Leitsatz (amtlich)
§ 24 Nr. 4 b VHB 84, wonach der Versicherer die Zahlung aufschieben kann, solange gegen den Versicherungsnehmer ein strafrechtliches Verfahren „läuft”, gibt dem Versicherer kein Leistungsverweigerungsrecht mehr, wenn das Verfahren vorläufig eingestellt ist.
Normenkette
VVG § 11 Abs. 1; VHB 84 § 24 Nr. 4 b
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 16. Juli 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Versicherungsleistungen von der Beklagten, bei der sie eine Hausratversicherung abgeschlossen hat. Die Parteien haben die Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen von 1984 (VHB 84) vereinbart.
Im Antrag auf Abschluß des Versicherungsvertrages vom 10. Juni 1992 sind die Klägerin und ihr Ehemann als Antragsteller aufgeführt. Allerdings hat nur die Klägerin den Antrag unterschrieben. Die Beklagte stellte ihren Versicherungsschein an beide Eheleute aus, an die sie auch die Prämienrechnung sandte. Der Ehemann der Klägerin hat zumindest die Prämie für 1994 durch Überweisung von seinem Konto beglichen.
Am 19. Juli 1994 wurde in die im Versicherungsschein bezeichnete Wohnung eingebrochen. Nach der von dem Ehemann der Klägerin eingereichten Stehlgutliste soll ein Schaden von mehr als 111.000 DM entstanden sein. Der Täter wurde ermittelt und rechtskräftig verurteilt. Gegen den Ehemann der Klägerin ist in anderer Sache ein Strafverfahren anhängig. Darin wird er der Vortäuschung einer Straftat, des Versicherungsbetruges und des schweren Diebstahls beschuldigt. Die Hauptverhandlung wurde am 12. Dezember 1995 ausgesetzt, weil ein Zeuge nicht erschienen war. Dieser Zeuge gab gegenüber der Polizei an, der Ehemann der Klägerin habe den Einbruchdiebstahl vom 19. Juli 1994 „inszeniert”. Das daraufhin von der Staatsanwaltschaft gegen den Ehemann der Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde am 15. April 1996 im Hinblick auf das andere bereits anhängige Verfahren nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 111.048 DM nebst Zinsen zu zahlen. Wegen des Ermittlungsverfahrens gegen den Ehemann der Klägerin beruft sich die Beklagte auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 24 Nr. 4b VHB 84. Das Landgericht hat die Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt sie ihren Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auch der Ehemann der Klägerin sei als Versicherungsnehmer anzusehen. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Versicherungsschein und den weiteren Umständen; so aus der Prämienzahlung durch ihn und die von ihm in Auftrag gegebene Wertermittlung des Hausstands, seine Anfertigung der Stehlgutliste und daraus, daß der Ehemann Schlüssel zur versicherten Wohnung gehabt habe. Das Landgericht habe zu Recht ausgeführt, daß sich die Beklagte auf § 24 Nr. 4b VHB 84 berufen könne. Das gegen den Ehemann der Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren sei noch nicht rechtskräftig eingestellt. Die genannte Regelung lautet:
„Der Versicherer kann die Zahlung aufschieben, solange gegen den Versicherungsnehmer oder eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende volljährige Person aus Anlaß des Versicherungsfalles ein behördliches oder strafrechtliches Verfahren läuft.”
Dazu hat das Landgericht, vom Berufungsgericht durch Bezugnahme gebilligt, ausgeführt: Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren „laufe” deshalb noch, weil es gemäß § 154 Abs. 4 StPO binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden könne. Dieser Auslegung des § 24 Nr. 4b VHB 84 kann nicht beigetreten werden.
2. a) Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kommt es nur auf den Teil der Klausel an, wonach der Versicherer die Zahlung aufschieben kann, solange gegen den Versicherungsnehmer ein strafrechtliches Verfahren läuft. Dieser Teil stellt eine eigenständige Regelung dar. Er ist deshalb von der Bestimmung abtrennbar, die eine in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherungsnehmer lebende volljährige Person betrifft (siehe dazu Senatsurteil vom 21. April 1993 – IV ZR 33/92 – VersR 1993, 830 zu § 9 Nr. 1a VHB 84).
