Leitsatz (amtlich)
Entgangene Gewinnbeteiligung am väterlichen Unternehmen als Folgeschaden einer Körperverletzung.
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 17.12.1971) |
LG Heidelberg |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Dezember 1971 aufgehoben, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden ist; es verbleibt jedoch bei der von der Revision nicht angegriffenen Abweisung einer Teilforderung von DM 30.000 nebst Zinsen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger ist am 28. März 1967 bei einem Verkehrsunfall, den ein Versicherungsnehmer der Beklagten verschuldet hat, schwer verletzt worden. Er leidet noch unter Folgen dieser Verletzung. Ein Großteil der Schadensersatzansprüche ist außergerichtlich abgefunden oder nicht mehr im Streit. Im Revisionsverfahren geht es nur noch um folgendes:
Der am 12. September 1939 geborene Kläger hatte im Jahre 1960 ein Hochschulstudium begonnen mit dem Ziel, sich als Diplomingenieur im Tiefbauwesen zu qualifizieren. Im Unfall Zeitpunkt hatte er mit der Ablegung der Diplomprüfung begonnen. Nach dem Unfall, der auch zu erheblichen Kopfverletzungen geführt hatte, setzte er diese Ausbildung nicht fort, sondern legte im Frühjahr 1970 an einer Ingenieurschule das Examen als Bauingenieur (Ing.grad.) ab.
Der Vater des Klägers, dessen einziger Sohn er - neben einer Schwester - ist, ist selbst Absolvent einer Ingenieurschule und betreibt ein Tiefbau - Ingenieurbüro. In diesem Büro ist der Kläger seit dem 1. April 1970 tätig. Er erhält neben einem monatlichen Bruttogehalt von DM 3.000 ein Drittel des erzielten Reingewinns. Das beruht nach der bestrittenen Darstellung des Klägers auf einer schon am 10. Januar 1960 zwischen dem damals zwanzigjährigen Kläger und seinem Vater getroffenen schriftlichen Vereinbarung, die nach seinem Vortrag für seine Berufswahl bestimmend war.
Der Kläger behauptet, er sei nur durch den Unfall gehindert worden, im Jahre 1967 die Diplomprüfung abzuschließen. Auch habe er sich mit Rücksicht auf die Unfallfolgen mit der leichteren Prüfung für graduierte Bauingenieure begnügen müssen, da er der Hochschulprüfung nicht mehr gewachsen gewesen sei. Daher sei ihm durch den Unfall die Gewinnbeteiligung für die Jahre 1968 und 1969 entgangen. Auch müsse gewärtigt werden, daß er in Zukunft wegen seiner verminderten Leistungsfähigkeit oder auch weil ihm das in der Vereinbarung vorgesehene Diplom fehle, den Anforderungen im väterlichen Betrieb nicht mehr genüge und seiner Gewinnbeteiligung wieder verlustig gehe.
Der Kläger hat im zweiten Rechtszug als Ersatz für die angeblich entgangene Gewinnbeteiligung während der zwei Jahre einen Betrag von DM 192.769 nebst Zinsen verlangt. Außerdem hat er neben einem allgemeinen Feststellungsantrag, der in der Revisionsinstanz nicht mehr im Streit ist, im besonderen die Feststellung begehrt, daß die Haftung der Beklagten auch künftigen unfallbedingten Entgang der Gewinnbeteiligung umfasse.
Das Berufungsgericht hat diese Ansprüche, denen das Landgericht teilweise stattgegeben hatte, abgewiesen. Die Revision des Klägers verfolgt sie weiter, den Anspruch auf Ersatz des Gewinnentgang in den Jahren 1968 und 1969 allerdings nur noch im Gesamtbetrag von DM 162.791,33.
Entscheidungsgründe
I.
1.
Das Berufungsgericht legt seiner Beurteilung zugrunde: Die unfallbedingte Körperverletzung verzögerte den Abschluß der Berufsausbildung des Klägers. Ohne den Unfall hätte er 2 Jahre früher (Frühjahr 1968) sein Examen abgelegt. Er wäre sodann ab 1. April 1968 und nicht erst ab 1. April 1970 in dem väterlichen Betrieb tätig gewesen.
