Leitsatz (amtlich)
Die tatsächliche Vermutung, dass es dem Anleger für seine Anlageentscheidung auf die Richtigkeit aller wesentlichen Prospektangaben ankommt, erfasst Feststellungen in einem veröffentlichten Wirtschaftsprüfertestat grundsätzlich auch dann, wenn es sich auf einen überholten Stichtag bezieht und ein neuer bestätigter Jahresabschluss zu erwarten war. Auch ein überholter Bestätigungsvermerk begründet zumindest das Vertrauen, dass die Anlage in dem bestätigten Umfang zu dem maßgeblichen Zeitpunkt keine Mängel aufwies, die zur Verweigerung oder Einschränkung des Testats hätten führen müssen (Fortführung des Senatsurteils v. 15.12.2005 - III ZR 424/04, NJW-RR 2006, 611).
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
OLG Dresden (Beschluss vom 16.02.2012; Aktenzeichen 8 U 1146/11) |
LG Leipzig (Entscheidung vom 28.06.2011; Aktenzeichen 4 O 1377/10) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Dresden vom 16.2.2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtzugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagte ist ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen, von dem die Kläger Schadensersatz wegen eines ihrem Vortrag zufolge unrichtigen Testats verlangen. Sie hielten Inhaberschuldverschreibungen der Wohnungsbaugesellschaft L. AG (künftig: WBG L). Unter dem 29.6.2004 erteilte die Beklagte dem Abschluss der WBG L für das Geschäftsjahr vom 1.1. bis zum 31.12.2003 und dem Lagebericht der Gesellschaft, die von dem Geschäftsführer der Beklagten geprüft worden waren, einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. In der zweiten Jahreshälfte 2005 tauschten die Kläger ihre Papiere in neue Inhaberschuldverschreibungen der Wohnungsbaugesellschaft um. Der von ihrem Geschäftsführer unterzeichnete Bestätigungsvermerk der Beklagten war in dem Emissionsprospekt für die von den Klägern 2005 eingetauschten neuen Inhaberschuldverschreibungen abgedruckt. Am 1.9.2006 wurde über das Vermögen der WBG L das Insolvenzverfahren eröffnet.
Rz. 2
Die Kläger machen geltend, das Prüftestat hätte nicht erteilt werden dürfen, da, wie für einen Wirtschaftsprüfer ohne Weiteres erkennbar gewesen sei, die Finanzsituation der WBG L bereits 2003 desolat gewesen sei und diese nach einem Schneeballsystem gearbeitet habe. Der Geschäftsführer der Beklagten habe insoweit mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt. Hätte die Beklagte den Jahresabschluss der WBG L und den Lagebericht nicht uneingeschränkt bestätigt, hätten sie, die Kläger, die neuen, wertlosen Inhaberschuldverschreibungen nicht im Tauschwege erworben.
Rz. 3
Ihre auf Ersatz von insgesamt 27.000 EUR nebst Zinsen und Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung gerichtete Klage hat das LG abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das OLG durch einen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat in seinem der angefochtenen Entscheidung vorangegangenen Hinweisbeschluss ausgeführt, die Beklagte hafte nicht unter dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Prospekthaftungsansprüche könnten die Kläger ebenfalls nicht geltend machen. Allein durch ihren in den Prospekten veröffentlichten Bestätigungsvermerk vom 29.6.2004 sei die Beklagte nicht dergestalt als Kontrollorgan in das Kapitalanlagesystem als solches eingebunden gewesen, dass es gerechtfertigt wäre, sie einer prospektmäßigen Vertrauenshaftung hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens in der Folgezeit zu unterwerfen. Soweit eine - auf ihm zurechenbare Prospektaussagen beschränkte - Haftung des Wirtschaftsprüfers als Garant in Betracht komme, könne dahinstehen, ob ein in einen Prospekt aufgenommenes Testat eine solche Einstandspflicht auslösen könne. Eine solche Garantenhaftung scheide vorliegend jedenfalls mangels der erforderlichen Kausalität aus. Dies gelte auch, wenn man zugunsten der Kläger davon ausgehe, dass die Beklagte, der gem. § 31 BGB das Verhalten ihres Geschäftsführers zuzurechnen sei, das uneingeschränkte Testat für das Jahr 2003 in vorsätzlich sittenwidriger Weise erteilt und der Prospekt den Klägern zum Zeitpunkt der Anlageentscheidungen vorgelegen habe.
