Leitsatz (amtlich)
Ist in einem Vertrag über die Übernahme einer tierärztlichen Praxis vereinbart, bei Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern solle in jedem Fall zunächst die für den Sitz der Praxis zuständige Landestierärztekammer angerufen werden, so ist eine vor Anrufung der Landestierärztekammer erhobene Klage als derzeit unzulässig abzuweisen.
Normenkette
ZPO §§ 253, 1025
Verfahrensgang
LG Oldenburg |
OLG Oldenburg (Oldenburg) |
Tenor
1. Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Mai 1982 und das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 10. November 1981 aufgehoben.
Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 2. Mai 1980 übertrug der Kläger dem Beklagten seine tierärztliche Praxis in B…. Die Parteien streiten darüber, ob die vom Beklagten in § 5 des Vertrages übernommene Verpflichtung zur Zahlung des Übernahmepreises von 60.000,– DM nebst 13% Mehrwertsteuer wegen Vertragsverletzungen, welche der Kläger nach dem Vorbringen des Beklagten begangen haben soll, ganz oder teilweise entfallen ist. Mit der Klage verlangt der Kläger den Übernahmepreis zuzüglich 13% Mehrwertsteuer, nämlich 67.800,– DM. Der Beklagte, der geltend macht, zur Zahlung nicht verpflichtet zusein, wendet sich in erster Linie gegen die Zulässigkeit der Klage mit der Begründung, nach § 10 Abs. 4 des Vertrages dürfe der Rechtsweg erst beschritten werden, nachdem ein Schlichtungsversuch vor der Landestierärztekammer … unternommen worden sei. Unstreitig hat ein solcher Schlichtungsversuch nicht stattgefunden. Die Vereinbarung in § 10 Abs. 4 des Vertrages lautet:
„(4) Bei Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern oder bei Auseinandersetzungen über die Auslegung der Vertragsvorschriften soll in jedem Fall zunächst die für den Sitz der Praxis zuständige Landestierärztekammer … als Schlichtungsinstanz angerufen werden.”
Das Landgericht und das Berufungsgericht haben die Klage als zulässig und die vom Beklagten gegen die Berechtigung des Klageanspruchs erhobenen Einwendungen als ungerechtfertigt angesehen und deshalb der Klage stattgegeben. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger begehrt, verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Das Berufungsgericht führt zur Zulässigkeit der Klage aus:
a) Die Vereinbarung in § 10 Abs. 4 des Vertrages sei kein Schiedsvertrag, weil sie nicht vorsehe, daß die Landestierärztekammer als Schiedsgericht abschließend über eine Streitigkeit zu befinden habe. Sie stelle sich aber auch nicht als Güteklausel in dem Sinne dar, daß die Klagbarkeit bestimmter Forderungen vorläufig ausgeschlossen sei. Die Klausel besage nicht, daß die Tierärztekammer eingeschaltet werden müsse. Es handle sich bei der Abrede vielmehr um eine Sollvorschrift. Indem sie ein Tätigwerden der Landestierärztekammer vorsehe, nehme sie mittelbar Bezug auf die Schlichtungsordnung der Tierärztekammer vom 23. April 1953. Nach deren § 7 sei die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens aber unzulässig, wenn in der gleichen Sache bereits ein Verfahren vordem ordentlichen Gericht beantragt oder eingeleitet sei. Sie gehe also davon aus, daß der Rechtsweg auch ohne Durchführung eines Schlichtungsverfahrens beschritten werden könne. Damit verstehe sie sich als subsidiär. Deshalb werde nicht das ordentliche Verfahren, sondern das Schlichtungsverfahren unzulässig, wenn ein Vertragsteil von der ihm durch § 10 Abs. 4 des Vertrages eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch mache.
b) Selbst wenn aber noch Zweifel verblieben, ob § 10 Abs. 4 des Vertrages als Güteklausel aufzufassen sei, wirkten sich diese nicht zugunsten des Beklagten aus. Ein auch nur zeitweiliger Ausschluß der Möglichkeit, die ordentlichen Gerichte anzurufen, könne nur dann angenommen werden, wenn feststünde, daß nach dem Willen der Parteien die Klagbarkeit bis zur Erfüllung bestimmter Voraussetzungen ausgeschlossen sei. Eine solche Feststellung könne aber nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 4 des Vertrages und des § 7 der Schlichtungsordnung nicht getroffen werden.
2. Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
a) Zutreffend und von der Revision auch nicht angegriffen ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, bei der Vereinbarung in § 10 Abs. 4 des Vertrages handle es sich nicht um einen Schiedsvertrag im Sinne des § 1025 ZPO. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn eine Streitigkeit unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges durch ein Schiedsgericht entschieden werden soll. Das trifft hier nicht zu. Nach § 10 Abs. 4 des Vertrages soll die Tierärztekammer nicht als Gericht, sondern als Schiedsstelle zur Herbeiführung einer gütlichen Einigung tätig werden.
b) Das Berufungsgericht hat die Schlichtungsklausel ausgelegt. Die Überprüfung dieser Auslegung durch den Senat ist nicht darauf beschränkt, ob das Berufungsgericht gegen Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Zwar handelt es sich bei der Klausel entgegen der Meinung der Revision nicht um eine „Prozeßbestimmung”. Für eine Schlichtungsklausel kann insoweit nichts anderes gelten als für eine Schiedsgerichtsvereinbarung, die ebenfalls keine von Amtswegen zu prüfende Prozeßvoraussetzung ist (BGHZ 24, 15). Der Senat kann die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung aber deswegen frei prüfen, weil die Klausel unstreitig aus dem von der Tierärztekammer herausgegebenen Mustervertrag wörtlich übernommen ist und daher anzunehmen ist, daß sie in mehreren Oberlandesgerichtsbezirken verwendet wird (vgl. BGHZ 47, 207, 215; 217, 220). Aber selbst wenn die Auslegung des Berufungsgerichts nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden dürfte, kann sie keinen Bestand haben.
c) Die Auslegung des Berufungsgerichts entspricht nämlich nicht den Auslegungsregeln der §§ 157, 133 BGB.
aa) Trotz der Formulierung, es „solle” zunächst die Landestierärztekammer angerufen werden, handelt es sich bei der Klausel um eine Mußbestimmung. Die Revision hat darin recht, daß hierfür bereits die Wahl der Worte „in jedem Fall” spricht. Vor allem aber der Zweck der Klausel gebietet eine solche Auslegung. Die Landestierärztekammer als Herausgeber des Mustervertrages, aus dem die Klausel übernommen wurde, ist daran interessiert, daß Streitigkeiten, welche Verträge über die Übernahme einer Tierarztpraxis betreffen, zunächst vor ihrer Schlichtungsstelle verhandelt werden, um dort eine gütliche Einigung zu erzielen und damit ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden, das dazu führen könnte, daß die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit bekannt wird. Ein gleichgerichtetes Interesse haben die den Vertrag schließenden Tierärzte selbst. Diesem Umstand wird allein die Auslegung gerecht, daß die vorherige Anrufung der Schiedsstelle notwendige Voraussetzung für die Beschreitung des ordentlichen Rechtsweges ist.
bb) Wortlaut und Sinn des § 10 Abs. 4 stehen der Annahme des Berufungsgerichts entgegen, die Klausel nehme, indem sie ein Tätigwerden der Landestierärztekammer vorsehe, mittelbar Bezug auf die Schlichtungsordnung der Tierärztekammer … vom 23. April 1953 und damit auch auf deren § 7, wonach die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens unzulässig ist, wenn in gleicher Angelegenheit bereits ein Verfahren vor dem ordentlichen Gericht anhängig ist. Die Schlichtungsordnung stellt es den Tierärzten frei, ob sie den Rechtsweg sofort beschreiten oder den tierärztlichen Schlichtungsausschuß anrufen (vgl. § 6 Abs. 2 der Schlichtungsordnung). Der Zweck der Klausel ist es aber gerade, diese Wahlmöglichkeit auszuschließen.
