung getilgt |
122,47 DM |
bleiben zugunsten des Klägers |
59.444,23 DM |
Davon hat es 57.065,03 DM abgezogen, die der Kläger bereits von der Beklagten erhalten hat.
II.
Die Angriffe, die von der Revision und von der Anschlußrevision gegen diese Berechnung des Schadens erhoben werden, können keinen Erfolg haben.
Das Berufungsgericht hatte über die Höhe des zu ersetzenden Erwerbsschadens nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden. Bei dem großen Ermessensspielraum, den diese Bestimmung dem Tatrichter für die Ermittlung der Schadenshöhe gewährt, sind der Nachprüfung des Revisionsgerichts von vornherein enge Grenzen gezogen. Der Senat kann nur prüfen, ob die Ermittlung des Schadens auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht und ob wesentliche Tatsachen außer acht gelassen worden sind. Bedenken dieser Art sind gegen das Berufungsurteil nicht zu erheben.
1.
Das Berufungsgericht hat sich eingehend und gründlich mit dem Verhandlungsergebnis auseinandergesetzt und ausführlich die Gründe dargelegt, die für seine Entscheidung maßgebend waren. Es war nicht verpflichtet, bei seiner Würdigung auf jedes einzelne Parteivorbringen und jede Äußerung der Sachverständigen einzugehen.
2.
Bei seiner Entscheidung hatte das Berufungsgericht vor allem die Entwicklung abzuschätzen, die das Einkommen des Klägers ohne den Unfall genommen hätte. Dieser Pflicht ist es in einer Weise nachgekommen, die keinen Anlaß zu rechtlichen Bedenken gibt. Dabei hat es entgegen der Ansicht der Revision nicht übersehen, daß der Kläger ein sogenannter Schnellmaler war und durch den Unfall gezwungen war, seine Malweise zu ändern. Es hat diesen Umstand in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich erwähnt und gewürdigt.
3.
Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß den Statistiken über das Einkommen der bildenden Künstler in den Jahren nach dem Unfall des Klägers eine gewisse Aussagekraft zukommt. Es hat aber zutreffend erwogen, daß diese Statistiken nur wenig darüber aussagen, wie sich das Einkommen eines bestimmten Künstlers in dieser Zeit voraussichtlich entwickelt hätte und daß sie deshalb nur im Zusammenhang mit Tatsachen verwertet werden können, die gerade für das Einkommen des in Betracht kommenden Künstlers Hinweise geben. Mit Recht hat das Berufungsgericht daher das Hauptgewicht auf die eigenen Angaben des Klägers über sein Einkommen in der Zeit vor und nach dem Unfall und auf die Gutachten der Sachverständigen Professor Lützeler und Dr, Keller gelegt.
4.
Unberechtigt ist der Vorwurf der Revision, das Berufungsgericht habe das Einkommen, das der Kläger ohne den Unfall zu erwarten hatte, nur schematisch geschätzt. Es hat im Gegenteil ausführlich die Gründe angeführt, aus denen es zu seiner Schätzung gekommen ist.
5.
Die Revision irrt auch, wenn sie meint, das Berufungsgericht habe bei seiner Schätzung nur die Porträtaufträge des Klägers berücksichtigt, Es hat ausdrücklich hervorgehoben, daß der Kläger nicht nur Porträts, sondern auch Landschaften und Stilleben gemacht hat und außerdem als Bildhauer tätig war. Außerdem hat es bei seiner Zusammenfassung der Schätzungsgründe von einer Gesamtschau gesprochen und dabei ersichtlich das Einkommen des Klägers aus allen Tätigkeitsbereichen im Auge gehabt.
6.
Die Angriffe der Revision laufen weitgehend darauf hinaus, das Verhandlungs- und Beweisergebnis anders gewertet zu wissen und aus ihm eine andere Schätzung herzuleiten als die, zu der das Berufungsgericht gekommen ist. Das kann indes im Revisionsverfahren nicht erreicht werden, wenn die Ermittlung des Schadens auf nicht zu beanstandenden Erwägungen beruht und der Tatrichter bei seiner Schätzung alle hierfür wesentlichen Tatsachen berücksichtigt hat.
7.
Was die Beklagte mit ihrer Anschlußrevision gegen das Berufungsurteil vorbringt, kann ebenfalls keinen Erfolg haben.
Zu Unrecht rügt sie, das Berufungsgericht habe das Gutachten eines Orthopäden darüber einholen müssen, inwieweit der Kläger durch das Fehlen des linken Unterarmes in seiner künstlerischen Arbeit beeinträchtigt war. Diese Frage konnte das Berufungsgericht auf Grund der schon vorliegenden gutachtlichen Äußerungen und auf Grund seiner eigenen Sachkunde beurteilen. Es konnte daher von einer weiteren Begutachtung durch Sachverständige absehen.
Auch im übrigen ist nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten gegen § 287 ZPO verstoßen hätte.
Fundstellen