Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 17. Mai 2001, soweit es den Angeklagten C. betrifft,
- im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte der Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung in zwei Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,
- im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener zweifacher Vergewaltigung in Tateinheit mit Nötigung, Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Störung von Telekommunikationsanlagen sowie mit mehreren Vergehen gegen das Waffen- und gegen das Sprengstoffgesetz zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der sie die Verurteilung des Angeklagten auch wegen Geiselnahme gemäß § 239 b StGB erstrebt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil das Landgericht den Tatbestand des § 239 b Abs. 1 StGB zu Unrecht verneint hat.
1. Nach den Feststellungen zwang der Angeklagte die Nebenklägerin Christa H. in der Nacht vom 4. Oktober auf den 5. Oktober 1998 mit vorgehaltener Schußwaffe zum Verlassen der Wohnung. Anschließend verbrachte er sie, wie schon seit Tagen vorgeplant und vorbereitet, mit Hilfe eines der beiden Mitangeklagten in die Wohnung eines weiteren Mitangeklagten, der diese dem Angeklagten zum Zwecke der Entführung der Nebenklägerin zur Verfügung gestellt hatte. Die Nebenklägerin war seit einigen Jahren die Lebensgefährtin des Angeklagten, hatte sich aber zusammen mit den beiden gemeinsamen Kindern von diesem nach mehrfachen heftigen, auch körperlichen Auseinandersetzungen getrennt.
Nach der Ankunft in der Wohnung wählte der Angeklagte mit einem Handy eine Telefonnummer an und sprach sodann einige Anweisungen sowie die Worte: „Ihr könnt jetzt die anderen bringen”. Die inzwischen mit Handschellen gefesselte Nebenklägerin hielt es für möglich, daß zwei mit ihr befreundete Personen auf Veranlassung des Angeklagten an einen anderen Ort verbracht und dort erschossen werden sollten. Mit dem – möglicherweise fingierten – Telefonat verfolgte der Angeklagte den Zweck, seine Macht über die Nebenklägerin zu demonstrieren und ihr Angst zu machen. Die Nebenklägerin, die zuvor am 3. August 1998 schon einmal vom Angeklagten mit Gewalt entführt, gefesselt und mit einem Elektroschockgerät verletzt worden war, fürchtete um ihr Leben, weil der Angeklagte ihr vollends unberechenbar erschien. Sodann veranlaßte der Angeklagte die Nebenklägerin, zwei von ihm zuvor angefertigte Briefe vorzulesen, deren erster mit der Anweisung endete, die Nebenklägerin solle sich ausziehen und bäuchlings auf das Bett legen. Diese befolgte, nachdem ihre Fesselung gelöst worden war, die Anweisung und las auch den zweiten Brief vor, der mit der Ankündigung endete, sie würden nunmehr mehrere Tage miteinander verbringen, es werde mehrfach zum Geschlechtsverkehr kommen; sie solle alles tun, was der Angeklagte wolle, denn dies sei besser für sie. Sodann fragte der Angeklagte mehrfach mit jeweils lauter werdender Stimme, ob alles klar sei, ob sie – die Nebenklägerin – alles machen werde, was er wolle. Zuletzt hielt er ein mitgebrachtes Cuttermesser mit der Klinge in die Nähe einer der Brustwarzen der Nebenklägerin. Außerdem hielt er die Brustwarze mit dem Maul einer Flachzange fest und kniff soweit zu, daß die Nebenklägerin Schmerzen verspürte. Anschließend vollzog der Angeklagte, der wußte, daß die Nebenklägerin mit sexuellen Handlungen nicht einverstanden war, zweimal den Geschlechtsverkehr und einmal den Oralverkehr mit seinem Tatopfer. Vor den sexuellen Handlungen hatte der Angeklagte der Nebenklägerin die Handschellen gänzlich abgenommen und danach nicht wieder angelegt. Auf ihre spätere Frage, warum er sie nicht erneut gefesselt habe, zeigte der Angeklagte „grinsend” auf seine scharfe Selbstladepistole, die er zusammen mit einer weiteren Schußwaffe mit in die Wohnung gebracht und unter das Kopfkissen gelegt hatte. Die Nebenklägerin verstand diese Geste, wie vom Angeklagten beabsichtigt, dahin, daß er von der Waffe Gebrauch machen werde, wenn sie versuchen sollte zu fliehen. Am folgenden Tag kam es erneut gegen den Willen der Nebenklägerin, die unter dem Eindruck der fortwirkenden Drohung vom Vortag davon überzeugt war, daß sie die Wohnung nicht ohne eigene Gefährdung verlassen konnte, zum Geschlechtsverkehr. Schließlich wurde sie am frühen Morgen des 8. Oktober 1998 von einem Spezialkommando der Polizei aus der verschlossenen Wohnung befreit.