cc) Ob, wie die Revisionserwiderung meint, die Notwendigkeit, die Schlichtungsklausel einzuhalten, dann entfällt, wenn Schlichtungsverhandlungen von vornherein aussichtslos erscheinen, kann dahingestellt bleiben. Ein solcher Fall liegt hier nämlich nicht vor, und zwar auch dann nicht, wenn der Beklagte, wie die Revisionserwiderung geltend macht, bei den vorprozessualen Verhandlungen keine Bereitschaft gezeigt haben sollte, wenigstens den nach seiner Auffassung angemessenen Preis zu zahlen. Selbst wenn sich aus einem solchen Verhalten eine ablehnende Haltung des Beklagten ergab, war es nicht ausgeschlossen, daß vor einem sachkundigen Gremium eine gütliche Einigung zustandekam.
d) Rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der hier vereinbarten Schlichtungsklausel bestehen nicht.
Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist der Auffassung, die Vertragspartner könnten unter der Voraussetzung, daß es ihnen frei steht, die durch den Vertrag begründeten Verbindlichkeiten aufzuheben, das Mindere, nämlich den Ausschluß oder die Beschränkung der Klagbarkeit vereinbaren (OLG Celle NJW 1971, 288 und Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 41. Aufl. Grundzüge 4 vor § 253 je m.w.N.). Ob dem in dieser Allgemeinheit zuzustimmen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Beschränkung der Klagbarkeit in der Weise, daß die über den Vertragsgegenstand verfügungsberechtigten Vertragsteile vereinbaren, vor Anrufung des ordentlichen Gerichts habe ein Güteversuch vor einer Schiedsstelle stattzufinden, stellt jedenfalls dann keine unangemessene Beschränkung des Rechtswegs dar, wenn die Vertragspartner an der Anrufung der Gütestelle ein berechtigtes Interesse haben. Das trifft auf eine zwischen Gesellschaftern vereinbarte Schlichtungsklausel zu. Deshalb hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes angenommen, der Gesellschaftsvertrag könne wirksam bestimmen, daß bei Streitigkeiten aus dem Vertrag der Rechtsweg erst beschritten werden darf, nachdem der Beirat der Gesellschaft einen Schlichtungsversuch unternommen hat (Urteil vom 4. Juli 1977- II ZR 55/76 = NJW 1977, 2263 = WM 1977, 997). Erst recht ist eine Schlichtungsklausel in einem von Tierärzten geschlossenen Vertrag über die Übernahme einer tierärztlichen Praxis statthaft, wenn wie hier als Schlichtungsstelle das berufsständische Organ der Vertragsteile, nämlich die zuständige Landestierärztekammer, vereinbart wird. Mit ihrer sachkundigen Unterstützung kann möglicherweise eine gerichtliche Auseinandersetzung vermieden werden.
e) Da das Fehlen der Klagbarkeit die auf dem öffentlichen Verfahrensrecht beruhende Möglichkeit der Durchsetzbarkeit des Anspruchs, nicht jedoch dessen sachlich-rechtlichen Gehalt berührt (vgl. OLG Celle, a.a.O. m.w.N.), ist, wenn ein Vertragsteil die nach der Schiedsklausel notwendige Anrufung der Schiedsstelle unterlassen hat, seine dennoch eingereichte Klage als unzulässig und nicht als unbegründet abzuweisen.
3. Nach allem waren auf die Revision des Beklagten und dessen Berufung die Urteile des Berufungsgerichts und des Landgerichts aufzuheben und war die Klage als zur Zeit unzulässig abzuweisen.
Als unterliegender Teil hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 609685 |
JZ 1984, 392 |