Entscheidungsstichwort (Thema)
Gutgläubig unentgeltliche Nutzung eines ehemals volkseigenen Grundstücks durch einen anderweit zugeordneten Beteiligten. Anspruch auf Nutzungsherausgabe
Leitsatz (amtlich)
Ein Zuordnungsbeteiligter, der ein anderweit zugeordnetes ehemals volkseigenes Grundstück gutgläubig unentgeltlich weiternutzt, haftet auf Herausgabe der Nutzungen nach Maßgabe von § 988 BGB (Fortführung von BGHZ 32, 76, BGHZ 71, 216 und Senatsurt. v. 21.9.2001 - V ZR 115/00, VIZ 2002, 50).
Normenkette
BGB §§ 986, 988
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des KG in Berlin vom 11.5.2006 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Mieten für Betriebsgebäude und Freiflächen auf einem Teil des Anwesens Z. Straße in Berlin-Lichtenberg, das ursprünglich der Deutschen Reichsbahn als einem Sondervermögen des Deutschen Reichs gehörte. Die Betriebsgebäude und Freiflächen wurden seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von dem früheren VEB genutzt, der sie von der Deutschen Reichsbahn gemietet hatte. Mit Vertrag vom 15.1.1992 vermietete die Deutsche Reichsbahn, deren Rechtsnachfolger der Beklagte ist, die Gebäude und Freiflächen neu, und zwar an die aus dem VEB hervorgegangene S. GmbH, die spätere Schuldnerin.
[2] Am 16.12.2002 stellte die Zuordnungsstelle des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin fest, dass die Schuldnerin aufgrund des Treuhandgesetzes am 1.7.1990 das Eigentum an den gemieteten Flächen erworben habe. Am 13.6.2003 wurde die Schuldnerin als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Der Kläger verlangt als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin die Herausgabe der Miete, die die Schuldnerin an den Beklagten von 1993 bis 2002 gezahlt hat. Das sind abzgl. der Aufwendungen 655.443,13 EUR.
[3] Das LG hat der Klage stattgegeben. Das KG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner von dem KG zugelassenen Revision möchte der Beklagte die Aufhebung seiner Verurteilung und die Abweisung der Klage erreichen. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann der Kläger nach § 988 BGB Herausgabe der Mieten verlangen. Zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten bestehe ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Der Beklagte habe seinen Besitz an den von der Schuldnerin genutzten Flächen unentgeltlich erlangt. Er sei zwar entsprechend § 857 BGB in die besitzrechtliche Stellung der Deutschen Reichsbahn eingerückt. Daraus folge aber selbst dann kein entgeltlicher Besitzerwerb, wenn unterstellt werde, dass das Deutsche Reich vor 1945 die Flächen entgeltlich erworben habe. Die DDR habe nämlich nicht die Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs angetreten. Das frühere Reichsvermögen sei vielmehr Volkseigentum geworden und erst aufgrund des Staatsvertrags vom 18.5.1990 zu einem Sondervermögen ausgeformt worden. Der Anspruch sei nicht verjährt, da für Ansprüche aus § 988 BGB die Verjährung von 30 Jahren nach § 195 BGB a.F. gegolten habe und unter Berücksichtigung von § 167 ZPO bei Zustellung der Klage noch nicht abgelaufen gewesen sei.
II.
[5] Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Der Kläger kann von dem Beklagten nach § 988 BGB Herausgabe der von der Schuldnerin in den Jahren 1993 bis 2002 gezahlten, um die Unterhaltungskosten bereinigten Mieten verlangen.
[6] 1. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die von ihr seinerzeit angemieteten Flächen der Schuldnerin gehören. Das hat die Zuordnungsstelle des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin mit Zuordnungsbescheid vom 16.12.2002 festgestellt. Dieser Bescheid bindet die Beteiligten des Zuordnungsverfahrens nicht nur in ihren zuordnungsrechtlichen Beziehungen, sondern auch, soweit sie aus der festgestellten Zuordnungslage zivilrechtliche Ansprüche ableiten (Senat, Urt. v. 14.7.1995 - V ZR 39/94, BGH v. 14.7.1995 - V ZR 39/94, MDR 1996, 307 = VIZ 1995, 592, 593 f.).
