Leitsatz (amtlich)
Für die Verjährung einer auf die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übergegangenen Regreßforderung kommt es auf deren Kenntnis an; die Kenntnis des den Rentenantrag des Geschädigten entgegennehmenden Versicherungsamtes genügt nicht.
Normenkette
BGB § 852; RVO §§ 36-37, 1613; Angestellten VersicherungsG (AVG) § 204
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Januar 1976 wird zurückgewiesen.
Der Beklagten fallen die Kosten der Revision zur Last.
Tatbestand
Der bei der Klägerin, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, rentenversicherte Verwaltungsangestellte B. erlitt als Führer seines Personenkraftwagens am 15. November 1971 so schwere Verletzungen, daß er zwei Tage danach verstarb. Zum Unfall war es dadurch gekommen, daß B. im Zuge des Linksabbiegens von einem entgegenkommenden VW-Bulli, den die Beklagte steuerte, an der rechten Seite seines Fahrzeugs gerammt wurde.
Die Klägerin, die der Witwe des Verunglückten Rente gewährt und von dessen hälftigem Mitverschulden ausgeht, fordert mit ihrer am 4. März 1975 beim Landgericht eingegangenen und am 12. März zugestellten Klage von der Beklagten Erstattung der Hälfte ihrer bisher erbrachten und künftigen Leistungen sowie die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz der Hälfte evtl. weiterer zu erbringender Zahlungen.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin führte zur Verurteilung der Beklagten.
Mit ihrer (zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage; sie hält die Einrede der Verjährung für begründet.
Entscheidungsgründe
I.
Dem angefochtenen Urteil zufolge ging der von der Witwe des Verunglückten am 28. November 1971 bei der Amtsverwaltung Dr.-G. als zuständigem Versicherungsamt gestellte Rentenantrag über den Landkreis Wa. erst am 21. Februar 1972 bei der Klägerin ein, wobei diese erstmals von dem Unfalltod ihres Versicherten erfuhr, ohne daß allerdings der Antrag näheres über den Unfallhergang und über Namen und Anschritt der Beklagten als der Führerin des am Unfall beteiligten weiteren Kraftfahrzeugs enthielt. Das Berufungsgericht folgert daraus, daß die Verjährungsfrist des § 852 BGB für die auf die Klägerin übergegangenen Schadenersatzansprüche der Witwe nicht vor dem 21. Februar 1972 begonnen habe, und meint des weiteren, der Klägerin müsse zur Ermittlung der Einzelheiten über den Unfallhergang ein Zeitraum von drei Wochen eingeräumt werden, so daß die Verjährungsfrist nicht vor Mitte März 1972 zu laufen begonnen habe, daher zum Zeitpunkt der Klageeinreichung am 4. März 1975 noch nicht verstrichen gewesen sei.
Dies hält den Angriffen der Revision stand.
II.
1. Das Berufungsgericht stellt zu Recht für den Beginn der Verjährungsfrist darauf ab, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin Kenntnis von den für die Beurteilung der Regreßforderung wesentlichen Umständen erlangt hat (Senatsurteile vom 20. Januar 1961 – VI ZR 92/60 = VersR 1961, 416 und vom 20. November 1973 – VI ZR 72/72 = VersR 1974, 340). Auf die Kenntnis des Versicherungsamtes kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht an. Zu Unrecht will sie aus der Stellung dieses Amts im Feststellungsverfahren gemäß §§ 1613 ff RVO ableiten, daß dieses schon zu einem Zeitpunkt, als der Klägerin noch nicht einmal der Rentenantrag der Witwe zur Kenntnis gelangt war und diese deshalb auch vom Übergang einer Schadensersatzforderung nichts wissen konnte, bereits als für die Kenntnis i.S. von § 852 BGB maßgebliche Behörde tätig geworden sei.