Rz. 6
Zwar spreche nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Lebenserfahrung im Ausgangspunkt für die (Mit-)Ursächlichkeit eines unrichtigen Testats für den Investitionsentschluss eines Anlegers. Es könne vorliegend aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass zum Zeitpunkt der Anlageentscheidungen im Jahr 2005 jeweils schon mehr als anderthalb Jahre seit dem Stichtag des Testats vergangen gewesen seien. Der stichtagsbezogene Bestätigungsvermerk der Beklagten habe in erster Linie eine Bewertung der Angaben für das am 31.12.2003 abgelaufene Jahr und allenfalls noch eine Bewertung der Prognosen des Lageberichts für das Geschäftsjahr 2004 enthalten. Bereits § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG und § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG könne die Vorstellung des Gesetzgebers entnommen werden, dass Wertpapierinformationen, die mehr als ein Jahr zurücklägen, keine ausreichend verlässliche Grundlage für Anlageentscheidungen mehr bilden könnten. Danach sei davon auszugehen, dass ein Testat im Regelfall nur solange auf die Entscheidung potentieller Anleger ausstrahle, bis mit der Erstellung eines neuen Bestätigungsvermerks zu rechnen sei.
Rz. 7
Es komme daher auch nicht mehr darauf an, dass den Klägern durch die Umtausche kein Schaden entstanden sein dürfte, weil bereits die im Jahr 2005 eingetauschten, zuvor erworbenen Inhaberschuldverschreibungen nicht mehr werthaltig gewesen seien.
II.
Rz. 8
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 9
1. Nicht zu bemängeln ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, der zwischen der WBG L und der Beklagten geschlossene Vertrag über die Prüfung des Jahresabschlusses 2003 und des Lageberichts habe keine Schutzwirkung zugunsten der Anleger entfaltet. Gleiches gilt für Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinn, soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Beklagte sei nicht umfassend prospektverantwortlich, da ihr kein Prospektprüfungsauftrag erteilt worden sei. Auch die Revision nimmt beides hin.
Rz. 10
2. Hingegen lässt sich mit den weiteren Erwägungen der Vorinstanz die Klageabweisung nicht begründen. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand und den hierzu getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagte auf anderer rechtlicher Basis nicht auszuschließen.
Rz. 11
a) Insoweit sind sowohl quasi-vertragliche als auch deliktische Anspruchsgrundlagen in Erwägung zu ziehen. Ob jedoch die Voraussetzungen ersterer dem Grunde nach erfüllt sind (s. hierzu aa), kann auf sich beruhen, da jedenfalls eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 264a Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB und § 332 HGB, jeweils i.V.m. § 31 BGB - vorbehaltlich vom Berufungsgericht nachzuholender Feststellungen - besteht (s. hierzu bb).
Rz. 12
aa) Nach den bisher getroffenen Feststellungen kommt zumindest im Ausgangspunkt eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren Sinn als Garant in Betracht. Für den Prospektinhalt müssen zwar in erster Linie diejenigen einstehen, die für die Geschicke des Unternehmens und damit für die Herausgabe des Prospekts verantwortlich sind. Das sind namentlich die Initiatoren, Gründer und Gestalter der Gesellschaft, soweit sie das Management der Gesellschaft bilden oder sie beherrschen, einschließlich der sog. "Hintermänner". Darüber hinaus haften aber auch diejenigen, die aufgrund ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Stellung oder aufgrund ihrer Fachkunde eine Art Garantenstellung einnehmen und durch ihre Mitwirkung an der Prospektgestaltung nach außen hin in Erscheinung getreten sind (st.Rspr., z.B. Senatsurteile vom 17.11.2011 - III ZR 103/10, BGHZ 191, 310 Rz. 19; v. 12.2.2004 - III ZR 359/02, BGHZ 158, 110, 115 jew. m.w.N.). Wie der Senat in seinem Urteil vom 15.12.2005 (III ZR 424/04, NJW-RR 2006, 611 Rz. 19 f.) ausgeführt hat, kann auch das Jahresabschlusstestat eines Wirtschaftsprüfers seine Haftung als "Garant" für ihm zuzurechnende Prospektaussagen begründen, sofern seine entsprechende Tätigkeit nach außen erkennbar geworden ist. Von einem solchen Sachverhalt dürfte nach den bisher getroffenen Feststellungen auszugehen sein.
