Leitsatz (amtlich)
›a) Der Auftragnehmer braucht eine Sicherheit im Sinne des § 17 Nr. 1 VOB/B nicht herauszugeben, wenn die der Sicherheitsvereinbarung zugrunde liegenden Gewährleistungsansprüche zwar verjährt sind, er aber die Mängel, auf denen die geltend gemachten Ansprüche beruhen, in unverjährter Zeit gerügt hat.
b) In diesem Fall ist der Auftraggeber im Sicherungsfall auch berechtigt, die Sicherheit zu verwerten.‹
Tatbestand
Die Klägerin errichtete für die Beklagten eine Eigentumswohnanlage. In dem zugrunde liegenden Werkvertrag ist die Geltung der VOB/B vereinbart. Der Vertrag sieht einen Sicherheitseinbehalt von fünf Prozent bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren vor, der jedoch nach Zahlung des gesamten Werklohns vereinbarungsgemäß durch eine Bankbürgschaft auf erste Anforderung über 65.000 DM abgelöst wurde.
Im November 1983 wurden die letzten Wohnungen bezogen. Nach längeren Auseinandersetzungen über angebliche Mängel nahmen die Beklagten im Januar 1988 die Bürgschaft in Anspruch.
Die Klägerin hat von den Beklagten Zahlung in Höhe des aus der Bürgschaft erlangten Betrages nebst Zinsen, jedoch abzüglich einer von ihr anerkannten Schuld in Höhe von 1.050 DM verlangt. Das Landgericht hat die Beklagten durch Teilurteil als Gesamtschuldner verurteilt, 45.328,36 DM nebst Zinsen zu zahlen. Ihre Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der - angenommenen - Revision verfolgen die Beklagten zu 1 bis 4, 6 und 7 ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Beklagten zu 5 haben die Revision zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung. Die Beklagten hätten die Bürgschaft in Höhe von 45.328,36 DM nicht in Anspruch nehmen dürfen, weil eventuelle Gewährleistungsansprüche in dieser Höhe bei Anforderung der Bürgschaft verjährt gewesen seien. Die Beklagten seien der Klägerin deshalb zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der durch die Inanspruchnahme der Bürgschaft entstanden sei. Gemäß § 250 BGB könne die Klägerin Zahlung des Betrages verlangen, den sie der bürgenden Bank als Aufwendungsersatz schulde. Aus §§ 478, 639 BGB könnten die Beklagten kein Leistungsverweigerungsrecht herleiten. Gemäß §§ 421, 427 BGB hafteten sie als Gesamtschuldner.
II. Die Revision greift die Auffassung des Berufungsgerichts, die Gewährleistungsansprüche seien verjährt, nicht an. Sie meint jedoch, die Beklagten seien nach Zahlung aus der Bürgschaft so zu stellen, als hätten sie den Werklohn als Sicherheit einbehalten. In diesem Falle dürften sie nach Ablauf der Gewährleistungsfrist die Zahlung des einbehaltenen Restwerklohns gemäß §§ 639 Abs. 1, 478 Abs. 1 Satz 1 BGB verweigern, wenn sie Mängel in unverjährter Zeit gerügt hätten. Der Verlust dieses Rechtes nach Ablösung des Sicherungseinbehalts durch eine Bürgschaft wäre nicht interessengerecht. Außerdem rügt die Revision die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner, weil eine gesamtschuldnerische Haftung nach dem Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen sei.
III. Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen verkannt, unter denen die Bürgschaft in Anspruch genommen werden konnte.
1. Unter welchen Umständen eine von einem Bauunternehmer gestellte Bürgschaft vom Bauherrn in Anspruch genommen werden darf, ergibt sich regelmäßig aus der der Bürgschaftsbestellung zugrunde liegenden Sicherungsabrede (vgl. Senatsurteil vom 5. April 1984 - VII ZR 167/83 = NJW 1984, 2456, 2457 = WM 1984, 892 = ZfBR 1984, 185 = BauR 1984, 406).
Die Sicherungsabrede der Parteien ist im Werkvertrag unter § 8 Nr. 4 niedergelegt. Ergänzend gelten die Regelungen des vom Berufungsgericht nicht geprüften § 17 VOB/B.
a) Nach § 8 Nr. 4 des Werkvertrages handelt es sich um eine Gewährleistungsbürgschaft, mit der alle auf Zahlung gerichteten Gewährleistungsansprüche gegen die Klägerin gesichert werden sollten.
