Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.06.1972) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) vom 22. Juni 1972 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerinnen sind die Erben (die Klägerin zu 1) die Witwe, die Klägerin zu 2) die Tochter) des bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Maschinenbautechnikers Wilfried S..
Am 9. Dezember 1967 befuhr S. gegen 18.10 Uhr mit einem Pkw Renault die BundesstraBe 277 von Gedern kommend in Richtung Merkenfritz. Er prallte mit seinem Pkw auf die linke Fahrzeugkette eines am Straßenrand stehenden Panzers der US-Armee auf und erlitt dabei tödliche Verletzungen. Die Klägerinnen, Inaassen des Pkws, wurden erheblich verletzt.
Das Amt für Verteidigungslasten hat durch Entschließung vom 22. Juli 1970, den Klägerinnen zugestellt am 24. Juli 1970, die geltend gemachten Schadenersatzansprüche teilweise zuerkannt. Es ist davon ausgegangen, daß diese Ansprüche dem Grunde nach zu 2/3 gerechtfertigt seien.
Die Parteien streiten über Grund und Höhe der von den Klägerinnen geltend gemachten Schadenersatzansprüche. Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, daß die Schadenersatzansprüche nur unter dem Gesichtespunkt der Betriebsgefahr – jedoch höchstens um 1/4 – gemindert sein könnten.
Mit der am 24. September 1970 beim Landgericht eingegangenen, der Beklagten am 19. Oktober 1970 zugestellten Klage haben die Klägerinnen (bei richtiger Addition) insgesamt weitere 8.136,57 DM für eigene Körper- und Sachschäden, für entgangenen Unterhalt und für sonstige Schäden beansprucht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt, die Klägerinnen hätten die in Art. 12 Abs. 3 des Gesetzes zum Nato-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen (NTS-AG) bestimmte Klagefrist versäumt, weil sie die Zustellung der Klage für den Zeitraum vom 24. September bis 12. Oktober 1970 schuldhaft verzögert hätten.
Das Landgericht hat die Klage nach einer Beweisaufnahme über den Unfallhergang abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen, und zwar mit der Maßgabe, daß es die Klage (wegen Versäumung der Klagefrist nach Art. 12 Abs. 3 NTS-AG) als unzulässig abgewiesen hat.
Die Klägerinnen verfolgen mit der – zugelassenen – Revision ihre bisherigen Klageanträge mit dem Begehren weiter, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen mit folgenden Erwägungen begründet:
Die Klagefrist des Art. 12 Abs. 3 NTS-AG sei versäumt. Der Bescheid des Amtes für Verteidigungslasten sei den Klägerinnen schon am 24. Juli 1970 zugestellt worden. Die Zustellung der Klage sei jedoch erst am 19. Oktober 1970, also nach Ablauf der Zweimonatsfrist für die Erhebung der Klage, erfolgt. Die – fristwahrende – Wirkung der Zustellung habe nicht schon mit dem Eingang der Klageschrift am 24. September 1970 eintreten können. Denn die Klage sei nicht innerhalb einer den Umständen nach angemessenen Frist ohne besondere Verzögerung, also „demnächst” nach der Einreichung der Klageschrift zugestellt, so daß § 261 b Abs. 3 ZPO nicht zugunsten der Klägerinnen eingreife. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen habe die Zustellung der Klageschrift wenigstens in der Zeit vom 5. bis 9. Oktober 1970 schuldhaft verzögert. Dessen Verhalten müßten sich die Klägerinnen zurechnen lassen. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen habe die Klageschrift am letzten Tag der Klagefrist ohne die erforderliche Anzahl von Abschriften für die Zustellung eingereicht. Zwar habe er ausdrücklich erklärt, er werde die erforderlichen Abschriften umgehend nachreichen. Er habe sich jedoch nicht an die Erklärung gehalten, sondern die Abschriften erst am 9. Oktober 1970 eingereicht. Hätte er die Abechriften der Klageschrift, wie angekündigt, unverzüglich anfertigen lassen und umgehend eingereicht, hätte die Verfügung der Geschäftsstelle vom 5. Oktober 1970 zu Ziffer 1 c (Ladung der Beklagten unter Zustellung der Klage) zugleich mit den anderen Anordnungen in dieser Verfügung erledigt werden können. Die Zustellung wäre dann vor dem 10. Oktober 1970 – dem frühest möglichen Zustellungstermin nach Einreichung der Abschriften am 9. Oktober 1970 – erfolgt.
