Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilungsabkommen
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung eines Teilungsabkommens, das Sonderregelungen für die Haftungsbefreiung nach §§ 636, 637 RVO und die Fälle des sog. „gestörten Gesamtschuldverhältnisses” vorsieht.
Normenkette
RVO §§ 636-637
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.06.1992) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Die Revisionen der Parteien gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 1992 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens fallen der Beklagten 1/6 und der Klägerin 5/6 zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, verlangt – gestützt auf ein am 27. September 1984/2. Oktober 1984 zwischen den Parteien abgeschlossenes Teilungsabkommen (TA) – von der Beklagten, einem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, die Erstattung eines Teils der Aufwendungen, die ihr aus Anlaß eines Verkehrsunfalls der bei ihr versicherten Dagmar B. entstanden sind. Frau B. war am 10. Oktober 1986 auf dem Gelände ihres Arbeitgebers von ihrem Arbeitskollegen Wolfgang K. mit einem Pkw, dessen Halterin seine Ehefrau Gabriele K. war, angefahren und schwer verletzt worden. Der Unfallwagen war bei der Beklagten haftpflichtversichert.
Es ist zwischen den Parteien außer Streit, daß der Unfall auf dem alleinigen Verschulden des Wolfgang K. beruht. Außer Frage steht gleichfalls, daß der Unfall für Dagmar B. ein Arbeitsunfall gewesen und daß Wolfgang K. als Arbeitskollege der Verletzten nach §§ 636, 637 RVO von der Haftung befreit ist.
Die hier interessierenden Bestimmungen des TA lauten wie folgt:
§ 1
Werden von der „BG” (Klägerin) aufgrund des § 116 SGB X Schadenersatzansprüche gegen eine natürliche oder juristische Person erhoben, die gegen die gesetzliche Haftpflicht aus dem der Regreßforderung zugrunde liegenden Schadenereignis bei der „H” (Beklagte) versichert ist, so verzichtet diese auf die Prüfung der Haftungsfrage und beteiligt sich nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen zur Hälfte (50 %) an den Aufwendungen der „BG” auch in den Fällen, in denen der Schaden nachweislich durch das eigene Verschulden – jedoch Vorsatz ausgenommen – des Verletzten bzw. Getöteten entstanden ist. Die „BG” verzichtet auf weitergehende Forderungen auch dann, wenn der Schaden nachweisbar in vollem Umfange durch das Verschulden des Versicherten entstanden ist.
…
§ 4
a) Das Abkommen findet keine Anwendung, wenn es sich bei dem Geschädigten um einen Familienangehörigen der bei der „H” haftpflichtversicherten Person, die mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft lebt (§ 116 Abs. 6 SGB X), oder um eine Person handelt, der gegenüber die Haftung nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen ist. Die Prüfung der Voraussetzungen dieses Haftungsprivilegs gilt nicht als Prüfung der Haftungsfrage im Sinne dieses Teilungsabkommens.
b) Ist an der Entstehung des Schadens neben einem Versicherten der „H” als Mitverursacher noch ein Familienangehöriger, der mit dem Verletzten in häuslicher Gemeinschaft lebt (§ 116 Abs. 6 SGB X), oder eine Person beteiligt, deren Haftung nach den §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen ist, so erstattet die „H” die Hälfte (50 %) der abkommensgemäßen Leistungen.