Auf dieser Grundlage, so erwägt das Berufungsgericht, habe dem Kläger für diese zwei Jahre ein Anspruch auf Ersatz von monatlich 3.000 DM zugestanden, die ihm sein Vater in dieser Zeit unstreitig gezahlt hätte; diesen adäquat unfallbedingten Schaden habe die Beklagte bereits außergerichtlich abgegolten. Dagegen stehe dem Kläger für diesen Zeitraum nicht der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von 1/3 Anteil am Gewinn des väterlichen Betriebes zu. Dieser Gewinn sei dem Kläger nur durch die Vermittlung eigenartiger und außergewöhnlicher Umstände entgangen. Deshalb sei diese Schadensfolge als nicht adäquat und außerhalb des Normzwecks liegend dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen. Der Gewinn, in dem sich auch das Ergebnis der Arbeit anderer niederschlage, stelle sich als "Kapitalnutzung" dar. Die Rechtsprechung über die Entschädigung Selbständiger betreffe nur den Entgang von Gewinnen, die sonst durch die Verwertung der Arbeitskraft des Geschädigten im Unternehmen erzielt worden wären. Hier sei die Arbeitskraft jedoch selbständig und angemessen vergütet worden.
2.
Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum.
Verfehlt wäre es bereits, wenn das Berufungsgericht annehmen sollte, der entgangene Gewinn müsse sich, um ersatzfähig zu sein, als wirtschaftlich vertretbarer Gegenwert für die durch die Verletzung verhinderte Arbeitsleistung darstellen. Eine solche Einschränkung läßt sich nicht einmal aus § 842 BGB entnehmen, wo von Nachteilen für den Erwerb oder das Fortkommen die Rede ist. Überdies ist aber anerkannt, daß die dort im Besonderen genannten Nachteile nicht die einzigen vermögensrechtlichen Schäden sind, die als Folgen einer Körperverletztang ersatzfähig sein können (vgl. §§ 249, 252 BGB, BGHZ 26, 69, 77; 27, 137, 142; Soergel/Zeuner Anm. 1 zu § 842 BGB). So ist, soweit ersichtlich, im allgemeinen nicht bezweifelt worden, daß auch die verletzungsbedingte Verhinderung einer gewinnbringenden Transaktion durch einen Geschäftsmann im Grundsatz ersatzpflichtig machen kann. Auch kann unter Umständen für den Niedergang eines kapitalintensiven Unternehmens Ersatz zu leisten sein, weil ihm durch die Körperverletzung vorübergehend die sachkundige Leitung durch den Inhaber entzogen war.
Damit hätte nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts die entgangene Gewinnbeteiligung des Klägers jedenfalls dann nicht entschädigungslos bleiben können, wenn sie ihm von langer Hand und nur zu dem Zweck zugesichert worden wäre, im Interesse des väterlichen Dienstleistungsbetriebs seine spätere Mitarbeit unbedingt sicherzustellen, wie dies der Behauptung des Klägers entspricht.
In diesem Zusammenhang ist es - was das Berufungsgericht möglicherweise verkennt - für den ursächlichen Zusammenhang nicht unmittelbar von Belang, ob die angebliche Vereinbarung zwischen dem Kläger und seinem Vater rechtsverbindlich war. Es kommt vielmehr darauf an, ob sich der Vater voraussichtlich daran gehalten hätte und deshalb der Kläger die Gewinnbeteiligung mit Wahrscheinlichkeit (§ 252 S. 2 BGB) erwarten konnte. Die Revision weist indessen mit Recht darauf hin, daß jedenfalls die Minderjährigkeit des Klägers im Zeitpunkt des behaupteten Vertragsschlusses deshalb die Gültigkeit nicht beeinträchtigt, weil das Gesamtverhalten des alsbald volljährig gewordenen Klägers möglicherweise als Bestätigung zu werten ist.
Das Berufungsurteil kann aus diesen Gründen keinen Bestand haben.
II.
Der Senat vermochte nicht selbst in der Sache zu erkennen. Die vom Berufungsgericht zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände stellen sich zumindest teilweise als Unterstellungen dar. Jedenfalls kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, daß es sich um Feststellungen handelt. Darüber hinaus sind die Ausführungen insoweit nicht immer frei von rechtlichen Bedenken.
1.
Bei seiner anderweiten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht zunächst feststellen müssen, ob und inwiefern die Verletzung des Klägers überhaupt eine ursächliche Bedingung für den Nichterhalt des Gewinnanteils für zwei Jahre bildet. Dabei wird es vor allem zu beachten haben, daß der Kläger für sein schadensbegründendes Vorbringen die volle, nur durch § 287 ZPO geminderte Beweislast trägt. Es kann also nicht genügen, daß das durch den Inhalt einer Privaturkunde und die Zeugenaussage des Vaters gestützte Vorbringen nicht zu widerlegen ist; der Klage ist vielmehr schon dann der Erfolg zu versagen, wenn der Tatrichter wegen verbleibender Bedenken keine hinreichend sichere Überzeugung zu gewinnen vermag.
2.