2. Das Landgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten neben Verstößen gegen das Waffengesetz als Freiheitsberaubung, Nötigung, Vergewaltigung und als gefährliche Körperverletzung gewertet. Den Tatbestand des § 239 b StGB hat es hingegen nicht als erfüllt angesehen. Diese Wertung erschöpft die getroffenen Feststellungen nicht.
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Angeklagte die Nebenklägerin entführt hat. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Angeklagte schon bei der Entführung die Absicht hatte, die Nebenklägerin durch eines der qualifizierten Nötigungsmittel des § 239 b StGB zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Ob diese Wertung frei von Rechtsfehlern ist, kann dahinstehen, weil nach den Feststellungen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 239 b Abs. 1 2. Alt. StGB gegeben sind.
Der Angeklagte hat nach den getroffenen Feststellungen während der Entführung der Nebenklägerin in der Wohnung eine Reihe von Handlungen vorgenommen, die sich rechtlich als qualifizierte Drohungen im Sinne des § 239 b Abs. 1 StGB darstellen. Daß der Angeklagte die Nebenklägerin durch Bedrohung mit einer Freiheitsstrafe von über einer Woche Dauer zur Duldung sexueller Handlungen nötigen wollte, ergibt sich aus seiner Ankündigung anläßlich der erzwungenen Verlesung der von ihm selbst verfaßten Briefe, sie würden mehrere Tage miteinander verbringen und es werde mehrfach zum Geschlechtsverkehr kommen. Dadurch, daß der Angeklagte während der von ihm inszenierten und an die Verlesung der Briefe anschließenden Befragung der Nebenklägerin dieser ein Cuttermesser mit der Klinge in die Nähe einer Brustwarze hielt, die er zudem mit dem Maul einer Flachzange umschlossen hielt und soweit zukniff, daß die Nebenklägerin Schmerzen verspürte, hat er mit einer schweren Körperverletzung gedroht. Daß das Abschneiden einer Brustwarze zu einer dauernden Entstellung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB führen kann, hat das Landgericht selbst nicht bezweifelt. Schließlich beinhaltet das Verhalten des Angeklagten, der auf die Frage der Nebenklägerin, warum er sie nicht erneut fessele, unter Grinsen auf die unter dem Kopfkissen verwahrte Schußwaffe zeigte, eine konkludente Drohung mit dem Tod. Diese Drohungen erfolgten während der durch die Entführung entstandenen Lage in der Wohnung. Mit ihnen hat er die Nebenklägerin, was er auch wollte, jeweils zur Duldung oder Vornahme der nachfolgenden sexuellen Handlungen veranlaßt. Dies genügt für die zweite Alternative des § 239 b Abs. 1 StGB. Die Auffassung der Strafkammer, eine Geiselnahme komme nicht in Betracht, da „die qualifizierte Drohung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 40, 350, 357) über die Bemächtigungssituation hinausgehend – und insofern unabhängig von ihr – beabsichtigt sein muß”, läßt ein Mißverständnis der zitierten Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen erkennen, die sich mit ihren Ausführungen zur Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung der §§ 239 a, 239 b StGB in Fällen des sogenannten „Zwei-Personen-Verhältnisses” gerade nicht auf Entführungsfälle der hier in Rede stehenden Art bezieht.
3. Der Senat hat, nachdem er in der Revisionshauptverhandlung das Verfahren gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf die jetzt abgeurteilten Straftaten beschränkt hat, den Schuldspruch selbst analog § 354 Abs. 1 StPO abgeändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Tatvorwurf des § 239 b StGB bereits Gegenstand der zugelassenen Anklage war.
Die Strafe muß nunmehr durch den neuen Tatrichter auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs neu zugemessen werden. Die Einziehungsanordnungen werden durch die Schuldspruchänderung nicht berührt, da die eingezogenen Gegenstände zur Vorbereitung oder Begehung der abgeurteilten Taten gebraucht worden sind (§ 74 Abs. 1 und 2 StGB).
Unterschriften
Tolksdorf, Rissing-van Saan, Miebach, Pfister, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 706776 |
NStZ 2002, 317 |