…
Die Klägerin, die aus Anlaß dieses Unfalls Aufwendungen in Höhe von 27.723 DM erbracht hat, ist der Auffassung, die Beklagte müsse sich nach § 1 TA an den Unfallkosten zur Hälfte (13.861,50 DM) und damit nach Abzug vorprozessual gezahlter 5.449,94 DM in Höhe von 8.411,56 DM beteiligen. Demgegenüber meint die Beklagte, das TA sei auf den Streitfall nicht anwendbar. Das folge aus § 4 Buchst. a TA, nach dem die materiell-rechtlichen Haftungsprivilegien – hier §§ 636, 637 RVO – auf die Abkommenshaftung durchschlügen. Auch eine reduzierte Regulierung nach § 4 Buchst. b TA komme nicht in Betracht, weil die nicht haftungsprivilegierte Halterin Gabriele K. nicht – wie es die genannte Regelung voraussetze – eine „Mitverursacherin” des Unfalls sei. Somit sei nach der Rechtslage und damit nach den zum sog. „gestörten Gesamtschuldverhältnis” entwickelten Rechtsgrundsätzen zu regulieren. Danach scheide aber eine Inanspruchnahme der Halterin des Unfallfahrzeugs und damit eine Einstandspflicht der Beklagten aus, weil auf die Halterin im Verhältnis zum Fahrer ein Haftungsanteil nicht entfalle; den Unfall habe allein der Fahrer Wolfgang K. verschuldet.
Das Landgericht hat der Klage unter Klageabweisung im übrigen in Höhe von 1.480,81 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist mit dem Landgericht der Auffassung, daß die Beklagte verpflichtet ist, nach Maßgabe des § 4 Buchst. b TA zu regulieren. Die Regelung des § 4 Buchst. a TA erweise sich nach ihrem Wortlaut als nicht einschlägig, weil gegenüber der Geschädigten nur die Haftung des Fahrers Wolfgang K. nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen sei, nicht aber die Halterhaftung der Gabriele K., die nicht eine Arbeitskollegin der Verletzten sei. Einschlägig sei hingegen § 4 Buchst. b TA, so daß die Beklagte die Hälfte der abkommensgemäßen Leistungen (6.930,75 DM) und damit unter Berücksichtigung des vorprozessual gezahlten Betrages von 5.449,94 DM noch 1.480,81 DM zu zahlen habe. Als Halterin des Unfallfahrzeugs sei auch Gabriele K. nach § 7 Abs. 1 StVG „Mitverursacher” im Sinne dieser Regelung, deren Anwendbarkeit auf den Streitfall nicht entgegenstehe, daß auch Wolfgang K. als Fahrer bei der Beklagten versichert sei. Es entspreche auch dem Sinn des TA, wie er in § 1 TA zum Ausdruck komme, den nach den Rechtsgrundsätzen zum gestörten Gesamtschuldverhältnis auf den Zweitschädiger entfallenden Haftungsanteil hälftig zu pauschalieren.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revisionen stand.
1. Mit Recht beurteilt das Berufungsgericht den Klageanspruch allein nach dem TA. Durch dieses Abkommen erhält der Sozialversicherungsträger einen selbständigen, vom Haftungsverhältnis losgelösten vertraglichen Anspruch des Inhalts, daß der Haftpflichtversicherer dem Sozialversicherungsträger unter Verzicht auf eine haftungsrechtliche Klärung dessen Leistungen wegen des von dem TA erfaßten Haftpflichtfalls in Höhe der vereinbarten Quote zu ersetzen hat (vgl. Senatsurteile vom 6. November 1973 – VI ZR 203/71 – VersR 1974, 175, 176 und vom 13. Juni 1978 – VI ZR 166/76 – VersR 1978, 843, 844).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Revisionsgericht befugt, Teilungsabkommen frei auszulegen (vgl. BGHZ 20, 385, 389; Senatsurteile vom 8. Februar 1983 – VI ZR 48/81 – VersR 1983, 534, 535 und vom 7. Februar 1984 – VI ZR 90/82 – VersR 1984, 526, 527; ferner BGH, Urteile vom 5. Mai 1969 – VII ZR 176/66 – VersR 1969, 641, 642 und vom 14. Juli 1976 – IV ZR 239/74 – VersR 1976, 923, 924). Für diese Auslegung gelten die allgemeinen Grundsätze. Das TA ist also gemäß §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Interessen der Vertragspartner und der Verkehrssitte nach seinem Sinn und Zweck auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1969 – VII ZR 176/66 – a.a.O. und Urteil vom 23. November 1983 – IV a ZR 4/82 – VersR 1984, 225, 226).