II.
Die Klägerinnen haben die Klageschrift am letzten Tag der Klagefrist nach Art. 12 Abs. 3 NTS-AG eingereicht. Sie haben die Klagefrist mit der Einreichung der Klageschrift nur gewahrt, wenn die Klage „demnächst” im Sinne des § 261 b Abs. 3 ZPO zugestellt worden ist. Diese Voraussetzung für eine Sachentscheidung über die von den Klägerinnen erhobenen Ansprüche ist im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts zu bejahen.
1. Das Berufungsgericht geht bei der Beurteilung der Frage, ob die Klage demnächst nach der Einreichung der Klageschrift zugestellt worden ist, zutreffend von Sinn und Zweck des § 261 b Abs. 3 ZPO aus.
Die – in § 261 b Abs. 3 ZPO angeordnete – Rückbeziehung der Zustellungswirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung oder Einbringung des Antrags oder der Erklärung soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahren. Denn diese Zustellungsverzögerungen liegen außerhalb des Einflußbereichs der Partei. Dagegen sind der Partei die Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozeßbevollmächtigter bei gewissenhafter Prozeßführung hätten vermeiden können. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um ein vorsätzliches oder nachlässiges – auch ein nur leicht fahrlässiges – Verhalten handelt. Die Gegenpartei soll nicht aus Gründen beschwert werden, die die Partei zu vertreten hat, der die Fristwahrung obliegt. Die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der Gegenpartei und die Notwendigkeit, die Rechtslage möglichst bald zu klären, verbieten es, § 261 b Abs. 3 ZPO zugunsten einer Partei anzuwenden, wenn das den Gegner unbillig belasten würde.
Eine Zustellung „demnächst” nach der Einreichung oder Anbringung des zuzustellenden Antrags oder der zuzustellenden Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei und ihr Prozeßbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben. Die Zustellung ist dagegen nicht mehr „demnächst” erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozeßbevollmächtigter durch nachlässiges Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen hat.
Diese vom Senat schon wiederholt ausgesprochenen Grundsätze (vgl. die Senatsurteile in VersR 1968, 1062; Warn 1967 Nr. 18 = NJW 1967, 779; NJW 1972, 1948 = VersR 1972, 690) stehen im Einklang mit der Rechtsprechung der übrigen Zivilsenate des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH in Warn 1971 Nr. 49 – NJW 1971, 891).
Von ihnen ist für die Beurteilung auszugehen.
2. Nach der Auffassung des Berufungsgerichts hat es der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen schuldhaft unterlassen, die – bei der Einreichung der Klageschrift fehlenden, für die Klagezustellung aber erforderlichen – Abschriften der Klageschrift bis zum Zeitpunkt der Zustellungsanordnung (5. Oktober 1970) einzureichen. Diese Auffassung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) Nach der Vorschrift des § 253 Abs. 5 ZPO ist die Klageschrift unter Beifügung der für ihre Zustellung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Die – § 496 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachgebildete – Bestimmung stellt zwar nur eine Sollvorschrift dar, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat: Unterläßt es die klagende Partei, die erforderliche Zahl von Abschriften beizufügen, kann das Gericht die Abschriften auf Kosten dieser Partei fertigen lassen (vgl. § 91 Abs. 1 Nr. 2 GKG) oder die Partei zur Nachreichung der fehlenden Abschriften auffordern. Dieser Vorschrift ist gleichwohl zu entnehmen, daß es der klagenden Partei grundsätzlich obliegt, die erforderlichen Abschriften dem Gericht unaufgefordert zur Verfügung zu stellen.