b) Was unter der Voraussetzung für ein Leistungsverweigerungsrecht, nämlich daß gegen den Versicherungsnehmer noch ein strafrechtliches Verfahren „läuft”, verstanden werden soll, ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum umstritten. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, die Voraussetzung entfalle erst, wenn das Verfahren formell eingestellt sei, wobei die Einstellung rechtskräftig sein müsse (LG Bonn VersR 1990, 303; Knappmann in Prölss/Martin, 26. Aufl. § 24 VHB 84 Rdn. 2; wohl auch Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. Y I Rdn. 13 i.V. mit Rdn. 17). Eine vorläufige Einstellung nach § 205 StPO soll nicht ausreichen (LG Hamburg VersR 1988, 509 zu § 17 Nr. 2b VHB 74; Knappmann, aaO). Der Versicherer soll aber dann kein Leistungsverweigerungsrecht haben, wenn er selbst bei der Staatsanwaltschaft angeregt hat, zunächst den Ausgang des Zivilverfahrens abzuwarten (OLG Oldenburg VVGE § 22 VHB 84 Nr. 4). Zum anderen wird in der Regelung nur ein „pactum de non petendo” gesehen, das die Fälligkeit des materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung nicht berühre (LG Frankfurt VersR 1985, 977 zu § 17 Abs. 2b AEB).
c) Maßgeblich für die Auslegung der Klausel des § 24 Nr. 4b VHB 84 ist nach gefestigter Rechtsprechung des Senats, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGHZ 123, 83, 85; Senatsurteil vom 25. März 1998 – IV ZR 137/97 – VersR 1998, 758 unter 3a). Ausgangspunkt für diese Auslegung ist der Wortlaut der Klausel. Nach allgemeinem Sprachgebrauch bezeichnet „laufen” einen Vorgang der Bewegung. Was steht oder ruht, läuft nicht. Das gilt auch im übertragenen Sinne. Deshalb wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer in einem Verfahren, das eingestellt ist, kein laufendes mehr sehen. Nach seinem Verständnis bewegt sich in einem eingestellten Verfahren nichts mehr. Zwar fängt es wieder an zu laufen, wenn es erneut aufgenommen wird. Das ändert aber nichts daran, daß ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ein eingestelltes Verfahren, mag es auch nur vorläufig eingestellt sein, nicht mehr als ein noch laufendes Verfahren ansieht.
In der Regelung des § 24 Nr. 4b VHB 84 erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Sinn, der Versicherer wolle keine Leistungen erbringen auf die Gefahr hin, daß sich durch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren später ein betrügerisches Handeln des Versicherungsnehmers herausstellt. „Läuft” das Ermittlungsverfahren aber nicht mehr, weil es eingestellt ist, kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kein berechtigtes Interesse des Versicherers daran erkennen, daß der Versicherer seine Leistungen noch zurückhält. Nach § 11 Abs. 1 VVG sind die Leistungen des Versicherers fällig, wenn dieser seine Feststellungen zum Versicherungsfall beendet hat. Ist das strafrechtliche Ermittlungsverfahren (vorläufig) eingestellt, hindert dies den Versicherer nicht, seine eigenen Ermittlungen fortzusetzen, sofern dazu ausreichender Anlaß besteht. Dem kann sich auch ein verständiger Versicherungsnehmer nicht verschließen. Er kann und braucht aufgrund der Klausel des § 24 Nr. 4b VHB 84 aber nicht damit zu rechnen, daß sein Anspruch auf die Leistung auch dann noch nicht fällig wird, wenn die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt hat, gleichgültig aus welchen Gründen, und auch der Versicherer seinerseits keine Ermittlungen mehr anstellt.
d) Bei dieser Auslegung des § 24 Nr. 4b VHB 84 bietet der Sachverhalt des vorliegenden Falles keine Anhaltspunkte dafür, daß die Leistung der Beklagten nicht fällig wäre, vorausgesetzt, daß ein Anspruch besteht.
Auf die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, auch der Ehemann der Klägerin sei Versicherungsnehmer, kommt es nicht mehr an. Denn auch wenn der Ehemann Versicherungsnehmer ist, hat die Beklagte – wie dargelegt – kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 24 Nr. 4b VHB 84.
3. Da das Berufungsgericht mit dem Landgericht über Grund und Höhe des Anspruchs nicht entschieden hat, muß die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Bei der erneuten Verhandlung kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, der Anspruch bestehe schon deshalb, weil die Beklagte ihr ein Vergleichsangebot gemacht habe. Die Klägerin hat das Angebot nicht angenommen. Folglich ergibt sich aus dem Angebot der Beklagten nichts mehr zugunsten der Klägerin. Das haben Land- und Berufungsgericht zu Recht festgestellt.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Dr. Zopfs, Römer, Dr. Schlichting, Terno
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.10.1998 durch Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556264 |
NJW-RR 1999, 245 |
EWiR 1999, 43 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1998, 1263 |
MDR 1999, 94 |
NVersZ 1999, 142 |
VersR 1999, 227 |
ZfS 1999, 270 |