Rz. 13
Dabei kann dahinstehen, ob - wie die Revision unter Bezugnahme auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde in die Diskussion eingeführt hat - für Wirtschaftsprüfer, die Testate gem. § 322 HGB erteilen, der persönliche Anwendungsbereich der (in der für den Streitfall maßgeblichen Zeit noch gültigen, inzwischen aufgrund des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 6.12.2011 - BGBl. I, 2481 - mit Wirkung zum 1.6.2012 außer Kraft getretenen) Regelungen in § 13 des Wertpapier-Verkaufsprospektgesetzes (VerkProspG) und in § 44 BörsG eröffnet ist (streitig, dagegen z.B.: MünchKomm/BGB/Emmerich, 6. Aufl., § 311 Rz. 158; Nobbe, WM 2013, 193, 196; Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl., §§ 44, 45 BörsG Rz. 12 mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand; dafür z.B.: Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., §§ 44, 45 BörsG Rz. 36 f.; zweifelnd Fleischer, BKR 2004, 339, 344). Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob die in § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG, § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG bestimmte Begrenzung des Rückabwicklungsanspruchs gegen die Prospektverantwortlichen auf Erwerbsgeschäfte, die nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere bzw. nach dem Zeitpunkt des ersten öffentlichen Angebots im Inland abgeschlossen wurden, Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinn für später getätigte Erwerbsgeschäfte ausschließt (vgl. § 47 Abs. 2 BörsG, dazu Nobbe, a.a.O., S. 201 f.; vgl. auch Kind in Arndt/Voß, VerkProspG, § 13 Rz. 40; vor §§ 13, 13a Rz. 16; s. jetzt § 21 Abs. 5 Satz 2 des Vemögensanlagengesetzes - VermAnlG - und § 25 Abs. 2 des Wertpapierprospektgesetzes - WpPG).
Rz. 14
bb) Jedenfalls haben die Kläger nach dem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt dem Grunde nach einen Anspruch, der auf § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 264a Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB und § 332 HGB, jeweils i.V.m. § 31 BGB beruht. Sie haben vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe zumindest bedingt vorsätzlich einen fehlerhaft uneingeschränkten Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2003 erteilt. Sie haben sich insoweit ein im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Geschäftsführer der Beklagten erstattetes Gutachten der Wirtschaftsprüferkammer B. zu eigen gemacht. In diesem Gutachten werden gravierende Mängel bei der Durchführung der Jahresabschlussprüfungen 2002 und 2003 festgestellt. Das Berufungsgericht hat hierzu keine gegenteiligen Feststellungen getroffen, vielmehr ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten unterstellt, so dass hiervon auch in der Revisionsinstanz auszugehen ist. Ansprüche wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen können uneingeschränkt neben den gesetzlichen Prospekthaftungsansprüchen (sofern deren persönlicher Anwendungsbereich für die Beklagte überhaupt eröffnet sein sollte, s. aa) geltend gemacht werden (§ 13 Abs. 1 VerkProspG, § 47 Abs. 2 BörsG; s. jetzt § 21 Abs. 5 Satz 2 VermAnlG und § 25 Abs. 2 WpPG).