Die Klägerinnen und ihre Prozeßbevollmächtigten waren gehalten, alles Zumutbare zu tun, um eine alsbaldige Zustellung der Klageschrift zu ermöglichen. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen hatten somit dafür Sorge zu tragen, daß die zur Zustellung erforderlichen Abschriften der Klageschrift dem Gericht so bald wie möglich zur Verfügung standen. Denn die Sorge hierfür fiel in den Verantwortungsbereich der Klägerinnen. Die entsprechende Verpflichtung und ihre Erfüllung waren nicht an weitere gerichtliche Maßnahmen gebunden (wie etwa die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses von der gerichtlichen Streitwertfestsetzung und Zahlungsaufforderung abhängen kann). Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen durften nicht untätig abwarten, bis das Gericht sie zur Nachreichung der erforderlichen Abschriften aufforderte, und konnten schon mit Rücksicht auf die Zusage bei der Einreichung der Klageschrift nicht erwarten, daß das Gericht von sich aus Abschriften fertigen ließ. Durch ihre eigene Erklärung haben sie die Verantwortung für die „umgehende” Einreichung der erforderlichen Abschriften übernommen.
Nach dem – in der Berufungsinstanz wiederholten – Sachvortrag der Klägerinnen waren deren Prozeßbevollmächtigte in der Lage, die erforderlichen Abschriften schon vor dem 5. Oktober 1970 bei Gericht einzureichen. Zwar mußten sie eine Fotokopie aus den Akten der Korrespondenzanwälte als Klageschrift einreichen, weil der – am 22. September 1970 in Hanau aufgegebene – Eilbrief der Korrespondenzanwälte mit dem Entwurf der Klageschrift und den Abschriften nicht rechtzeitig eingegangen war. Dieser Eilbrief ist jedoch nach dem eigenen Sachvortrag der Klägerinnen am 26. September 1970 bei ihren Prozeßbevollmächtigten eingegangen.
Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen haben nach den Darlegungen der Revision allerdings das Aktenzeichen des Landgerichts für die eingereichte Klage erst mit der Aufforderung zur Nachreichung von Abschriften der Klageschrift gemäß der Verfügung vom 5. Oktober 1970 erfahren. Hierauf kommt es für die Entscheidung jedoch nicht an. Für die Einreichung der Abschriften (mit einer ausreichend genauen Partei- und Sachbezeichnung) bedurfte es nicht der Angabe des Aktenzeichens, das die Prozeßbevollmächtigten zudem durch telefonische Rückfrage beim Landgericht hätten feststellen können.
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann rechtlich gleichwohl keinen Bestand haben. Denn der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt rechtfertigt nicht den Schluß, daß das Verhalten der Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen zu einer mehr als geringfügigen Verzögerung der Klagezustellung beigetragen hat.
Das Berufungsgericht lastet den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen eine schuldhafte Zustellungsverzögerung für die Zeit vom 5. Oktober 1970 (Zeitpunkt der Zustellungsverfügung) bis zum 9. Oktober 1970 (Zeitpunkt des Eingangs der Klageabschriften bei Gericht) an. Nach seinen Ausführungen an anderer Stelle wäre die Zustellung bei Einreichung der Klageabschriften bis zum Zeitpunkt der Zustellungsverfügung „Jedenfalls” vor dem 10. Oktober 1970 erfolgt. Eine von den Klägerinnen zu vertretende Zustellungsverzögerung vom 5. bis zum 9. Oktober 1970 kann jedoch nach den für die Beurteilung maßgeblichen Umständen nicht dazu führen, den Klägerinnen die Rechtswohltat des § 261 b Abs. 3 ZPO zu versagen.
