Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 11.12.1975) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 9. Zivilsenat in Freiburg – vom 11. Dezember 1975 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen dem Kläger zur Last.
Tatbestand
Der Kläger, von Beruf Tierarzt, wurde am 10. Januar 1973 bei einem Verkehrsunfall durch Schuld der Erstbeklagten verletzt. Er hat diese und die Zweitbeklagte als deren Haftpflichtversicherer auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens in Anspruch genommen. Da er wegen seiner Verletzungen bis 1. März 1973 arbeitsunfähig war, hatte er in dieser Zeit seine Tierarztpraxis durch Vertreter fortfuhren lassen. Hierfür mußte er insgesamt 6.807 DM aufwenden.
Die Parteien streiten nur noch darüber, ob der Kläger sich auf diesen Schadensposten das ihm von der Berufsgenossenschaft Gesundheit- und Wohlfahrtspflege für diesen Zeitraum gezahlte Verletztengeld von insgesamt 4.313,20 DM anrechnen lassen muß.
Das Landgericht hat die Anrechnung verneint; das Oberlandesgericht hat sie bejaht, daher die Klage in Höhe dieses Betrages abgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seinen diesbezüglichen Leistungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht vertritt die Ansicht, der Kläger sei nicht forderungsberechtigt, weil sein Schadensersatzanspruch in Höhe des erhaltenen Verletztengeldes gemäß § 1542 RVO auf die Berufsgenossenschaft übergegangen sei. Es sieht die Gleichartigkeit zwischen dem Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für Praxisvertreter und dem Anspruch auf Zahlung eines Verletztengeldes darin, daß beide Ansprüche dem Ausgleich des Schadens dienten, den der Verletzte durch die Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit erlitten hatte. Daß der Schaden im Falle der Einstellung eines Vertreters nicht unmittelbar durch Ausbleiben von Einkünften, sondern durch zusätzliche Aufwendungen entstehe, betreffe nur die Art und Weise der Schadensberechnung.
II. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Zutreffend bejaht das Berufungsgericht auch im Streitfall die für den Forderungsübergang des § 1542 RVO erforderliche sachliche Gleichartigkeit zwischen dem in der Person des Geschädigten entstandenen Schadensersatzanspruch und der vom Versicherungsträger zu erbringenden Leistung. Die hier von der haftpflichtigen Beklagten und der Berufsgenossenschaft zu leistenden Beträge dienen demselben Zweck: beide gehören ihrer Art und Ursache nach in die Gruppe des Erwerbsschadens.
1. Die Berufsgenossenschaft gewährt nach den §§ 580, 381 RVO Verletztenrente, wenn und solange die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Unfalls aufgehoben oder um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Die Rente soll den Erwerbsausfall ausgleichen, den der Versicherte durch seine unfallbedingte Erwerbsunfähigkeit erlitten hat. Entgegen der Meinung der Revision kommt es für diese Ausgleichsfunktion der Verletztenrente nicht entscheidend darauf an, daß die Rente nicht nach dem tatsächlichen Verdienstentgang – also konkret – berechnet, vielmehr nach Bruchteilen der vollen Erwerbsfähigkeit – also abstrakt – ermittelt wird (vgl. Senatsurteile v. 11. Mai 1976 – VI ZR 51/74 = VersR 1976, 756 und v. 3. Mai 1977 – VI ZR 235/75 – noch nicht veröffentlicht mit w.Nachw.).
2. Nach Ansicht der Revision fehlt es an der sachlichen Gleichartigkeit, weil es für die Bemessung der Verletztenrente unerheblich sei, ob dem Verletzten infolge des Unfalls Aufwendungen wagen vermehrter Bedürfnisse erwüchsen, wie es sich umgekehrt auch nicht auswirke, wenn die Beschränkung der Erwerbsfähigkeit im Einzelfall das Einkommen des Verletzten nicht mindere. Bei den für die Praxisvertreter erbrachten Aufwendungen des Klägers handele es sich um mit dem Erwerbsausfallschaden nicht deckungsgleiche Mehraufwendungen anderer Art.
Dem war nicht zu folgen.
Die Einstellung eines Vertreters dient nicht nur, wie die Revision meint, der Vorbeugung künftigen Schadens, indem durch Weiterführung der Praxis ein Abwandern der Klienten für die Zeit der Wiederaufnahme der Arbeit durch den Verletzten verhindert werden soll, sondern auch und in erster Linie der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Einkünfte während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit. Sie stellt den Versuch dar, den beim Ausfall der Arbeitskraft zu befürchtenden Einnahmeverlust auszugleichen. Einen solchen Verlust hat denn auch der Kläger nicht erlitten; er macht über die Vertreterkosten hinaus eine weitere Einbuße an Einnahmen aus seiner Tierarztpraxis nicht geltend. Bei diesen Kosten handelt es sich somit nur um einen Berechnungsfaktor des Verdienstausfalls. Derartige der Schadensabwicklung dienende Aufwendungen hat der Schädiger stets dann zu ersetzen, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Menschen aus bei der gegebenen Sachlage zweckmäßig und angemessen erschienen (Esser. Schuldrecht 4. Aufl. Bd. I § 42 I S. 283). Den Kläger würde sogar nach § 234 Abs. 2 BGB ein mitwirkendes Verschulden treffen, wenn er den Versuch unterlassen hätte, den durch Ausfall seiner Arbeitskraft bedingten Einnahmeverlust durch Einstellung eines Vertreters auszugleichen; denn er war verpflichtet, der Schadensabwendung oder Schadensminderung dienende zumutbare Maßnahmen zu ergreifen. Dieser aus §§ 254, 242 BGB herzuleitenden Schadensminderungspflicht des Geschädigten steht aber die Pflicht des Schädigers gegenüber, dem Geschädigten den Aufwand für derartige Maßnahmen zu ersetzen (s. BGHZ 32, 280, 285; 66, 182, 192 m.w.Nachw.).
Somit gehören die Vertreterkosten nicht, wie die Revision meint, zur Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse, sondern zum Erwerbsschaden, wie der Senat dies bezüglich der Kosten für die Einstellung einer Ersatzkraft zum Ausgleich hauswirtschaftlicher Tätigkeit bereits entschieden hat (s. Senatsurt. v. 25. September 1973 – VI ZR 49/72 = VersR 1974, 162; so auch Wussow WI 1975, 51; Geigel, Haftpflichtprozeß hat seine abweichende Auffassung in der 16. Aufl. – Kap. 30 Rdz. 62 a – nicht mehr aufrecht erhalten; wohl a.A. Seitz, Ersatzansprüche der SVT nach §§ 640 und 1542 RVO 2. Aufl. S. 136 und Deutsch in der Anmerkung zum vorgenannten Urteil SozGer 1974, 392, 394).
Nur die Bejahung der Gleichartigkeit beider Ansprüche wird – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – dem Sinn und Zweck des § 1542 RVO gerecht, da andernfalls der Kläger zu Lasten der Berufsgenossenschaft doppelt entschädigt würde.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Schaffen, Dr. Steffen, Dr. Ankermann
Fundstellen