Die Beweislast des Klägers erstreckt sich grundsätzlich auch auf seine Behauptung, daß er ohne den Unfall die Diplomprüfung bestanden hätte, und zwar so rechtzeitig, daß die Voraussetzungen für eine Gewinnbeteiligung schon im Jahre 1968 eingetreten wäre. Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es in dem Bestreiten der Beklagten den Einwand der überholenden Kausalität erblicken will, so daß es Sache der Beklagten gewesen sei, die Behauptung des Klägers zu widerlegen. Die Behauptung des Klägers dient der Begründung seines Anspruchs auf Ersatz für entgangenen Gewinn, dessen Voraussetzungen es durch das Bestehen des Examens erst zu schaffen galt. Es geht also nicht etwa um die Behauptung der Beklagten, daß eine im Unfallzeitpunkt bestehende Erwerbsaussicht durch spätere Ereignisse ohnehin weggefallen wäre (vgl. dazu das Senatsurteil vom 25. April 1972 - VI ZR 134/71 - LM § 844 Abs. 2 BGB Nr. 45 = VersR 1972, 834). Damit ist es Sache des Klägers, Umstände zu beweisen, die das Urteil erlauben, daß der Eintritt der Voraussetzungen für die Gewinnbeteiligung jedenfalls mit Wahrscheinlichkeit (§ 252 S. 2 BGB) zu erwarten war.
3.
Sofern das Berufungsgericht zu der Feststellung gelangt, daß sich die verspätete Gewinnbeteiligung im natürlichen Sinne als Folge der Verletzung des Klägers darstellt, wird es die Zurechenbarkeit des Schadens für die Beklagte nicht schon verneinen dürfen, weil die entgangenen Vorteile einen angemessenen Gegenwert für die vom Kläger erwartete Tätigkeit überschritten hätten und deshalb einem Familienfremden voraussichtlich nicht geboten worden wären.
4.
a)
Das Berufungsgericht wird indessen zu beachten haben, daß in dem Maße, in dem unter dem Einfluß von besonderen Beweggründen das wirtschaftliche Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung gestört erscheint, sich tatrichterliche Zweifel am ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Wegfall der Arbeitsleistung und der Versagung der zugesagten Vorteile verstärken können. Beruht eine Beteiligungszusage vorwiegend auf dem Streben, einen Abkömmling zu begünstigen oder einen geringeren Steuerabzug zu erreichen, dann kann es in tatsächlicher Hinsicht fraglich werden, ob die Vorenthaltung der ausbedungenen Vorteile überhaupt oder wenigstens in vollem Umfang auf dem Ausfall der Arbeitsleistung beruht.
b)
Auch soweit in Frage kommt, daß der Vater des Klägers eine frühere Gewinnbeteiligung zwar infolge des Unfalls, aber nur im Hinblick auf die Ersatzpflicht des Schädigers und seiner Versicherung abgelehnt hat, könnte die Klage keinen Erfolg haben. Ein solcher Verlauf könnte der Beklagten allerdings billigerweise selbst dann nicht zugerechnet werden, wenn er nicht feststellbar auf der Mitwirkung des Klägers beruhte.
5.
a)
Sollte das Berufungsgericht zur Feststellung eines weiteren Ersatzanspruchs gelangen, dann hat seine Hilfserwägung Bestand, daß sich der Kläger, soweit er entgangenen Gewinn zugesprochen erhält, den Betrag anrechnen lassen muß, um den sich wegen der Nichtentnahme eines früheren Gewinnanteils sein späterer Gewinnanteil erhöht hat. Entsprechendes gilt, wenn der Kläger etwa - worüber das Berufungsurteil keine Feststellung getroffen hat - Mitinhaber des väterlichen Unternehmens geworden sein sollte, soweit ihm eine auf Jenem Verlauf beruhende Ersparnis über eine Beteiligung an der Substanz des Unternehmens zugute gekommen sein sollte.
b)
Dagegen kann es entgegen von der Beklagten in der Revisionsinstanz vorgetragenen Erwägungen derzeit nicht darauf ankommen, daß der Kläger später möglicherweise seinen Vater (mit-)beerben wird, und daß ihm dabei die nicht ausbezahlte Gewinnbeteiligung für zwei Jahre in Form einer Erhöhung seines Erbteils teilweise wieder zufließen könnte. Ein solcher Verlauf ist noch ganz ungewiß. Ob er gegebenenfalls zu Rückforderungsansprüchen der Beklagten führen könnte, ist derzeit nicht zu prüfen.
6.
Das Berufungsgericht wird schließlich zu beachten haben, daß ein Feststellungsausspruch über weitere Verpflichtungen der Beklagten einen Hinweis auf die Begrenzung dieser Pflicht durch die Deckungssumme enthalten sollte.
Fundstellen
Haufe-Index 3018680 |
DB 1973, 659-660 (Volltext mit amtl. LS) |
NJW 1973, 700 |
NJW 1973, 700-702 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1973, 400 |
MDR 1973, 400 (Volltext mit amtl. LS) |
VersR 1973, 423-424 (Volltext mit red. LS) |