Der Gesetzgeber hat in § 261 b Abs. 3 ZPO – anders als in § 207 Abs. 2 ZPO – keine bestimmte Frist festgelegt, innerhalb der die Zustellung bewirkt sein muß. Wegen des deutlichen Verzichts der Vorschrift auf eine bestimmte Frist sind daher von der Partei oder ihrem Prozeßbevollmächtigten verschuldete geringfügige Zustellungsverzögerungen unschädlich (BGH in NJW 1971, 891 = VersR 1971, 518; in NJW 1972, 1948 = VersR 1972, 690). Für die Beurteilung ist dabei erheblich, ob die Gegenpartei durch eine fristwahrende Wirkung der Zustellung unbillig belastet wird.
Die Klägerinnen habe ihre Ansprüche auf Grund des Verkehrsunfalls vom 9. Dezember 1967 lange Zeit vor der Entschließung des Amtes für Verteidigungslasten vom 22. Juli 1970 bei diesem angemeldet. Unter Berücksichtigung der Dauer des Verfahrens vor dem Amt für Verteidigungslasten hat eine (von den Klägerinnen zu verantwortende) Zustellungsverzögerung von vier Tagen (für die Zeit vom 5. bis 9. Oktober 1970) schutzwürdige Interessen der Beklagten nicht beeinträchtigt.
Außerhalb des Einflußbereiches der Klägerinnen liegt es, daß die Klage nach der Einreichung der Klageabschriften am 9. Oktober 1970 erst am 19. Oktober zugestellt worden ist.
Der klagenden Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerungen von wenigen Tagen hat der Bundesgerichtshof auch in anderen Entscheidungen als geringfügig angesehen (BGH in VersR 1970, 1045, 1046; in NJW 1972, 1948, 1950 = VersR 1972, 690, 692).
Die Beklagte bringt demgegenüber in der Revisionserwiderung vor, es werde „auch davon auszugehen sein”, daß die Zustellungsverfügung „bei umgehender Einreichung der Abschriften nicht erst am 5.10.1970” erfolgt wäre. Nach dem Inhalt der Akten ist diese Annahme jedoch nicht gerechtfertigt.
Der Kostenbeamte verfügte nach dem Eingang der Klageschrift am 24. September 1970 am folgenden Montag, dem 28. September 1970, einen Kostenvorschuß in Höhe von 115,– DM anzufordern, den die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen jedoch schon auf Grund einer Selbstberechnung am 25. September 1970 in der angeforderten Höhe eingezahlt hatten. Nach der am 1. Oktober verfügten Vorlage an den Einzelrichter bestimmte dieser am Freitag, dem 2. Oktober 1970, Termin zur mündlichen Verhandlung. Die Geschäftsstelle verfügte darauf am 5. Oktober 1970, die erforderlichen Abschriften der Klageschrift anzufordern, die Parteien zu laden und die Klage zuzustellen. Das Gericht hat somit das jeweils Erforderliche veranlaßt, ohne den Eingang der von der Klägerinnen angekündigten Klageabschriften abzuwarten. Es fehlt bei der festgestellten zeitlichen Abfolge der gerichtlichen Verfügungen jeder Anhaltspunkt dafür, daß das Gericht (die Geschäftsstelle) die Zustellungs- und Ladungsverfügung mit Rücksicht auf die Ankündigung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen aufgeschoben hat, die Abschriften der Klageschrift würden umgehend eingereicht. Für die Entscheidung ist es nicht erheblich, ob ein Zeitraum von 11 Tagen zwischen der Einreichung der Klage und der Zustellungsverfügung bei der Kammer des Landgerichts unüblich ist, was die Beklagte durch Einholung einer Auskunft dieser Kammer unter Beweis stellt. Selbst wenn dieser Zeitraum „unüblich” wäre, könnte nicht geschlossen werden, daß das Gericht die Zustellungsverfügung aufgeschoben hat und die Klägerinnen hieran schuld sind.
III.
Das Berufungsurteil muß bei dieser Sachlage aufgehoben werden. Eine abschließende Entscheidung über die von den Klägerinnen erhobenen Ansprüche ist dem Senat nicht möglich. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Kreft, Gähtgens, Dr. Krohn, Peetz, Lohmann
Fundstellen