2. Danach gilt für die hier interessierenden Regelungen des TA folgendes:
§ 4 Buchst. a TA erfaßt – neben der hier nicht einschlägigen Fallkonstellation des sog. Familienprivilegs nach § 116 Abs. 6 SGB X – den Fall, in dem die Haftung des Schädigers nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen ist. Der Haftpflichtversicherer soll in diesen Fällen, in denen er nach der Haftungslage nicht einstehen muß, dem Abkommenspartner auch nicht auf die Abkommensquote haften. Diese Vereinbarung zieht offensichtlich Folgerungen aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der ohne eine abweichende Regelung im Abkommen die Haftungsfreistellung des Schädigers nach §§ 636, 637 RVO als eine Frage, die die Entstehung der Ersatzpflicht betrifft, grundsätzlich zu den im TA ausgeschlossenen Einwendungen gehört (vgl. Senatsurteile vom 6. Dezember 1977 – VI ZR 79/76 – VersR 1978, 150, 153 und vom 8. Februar 1983 – VI ZR 48/81 – a.a.O.). Der Regelung kommt also eine fallbezogene Ausgrenzungsfunktion zu.
Demgegenüber bestimmt § 4 Buchst. b TA, daß ein Sonderfall aus dem Problemkreis der Haftungsfreistellung doch in den Wirkungsbereich des TA fallen soll, allerdings mit einer vom Regelfall abweichenden Quote. Die Regelung betrifft den Fall, in dem – wieder abgesehen von der hier nicht vorliegenden Fallkonstellation des § 116 Abs. 6 SGB X – neben einem nach §§ 636, 637 RVO haftungsprivilegierten Schädiger ein nicht privilegierter Versicherungsnehmer des Haftpflichtversicherers als „Mitverursacher” für den Schaden verantwortlich ist, also den Fall des sog. „gestörten Gesamtschuldverhältnisses” (vgl. Kirmse, VersR 1983, 1113, 1115). Für diese Fälle hat die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, daß sich die Haftung des außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses stehenden Schädigers – des sog. Zweitschädigers – gegenüber dem Geschädigten auf den Betrag beschränkt, der im Verhältnis zu dem haftungsprivilegierten sog. Erstschädiger auf ihn entfiele, wenn der Ausgleich nach § 426 BGB nicht durch das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO verhindert würde (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 1990 – VI ZR 209/89 – VersR 1990, 387 m.w.N.). Von dieser Rechtsprechung sind die Abkommenspartner offensichtlich ausgegangen. Sie haben sich in § 4 Buchst. b TA entschieden, die Haftung des in diesen Fällen allein einstandspflichtigen Zweitschädigers gleichfalls der abkommensmäßigen Pauschalierung zuzuführen, dabei jedoch zu berücksichtigen, daß sich nach der Haftungslage durch die Rechtsprechungsgrundsätze zum gestörten Gesamtschuldverhältnis in der großen Zahl der Fälle eine geminderte Haftung des Zweitschädigers ergibt. Dies geschah in konsequenter Fortsetzung des das TA beherrschenden Gedankens der hälftigen Teilung (§ 1 Abs. 1 TA), wobei sich – da es hier nur um die isolierte Haftung des zweiten Schädigers geht – die auf diesen Schädiger entfallende Hälfte auf die Abkommensquote bezieht.
3. Von diesem Verständnis der hier interessierenden Regelungen des TA geht das Berufungsgericht aus. Es hat danach zu Recht den Streitfall auf der Grundlage des § 4 Buchst. b TA beurteilt.
a) Die Anwendung des § 4 Buchst. a TA entfällt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, schon nach dem Wortlaut dieser Regelung. Die Haftung der Halterin Gabriele K. aus § 7 Abs. 1 StVG, um die es nach dem Wegfall der Haftung des Fahrers hier allein noch geht, wird von der Ausschlußwirkung des § 4 Buchst. a TA nicht erfaßt, weil in ihrer Person die Voraussetzungen der §§ 636, 637 RVO nicht vorliegen. Auch nach seiner Zweckbestimmung greift § 4 Buchst. a TA hier nicht ein. Sein Ziel besteht, wie ausgeführt, nur darin, die Fälle der Haftungsfreistellung dem Wirkungsbereich des TA zu entziehen.
