Leitsatz (amtlich)
Einverständnis der Parteien im Sinne von § 524 Abs. 4 ZPO liegt nicht vor, wenn zunächst nur eine Partei ihre Zustimmung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt hat und erst nach deren Widerruf die andere Partei ihre Zustimmung erklärt.
Normenkette
ZPO § 128 Abs. 2, § 524 Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das am 30. Dezember 1999 verkündete Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Ihre Ehe wurde 1973 geschlossen und 1998 geschieden.
Im Jahre 1982 hatten die Parteien Gütertrennung vereinbart. Sie waren unter anderem Miteigentümer zu je 1/2 des Grundstücks G. 18 in H.-P. Mit notariellem Vertrag vom 30. September 1986 übertrug der Kläger der Beklagten seinen hälftigen Miteigentumsanteil an diesem Grundstück, wobei die Parteien darüber streiten, ob die Übertragung schenkweise erfolgt ist. Der Kläger, der den Standpunkt vertritt, es habe sich um eine Schenkung gehandelt, hat diese mit anwaltlichem Schreiben vom 31. Juli 1997 wegen groben Undanks der Beklagten widerrufen. Er verlangt von der Beklagten die Rückauflassung des 1/2-Miteigentumsanteils und die Abgabe einer entsprechenden Eintragungsbewilligung.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage abgewiesen; über widerklagend von der Beklagten geltend gemachte Auskunftsansprüche hat das Landgericht durch Schlußurteil vom 30. Oktober 1998 entschieden. Das Landgericht hat in seinem Teilurteil angenommen, daß eine Schenkung vereinbart gewesen sei, die Voraussetzungen für einen Widerruf dieser Schenkung aber nicht vorgelegen hätten.
Gegen dieses Teilurteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 6. November 1998 erklärt, sie stimme der Entscheidung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter zu. Demgegenüber hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19. November 1998 der Entscheidung durch den Einzelrichter nicht zugestimmt, sondern eine Entscheidung des Senats für sinnvoll erachtet. In der Folgezeit haben beide Parteien ihre Meinung geändert. Mit Schriftsatz vom 15. November 1999 hat die Beklagte die Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat beantragt; in der letzten mündlichen Verhandlung am 19. November 1999 hat sich demgegenüber nunmehr der Kläger mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt. Das Berufungsgericht hat durch eine Entscheidung des Einzelrichters das Teilurteil des Landgerichts abgeändert und der Klage insoweit stattgegeben.
Die Beklagte hat gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts Revision eingelegt. Der Kläger tritt der Revision der Beklagten entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Beklagte rügt zu Recht, daß der Einzelrichter nicht befugt war, anstelle des Kollegiums zu entscheiden. Entscheidet der Einzelrichter unbefugt allein, so liegt ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 551 Nr. 1 ZPO vor, weil das Gericht nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Besetzung entschieden hat.
Nach § 524 Abs. 4 ZPO, auf den das Berufungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, können die Parteien den Einzelrichter zur Entscheidung ermächtigen, auch wenn sie ihm nicht in Anwendung der vorhergehenden Absätze des § 524 ZPO übertragen worden ist. Voraussetzung ist das Einverständnis der Parteien.
Das Berufungsgericht hat angenommen, ein solches Einverständnis habe vorgelegen. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 15. November 1999 um eine Entscheidung durch den Senat gebeten habe, sei hierdurch die rechtswirksam zuvor mit Schriftsatz vom 6. November 1998 erteilte Zustimmung zur Entscheidung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter nicht hinfällig geworden. Eine wesentliche Änderung der Prozeßlage, die unter Umständen zum Widerruf habe berechtigen können, sei nach Abgabe der Zustimmungserklärung nicht eingetreten.
Dies rügt die Revision zu Recht.
Der Bundesgerichtshof hat in einem Fall, in dem beide Parteien – zunächst – ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt hatten, entschieden, daß auf den Widerruf des Einverständnisses mit der Einzelrichterentscheidung in der Berufungsinstanz § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO entsprechend anwendbar ist, mit der Folge, daß ein Widerruf nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage in Betracht kommt (BGHZ 105, 270 ff).
Voraussetzung für die entsprechende Anwendung von § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist aber, daß in der Berufungsinstanz zumindest zu irgendeinem Zeitpunkt eine Prozeßlage bestanden hat, in der Einverständnis der Parteien mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter vorgelegen hat. Ob die Entscheidung durch den Einzelrichter in Anwendung des § 524 Abs. 4 ZPO das Einverständnis der Parteien in der letzten mündlichen Verhandlung voraussetzt, kann hier offenbleiben. Im vorliegenden Fall hat es zu keiner Zeit vorgelegen. Zunächst hat sich die Beklagte mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt, der Kläger hingegen hat um eine Entscheidung durch den Senat gebeten. Sodann hat die Beklagte ihre Zustimmung zurückgenommen und eine Entscheidung durch den Senat beantragt, bevor der Kläger seinerseits der Einzelrichterentscheidung zugestimmt hat. Ein Einverständnis der Parteien im Sinne von § 524 Abs. 4 ZPO liegt aber nicht vor, wenn zunächst nur eine Partei und erst nach deren Widerruf die andere Partei zugestimmt hat.
An ihre Zustimmung zur Entscheidung durch den Einzelrichter war die Beklagte nicht gebunden. Sie konnte sie, wie in ihrem Schriftsatz vom 15. November 1998 geschehen, frei widerrufen (ebenso für den Fall des § 128 Abs. 2 ZPO: Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., § 128 Rdn. 12; Baumbach/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 128 Rdn. 23). Auf das Vorliegen von Gründen, wie sie § 128 Abs. 2 ZPO für den Fall der Zustimmung der Parteien zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren vorsieht, kam es daher nicht an. Erst wenn ein Einverständnis der Parteien einmal bestanden hat, liegen die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung von § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor.
Eine Heilung der falschen Besetzung des Gerichts nach § 295 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht, da die Beklagte in der letzten mündlichen Verhandlung, in der der Kläger erstmalig sein Einverständnis mit der Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt hat, diesem Vorgehen widersprochen hat.
2. Die Sache ist wegen dieses Verfahrensverstoßes an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte hat danach Gelegenheit, dem Berufungsgericht ihre weiteren im Revisionsverfahren vorgetragenen Einwände erneut vorzutragen. Der Senat hatte keinen Anlaß, auf diese Rügen einzugehen, bevor nicht das vorschriftsmäßig besetzte Berufungsgericht entschieden hat.
Unterschriften
Rogge, Scharen, Keukenschrijver, Mühlens, Meier-Beck
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.05.2001 durch Wermes, Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 604667 |
BGHZ |
BGHZ, 397 |
BB 2001, 2447 |
NJW 2001, 2479 |
BGHR 2001, 661 |
EWiR 2002, 175 |
JR 2002, 159 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2001, 1014 |
ZIP 2001, 1563 |
MDR 2001, 1372 |
VersR 2002, 379 |
MittRKKöln 2001, 267 |