Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzversicherung. Deckungsschutz für Aktivprozess. Vorvertragseinwand. Pflichtverletzung des Lebensversicherers
Leitsatz (amtlich)
a) Begehrt der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung Deckungsschutz für die Verfolgung eigener Ansprüche ("Aktivprozess"), richtet sich die Festlegung des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles i.S.v. § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchsgegners, auf die er seinen Anspruch stützt (Fortführung der BGH, Urt. v. 19.11.2008 - IV ZR 305/07, VersR 2009, 109 Rz. 20-22; v. 28.9.2005 - IV ZR 106/04, VersR 2005, 1684 unter I 2 und 3; des Senatsbeschlusses v. 17.10.2007 - IV ZR 37/07, VersR 2008, 113 Rz. 3 und 4 sowie des Senatsurteils v. 19.3.2003 - IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 unter 1).
b) Macht der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung geltend, er könne dem Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages infolge unzureichender Vertragsinformationen noch Jahre später widersprechen und daraus Ansprüche gegen seinen Lebensversicherer herleiten, liegt dessen maßgeblicher Verstoß i.S.v. § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 in der Weigerung, das Widerspruchsrecht anzuerkennen, und nicht in der behaupteten mangelnden Information bei Vertragsschluss.
Normenkette
ARB 2004 § 4 Abs. 1 S. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 23.12.2011; Aktenzeichen 4 S 210/11) |
AG Stuttgart (Urteil vom 05.07.2011; Aktenzeichen 11 C 1016/11) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 23.12.2011 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG Stuttgart vom 5.7.2011 zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Streitwert: 1.676,91 EUR
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger begehrt die Feststellung, der beklagte Rechtsschutzversicherer müsse ihm für eine Auseinandersetzung mit seinem früheren Lebensversicherer um die Rückzahlung von Versicherungsprämien Deckungsschutz gewähren.
Rz. 2
Er unterhielt bei der Beklagten in der Zeit vom 4.8.2005 bis zum 31.12.2010 eine Rechtsschutzversicherung, welcher die Allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen 2004 (ARB 2004) zugrunde lagen. Darin heißt es u.a.:
"§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Rechtsschutz (1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles a) im Schadenersatz-Rechtsschutz gem. § 2a) ... b) im Beratungs-Rechtsschutz für Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrecht gem. § 2k) ... c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll. Die Voraussetzungen nach a) bis c) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gem. § 7 und vor dessen Beendigung eingetreten sein. ... (2) Erstreckt sich der Rechtsschutzfall über einen Zeitraum, ist dessen Beginn maßgeblich. Sind für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen mehrere Rechtsschutzfälle ursächlich, ist der erste entscheidend, wobei jedoch jeder Rechtsschutzfall außer Betracht bleibt, der länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten oder, soweit sich der Rechtsschutzfall über einen Zeitraum erstreckt, beendet ist. (3) Es besteht kein Rechtsschutz, wenn a) eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Abs. 1c) ausgelöst hat; ..."
Rz. 3
Beginnend am 1.12.1995 hatte der Kläger eine Lebensversicherung abgeschlossen, für die er nachfolgend Prämienzahlungen i.H.v. insgesamt 2.815,61 EUR leistete, ehe er das Versicherungsverhältnis durch Kündigung zum 1.9.2006 beendete und vom Lebensversicherer einen Rückkaufswert i.H.v. 1.747,16 EUR ausgezahlt bekam. Mit anwaltlichem Schreiben vom 2.8.2010 widersprach der Kläger seiner Erklärung über den Abschluss des bereits abgewickelten Lebensversicherungsvertrages und forderte vom Lebensversicherer die Rückerstattung sämtlicher Prämienzahlungen.
