Leitsatz (amtlich)
1. Grundsätzlich kann nur ein vor Fristablauf eingegangener, mit einer Unterschrift versehener Schriftsatz die Frist zur Begründung der wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklage wahren.
2. Die Wahrung der Begründungsfrist der Anfechtungsklage unterliegt nicht der Parteidisposition, sondern ist von Amts wegen zu prüfen.
3. Ob die Frist zur Begründung der Anfechtungsklage gewahrt ist, kann das Gericht im Freibeweisverfahren klären.
Normenkette
WoEigG § 45 S. 1; ZPO § 284 S. 2
Verfahrensgang
LG Koblenz (Entscheidung vom 13.01.2022; Aktenzeichen 2 S 18/21 WEG) |
AG Lahnstein (Entscheidung vom 17.02.2021; Aktenzeichen 21 C 13/19 WEG) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 13. Januar 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Am 15. Juni 2019 fand eine Eigentümerversammlung statt. Gegen dort gefasste Beschlüsse wendet sich die Klägerin mit ihrer am 12. Juli 2019 eingegangenen Anfechtungsklage. Diese hat sie mit Schriftsatz vom 15. August 2019 begründet. Das unterzeichnete Original des sechzehn Seiten umfassenden Schriftsatzes ist am 16. August 2019 bei dem Amtsgericht eingegangen. In der Akte befindet sich zudem die erste Seite des Klagebegründungsschriftsatzes, die am 15. August 2019 per Telefax bei dem Gericht eingegangen ist. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, wollen die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Das Berufungsgericht meint, die Begründung der Anfechtungsklage sei innerhalb der zweimonatigen Frist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF bei dem Amtsgericht eingegangen. Es könne dahinstehen, ob die Einhaltung der Frist im Wege des Freibeweises geklärt werden könne, da es einer Beweiserhebung nicht bedürfe. Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass die sechzehn Seiten umfassende Klagebegründungsschrift am 15. August 2019 an das Telefax-Gerät des Amtsgerichts übermittelt und auf diesem gespeichert worden sei. Die Beklagten hätten insoweit lediglich geltend gemacht, dass es an einer Verkörperung des per Telefax eingegangenen Schriftsatzes fehle. Auf den Ausdruck des per Fax übermittelten Schriftstücks komme es aber nicht an, vielmehr sei allein der Empfang der Signale auf dem Telefaxgerät des Gerichts entscheidend. Soweit die Beklagten rügten, das Vorhandensein einer Unterschrift auf dem per Telefax übermittelten Schriftsatz könne nicht festgestellt werden, verfange dies nicht. Dafür, dass der gefaxte Originalschriftsatz zum Zeitpunkt der Übertragung nicht unterzeichnet gewesen sei, bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Selbst wenn aber der Schriftsatz bei der Übermittlung per Telefax nicht unterzeichnet gewesen sein sollte, wäre dies unschädlich, weil sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Postübersendung sowie in der Folge durchgängig zu diesem Schriftsatz bekannt habe. In der Sache habe das Amtsgericht die angefochtenen Beschlüsse zu Recht für ungültig erklärt.
II.
Rz. 3
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 4
1. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Einhaltung der Frist zur Begründung der nach § 48 Abs. 5 WEG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG aF zutreffend gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten Anfechtungsklage nicht bejaht werden.
Rz. 5
a) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach grundsätzlich nur ein vor Fristablauf eingegangener, mit einer Unterschrift versehener Schriftsatz die Frist zur Begründung der wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklage wahren kann.
Rz. 6
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen bestimmende Schriftsätze grundsätzlich von der Partei oder im Anwaltsprozess von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2087; Beschluss vom 27. August 2015 - III ZB 60/14, NJW 2015, 3246 Rn. 8; Urteil vom 20. Dezember 2022 - VI ZR 279/21, MDR 2023, 384 Rn. 6 jeweils mwN).