[7] 2. Zutreffend ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Bescheid habe nicht zu einer Änderung der Eigentumslage für die Zukunft, sondern zu der verbindlichen Feststellung der seit dem 3.10.1990 bestehenden Eigentumslage geführt. Ein Zuordnungsbescheid kann zwar auch konstitutive Wirkungen haben. Das setzt aber voraus, dass er unabhängig von der Zuordnungslage auf einer Einigung nach § 2 Abs. 1 Satz 6 VZOG beruht (Senat, Urt. v. 27.10.2006 - V ZR 58/06, BGH v. 27.10.2006 - V ZR 58/06, BGHReport 2007, 96 = NJW-RR 2007, 372, 373; BGH, Beschl. v. 29.7.1999 - III ZR 238/98, NJW 1999, 3331) oder eine Restitution nach Art. 21 Abs. 3 EinigV i.V.m. § 11 VZOG ausspricht. Beruht er hingegen auf den Zuordnungsvorschriften, führt er zu einer deklaratorischen Feststellung eines Eigentumserwerbs am 3.10.1990 oder, bei einem nach § 4 VZOG festzustellenden Eigentumserwerb nach § 11 Abs. 2 THG, um den es hier geht, am 1.7.1990 (Senat, Urt. v. 14.7.1995 - V ZR 39/94, BGH v. 14.7.1995 - V ZR 39/94, MDR 1996, 307 = VIZ 1995, 592, 593; BGH, Urt. 11.7.1996 - III ZR 7/95, VIZ 1996, 651, 654; Beschl. v. 29.7.1999 - III ZR 238/98, a.a.O.; Senat, Urt. v. 27.10.2006, V ZR 58/06, a.a.O.).
[8] 3. Dem Anspruch des Klägers aus § 988 BGB steht der Mietvertrag des Beklagten mit der Schuldnerin nicht entgegen. In diesem Mietvertrag hat nicht die Schuldnerin dem Beklagten den Besitz an den Flächen überlassen, sondern umgekehrt der Beklagte der Schuldnerin. Als mittelbarer Besitzer ist der Beklagte zwar nicht in jedem Fall (BGH v. 13.12.1995 - XII ZR 194/93, BGHZ 131, 297, 307 = MDR 1996, 461), wohl aber dann zur Herausgabe unberechtigt gezogener Mieten verpflichtet, wenn er, wie hier, nicht gem. § 986 BGB zum Besitz berechtigt und damit auch selbst (BGHZ 53, 29, 30; Staudinger/Gursky, Bearb. 2006, § 985 Rz. 43) zur Herausgabe der Sache verpflichtet ist.
[9] 4. Der Besitz des Beklagten war in dem fraglichen Zeitraum unentgeltlich.
[10] a) Ob sich das aus § 857 BGB und den Überlegungen des Berufungsgerichts zur Gesamtrechtsnachfolge der DDR in das Reichsvermögen ableiten lässt, ist allerdings, worauf die Revision zu Recht hinweist, zweifelhaft. Auch wenn die DDR eine Gesamtrechtsnachfolge in das Reichsvermögen nicht hat antreten wollen, so hat sie doch jedenfalls das Reichsbahnvermögen in seinem seinerzeitigen Zustand in Volkseigentum und aufgrund von Art. 26 Abs. 2 Satz 2 Anstrich 4 des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.5.1990 (BGBl. II S. 537 - Staatsvertrag) in ein Sondervermögen überführt (vgl. BGH v. 3.7.1998 - V ZR 34/97, BGHZ 139, 152, 154 = MDR 1998, 1279 für den anschließenden Übergang nach Art. 26 EinigV auf das frühere Sondervermögen Deutsche Reichsbahn des Bundes). Diese Vorgänge haben an dem Umstand, dass das Grundstück ursprünglich von einem Dritten gekauft worden ist, nichts geändert. Es ist deshalb fraglich, ob sich der unentgeltliche Charakter der Nutzung des Beklagten hiermit begründen lässt. Auf diese in der zitierten Senatsentscheidung entgegen der Ansicht der Revision nicht behandelte Frage kommt es aber nicht an.