Rz. 15
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung der Beklagten für die Entscheidungen der Kläger, ihre Inhaberschuldverschreibungen 2005 umzutauschen, nicht auszuschließen. Mit Recht hat die Vorinstanz hervorgehoben, die Lebenserfahrung spreche dafür, dass ein Prospektfehler ursächlich für den Entschluss zum Erwerb der Anlage sei (so die st.Rspr., z.B. Senatsbeschluss v. 9.4.2009 - III ZR 89/08, juris Rz. 8; Senat, Urt. v. 14.6.2007 - III ZR 300/05, NJW-RR 2007, 1329 Rz. 21; BGH, Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 211/09, WM 2012, 1184 Rz. 30; v. 7.12.2009 - II ZR 15/08, ZIP 2010, 176 Rz. 23; vom 2.6.2008 - II ZR 210/06, BGHZ 177, 25 Rz. 19; v. 3.12.2007 - II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Rz. 16 jew. m.w.N.). Diese auf Tatsachenerfahrung beruhende Vermutung gilt für die quasi-vertragliche Prospekthaftung und für Schadensersatzansprüche wegen falscher Prospektangaben auf deliktischer Grundlage gleichermaßen (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.1993 - XI ZR 214/92, NJW 1994, 512, 514). Nicht beizutreten vermag der Senat jedoch der Ansicht des Berufungsgerichts, der Bestätigungsvermerk vom 29.6.2004 könne keine Vertrauensgrundlage für die in der zweiten Jahreshälfte 2005 getroffenen Entscheidungen über den Umtausch der Inhaberschuldverschreibungen sein, da sich das Testat lediglich auf das am 31.12.2003 abgelaufene Geschäftsjahr bezogen und allenfalls noch eine Prognose für das Jahr 2004 zugelassen habe.
Rz. 16
aa) Der Senat hat in seinem Urteil vom 15.12.2005 (III ZR 424/04, NJW-RR 2006, 611 Rz. 26) zwar im Hinblick auf eine etwaige "Aktualisierungspflicht" ausgeführt, der Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers sei in seiner Reichweite begrenzt, weil er auf einen bestimmten Stichtag bezogen sei. Vertrauensbegründende Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens in der Zukunft könne das Testat des Wirtschaftsprüfers - für den durchschnittlichen Anlageinteressenten erkennbar - nicht enthalten. Jedoch hat der Senat in dieser Entscheidung auch hervorgehoben, es lasse sich nicht sagen, dass die in dem Prospekt wiedergegebenen Aussagen des dort beklagten Wirtschaftsprüfungsunternehmens wegen des Bezugs auf einen bereits abgelaufenen Stichtag für die Anleger zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anlage bedeutungslos gewesen seien (a.a.O. Rz. 22).
Rz. 17
Hiernach ist in der vorliegenden Fallgestaltung nicht davon auszugehen, dass der im Jahr 2004 erteilte Bestätigungsvermerk zum Stichtag des Jahresabschlusses für 2003 keine Bedeutung mehr für die 2005 gefassten Erwerbsentschlüsse der Kläger gehabt haben konnte. Diese sahen sich nicht in ihren Erwartungen getäuscht, wie sich einzelne Faktoren nach dem Stichtag entwickelten und die Wirtschaftslage der WBG L beeinflussten. Nur insoweit konnte das Testat wegen seiner auf den Prüfungszeitraum begrenzten Aussagekraft kein Vertrauen verschaffen. Vielmehr geht es um - nach dem Vortrag der Kläger fehlerhafte - Feststellungen der Beklagten zu Tatsachen, die vor dem Prüfungsstichtag lagen und die Gegenstand der Prüfung sowie des Bestätigungsvermerks waren. Die tatsächliche Vermutung, dass es dem Anleger für seine Entscheidung auf die Richtigkeit aller wesentlichen Prospektangaben ankommt, erfasst solche Feststellungen in einem veröffentlichten Wirtschaftsprüfertestat grundsätzlich auch dann, wenn es sich auf einen abgelaufenen Stichtag bezieht. Ein solcher Bestätigungsvermerk begründet zumindest das Vertrauen, dass die Anlage in dem bestätigten Umfang zu dem maßgeblichen Zeitpunkt keine Mängel aufwies, die zur Verweigerung oder Einschränkung des Testats hätten führen müssen. Auch wenn bis zur Anlageentscheidung mit der zwischenzeitlichen Erstellung eines neuen Testats zu rechnen gewesen sein mag, wirkt dieses Vertrauen insoweit fort, als der Anleger nur mit einer seither eingetretenen Veränderung der Verhältnisse rechnen muss, nicht aber damit, dass zu dem für den im Prospekt wiedergegebenen Bestätigungsvermerk maßgeblichen Prüfungszeitpunkt strukturelle Mängel der Anlage bestanden, die sich noch auswirken. Erst wenn, was hier aber nicht der Fall ist, zwischen dem Prüfungsstichtag und dem Anlageentschluss eine so lange Zeit verstrichen ist, dass mit wesentlichen, auch die Grundlagen des Unternehmens erfassenden Änderungen der Verhältnisse gerechnet werden muss, kann die durch Lebenserfahrung begründete Vermutung der Ursächlichkeit des unrichtigen Bestätigungsvermerks für die Anlageentscheidung nicht mehr eingreifen.