Rz. 7
bb) Das Unterschriftserfordernis gilt auch für die Begründungsschrift bei einer wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklage (vgl. LG Bamberg, BeckRS 2016, 114571 Rn. 13 ff.; Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 45 Rn. 29; Suilmann in Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 45 Rn. 57; MüKoBGB/Hogenschurz, 9. Aufl., § 45 WEG Rn. 9; BeckOK WEG/Elzer [3.4.2023], § 45 Rn. 42). Die Begründungsfrist ist zwar keine Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Versäumung - vorbehaltlich des Durchgreifens etwaiger Nichtigkeitsgründe - zur Abweisung der Klage als unbegründet führt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 9; Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, NZM 2009, 864 Rn. 9; Urteil vom 27. November 2020 - V ZR 71/20, NZM 2021, 478 Rn. 22). Gewahrt wird sie aber gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF (§ 45 Satz 1 WEG) durch Vornahme einer Prozesshandlung, nämlich durch die bei dem Gericht einzureichende Klagebegründung (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 8; Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 53/14, ZWE 2015, 143 Rn. 8). Diese hat prozessrechtlich den Charakter eines bestimmenden Schriftsatzes, weil durch sie eine Information über den Umfang und die Gründe der Anfechtung erfolgt und damit eine für das Verfahren wesentliche Prozesshandlung vollzogen wird (vgl. LG Bamberg, BeckRS 2016, 114571 Rn. 14; Staudinger/Lehmann, BGB [2018], § 46 WEG Rn. 164; zum Begriff des bestimmenden Schriftsatzes vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30. April 1979 - GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, 343).
Rz. 8
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Begründungsfrist sei eingehalten, beruht jedoch auf einem Rechtsfehler.
Rz. 9
aa) Richtig ist zwar, dass es für die Einhaltung der Begründungsfrist nicht darauf ankommt, ob bis zum Fristablauf eine ausgedruckte Version des per Telefax übermittelten Schriftsatzes vorliegt. Wird ein Schriftsatz per Telefax übersandt, kommt es für die Rechtzeitigkeit seines Eingangs allein darauf an, ob er bei Ablauf des letzten Tages der Frist - hier also am 15. August 2019 bis 24:00 Uhr - von dem Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen ist. Es müssen die gesamten Signale aufgenommen und nach Verarbeitung als abrufbare digitale Datei auf den internen Datenspeicher des Geräts geschrieben worden sein; der Ausdruck durch das Faxgerät ist nicht maßgeblich (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 17. November 2022 - V ZB 38/21, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - IV ZB 20/05, BGHZ 167, 214 Rn. 18; Beschluss vom 27. September 2018 - IX ZB 67/17, NJW-RR 2018, 1398 Rn. 14; Beschluss vom 19. Januar 2016 - XI ZB 14/15, juris Rn. 11).
Rz. 10
bb) Verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber eigene Feststellungen über den Zeitpunkt des Eingangs der Klagebegründung unterlassen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Vortrag der Beklagten - wie die Revision allerdings zu Recht geltend macht - nur so verstehen lässt, dass sie durchgängig die rechtzeitige Übermittlung einer vollständigen Klagebegründungsschrift an das Telefax-Gerät des Amtsgerichts bestritten haben. Denn bereits der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass es, wenn der Zeitpunkt des Eingangs des Begründungsschriftsatzes unstreitig sei, gerichtlicher Feststellungen hierzu nicht bedürfe, ist rechtsfehlerhaft. Die Wahrung der Begründungsfrist einer wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklage ist vielmehr unabhängig von dem Prozessverhalten der Parteien von Amts wegen zu prüfen.
Rz. 11
(1) Die Parteien können auf die Beweisnotwendigkeit entscheidungsrelevanter Tatsachen nur insoweit Einfluss nehmen, als diese dem Verhandlungsgrundsatz und damit der Parteidisposition unterliegen. Ist der Verhandlungsgrundsatz zugunsten einer Prüfung von Amts wegen ausgeschlossen, sind die insofern zu prüfenden Tatsachen der Disposition der Parteien entzogen. Denn mit einer Prüfung von Amts wegen ist die Ausschließung der Wahrheitsprüfung kraft Parteiwillens nicht vereinbar (vgl. Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Aufl., § 288 Rn. 8; MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl., § 288 Rn. 14). Insbesondere enthebt weder ein Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO) noch ein ausdrückliches Geständnis der Parteien (§ 288 Abs. 1 ZPO) das Gericht einer Prüfung von Amts wegen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2016 - XI ZB 12/14, NJW-RR 2017, 308 Rn. 11 - zur amtswegigen Prüfung von Wiedereinsetzungsgründen; vgl. auch Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23. Aufl., § 138 Rn. 40; Kern/Diehm/Rasper, ZPO, 2. Aufl., § 56 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 5. Aufl., § 288 Rn. 23). Ein „Bestreiten“ stellt insoweit nur eine Anregung zur Prüfung von Amts wegen dar (vgl. Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl., § 56 Rn. 5).
Rz. 12
(2) Die Wahrung der Begründungsfrist einer wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklage unterliegt nicht der Parteidisposition, sondern ist von Amts wegen zu prüfen (vgl. LG Hamburg, ZMR 2012, 216, 217; Staudinger/Lehmann-Richter, WEG [2018], § 46 Rn. 137; Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 45 Rn. 2, 32; BeckOK WEG/Elzer [3.4.2023], § 45 Rn. 28).
Rz. 13
(a) Die Prüfung von Amts wegen betrifft zwar in erster Linie Prozess- und Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl. § 56 Abs. 1, § 522 Abs. 1 Satz 1, § 552 Abs. 1 Satz 1 ZPO und allgemein BeckOK ZPO/Kessal-Wulf [1.3.2023], § 557 Rn. 7 f.). Aber auch für materiell-rechtliche Ausschlussfristen, die - wie die Klagebegründungsfrist (vgl. oben Rn. 7) - durch eine Prozesshandlung gewahrt werden, ist eine Prüfung von Amts wegen anerkannt. So ist bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, an der sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklage orientiert hat (vgl. BT-Drs. 16/887 S. 38), die Wahrung der Anfechtungsfrist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1998 - II ZR 40/97, NJW 1998, 3344, 3345; vgl. auch BeckOGK/Vatter, AktG [1.1.2023], § 246 Rn. 15). Schon die Orientierung des Gesetzgebers an dieser Regelung spricht für eine Prüfung von Amts wegen.
Rz. 14
(b) Der Gesetzgeber hat zudem ausdrücklich ausgeführt, dass die „rigiden Wirkungen der Ausschlussfrist“ bei wohnungseigentumsrechtlichen Anfechtungsklagen nur in begründeten Ausnahmefällen durch die entsprechende Anwendung der Regeln über die Wiedereinsetzung abgefedert werden (vgl. BT-Drs. 16/887 S. 38). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits entschieden, dass die Begründungsfrist durch die Gerichte nicht verlängert werden kann (vgl. Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307 Rn. 8 ff.). Der gesetzgeberischen Intention einer strikten Wirkung der Ausschlussfrist widerspräche es auch, wenn die Einhaltung der Frist zur Disposition der Parteien stände.
Rz. 15
(c) Die Prüfung von Amts wegen entspricht schließlich der Funktion der Begründungsfrist. Sie sichert den zeitnahen Eintritt der Bestandskraft anfechtbarer Beschlüsse und gewährleistet Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die ordnungsmäßige Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Ihr Zweck besteht darin, dass für die Wohnungseigentümer und für den zur Ausführung von Beschlüssen berufenen Verwalter zumindest im Hinblick auf Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber hergestellt wird, ob, in welchem Umfang und aufgrund welcher tatsächlichen Grundlage gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307 Rn. 14). Mit diesem Zweck wäre es nicht nur unvereinbar, wenn die Begründungsfrist durch Vereinbarung oder durch Beschluss der Wohnungseigentümer verlängert werden könnte (vgl. BeckOGK/Skauradszun, WEG [1.6.2023], § 45 Rn. 6; Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 45 Rn. 3; Hügel/Elzer, 3. Aufl., § 45 Rn. 36; NK-BGB/Brücher/Heinemann, 5. Aufl., § 45 WEG Rn. 4; vgl. auch BayObLGZ 1981, 21, 26; aA Staudinger/Lehmann-Richter, WEG [2018], § 46 Rn. 225), sondern auch, wenn die Parteien durch ihr Prozessverhalten die Frist faktisch verlängern könnten.
Rz. 16
(3) Hiernach hätte das Berufungsgericht von Amts wegen prüfen müssen, ob der vollständige Klagebegründungsschriftsatz rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist. Dies hat es nicht getan und daher auch keine darauf bezogenen Feststellungen getroffen. Da das Eingreifen der Ausschlussfrist von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ist dieser Verfahrensfehler im Revisionsverfahren auch ohne entsprechende Rüge zu prüfen (vgl. MüKoZPO/Krüger, 6. Aufl., § 551 Rn. 22; BeckOK ZPO/Kessal-Wulf [1.3.2023], § 557 Rn. 7; im Ergebnis ebenso Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 45 Rn. 2).
Rz. 17
(a) Amtsprüfung bedeutet dabei keine Amtsermittlung, sondern heißt nur, dass der Streitstoff auch ohne entsprechende Rüge zu berücksichtigen ist (vgl. Senat, Urteil vom 20. Januar 1989 - V ZR 173/87, NJW 1989, 2064, 2065 mwN; BGH, Urteil vom 29. Juli 2010 - Xa ZR 118/09, GRUR 2010, 996 Rn. 22). Hier war die Fristwahrung schon deswegen zweifelhaft, weil sich der rechtzeitige Eingang des vollständigen Schriftsatzes der Akte nicht entnehmen ließ. Deshalb hätte das Berufungsgericht Feststellungen zur Rechtzeitigkeit der Klagebegründung treffen müssen.
Rz. 18
(b) Anders als das Berufungsgericht meint, kann das mögliche Fehlen einer Unterschrift nicht mit der Begründung als unerheblich beurteilt werden, dass sich die Klägerin mit der postalischen Übersendung des Schriftsatzes vom 15. August 2019 sowie in der Folge durchgängig zur Verbindlichkeit des Schriftsatzes bekannt habe. Denn insoweit handelt es sich um Umstände, die erst nach Ablauf der Frist, die mit der Prozesshandlung gewahrt werden soll, bekannt geworden sind und damit von vornherein keine Berücksichtigung finden können (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088; vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. Februar 2021 - V ZR 137/20, NJW-RR 2021, 567 Rn. 8 mwN).
Rz. 19
2. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Ob bei unterstellter Nichteinhaltung der Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt, kann der Senat mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilen. Dafür, dass die angefochtenen Beschlüsse nichtig und deswegen auch ohne Einhaltung der Anfechtungsfrist für ungültig zu erklären wären, liegen weder Anhaltspunkte vor noch wird dies geltend gemacht.
III.
Rz. 20
Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob die Klagebegründungsschrift fristgemäß eingegangen ist.
Rz. 21
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 22
1. Ob die Frist zur Begründung der Anfechtungsklage (§ 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF bzw. § 45 Satz 1 WEG) gewahrt ist, kann das Gericht im Freibeweisverfahren klären.
Rz. 23
a) Nach § 284 Satz 2 ZPO kann das Gericht mit Einverständnis der Parteien die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen; dies ermöglicht die Beweiserhebung im Wege des Freibeweisverfahrens. Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung, an der der Bundesgerichtshof nach Einführung des § 284 Satz 2 ZPO zum 1. September 2004 festgehalten hat, im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren das Freibeweisverfahren auch ohne Einverständnis der Parteien zulässig, wenn es um die Feststellung der von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen und die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln geht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 1987 - VII ZB 10/86, NJW 1987, 2875, 2876; Beschluss vom 15. September 2005 - III ZB 81/04, NJW 2005, 3501; Beschluss vom 16. Januar 2007 - VIII ZB 75/06, NJW 2007, 1457 Rn. 8; Urteil vom 29. September 2010 - XII ZR 41/09, NJW 2011, 778 Rn. 16; Urteil vom 26. April 2018 - VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rn. 34). Im Rahmen des Freibeweises kann das Gericht grundsätzlich jedes ihm geeignet erscheinende Beweismittel heranziehen. Es ist weder von einem Beweisantritt der Parteien abhängig noch auf die gesetzlichen Beweismittel beschränkt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VIII ZB 75/06, NJW 2007, 1457 Rn. 8; Beschluss vom 28. November 2007 - XII ZB 217/05, NJW 2008, 1531 Rn. 20; Beschluss vom 29. Juni 2022 - VII ZB 52/21, NJW-RR 2022, 1579 Rn. 23). Ist das Gericht zu einer Prüfung von Amts wegen verpflichtet, kann es nämlich nicht von den Beweisanträgen der Parteien abhängig sein. Eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel bei einer amtswegigen Prüfung wäre auch nicht prozesswirtschaftlich (vgl. zu Letzterem BGH, Beschluss vom 9. Juli 1987 - VII ZB 10/86, NJW 1987, 2875, 2876).
Rz. 24
b) Auch für die zu treffenden Feststellungen zur Einhaltung der Begründungsfrist der Anfechtungsklage (§ 46 Abs. 1 Satz 1 aF bzw. § 45 Satz 1 WEG) steht dem Gericht der Freibeweis offen, obwohl es sich nicht um eine prozessuale Frist, sondern um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt (siehe oben Rn. 7).
Rz. 25
aa) Zunächst ist die Klagebegründungsfrist (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WEG aF bzw. § 45 Satz 1 WEG) aus der Perspektive des Gerichts und der Parteien mit einer Rechtsmittelbegründungsfrist vergleichbar. In beiden Fällen hängt die Fristeinhaltung von einer Prozesshandlung ab. Das Gericht hat die Einhaltung der Fristen von Amts wegen zu prüfen (siehe oben Rn. 12 ff.). Der Pflicht zur Prüfung von Amts wegen widerspräche es auch bei einer materiellen Ausschlussfrist, wenn das Gericht von Beweisangeboten der Parteien abhängig wäre. Für die Parteien wiederum ist nicht nur die Rechtsmittelbegründungsfrist, sondern auch die Begründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG aF (§ 45 Satz 1 WEG) von erheblicher Bedeutung, bestimmt sich doch der Umfang der Prüfung, die das Gericht vorzunehmen hat, wesentlich danach, ob diese Fristen eingehalten sind oder nicht.
Rz. 26
bb) Prozesswirtschaftliche Gesichtspunkte untermauern diese Sichtweise. Das Gericht kann aufgrund seiner innerdienstlichen Erkenntnisse eher ermitteln und einschätzen als die Parteien, auf welche Weise und mittels welcher Quellen Feststellungen für die Klärung insbesondere des Eingangs von Schriftsätzen bei Gericht getroffen werden können (vgl. zu innerdienstlichen Erkenntnisquellen BGH, Beschluss vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn. 11 f.). Es würde zu einer deutlichen Verzögerung des Verfahrens führen, wenn die Parteien im Rahmen eines Strengbeweisverfahrens zunächst Auskunft über die gerichtsinternen Vorgänge verlangen, in der Folge Beweisangebote hierzu unterbreiten müssten und dann eine förmliche Beweisaufnahme zu erfolgen hätte. Vor diesem Hintergrund gebietet es die Prozesswirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Interessen der Parteien, auch für die Wahrung der Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG aF (§ 45 Satz 1 WEG) das Freibeweisverfahren zuzulassen.