[11] b) Zur Herausgabe von Nutzungen nach Maßgabe von § 988 BGB ist nicht nur der nichtberechtigte Besitzer verpflichtet, der seinen Besitz unentgeltlich erworben hat. Die gleiche Verpflichtung trifft den rechtmäßigen Besitzer, der seinen Besitz nach Ablauf der Besitzzeit gutgläubig und unentgeltlich fortsetzt (BGHZ 32, 76, 94 f.; 71, 216, 225f.; Urt. v. 9.12.1971 - II ZR 33/68, NJW 1972, 480; Senat, Urt. v. 14.7.1995 - V ZR 45/94, BGH v. 14.7.1995 - V ZR 45/94, MDR 1995, 1007 = NJW 1995, 2627, 2628; Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 988 Rz. 10; Staudinger/Gursky, a.a.O., § 988 Rz. 9). Diese Voraussetzungen hat der Senat, ohne nähere Begründung, auch bei dem Besitz der nach § 8 VZOG verfügungsbefugten Stellen an ehemals volkseigenen Grundstücken angenommen (Urt. v. 21.9.2001 - V ZR 115/00, VIZ 2002, 50, 51; ebenso auch der III. Zivilsenat in BGHZ 144, 101, 117). Für die an der Zuordnung solcher Grundstücke Beteiligten gilt nichts anderes.
[12] c) Die strengere Haftung des unentgeltlichen Besitzers nach § 988 BGB beruht, ähnlich wie § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB im Bereicherungsrecht (Prot. III 350), auf der Überlegung, dass der Besitzer, der für seinen Besitz nichts hat aufwenden müssen, weniger schutzwürdig ist und es deshalb hinnehmen muss, dass er auch die Nutzungen herausgeben muss, die er in gutem Glauben an seine Besitzberechtigung gezogen hat (Staudinger/Gursky, a.a.O., § 988 Rz. 2). Diese Lage ist auch bei Zuordnungsbeteiligten gegeben, die im Besitz von anderweit zugeordnetem Staatsvermögen der DDR verblieben sind. Hier kam es im Zuge der Zuordnung des Staatsvermögens der DDR auf die neu gebildeten Länder, Kommunen und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, aber auch durch die Umwandlung der ehemals volkseigenen Wirtschaftseinheiten in nicht wenigen Fällen zu einem Auseinanderfallen von Besitz und Eigentum. Die DDR hatte es in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 Anstrich 2 des Staatsvertrags nämlich übernommen, die volkseigenen Betriebe und Kombinate in rechtlich selbständige und wirtschaftlich tätige Unternehmen umzuwandeln. Das war durch die mit § 11 Abs. 2 Satz 1 THG erfolgte gesetzliche Umwandlung der ehemals volkseigenen Wirtschaftseinheiten in Kapitalgesellschaften allein nicht zu erreichen. Vielmehr mussten die neu entstehenden Kapitalgesellschaften gleichzeitig kraft Gesetzes mit dem erforderlichen Betriebsvermögen ausgestattet werden. Das wiederum war mit der für den schnellen Grundbuchvollzug notwendigen Eindeutigkeit nur möglich, wenn der gesetzliche Übergang an formale Kriterien anknüpfte. Das sind die in § 11 Abs. 2 Satz 2 THG gewählten Merkmale der Rechtsträgerschaft und der Fondsinhaberschaft des früheren volkseigenen Betriebs oder Kombinats. Sie stimmten aber nicht immer mit der tatsächlichen Nutzung überein. So konnte es geschehen, dass ehemals volkseigene Wirtschaftseinheiten bei Inkrafttreten des Treuhandgesetzes am 1.7.1990 ehemals volkeigene Grundstücke in Besitz hatten, die anderen zu Eigentum zugefallen waren. Diese sollten sie, von dem Sonderfall der Fehlzuordnung betriebsnotwendiger Grundstücke (vgl. §§ 2 und 3 der 5. DVO/THG) abgesehen, nicht behalten dürfen, sondern den neuen Eigentümern herausgeben, weil diese Grundstücke deren "Startkapital" darstellten. Dem entspricht eine Haftung auf Herausgabe zwischenzeitlich gezogener Nutzungen.