Rz. 18
bb) Aus den aufgrund des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 6.12.2011 (BGBl. I, 2481) mit Wirkung zum 1.6.2012 außer Kraft getretenen § 44 BörsG und § 13 VerkProspG folgt nichts anderes. Zwar begrenzte § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG, den auch § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG unter Maßgaben in Bezug nahm, die Haftung der Prospektverantwortlichen auf Erwerbsgeschäfte, die nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere abgeschlossen wurden (s. jetzt § 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG und § 21 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG). Diese Befristung gilt jedoch jedenfalls für Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen nicht (§ 47 Abs. 2 BörsG; s. jetzt § 21 Abs. 5 Satz 2 VermAnlG und § 25 Abs. 2 WpPG; diese Sichtweise liegt auch dem Urteil des VI. Zivilsenats v. 8.1.2013 - VI ZR 386/11, zur Veröffentlichung vorgesehen, zugrunde). Diesen Vorschriften, die allein auf eine Rückabwicklung des Erwerbsgeschäfts gerichtet sind (s. dazu BGH, Urt. v. 18.9.2012 - XI ZR 344/11, WM 2012, 2147 Rz. 1, 18; Regierungsbegründung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland, BT-Drucks. 13/8933, 78), lässt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nichts dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber - entgegen den tatsächlichen Verhältnissen (s. oben aa) - generell und damit auch für auf Vorsatz beruhende deliktische Schadensersatzansprüche von einem auf kurze Dauer begrenzten Vertrauen in die Richtigkeit von Emissionsprospekten ausgegangen ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach § 47 Abs. 2 BörsG (s. jetzt § 21 Abs. 5 Satz 2 VermAnlG und § 25 Abs. 2 WpPG) "weitergehende" Ansprüche, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgrund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden konnten, unberührt blieben (vgl. im Übrigen auch Regierungsbegründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts, BT-Drucks. 17/6051, 36).
Rz. 19
d) Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Prospektfehler deshalb nicht ursächlich für einen Schaden der Kläger wurde, weil die ursprünglich von ihnen gehaltenen Inhaberschuldverschreibungen bereits vor dem Umtausch in die neuen Papiere wertlos waren. Im Revisionsverfahren ist deshalb zugunsten der Kläger davon auszugehen, dass dies nicht der Fall ist (s. jedoch BGH, Urt. v. 4.12.2012 - VI ZR 379/11, juris Rz. 12, 14, 18 f und VI ZR 380/11, juris Rz. 12, 14, 18 f zu einem späteren Bestätigungsvermerk der Beklagten und zu möglicherweise anderen Tranchen von Inhaberschuldverschreibungen der WBG L).
Rz. 20
3. Da zur abschließenden Prüfung der geltend gemachten Ansprüche weitere Feststellungen erforderlich sind, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif und daher unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 3706213 |
DB 2013, 6 |
DB 2013, 931 |
DStR 2013, 12 |
DStR 2013, 1400 |
DStRE 2013, 1277 |
NJW 2013, 1877 |
NJW 2013, 8 |
EBE/BGH 2013, 143 |
EWiR 2013, 735 |
WM 2013, 689 |
WuB 2013, 461 |
ZIP 2013, 935 |
AG 2013, 522 |
JZ 2013, 354 |
MDR 2013, 782 |
GWR 2013, 204 |
ZBB 2013, 184 |