Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines Teilungsabkommens, das Sonderregelungen für die Haftungsbefreiung nach §§ 104, 105, 106 SGB VII und die Fälle des sogenannten "gestörten Gesamtschuldverhältnisses" vorsieht.

 

Normenkette

SGB VII §§ 104-106

 

Verfahrensgang

LG Ansbach (Aktenzeichen 2 O 549/22)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Ansbach vom 12.12.2022 geändert:

a) Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) nicht berechtigt ist, die an die Klägerin unter der Schadensnr. D ... bereits gezahlten 4.727,60 EUR zurückzufordern.

b) Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, über die negative Feststellung in Ziffer 1 hinaus an die Klägerin weitere 10.272,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.07.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Von den Gerichtskosten erster Instanz trägt die Klägerin 95 %, die Beklagte zu 1) 5 %. Von den erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin 33 %. Von den erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 1) 5 %.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) aufgrund § 6 Abs. 2 des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens (TA) einen Anspruch auf Feststellung und Zahlung im tenorierten Umfang.

1. § 6 Abs. 1 TA bestimmt, dass das Teilungsabkommen keine Anwendung findet, wenn es sich bei dem Geschädigten - neben der hier nicht einschlägigen Fallkonstellation des in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen (§ 116 Abs. 6 SGB X) - um eine Person handelt, der gegenüber die Haftung nach §§ 104, 105, 106 SGB VII ausgeschlossen ist. Der Haftpflichtversicherer soll in diesen Fällen, in denen er nach der Haftungslage nicht einstehen muss, dem Abkommenspartner auch nicht auf die Abkommensquote haften. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen, denn es hat festgestellt, dass es sich bei dem Geschädigten (Herr R.) um eine Person handelt, der gegenüber die Haftung nach 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII ausgeschlossen ist, weil der LKW-Fahrer R. und der Beklagte zu 3 als Gabelstaplerfahrer auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig waren und auch eine Gefahrengemeinschaft vorgelegen habe. Diese Würdigung (gemeinsame Betriebsstätte) wird von der Berufung hingenommen.

2. Demgegenüber bestimmt § 6 Abs. 2 TA, dass ein Sonderfall aus dem Problemkreis der Haftungsfreistellung doch in den Wirkungsbereich des Teilungsabkommens fallen soll, allerdings mit einer vom Regelfall abweichenden Quote (zwei Drittel der nach § 1 des Abkommens erstattungsfähigen Sozialversicherungsleistungen).

a) § 6 Abs. 2 TA betrifft den Fall, in dem - wieder abgesehen von der hier nicht vorliegenden Fallkonstellation des § 116 Abs. 6 SGB X - neben dem Haftpflichtversicherten der X.-Versicherung (also der Beklagten zu 2) eine Person beteiligt ist, deren Haftung im Verhältnis zum Geschädigten nach §§ 104, 105, 106 SGB VII ausgeschlossen ist, also den Fall des sog. "gestörten Gesamtschuldverhältnisses".

Für diese Fälle hat die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass sich die Haftung des außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses stehenden Schädigers - des sog. Zweitschädigers (Beklagte zu 2) - gegenüber dem Geschädigten auf den Betrag beschränkt, der im Verhältnis zu dem haftungsprivilegierten sog. Erstschädiger (Beklagter zu 3) auf ihn entfiele, wenn der Ausgleich nach § 426 BGB nicht durch das Haftungsprivileg der §§ 104, 105, 106 SGB VII verhindert würde (BGH, Urteil vom 18.11.2014 - VI ZR 47/13 -, BGHZ 203, 224-239).

b) Die Voraussetzungen der gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten zu 2) und des Beklagten zu 3) sind gegeben: Der Beklagte zu 3) haftet als unmittelbar Handelnder wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB. Denkt man das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII hinweg, so würde die Beklagte zu 2) nach § 831, § 823, § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldnerin aus vermutetem Auswahl- oder Überwachungsverschulden für ihren Mitarbeiter und Verrichtungsgehilfen haften, der beim Rückwärtsfahren mit dem Gabelstapler die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und den Versicherten der Klägerin verletzt hat.

c) Ist neben demjenigen, welcher nach § 831 BGB zum Ersatz des von einem anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander nach § 840 Abs. 2 BGB der andere allein verpflichtet. Insoweit ist "ein anderes bestimmt" i.S.d. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB. Dies beruht auf dem Grundgedanken, dass in den Fällen, in denen auf der einen Seite nur eine Gefährdungshaftung oder eine Haftung aus vermutetem Verschulden, auf der anderen Seite jedoch erwiesenes Versc...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge