Leitsatz (amtlich)

Der Rückgriff des Sozialversicherungsträgers kann sich bei Ableben des Schuldners gegen dessen Erben richten.

 

Normenkette

RVO § 640

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 23.06.1970)

LG Hamburg

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 23. Juni 1970 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die klagende Berufsgenossenschaft nimmt die Beklagte als Erbin ihres am 21. Dezember 1965 verstorbenen Ehemannes, des Vorarbeiters Wilhelm B., gemäß § 640 RVO im Rückgriff in Anspruch.

Becker hatte im Dezember 1965 im Auftrag seines Arbeitgebers mit einer Gruppe von Arbeitern Tiefbauarbeiten auf dem Lagergelände der Firma P. beim Petroleumhafen in Ha. durchzuführen. Es war seine Aufgabe, die Arbeiter mit einem firmeneigenen VW-Bus zur Arbeit und wieder zurückzubringen. Auch am 6. Dezember 1965 wollte er gegen 16,00 Uhr die Rückfahrt antreten. Er hatte am Morgen dieses Tages zu dritt eine halbe Flasche Korn getrunken. Über weiteren Alkoholgenuß besteht Streit.

Becker wollte mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug nach Ausfahrt aus dem zu dieser Zeit geöffneten und mit einem Pförtner besetzten Tor 4 des Lagergeländes nach links in die außen vorbeiführende, 6,3 m breite Dradenaustraße einbiegen. Auf der Innenseite des Tors hatte die Werksleitung der Firma BP ein nichtamtliches Verkehrszeichen nach Bild 30 a der Anlage zur StVO (Halt! Vorfahrt achten!) aufgestellt. Zwischen dem Lagertor und der Fahrbahn befindet sich ein 3 m breiter Rad- und Gehweg und sodann ein 5 m breiter Grünstreifen.

Becker fuhr, ohne anzuhalten, zügig in die Dradenaustraße ein, obwohl in diesem Augenblick auf dieser von links ein von dem Zeugen Hah. gesteuert er Omnibus herannahte, Hah. riß seinen Omnibus nach links, prallte aber trotzdem frontal gegen die linke Seite des VW-Busses, welcher umstürzte und quer zur Straßenrichtung auf der der Ausfahrt gegenüberliegenden Straßenseite liegenblieb. B. sowie der mitfahrende Arbeiter Bö. erlitten schwere Verletzungen, an denen sie in der Folge verstarben. Eine um 17.30 Uhr bei B. entnommene Blutprobe ergab einen Alkoholspiegel von 1,13 ‰, was bei üblicher Rückrechnung für den Unfallzeitpunkt einen Wert von etwa 1,3 ‰ ergibt.

Die Klägerin leistet als gesetzlicher Unfallversicherer Rentenzahlungen an die Hinterbliebenen des B. und auch an die Beklagte. Sie verlangt von der Beklagten als Erbin des B. Erstattung ihrer bisherigen Aufwendungen für die Hinterbliebenen des Bö. und Feststellung, daß die Beklagte auch künftige Aufwendungen für diese zu erstatten habe.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolglos, doch behielt ihr das Berufungsgericht auf ihren Antrag die Geltendmachung der beschrankten Erbenhaftung vor. Die Revision erstrebt die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

A.

Das Berufungsgericht hält hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs aus § 640 RVO den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt Senatsurteil vom 24. Juni 1969 – VI ZR 36/68 – VersR 1969, 848 mit weiteren Nachweisungen) und wird auch von der Beklagten mit der Revision nicht mehr angegriffen.

B.

I. 1. Das Berufungsgericht geht von einer grundsätzlichen Haftung der Beklagten als Erbin ihres Ehemannes, in dessen Person die Klagforderung entstanden ist, aus. Es nimmt dabei auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats Bezug (Urteil vom 7. November 1967 – VersR 1968, 64, 65), wonach der Anspruch aus § 640 RVO in erster Linie den Zweck hat, die privilegierte Haftung in §§ 636, 637 RVO einigermaßen auszugleichen und die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherer zu erhalten, wobei die erzieherische Punktion der Vorschrift demgegenüber zurücktritt.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Rückgriffsschuld aus § 640 RVO eine Nachlaßverbindlichkeit sei, stimmt in der Tat mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überein (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1968 – VI ZR 169/67 – VersR 1969, 77). Inzwischen hat der Senat diese Rechtsprechung in einem weiteren Urteil (vom 24. Juni 1969 – VI ZR 36/66 – VersR 1969, 848) bestätigt.

Die Ausführungen der Revision und von Becker (Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 9. Aufl. S. 196) geben keinen Anlaß, hiervon abzugehen. Entgegen der Meinung der Revision läßt sich insoweit nichts daraus herleiten, daß der Gesetzeswortlaut nur die Unfallverantwortlichen als Schuldner erwähnt. Der Übergang einer Verbindlichkeit auf die Erben ist ein allgemeiner Grundsatz des bürgerlichen Rechts, den bei der gesetzlichen Umschreibung des haftungsbegründenden Tatbestandes besonders zu erwähnen kein Anlaß bestand.

Allerdings kann der höchstpersönliche Charakter einer Verbindlichkeit ihrem Übergang auf die Erben auch dann entgegenstehen, wenn sie auf Geldzahlung gerichtet ist. Dies gilt vor allem, wenn durch ihre Erfüllung ein öffentlicher Strafzweck verwirklicht werden soll. Dem trägt § 30 StGB für den Fall der verwirkten Geldstrafe Rechnung, wobei die Ausnahme für bereits rechtskräftige Strafen heute allgemein als verfehlt betrachtet wird (Leipz. Komm, 9, Aufl. § 30 Anm. 1 mit Nachweisen), Die jüngere Vorschrift des § 101 OWiG kennt demgemäß diese Ausnahme nicht.

Die Revision meint, die Erstattungspflicht nach § 640 RVO sei ebenso wie die öffentliche Strafe an die Person des Schädigers gebunden, weil die Vorschrift nebenbei dessen Bestrafung bezwecke. Dies dürfe nicht deshalb außer Betracht bleiben, weil der Strafzweck möglicherweise nicht überwiege.

Dem kann nicht zugestimmt werden. Der Rückgriff aus § 640 RVO bezweckt in erster Linie die Schadloshaltung des Sozialversicherungsträgers. Der daneben bestehende „Strafzweck” ist mit dem Zweck des Vollzugs einer öffentlichen Strafe, der Einwirkung auf die Person des Täters, nicht ohne weiteres zu vergleichen; vielmehr steht im Bereich des § 640 RVO der allgemein erzieherische Gesichtspunkt im Vordergrund, im Bereich des Arbeitslebens zu einem Mindestmaß von Rücksicht auf Leben und Gesundheit anderer durch die an vorsätzliche und grob fahrlässige Schädigung geknüpften wirtschaftlichen Folgen anzuhalten. Ein solcher rechtspolitischer Nebenzweck liegt indes in gleicher Weise auch der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Schadensregelung zugrunde.

Steht aber der Gesamtcharakter der Rückgriffsschuld einem Übergang auf die Erben des Schädigers nicht entgegen, dann kommt es auch nicht darauf an, daß der Sozialversicherungsträger den Entschluß zum Rückgriff erst nach dem Erbfall gefaßt hat. Es genügt allgemein, daß der Entstehungsgrund für die Schuld vom Erblasser zu seinen Lebzeiten herbeigeführt worden ist (Lange, Erbrecht § 49 II 1 b). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß, wie der Senat inzwischen entschieden hat (Urteil vom 28. September 1971 – VI ZR 216/69 – zum Abdruck in der Entscheidungssammlung bestimmt), der Entschluß des Sozialversicherungsträgers zur Rückgriffnahme nicht in sein Belieben, sondern in sein in gewissem Umfang gerichtlich nachprüfbares pflichtgemäßes Ermessen gestellt ist. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich nach billigem Ermessen die Unstatthaftigkeit des Rückgriffs ergeben würde, zumal davon auszugehen ist, daß sie den Schutz einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung genießt (vgl. BGH Urt. vom 22. Januar 1969 – IV ZR 547/68 – VersR 1969, 363). Soweit erst späterhin – etwa im Zusammenhang mit der Erschöpfung der Deckungssumme für die Haftpflichtversicherung – eine Lage eintreten sollte, bei der die weitere Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs unbillig wäre, stünde die gegenwärtige Entscheidung einer Abhilfe nicht im Wege (obiges Senatsurteil vom 28. September 1971).