b) Als einschlägig erweist sich vielmehr § 4 Buchst. b TA, dessen Anwendungsvoraussetzungen hier vorliegen. Frau K. ist als Halterin des Unfallfahrzeugs aus § 7 Abs. 1 StVG als Mitverursacherin für die Unfallfolgen verantwortlich. Es steht außer Frage, daß dem Fahrer K. das Haftungsprivileg aus §§ 636, 637 zugute kommt. Damit liegt hier die Fallkonstellation vor, die § 4 Buchst. b TA nach seinem Wortlaut und seiner Zweckbestimmung erfaßt.
Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, daß die zum „gestörten Gesamtschuldverhältnis” entwickelten Rechtsgrundsätze hier nicht herangezogen werden könnten, weil der mit diesen Grundsätzen verfolgte Zweck, dem Erstschädiger die Vorteile seines Haftungsprivilegs aus §§ 636, 637 RVO zu erhalten, wegen der Eintrittspflicht des Haftpflichtversicherers hier nicht zum Tragen kommen könne. Entscheidend für die Auslegung des TA ist, wie oben ausgeführt, die Interessenlage der Abkommenspartner, nicht die der Unfallbeteiligten. Auch die Besonderheit des Falles, die darin besteht, daß der Fahrer und die Halterin des Unfallwagens bei demselben Haftpflichtversicherer Versicherungsschutz genießen, ändert entgegen der Auffassung der Klägerin nichts an der Anwendbarkeit des § 4 Buchst. b TA. Auch für diesen Einwand gilt, daß die Abkommenspartner diese Fallkonstellation nicht aus dem Geltungsbereich des § 4 Buchst. b TA ausgeschlossen haben; es ist auch nicht erkennbar, daß hierzu aus ihrer Interessenlage ein Anlaß bestanden hätte. § 4 Buchst. b TA soll die Abkommenspartner von einer Auseinandersetzung darüber befreien, in welchem Ausmaß der privilegierte Erstschädiger und der nicht privilegierte Zweitschädiger für die Verletzung verantwortlich sind. Diese Frage belastet die Abkommenspartner ohne Rücksicht darauf, ob der privilegierte Schädiger in den Deckungsschutz der Beklagten einbezogen ist oder nicht.
Ohne Erfolg bleibt ferner die Erwägung der Beklagten, daß das TA nach seiner Zielsetzung nicht die Gruppe der Fälle der Halterhaftung aus § 7 Abs. 1 StVG erfasse, in denen – wie hier – eine Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer nicht in Betracht komme. Es mag sein, daß die Abkommenspartner bei der Konzeption des § 4 Buchst. b TA die Fälle einer Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer nicht primär im Auge gehabt haben. Indes kann nicht zugegeben werden, daß insoweit ein Bedürfnis für eine pauschalierende Regelung von vornherein nicht bestanden habe. Vielmehr kann eine Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer durchaus in Betracht kommen, beispielsweise dann, wenn der Halter das Fahrzeug dem Fahrer in einem fahrunsicheren Zustand übergeben hat (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1972 – VI ZR 38/71 – VersR 1972, 959, 960). Es bedarf keiner Erörterung der Frage, ob solche Haftungsverhältnisse typisch sind. Entscheidend ist, daß die Abkommenspartner die hier in Rede stehende Fallgruppe nicht ausgegrenzt, sondern sich auf eine alle Fälle des „gestörten Gesamtschuldverhältnisses” erfassende Regelung verständigt haben. Das war ihnen unbenommen.
Beide Revisionen der Parteien sind deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler
Fundstellen
Haufe-Index 1679901 |
Nachschlagewerk BGH |