Die Beklagten haben in Höhe des ausgeurteilten Betrages derartige auf Zahlung gerichtete Gewährleistungsansprüche geltend gemacht, nämlich Ansprüche auf Rückzahlung nach Minderung des Werklohns und auf Zahlung der Kosten für die Beseitigung von Mängeln. In der Revisionsinstanz ist davon auszugehen, daß die geltend gemachten Ansprüche bestehen. Die vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellte Verjährung ließ die materielle Berechtigung der Beklagten nicht entfallen. Die Ansprüche waren lediglich der Einrede der Verjährung mit der Folge ausgesetzt, daß die Klägerin die Erfüllung gemäß § 222 Abs. 1 BGB verweigern durfte.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren die Beklagten aus der Sicherungsabrede berechtigt, sich aus der Bürgschaft wegen verjährter Gewährleistungsansprüche zu befriedigen; dies allerdings nur, wenn sie die den Ansprüchen zugrunde liegenden Mängel in unverjährter Zeit gerügt haben. Das folgt aus § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B.
aa) In § 17 Nr. 8 VOB/B ist ausdrücklich nur die Verpflichtung zur Rückgabe der vom Auftragnehmer gestellten Sicherheiten geregelt. Die Gewährleistungsbürgschaft ist eine Sicherheit in diesem Sinne, § 17 Nr. 1 VOB/B.
§ 17 Nr. 8 Satz 1 VOB/B bestimmt zunächst, daß eine nicht verwertete Sicherheit zum vereinbarten Zeitpunkt, spätestens nach Ablauf der Gewährleistungsfrist zurückzugeben ist.
Ist die unter Berücksichtigung etwaiger Unterbrechungen und Hemmungen (Ingenstau/Korbion, VOB, 11. Aufl., B § 17 Rdn. 101; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 6. Aufl., B § 17 Rdn. 47) zu berechnende Gewährleistungsfrist abgelaufen, kann die Sicherheit gemäß § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B zurückgehalten werden, soweit zu diesem Zeitpunkt Ansprüche noch nicht erfüllt sind. Der Zurückhaltung steht danach nicht entgegen, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sicherheit nach § 17 Nr. 8 Satz 1 VOB/B herauszugeben ist, die Gewährleistungsansprüche verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar sind. Das ist vielmehr Voraussetzung für die Anwendung des § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B.
Allerdings hängt das Zurückhaltungsrecht davon ab, daß der Auftraggeber die Mängel, auf denen die geltend gemachten Ansprüche beruhen, in unverjährter Zeit geltend gemach hat (Ingenstau/Korbion aaO., B § 17 Rdn. 107; Weick in Nicklisch/Weick, VOB 2. Aufl., § 17 Rdn. 54; Kaiser, Das Mängelhaftungsrecht in Baupraxis und Bauprozeß, 7. Aufl. Rdn. 228). Das legt schon der Wortlaut der Regelung nahe. In § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B wird nicht etwa darauf abgestellt, daß Ansprüche bestehen, sondern daß sie ›noch nicht erfüllt‹ sind. Das spricht dafür, daß bereits in nicht verjährter Zeit eine Mängelrüge erfolgt sein muß. Auf diese Weise wird die interessengerechte Angleichung an die §§ 639 Abs. 1, 478 Abs. 1 Satz 1 BGB erreicht, die, wie der Senat bereits entschieden hat, grundsätzlich auch bei Vereinbarung der VOB/B anwendbar sind (vgl. dazu Senatsurteil vom 15. Dezember 1969 - VII ZR 148/67 = BGHZ 53, 122, 126). Nach diesen Vorschriften kann der Besteller nach der Verjährung des Gewährleistungsanspruches die Zahlung des Werklohns nur verweigern, wenn er vor Eintritt der Verjährung dem Unternehmer den Mangel angezeigt oder die Anzeige an ihn abgesendet hat. Die Anzeige innerhalb der Gewährleistungsfrist dient dem Schutz der Interessen des Unternehmers (Staudinger/Honsell, BGB, 12. Aufl. § 478 Rdn. 1; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 478 Rdn. 1). Stehen noch Sicherheiten aus, ist der Unternehmer in gleicher Weise schützenswert, wie wenn er den Werklohn noch nicht vollständig erhalten hätte. Damit steht der Empfänger einer Gewährleistungsbürgschaft wirtschaftlich demjenigen gleich, der einen Sicherheitseinbehalt vereinbart hat.