Rz. 4
Zeitgleich wandte er sich an die Beklagte mit dem Begehren nach Deckungsschutz für die - ggf. auch klageweise - Geltendmachung dieses Rückzahlungsverlangens. Bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages hätten ihm nicht alle für seine Willensbildung maßgeblichen Informationen, insb. die Vertragsbedingungen, zur Verfügung gestanden. Das stelle einen Verstoß gegen Art. 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 i.V.m. Anhang III. A. a. 13 der Lebensversicherungsrichtlinie sowie gegen Art. 5 Satz 1 und Anhang Nr. 1 lit. i der Klausel-Richtlinie dar mit der Folge, dass ihm das Widerspruchsrecht unbefristet zustehe (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des BGH an den EuGH v. 28.3.2012 - IV ZR 76/11, VersR 2012, 608). Erst durch seine Ausübung des Widerspruchsrechts habe er den Rechtsschutzfall ausgelöst.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 10.8.2010 verweigerte der Lebensversicherer die begehrte Prämienrückzahlung.
Rz. 6
Die Beklagte hält sich für leistungsfrei, weil der dem Lebensversicherer angelastete Verstoß gegen Rechtspflichten schon bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages im Jahre 1995 - und mithin vor Beginn des Versicherungsschutzes in der Rechtsschutzversicherung ("vorvertraglich") - geschehen sei und im Übrigen der Lebensversicherer die Widerspruchsberechtigung des Klägers im Zeitpunkt der Deckungsanfrage noch nicht bestritten gehabt habe.
Rz. 7
Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 9
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der geltend gemachte Rechtsschutzfall bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten. Den nach § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 für den Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblichen Pflichtenverstoß des Lebensversicherers habe der Kläger im Tatsächlichen auf eine Verletzung europarechtlicher Vorgaben bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages im Jahre 1995 gestützt. Darin liege die zentrale Begründung seines Rückzahlungsbegehrens und nicht lediglich tatbestandliches Beiwerk ("Kolorit"). Schon damit sei der Keim für die spätere rechtliche Auseinandersetzung gelegt worden. Der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung könne nicht beliebig bestimmen, worin der Versicherungsfall liege. Entscheidend sei hier, dass die nach dem Klägervorbringen bereits 1995 begangene Pflichtverletzung des Lebensversicherers als Tatsachenkern fortwirke, wie sich daran zeige, dass der Kläger daraus sein fortbestehendes Widerspruchsrecht folgern wolle.
Rz. 10
Zum Zeitpunkt der Deckungsanfrage des Klägers habe der Lebensversicherer noch nicht erklärt gehabt, dass er die Prämienrückzahlung verweigere. Insoweit scheide die Annahme eines neuen, eigenständigen Rechtsschutzfalles aus. Die inzwischen erklärte Ablehnung des Lebensversicherers stehe in engem Zusammenhang mit dem vom Kläger schon bei seiner Deckungsanfrage erhobenen Begehren und stelle deshalb ebenfalls keinen neuen Versicherungsfall dar.
Rz. 11
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beklagte ist nach den §§ 1, 2 Buchst. d), 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 vertraglich verpflichtet, dem Kläger den begehrten Deckungsschutz zu gewähren.
Rz. 12
1. Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, greift der Vorvertragseinwand der Beklagten nicht durch. Wie der Senat im Urteil vom 28.9.2005 (IV ZR 106/04, VersR 2005, 1684 unter I 2 und 3) und dem Hinweisbeschluss vom 17.10.2007 (IV ZR 37/07, VersR 2008, 113 Rz. 3 und 4) dargelegt hat, ist für die Festlegung der dem Vertragspartner des Versicherungsnehmers vorgeworfenen Pflichtverletzung der Tatsachenvortrag entscheidend, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß begründet. Als frühestmöglicher Zeitpunkt kommt dabei das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht, aus dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch herleitet (vgl. Senatsbeschluss vom 17.10.2007, a.a.O.; BGH, Urt. v. 19.3.2003 - IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 unter 1a).