Rz. 27
2. Im Freibeweisverfahren sind nur die Anforderungen an die Förmlichkeiten der Beweisaufnahme reduziert, nicht aber die Anforderungen des § 286 ZPO an die richterliche Überzeugungsbildung, so dass im Grundsatz voller Beweis zu erbringen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 1987 - VII ZB 10/86, NJW 1987, 2875, 2876; Urteil vom 24. April 2001 - VI ZR 258/00, MDR 2001, 1007, 1008; Urteil vom 10. Dezember 2002 - VI ZR 378/01, BGHZ 153, 165, 169 f. jeweils mwN). Die Entscheidung über Art und Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen des Freibeweisverfahrens hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1990 - V ZR 188/88, NJW 1990, 1734, 1736; Beschluss vom 4. Juni 1992 - IX ZB 10/92, NJW-RR 1992, 1338, 1339).
Rz. 28
a) Soweit sich nicht klären lässt, ob der Begründungsschriftsatz rechtzeitig eingegangen ist, trägt das Risiko der Nichterweislichkeit nach den allgemeinen Regeln im Grundsatz der Anfechtungskläger als derjenige, der aus der Einhaltung der Klagebegründungsfrist Rechte für sich herleitet (vgl. - mit ungenauer Terminologie - LG Hamburg, ZMR 2012, 216, 217; Dötsch/Hogenschurz NZM 2010, 297, 300; BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann [1.5.2023], § 45 WEG Rn. 28; aA Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2018], § 46 WEG Rn. 197). Insoweit gilt nichts anderes als für die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 4. April 2012 - III ZR 75/11, NJW-RR 2012, 702 Rn. 12; Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZB 39/19, NJW-RR 2020, 499 Rn. 13). Da das Gericht zur Prüfung von Amts wegen verpflichtet ist, handelt es sich aber lediglich um eine „objektive” Beweislast im Sinne einer Feststellungslast; hingegen trifft den Anfechtungskläger nicht auch die „subjektive“ Beweisführungslast (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060; BAGE 93, 248 Rn. 22; Stein/Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., § 56 Rn. 10; Kern/Diehm/Rasper, ZPO, 2. Aufl., § 56 Rn. 2; ungenau insofern die Terminologie bei LG Hamburg, ZMR 2012, 216, 217; Dötsch/Hogenschurz NZM 2010, 297, 300; BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann [5.5.2023], § 45 WEG Rn. 28).
Rz. 29
b) Sollte allerdings eine Klärung, ob die Frist eingehalten ist, aus Gründen nicht möglich sein, die ausschließlich in der Verantwortung des Gerichts liegen, kann dies nicht zu Lasten des Klägers gehen. Denn es widerspräche auch unter Berücksichtigung der Belange der Anfechtungsgegner dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes, wenn der Partei die Beweislast für Vorgänge aufgebürdet würde, die sie nicht aufklären kann, weil sie sich ausschließlich im gerichtsinternen Bereich abgespielt haben und ihr daher unbekannt sind, und deren Unaufklärbarkeit allein in den Verantwortungsbereich des Gerichtes fällt. Dies ist im Rahmen prozessualer Fristen anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1980 - I ZR 51/80, NJW 1981, 1673, 1674; Urteil vom 15. Februar 1990 - IX ZR 149/88, ZIP 1990, 459; Beschluss vom 17. Oktober 2001 - VIII ZB 32/01, NJOZ 2002, 909, 910; vgl. auch Beschluss vom 29. Juni 2022 - VII ZB 52/21, MDR 2022, 1434 Rn. 24) und gilt ebenso für die Einhaltung der materiellen Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF (§ 45 Satz 1 WEG), da auch diese für den Rechtsschutz des Anfechtungsklägers essentiell ist.
Rz. 30
Ausschließlich von dem Gericht zu verantworten wäre die Unaufklärbarkeit hier zum Beispiel dann, wenn - wie es das Berufungsgericht in seinem Hinweisbeschluss vermutet - nicht auszuschließen wäre, dass das Amtsgericht von dem eingegangenen Telefaxschreiben nur die erste Seite in die Gerichtsakte abgeheftet und den Rest vernichtet hat.
Brückner |
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Göbel |
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Haberkamp |
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Laube |
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Grau |
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Fundstellen