bb) Die Rechte des Auftraggebers beschränken sich nicht auf die Zurückhaltung der Sicherheit. Der Auftraggeber ist auch berechtigt, sie im Sicherungsfall zu verwerten (Groß BlGBW 1970, 191; Ingenstau/Korbion aaO., B § 17 Rdn. 107). Das ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus § 17 Nr. 8 VOB/B, folgt jedoch aus dem mit dieser Regelung verfolgten Zweck, die ordnungsgemäße Herstellung des Werks sicherzustellen, § 17 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Juli 1982 - VII ZR 96/81 = NJW 1982, 2494 = WM 1982, 1099 = ZfBR 1982, 253 = BauR 1982, 579). Die Zurückhaltung allein erfüllt diesen Zweck nicht. Sie stellt zwar ein Druckmittel dar, das den Auftragnehmer anhalten kann, die Gewährleistungsansprüche zu befriedigen. Denn der Auftragnehmer kann die Sicherheit seinerseits nur zurückerhalten, wenn er die Gewährleistungsansprüche trotz der eingetretenen Verjährung erfüllt. Dem Auftragnehmer ist aber unter Umständen nur wenig daran gelegen, die Sicherheit zurückzuerlangen. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn ihr Wert deutlich unter den Kosten der Mängelbeseitigung liegt. In diesen Fällen ist die Sicherheit als Druckmittel weitgehend wertlos. Soll sie ihren Zweck erfüllen, muß dem Auftraggeber auch das Recht zugestanden werden, sie zu verwerten. Andernfalls könnten in derartigen Fällen auf Dauer weder Auftragnehmer noch Auftraggeber auf die Sicherheit zurückgreifen. Der Auftragnehmer hätte keinen Anspruch auf Freigabe, weil er die Gewährleistungsansprüche nicht erfüllt, während der Auftraggeber keinen Anspruch hätte, weil er nur ein Zurückbehaltungs-, aber kein Verwertungsrecht hätte. Das kann nicht Sinn der Regelung des § 17 Nr. 8 VOB/B sein. Eine derart unbrauchbare Regelung wäre auch mit dem in § 233 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken nicht zu vereinbaren.
2. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob
(nach ergänzender Vertragsauslegung) davon auszugehen ist, daß die Parteien eine rechtliche Gleichstellung von Sicherheitseinbehalt und Bürgschaft gewollt haben, kommt es somit nicht an.
IV. 1. Standen den Beklagten auf Zahlung gerichtete Gewährleistungsansprüche gegen die Klägerin zu, war der Sicherungsfall eingetreten. Die Beklagten waren berechtigt, die Bürgschaft auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist zu verwerten, wenn sie die zugrunde liegenden Mängel in unverjährter Zeit gerügt haben. Der Senat ist nicht in der Lage abschließend zu entscheiden, weil die erforderlichen Feststellungen fehlen. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
2. Für den Fall, daß sich das Berufungsgericht in der neuen Verhandlung auch mit der Frage beschäftigen muß, ob der Klägerin aus abgetretenem Recht der bürgenden Bank ein Bereicherungsanspruch zusteht, wird auf das zugleich ergangene Urteil des Senats vom 21. Januar 1993 - VII ZR 221/91 (zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) verwiesen. In jenem Urteil hat der Senat Ausführungen dazu gemacht, unter welchen Voraussetzungen dem Bürgen die Einrede verwehrt ist, die Gewährleitungsansprüche seien verjährt.
Sofern sich eine Haftung der Beklagten ergibt, wird sich das Berufungsgericht auch mit dem erstmals in der Revision erhobenen Einwand auseinanderzusetzen haben, eine gesamtschuldnerische Haftung sei nach dem Inhalt des Vertrages ausgeschlossen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993178 |
BGHZ 121, 168 |
BGHZ, 168 |
DB 1993, 2229 |
NJW 1993, 1131 |
LM H. 7/93 § 17 VOB/B 1973 Nr. 7 |
BGHR VOB/B § 17 Nr. 8 Sicherheitsvereinbarung 1 |
BauR 1993, 335 |
DRsp I(138)660Nr.10a |
NJW-RR 1993, 714 |
WM 1993, 899 |
WM 1993, 976 |
ZIP 1993, 499 |
MDR 1993, 448 |
ZfBR 1993, 125 |
ZfBR 1994, 176 |
ZBB 1993, 117 |