Rz. 13
2. Das ist hier die Weigerung des Lebensversicherers, das Widerspruchsrecht des Klägers anzuerkennen und ihm die verlangte Differenz aus Prämienzahlung und Rückkaufswert zurückzuzahlen. Zwar hat der Kläger - worauf die Revisionserwiderung hinweist - in seinem an die Beklagte gerichteten Deckungsverlangen geltend gemacht, er selbst habe den Versicherungsfall mit der Ausübung des Widerspruchsrechts gegen den bereits abgewickelten Lebensversicherungsvertrag ausgelöst; das ist aber schon deshalb nicht richtig, weil der Kläger seinen Anspruch auf Prämienrückzahlung nicht auf eigenes pflichtwidriges Verhalten i.S.v. § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004, sondern eine Pflichtverletzung des Lebensversicherers stützen kann (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 19.3.2003, a.a.O.).
Rz. 14
In Wahrheit hat der Kläger sein Begehren nach Rechtsschutz von vornherein mit dem Vorwurf begründet, der Lebensversicherer bestreite vertrags- und insb. europarechtswidrig seine Berechtigung, dem Abschluss des Lebensversicherungsvertrages noch zu widersprechen. Zwar ist diese Weigerung vom Lebensversicherer erst mit dessen Schreiben vom 10.8.2010 konkret erklärt worden und lag mithin im Zeitpunkt des an die Beklagte gerichteten ersten Verlangens nach Versicherungsschutz noch nicht vor. Der Kläger hatte aber - wie sich seinem Leistungsverlangen entnehmen lässt - mit einer solchen Ablehnung des Lebensversicherers fest gerechnet, weil Lebensversicherer häufig so entschieden, und sie deshalb bereits vorausgesetzt.
Rz. 15
3. Dieser dem Lebensversicherer angelastete Verstoß liegt in versicherter Zeit.
Rz. 16
Der Rechtskonflikt war bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages im Jahre 1995 noch nicht im Sinne der vorgenannten Senatsrechtsprechung und des Senatsurteils vom 19.11.2008 (IV ZR 305/07, BGHZ 178, 346 Rz. 20 ff.) vorprogrammiert. Der Kläger verfolgt einen Bereicherungsanspruch, der erst mit Ausübung seines Widerspruchsrechts aus § 5a Abs. 1 VVG a.F. entstanden sein kann. Dass der Lebensversicherer bei Vertragsschluss europarechtliche Vorgaben missachtet und bei Übersendung der Versicherungspolice nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt hatte, wirft der Kläger ihm nicht als Pflichtenverstöße vor, die - ähnlich einer Schadensersatzleistung - durch eine Ersatzleistung des Versicherers kompensiert werden müssten. Dem Kläger geht es auch nicht darum, nachträglich die Übergabe der bei Vertragsschluss vermissten Verbraucherinformationen durchzusetzen, er möchte vielmehr den Versicherungsvertrag rückabwickeln (vgl. dazu Wendt, r+s 2008, 221, 226) und dazu geltend machen, ihm sei das - wegen Vertragsabschlusses nach dem Policenmodell - gem. § 5a Abs. 1 VVG a.F. eröffnete Gestaltungsrecht (Widerspruchsrecht) erhalten geblieben. Unter Zugrundelegung dieses Vortrages liegt der dem Lebensversicherer angelastete Pflichtenverstoß erst im Bestreiten der Fortgeltung dieses Widerspruchsrechtes.
Rz. 17
4. Aus den vorgenannten Gründen haben die Umstände des Vertragsschlusses im Jahre 1995 den für den Versicherungsfall maßgeblichen Pflichtenverstoß auch nicht in dem Sinne "ausgelöst", dass bereits die erste Stufe der Verwirklichung der Gefahr einer rechtlichen Auseinandersetzung erreicht gewesen wäre. Die Beklagte ist deshalb auch nicht aufgrund des in § 4 (3) Buchst. a) ARB 2004 geregelten Haftungsausschlusses, der keine zusätzliche Definition des Rechtsschutzfalles enthält (vgl. dazu BGH, Urt. v. 28.9.2005 - IV ZR 106/04, VersR 2005, 1684 unter I 3e), leistungsfrei (vgl. dazu BGH v. 17.10.2007 - IV ZR 37/07, VersR 2008, 113 Rz. 4).
Fundstellen