a) Zwar ist das Versicherungsamt (§§ 36 ff RVO) im Rentenfeststellungsverfahren der §§ 1613 ff RVO eingeschaltet und bereits bei der Entgegennahme von Anträgen der Rentenberechtigten vorbereitend tätig (vgl. § 1613 RVO). Das läßt aber nicht den Schluß zu, daß eine ähnliche Mitwirkung auch in dem hier in Rede stehenden Bereich der Verfolgung von gemäß § 1542 RVO auf die Klägerin übergegangener Schadensersatzansprüche anzunehmen sei. Der Aufgabenbereich der Versicherungsämter, die stets ein Teil der allgemeinen Verwaltung von vom Versicherungsträger getrennten selbständigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind (vgl. BGHZ 26, 232, 236), ist allgemein in § 37 RVO umschrieben und wird für den Bereich der Rentenversicherung durch §§ 1613 Abs. 2 und 1617 ff RVO konkretisiert. Darüber hinaus eine Mitwirkung bei der Vorbereitung der Verfolgung von Regreßansprüchen als vom Gesetz gleichfalls gewollt anzusehen, verbietet der durch die Einschaltung der Versicherungsämter verfolgte Zweck, den zwischen dem Rentenberechtigten und dem Versicherungsträger im Verlaufe des Feststellungsverfahrens erforderlich werdenden Geschäftsverkehr zu erleichtern. Das Versicherungsamt, das gemäß § 36 Abs. 1 RVO bei jeder unteren Verwaltungsbehörde zu errichten ist, soll die leicht erreichbare, dem Antragsteller nahegelegene Behörde sein, die ihm auch mit Auskünften und zum Zwecke der Aufklärung zur Verfügung steht (§ 37 Abs. 1 RVO), ist also Mittler zwischen Versicherungsträger und Versichertem, wenn es um die Bearbeitung eines Rentenantrages geht. Die Verfolgung von Regreßforderungen ist dagegen keine Tätigkeit der Versicherungsträger, die in gleicher Weise die Mitwirkung der Versicherungsämter geboten und zweckmäßig erscheinen lassen könnte. Denn hierbei ist ein den Belangen der Versicherten gleichzusetzendes Interesse dritter Personen nicht zu wahren. Ob in Einzelfällen die Versicherungsanstalt berechtigt ist, durch konkreten Auftrag das Versicherungsamt bei der Ermittlung von Umständen, die für die Geltendmachung eines Regreßanspruchs wesentlich erscheinen, einzuschalten (vgl. § 103 Satz 2 AVG), und ob dann eine andere rechtliche Betrachtung hinsichtlich der Einordnung des Versicherungsamtes bei der Anwendung des § 852 BGB geboten sein könnte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Revision macht selbst nicht geltend, daß das Versicherungsamt im Streitfall von der Klägerin beauftragt worden sei.
Für den vorliegenden Fall ist zudem von Bedeutung, daß die Klägerin Trägerin der Angestelltenversicherung ist. In § 205 AVG sind die §§ 36 ff RVO nicht für entsprechend anwendbar erklärt (Koch/Hartmann, Angestelltenversicherungsgesetz, Bd. V Anm. II 1 zu § 37 RVO). Das Verhältnis der Versicherungsträger zu den Versicherungsämtern ist durch § 204 AVG einschränkend gegenüber dem Bereich der Arbeiterrentenversicherung geregelt. Danach hat abweichend von § 1613 Abs. 2 RVO das Versicherungsamt, wenn bei ihm ein Rentenantrag gestellt wird, keine vorbereitende Tätigkeit (Beschaffung von Beweismitteln) zu entfalten, sondern den Antrag unverzüglich an die Klägerin weiterzuleiten. Im Bereich der Angestelltenversicherung besteht daher noch mehr Grund zu den vorstehend aufgezeigten Überlegungen.
b) Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht das Versicherungsamt nicht in sinngemäßer Anwendung von § 166 BGB als Wissensvertreter der Klägerin angesehen hat.
Voraussetzung für eine solche Heranziehung des in § 166 BGB enthaltenen Grundgedankens ist (BGHZ 55, 307, 311, 312), daß der Vertretene – im vorliegenden Falle die Klägerin – sich eines Dritten wie eines Vertreters bedient hat oder daß er es zumindest erkennbar und wissentlich geduldet hat, daß ein Dritter als sein Vertreter auftritt (bejaht im Senatsurteil vom 20. Januar 1976 – VI ZR 15/74 – VersR 1976, 565). Im vorliegenden Fall kannte aber die Klägerin zu dem Zeitpunkt, der nach der Meinung der Revision für eine Wissensvertretung in Betracht kommen soll, nicht einmal die Tatsache des zum Tode ihres Versicherten führenden Unfalls und damit auch nicht den dadurch eingetretenen Rechtsübergang, so daß selbst dann keine entsprechende Anwendung der genannten Norm Platz greifen könnte, wenn man unterstellen wollte, daß das Versicherungsamt bereits (auch) im Hinblick auf die spätere Geltendmachung eines Regreßanspruchs tätig geworden war. Es kann schon deshalb nicht darauf ankommen, ob wenigstens der beim Versicherungsamt zuständige Beamte über den Inhalt des Rentenantrages hinaus im Zeitpunkt der Antragsstellung die in § 852 BGB geforderte vollständige Kenntnis hatte; das Berufungsgericht hat daher zu Recht zu dieser Frage keinen Beweis erhoben.