2. Die Revision meint, das Berufungsgericht habe rechtsirrig die Vorschrift des § 67 Abs. 2 VVG im Rahmen des § 640 RVO nicht entsprechend angewandt (vgl. dazu das Urteil des BGH vom 11. Februar 1964 – VI ZR 271/62 – BGHZ 41, 79, das eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift im Rahmen des § 1542 RVO für erforderlich erachtet hat),

Auch das ist nicht richtig. Die Frage, inwieweit eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 67 Abs. 2 VVG im Rahmen des § 640 RVO geboten ist, kann sich nur stellen, wenn der ursprüngliche Rückgriffsschuldner zu dem geschützten Kreis der Angehörigen des geschädigten Versicherten gehört (dazu Hüskes, VersR 1966, 20). Darum aber geht es hier nicht. Auch soweit § 67 Abs. 2 RVO unmittelbar Anwendung findet, bietet er keine Möglichkeit, einen Haushaltsangehörigen des Geschädigten vom Rückgriff freizustellen, soweit sich seine Haftung daraus ergibt, daß er Erbe eines durch diese Vorschrift nicht privilegierten Schädigers geworden ist. Die Möglichkeit, daß der Rückgriff des Sozialversicherungsträgers die Angehörigen des Regreßpflichtigen in Not bringen kann, beschränkt sich nicht auf die Fälle, in denen der Rückgriffspflichtige verstorben ist. Daß daraus entstehende Härten vermieden werden können, ist schon oben (zu 1) a.E.) ausgeführt.

3. Das Berufungsgericht führt aus:

Die Haftung der Beklagten werde nicht dadurch berührt, daß die Klägerin ihr möglicherweise wegen desselben Unfalls selbst eine Rente zu gewähren habe (weshalb der Ausgang des über diesen Rentenanspruch anhängigen Sozialgerichtsverfahrens nicht abzuwarten sei). Der Anspruch der Klägerin aus § 640 RVO gegen die Beklagte sei von ihrer Leistungspflicht dieser gegenüber unabhängig, so daß nicht von einer Zurückgewährung der zu zahlenden Rente gesprochen werden könne.

Die Revision meint:

Die Ansicht des Berufungsgerichts müsse beim Tode des Schädigers zu eigenartigen Ergebnissen führen.

Der Sozialversicherungsträger sei auf der einen Seite zur Rentenzahlung an die Witwe des Schädigers verpflichtet, könne aber auf der anderen Seite über § 640 RVO seine Leistung wieder an sich bringen und zwar sogar durch Aufrechnung. Über die gegenseitigen Ansprüche hätten dann verschiedene Gerichte in verschiedenen, aber zwischen denselben Parteien zu führenden Prozessen zu entscheiden. Das widerspreche „mindestens zum Teil” den Grundsätzen der Rechtskraft. Es zeige aber vor allem, daß der Gesetzgeber dieses außergewöhnliche Ergebnis mangels ausdrücklicher Erwähnung nicht gewollt haben könne.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Der auf dem Unfalltod ihres Ehemanns beruhende Rentenanspruch der Beklagten und der sich auf die Tötung des Bö. stützende Rückgriffsanspruch der Klägerin gegen den Ehemann der Beklagten, für den diese nur wegen ihrer Erbenstellung haftet, sind rechtlich voneinander unabhängig. Es besteht kein Anlaß, sie anders zu behandeln, als wenn sie sich z.B. aus nach dem äußeren Verlauf ganz verschiedenen Unfallereignissen herleiteten.