[13] d) Diese Nutzungen bestehen hier in der Miete, die die Beklagte von der Schuldnerin eingenommen hat. Diese hat sie ihr unter Abzug des Unterhaltungsaufwands herauszugeben.
[14] 5. Der Anspruch ist nicht verjährt. Ansprüche aus § 988 BGB unterlagen zunächst einer Verjährungsfrist von 30 Jahren (Senat, Urt. v. 18.7.2003 - V ZR 275/02, BGH v. 18.7.2003 - V ZR 275/02, MDR 2004, 89 = BGHReport 2003, 1188 f.). Nach Art. 299 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB verkürzte sich diese Frist mit dem Ablauf des 31.12.2001 auf drei Jahre, berechnet ab dem 1.1.2002 (Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 11. Aufl., Anh. zur Vorbem. zu §§ 194-218 Rz. 9). Diese Verjährungsfrist ist durch rechtzeitige Klageerhebung gehemmt worden. Die Zustellung ist zwar erst nach dem 31.12.2004 erfolgt. Das ist aber nach § 167 ZPO unschädlich, weil die Klage am 30.12.2004 anhängig und nach Anforderung des Kostenvorschusses vom 13.1.2005 am 8.2.2005 zugestellt wurde.
[15] 6. Der Anspruch ist auch nicht verwirkt.
[16] a) Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (ständige Rechtsprechung, s. nur BGH v. 30.4.1993 - V ZR 234/91, BGHZ 122, 308, 315 = MDR 1993, 974 m.w.N.; Urt. v. 21.10.2005 - V ZR 169/04, BGHReport 2006, 152 = MDR 2006, 504 = NJW-RR 2006, 235, 236; BGH, Urt. v. 14.11.2002 - VII ZR 23/02, MDR 2003, 207 = BGHReport 2003, 214 = NJW 2003, 824). Daran fehlt es.
[17] b) Zwischen dem Rechtserwerb am 1.7.1990 und der Stellung des Zuordnungsantrags am 29.7.1999 ist zwar ein nicht unerheblicher Zeitraum verstrichen. Die Untätigkeit der Schuldnerin gab dem Beklagten aber keinen Grund zu der Annahme, die Schuldnerin werde die Rechte aus dem ihr zugefallenen Eigentum nicht wahrnehmen. Die Schuldnerin hat diese Flächen weiterhin, wenn auch aufgrund eines Mietvertrags mit dem Beklagten, genutzt. Die Vorbereitung der Zuordnungsanträge stellte schon die staatlichen Stelle und auch den Beklagten selbst vor eine erhebliche Herausforderung, weil die Immobilienbestände nicht ordnungsgemäß erfasst waren und die Unterlagen für die Feststellung der Zuordnung mit oft nicht geringem Aufwand ermittelt werden mussten. Vorrangig mussten die öffentlichen Stellen aber ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen und die Betriebe die Unternehmenstätigkeit fortführen. Die Vermögenszuordnung musste deshalb weithin zurückgestellt und nach und nach, je nach der Verfügbarkeit von Personal, aufgearbeitet werden. In einer solchen Lage konnte der Beklagte weder aus dem Abschluss des Mietvertrags noch aus der Untätigkeit der Schuldnerin bei der Vermögenszuordnung den Schluss ziehen, diese werde ihr Eigentumsrecht nicht mehr geltend machen. Er musste im Gegenteil davon ausgehen, dass die Schuldnerin mit dem neuen Mietvertrag den bisherigen Mietvertrag des VEB, aus dem sie hervorgegangen war, "weiterlaufen" lassen und sich, wie die meisten Zuordnungsberechtigten unter Einschluss seiner selbst, der Klärung der Eigentumsverhältnisse später zuwenden wollte. Damit fehlt einer Verwirkung die Grundlage.
III.
[18] Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1777618 |
NJW 2008, 221 |
BGHR 2007, 1013 |
EBE/BGH 2007 |
WM 2007, 2165 |
ZfIR 2007, 694 |
JuS 2008, 378 |
NJ 2007, 476 |
LL 2008, 237 |