Leitsatz (amtlich)

›Es ist nicht grob fahrlässig, wenn ein Pkw verschlossen und mit eingeschalteter Alarmanlage in der belebten und beleuchteten Hauptstraße einer europäischen Großstadt geparkt wird.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG Passau

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin aus einer bei der Beklagten genommenen Kaskoversicherung Diebstahlsentschädigung für einen von ihr geleasten Pkw Porsche 911 Turbo Coupe verlangen kann.

Die Klägerin war während eines Italienurlaubs mit der Zeugin D. am 26. Juli 1992 nach Mailand gekommen; beide übernachteten in einem zentral gelegenen Hotel. Sie behauptet, den Wagen gegen 18.00 Uhr etwa 600 m vom Hotel entfernt in einer Parklücke an der Hauptstraße V. M. verschlossen und mit eingeschalteter Alarmanlage abgestellt zu haben. An dieser Stelle habe er am folgenden Abend gegen 20.30 Uhr noch gestanden. Am 28. Juli 1992 gegen 11.00 Uhr vormittags habe sie die Entwendung festgestellt. Aus Kostengründen verlangt sie bei einem Kaufpreis in Höhe von 194.700 DM nur einen Teilbetrag von 100.000 DM.

Die Beklagte bestreitet eine Entwendung. Sie behauptet, sie habe Tatsachen ermittelt, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit für eine Vortäuschung sprächen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe den Versicherungsfall "Entwendung" grob fahrlässig herbeigeführt. Sie habe trotz dringender Gefahr ihr mögliche und zumutbare Schutzmaßnahmen für ihr Fahrzeug unterlassen. Der Klägerin seien die Diebstahlshäufigkeit gerade in Mailand und die Entwendungstechniken von Autodiebesbanden bekannt, gegen die Sperr- und Alarmvorrichtungen keinen ausreichenden Schutz böten. Sie sei dem Vorbringen der Beklagten nicht entgegengetreten, daß der teure, fast neuwertige und außerordentlich begehrte Sportwagen auch Mitgliedern solcher Banden aufgefallen sei. Dennoch habe sie das Fahrzeug für eine weitere Nacht ohne Aufsicht und Bewachung in der - unstreitig belebten und beleuchteten - V. M. stehen lassen. Sie hätte es aber in einer Parkgarage oder auf einem bewachten Parkplatz abstellen müssen, auch wenn sie nach einer solchen Gelegenheit länger hätte suchen müssen.

2. Diese Erwägung teil der Senat nicht.

a) Sie entwertet den gerade für den Diebstahlsfall auch in Italien von der Beklagten angebotenen und von der Klägerin genommenen Versicherungsschutz durch kaum eingrenzbare und mit § 61 VVG nicht mehr vereinbare Anforderungen. Mit ähnlicher Begründung könnten für viele europäische Großstädte, aber ebenso auch für abgelegene Parkplätze, und auch für die möglicherweise am meisten diebstahlsgefährdeten Mittelklassewagen eben solche Anforderungen gestellt werden, etwa unter Hinweis darauf, gerade die Unauffälligkeit des Fahrzeugs begünstige den Dieb.

b) § 61 VVG läßt nach der Rechtsprechung des Senats solche Anforderungen nicht zu. In der für die dogmatische Einordnung des Kraftfahrzeug-Diebstahls grundlegenden Entscheidung vom 5. Oktober 1983 (IVa ZR 19/82 - VersR 1984, 29 = VVGE § 12 AKB Nr. 5) hat der Senat unter II. 2. die im Rahmen von § 61 VVG zu beachtenden Grundsätze für das Herbeiführen des Versicherungsfalls durch Unterlassen dargelegt. Danach setzt Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG für den Diebstahlsfall zumindest voraus, daß der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten - Tun oder Unterlassen - den vertragsgemäßen Standard an Sicherheit gegenüber der Diebstahlsgefahr (vgl. dazu das Senatsurteil vom 31.10.1973 - IV ZR 125/72 - VersR 1974, 26 = LM VVG § 61 Nr. 11 Bl. 2) deutlich unterschritten hat. Für die Anwendung der Unterlassensgrundsätze muß gerade im Hinblick auf die Art des Abstellens und des gewählten Platzes dringende Diebstahlsgefahr bestanden haben. Das genannte Senatsurteil vom 5. Oktober 1983 fährt wörtlich fort:

Für das Abstellen eines mit Tür- und Lenkschloß und auch im übrigen ordnungsgemäß gesicherten Pkw auf einem Parkplatz kann ein solches Unterschreiten allenfalls bei Hinzutreten von Umständen bejaht werden, durch welche dem Dieb eine gegenüber dem alltäglichen Parken erheblich günstigere Gelegenheit zur Entwendung verschafft worden ist.

Für den Senat ist kein Grund ersichtlich, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die danach erforderlichen besonderen Umstände gibt es im vorliegenden Fall nicht. Die Klägerin hatte vielmehr ihr Fahrzeug sogar zusätzlich durch Einschalten der Alarmanlage gesichert. Dazu ist auf das Senatsurteil vom 12. Oktober 1988 (IVa ZR 46/87 - VersR 1989, 141 = VVGE § 61 VVG Nr. 7) betreffend den Diebstahl eines Leopardenmantels aus einem Porsche in Lyon hinzuweisen. Danach ist es nicht grob fahrlässig, wenn ein Pkw verschlossen und mit eingeschalteter Alarmanlage in der belebten und beleuchteten Hauptstraße einer europäischen Großstadt geparkt wird.

Demgemäß liegen schon die objektiven Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit nicht vor. Auf weiteres kommt es nicht mehr an. Das Berufungsurteil muß aufgehoben und die Sache dem Tatrichter zurückgegeben werden, damit etwa noch erforderliche Beweise für das äußere Bild erhoben und die von der Beklagten für die Vortäuschungswahrscheinlichkeit vorgetragenen Umstände gewürdigt werden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993387

BB 1996, 928

NJW 1996, 1411

BGHR VVG § 61 Fahrlässigkeit, grobe 8

BGHR VVG § 61 KFZ-Diebstahlserleichterung 1

DAR 1996, 237

MDR 1996, 470

VRS 91, 470

VersR 1996, 576

r s 1996, 167

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