2. Der Revision ist zuzugeben, daß in der Weiterleitung des Rentenantrags durch das Versicherungsamt eine nicht unerhebliche Verzögerung eingetreten ist. Welche Gründe hierfür vorgelegen haben, ist nicht festgestellt; die Beklagte hat hierzu auch nichts Konkretes vorgetragen, so daß die Auffassung der Revision, es seien hier Umstände ursächlich geworden, die mit einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht mehr in Einklang zu bringen seien, der tatsächlichen Grundlage entbehrt. Doch kommt es hierauf nicht entscheidend an.
a) Jedenfalls kann dieser Umstand nicht der Klägerin mit der Folge zur Last gelegt werden, daß sie sich so behandeln lassen muß, als wäre der Antrag unter Zugrundelegung einer als gewöhnlich anzusehenden Laufzeit bei ihr eingegangen. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck von § 852 BGB, der im Interesse des Geschädigten und im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 1542 RVO auch zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers (§§ 412, 404 BGB) die dem Schädiger günstige kurze Verjährungsfrist dadurch in ihrer Auswirkung mindert, daß er als Voraussetzung für deren Beginn die Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen verlangt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen genügt nicht (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1973 – VI ZR 4/72 = VersR 1973, 371, 372 m.w.Nachw.). Es sind auch keine Umstände erkennbar, die es ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zur Vermeidung unerträglicher Härten geboten erscheinen lassen könnten, von den aufgezeigten Grundsätzen zu Gunsten der Beklagten abzuweichen und ihr etwa den Einwand der Verwirkung zu gewähren. Die Regelung des § 852 BGB läßt nicht den Schluß zu, der Schädiger habe ein vom Gesetz geschütztes Interesse an einem möglichst frühen Beginn der Verjährungsfrist mit der Folge, daß der Geschädigte – im vorliegenden Falle wegen des Rechtsübergangs nach § 1542 RVO die Klägerin – Verzögerungen bei der Erlangung seiner Kenntnis selbst dann sich zurechnen lassen müsse, wenn er solche – wie hier – nicht zu vertreten habe. Das Gesetz mutet dem Schädiger sogar eine 30-jährige Verjährung zu, falls die als Voraussetzung des Beginns der 3-jährigen Verjährung geforderte Kenntnis solange nicht erlangt worden sein sollte. Im übrigen war die Tätigkeit des Versicherungsamtes, wie oben ausgeführt, darauf beschränkt, den Rentenantrag der Witwe entgegenzunehmen und damit deren Interessen wahrzunehmen; dagegen kann diesem Amt nicht einmal der Gedanke unterstellt werden, im Bereich der der Klägerin obliegenden Verfolgung von Regreßansprüchen vorbereitend tätig zu werden. Dies aber wiederum schließt es aus, dem Versicherungsamt schuldhafte Verzögerung der Weiterleitung des Rentenantrages anzulasten, die sich zum Nachteil der Beklagten ausgewirkt hat. Daher könnte die Klägerin selbst dann nicht mit den von der Revision gewollten Folgen belastet werden, wenn man zwischen ihr und dem Versicherungsamt ein rechtliches Verhältnis i.S. der Auffassung der Revision unterstellen wollte.
b) Wenn das Berufungsgericht der Klägerin noch eine Frist von drei Wochen nach Eingang des Rentenantrags zugebilligt hat, um in der ihr zuzumutenden Weise Namen und Anschrift der Beklagten zu ermitteln, so kann dies aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Hier handelt es sich um eine Frage tatrichterlicher Feststellung, die weitgehend revisionsgerichtlicher Überprüfung entzogen ist. Im übrigen müßte selbst dann von rechtzeitiger Klageerhebung vor Eintritt der Verjährung ausgegangen werden, wenn man sie schon am Tag des Antragseingangs (21. Februar 1972) beginnen lassen wollte.
Das Berufungsgericht hat nämlich bei seiner Fristberechnung außer Acht gelassen, daß die am 11. Dezember 1972 erfolgte Anmeldung des Anspruchs beim Haftpflichtversicherer der Beklagten gemäß § 3 Nr. 3 PflVG zu einer Verjährungshemmung auch bezüglich des Anspruchs gegen die Beklagte bis zum 29. Januar 1973 geführt hat, weil erst an diesem Tage die Entscheidung des Versicherers über die Ablehnung der Deckung eingegangen ist. Wird aber dieser Zeitraum der Hemmung – er beträgt über einen Monat und gleicht daher die vom Berufungsgericht der Klägerin zugebilligte Frist zur Ermittlung von Namen und Anschrift der Beklagten aus – in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet (§ 205 BGB), so war im Zeitpunkt der Klagezustellung (12. März 1975) der übergegangene Schadensersatzanspruch noch nicht verjährt. Diese Hemmung kommt der Klägerin trotz des Umstand es zugute, daß der Versicherer nicht zur Deckung des Schadens verpflichtet war.
III.
Soweit die Revision das Berufungsurteil im übrigen allgemein zur Überprüfung stellt, hat der Senat keinen Rechtsfehler festzustellen vermocht.
Die Revision mußte nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückgewiesen werden.
Unterschriften
Dr. Weber, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Deinhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1742398 |
NJW 1977, 2160 |
Nachschlagewerk BGH |