Da im Sozialgerichtsverfahren über den ersteren, im gegenwärtigen Verfahren über den letzteren Anspruch entschieden wird, ist nicht einzusehen, inwiefern Grundsätze der Rechtskraft berührt werden könnten. Dies wäre nach allgemeinen Grundsätzen selbst dann nicht anders, wenn im Sozialgerichtsverfahren die hier eingeklagten Ansprüche zur Aufrechnung gestellt wären. Eine solche Aufrechnung ist dort indessen nicht erklärt worden und es stünden ihr auch die Vorschriften der §§ 394 BGB, 850 b ZPO entgegen,

II. 1, Das Berufungsgericht hat die Überzeugung erlangt, daß dem Ehemann der Beklagten grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Es stellt fest, daß dieser, ohne zu halten, zügig in die Dradenaustraße eingebogen ist. In diesem Zeitpunkt sei der Omnibus schon auf eine ganz geringe Entfernung (etwa 10 oder 20 m) herangekommen gewesen. Die Ausfahrt sei als Grundstücksausfahrt für B. eindeutig zu erkennen gewesen. Überdies habe ihn das auf dem Werksgelände aufgestellte Schild noch zusätzlich auf die Gefahr hingewiesen, B. habe auch die Dradenaustraße nach links genügend weit einsehen können.

Das Berufungsgericht meint, damit habe B. die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer acht gelassen. Dabei komme es nicht darauf an, ob B. langsam oder rasch eingebogen sei, auch nicht darauf, ob der Omnibus eine höhere Geschwindigkeit als 50 km/h gehabt habe. In jedem Fall sei ein Versuch, noch vor dem nahe herangekommenen Omnibus einzubiegen, unverantwortlich gewesen. Auch wenn B. beim Einbiegen etwa völlig unaufmerksam gewesen sein sollte, könne ihn das nicht entlasten. Dabei unterstellt das Berufungsgericht zugunsten der Beklagten, daß B. trotz Alkoholgenusses noch fahrtüchtig gewesen sei. Andererseits könnte ein erheblicher Blutalkoholgehalt die grobe Fahrlässigkeit noch unterstreichen.

2. Auch hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.A. u.a. Weingart, VersR 1968, 427, 431) ist zwar die grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 640 RVO ein Rechtsbegriff, ihre Feststellung im Einzelfall aber Sache der tatrichterlichen Würdigung. Daß das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt hätte, ist nicht ersichtlich, Das angefochtene Urteil kommt vielmehr unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof herausgearbeiteten Grundsätze zu einem rechtlich möglichen Ergebnis.

a) Auf die Möglichkeit einer Ablenkung durch andere Fahrzeuge stellt die Revision zu Unrecht ab.

Es kommt darauf schon deshalb nicht an, weil das Berufungsgericht zwar unterstellt, daß allgemein Baustellenverkehr geherrscht haben möge, aber ausdrücklich feststellt, daß sich zum Unfallzeitpunkt B. allein mit seinem Fahrzeug in der Ausfahrt befand, Hätte sich B. aber, ehe er den entscheidenden Fehler beging, nämlich sich zum zügigen Verlassen der Ausfahrt entschloß, durch Fahrzeuge ablenken lassen, die außen auf der Straße vorbeifuhren, dann wäre dies offensichtlich nicht geeignet, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu mildern.

b) Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß, jedenfalls soweit es sich um die subjektive (personale) Tatseite handelt, der Beweis des ersten Anscheins zur Feststellung der groben Fahrlässigkeit regelmäßig nicht in Frage kommt. Es hat auch entgegen der Meinung der Revision den Anscheinsbeweis nicht im Ergebnis doch angewandt (vgl. dazu das Senatsurteil vom 21. April 1970 – VI ZR 226/68 – LM RVO § 640 Nr. 4 = VersR 70, 580). Das Berufungsgericht hat vielmehr aus dem Fahrverhalten des Ehemanns der Beklagten unter Berücksichtigung der Verkehrslage die unmittelbare Überzeugung gewonnen, daß er nur infolge grober, auch subjektiv vorwerfbarer Unachtsamkeit den Versuch unternommen hat, auf die Straße einzubiegen. Es hat also anhand von typisch vom Willen getragenen Handlungen die Überzeugung von inneren Tatsachen in der gleichen Weise erlangt, wie dies regelmäßig bei der richterlichen Feststellung vorsätzlichen Handelns erforderlich ist. Für die Grundsätze des Anscheinsbeweises blieb dabei kein Raum. Deren Heranziehung bedarf es nur, wenn das äußere Fahrverhalten nicht unmittelbar eine entsprechende Bewußtseinslage des Fahrers ausdrückt, aber nach der Lebenserfahrung der Schluß gerechtfertigt ist, daß der Fahrer infolge von Unachtsamkeit oder aus einem anderen von ihm zu vertretenden Grunde das zu beanstandende Verhalten gezeigt hat. So liegt es etwa, wenn ein Fahrzeug von der Straße abkommt, ohne daß ein entsprechender Entschluß des Fahrers oder eine andere Ursache unmittelbar festzustellen ist.

Im vorliegenden Falle hat sich das Berufungsgericht davon überzeugt, daß sich der Ehemann der Beklagten zum zügigen Linkseinbiegen in die Dradenaustraße entschlossen hat, obwohl ein deutlich sichtbarer Omnibus schon sehr nahe herangekommen war. Die Würdigung dieses Vorganges dahin, daß ihm damit eine auch subjektiv in besonderem Maße vorwerfbare Unaufmerksamkeit oder Leichtfertigkeit zur Last falle, ist fehlerfrei. Da nach allem ein anderer Grund für den festgestellten äußeren Verlauf nicht in Frage steht, liegt auch keine versteckte Anwendung des Anscheinsbeweises vor, die in Bezug auf die sogenannte personale Seite der groben Fahrlässigkeit nicht statthaft ist (obiges Senatsurteil vom 21. April 1970).

Besondere Umstände, aus denen sich ergeben könnte, daß B. sein leichtfertiges Fahrmanöver nicht als solches zuzurechnen wäre, vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen. Der von ihr behauptete allgemeine Erfahrungssatz, daß gerade große Gegenstände im Verkehr – hier ein nahe herangekommener Omnibus – mitunter nicht erkannt werden, weil sie sich unauffällig in das Straßenbild einordnen, kann jedenfalls für Fälle wie den vorliegenden nicht anerkannt werden, Hier war nämlich B. durch die gesamte Verkehrslage aufgerufen, gerade auf den Querverkehr auf der Straße, in die er einbiegen wollte, und zwar zunächst vor allem auf den von links kommenden, sein besonderes Augenmerk zu richten. Davon, daß er bei Anwendung auch nur geringer Sorgfalt den Omnibus vor Einfahrt in die Fahrbahn erkannt hätte, konnte das Berufungsgericht ohne Anhörung eines Sachverständigen ausgehen,

Steht aber fest, daß B. hier gröblich gegen eine elementare Verkehrspflicht verstoßen hat, dann brauchte das Berufungsgericht dem Beweisantritt der Beklagten dafür, daß ein solches Verhalten nach dem Urteil seines Bauführers nicht in sein Persönlichkeitsbild gepaßt habe, nicht zu folgen. Die diesbezügliche Verfahrensrüge ist unbegründet.

Nach allem bleibt die Revision ohne Erfolg.

 

Unterschriften

Pehle, Dr. Bode, Dr. Weber, Dunz, Scheffen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1372863

NJW 1972, 583

Nachschlagewerk BGH

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