Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch gegenüber der Alleinerbin auf Zahlung des Pflichtteils
Normenkette
BGB § 2313; KO § 166 Abs. 2
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. November 1984 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an jede der Klägerinnen mehr als 75.000,- DM mit Zinsen zu zahlen, sowie im Kostenpunkt.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Alleinerbin ihres am 3. Februar 1980 verstorbenen Schwiegervaters August D.. Die Klägerinnen, die Töchter des Verstorbenen, verlangen von der Beklagten Zahlung ihres Pflichtteils in Höhe von je 1/8 des Nachlaßwertes. Die Parteien streiten um die Bewertung des Nachlasses, der im wesentlichen aus bebauten Grundstücken besteht.
Die Klage auf Zahlung von je 100.000,- DM nebst Zinsen hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Der Senat hat die Revision der Beklagten insoweit angenommen, als sie verurteilt worden ist, an jede der Klägerinnen mehr als 75.000,- DM nebst Zinsen zu zahlen. Im übrigen hat er die Revision nicht zur Entscheidung angenommen. In diesem beschränktem Umfang verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
1.
Das Berufungsgericht ist - wie das Landgericht - dem Sachverständigen Karge folgend von einem das frühere Betriebsvermögen des Erblassers ausmachenden Wert der Grundstücke abzüglich der dinglichen Belastungen von 857.589,32 DM ausgegangen. Weitere von der Beklagten geltend gemachte Nachlaßverbindlichkeiten hat es nicht anerkannt. Es sei völlig ungewiß, daß noch Einkommensteuer des Erblassers für das Jahr 1980 anfallen würde. Eine Heranziehung zur Einkommensteuer fast fünf Jahre nach seinem Tode sei um so weniger zu erwarten, als er in den vorangegangenen Jahren kein zu versteuerndes Einkommen erzielt gehabt habe, und nicht ersichtlich sei, inwiefern 1980 ein steuerbares Einkommen angefallen sein sollte.
Auch die auf dem Grundstück der Ehefrau des Erblassers ruhenden Belastungen seien nicht als Passivposten vom Nachlaßwert in Abzug zu bringen. Es sei davon auszugehen, daß die Ehefrau im Innenverhältnis allein für die Rückzahlung der Grundstücksbelastungen habe haften sollen. Dabei könne dahinstehen, ob sich der Erblasser seiner Ehefrau gegenüber verpflichtet gehabt habe, diese Schulden im Innenverhältnis allein zu tragen. Da das Hausgrundstück nach dem Vortrag der Beklagten der Alterssicherung der Ehefrau habe dienen sollen, habe eine etwaige Verpflichtung des Erblassers zur Tilgung der Grundstücksbelastungen ebenfalls nur diesem Zweck dienen können. Sie wäre mit dem Tod der Ehefrau des Erblassers gegenstandslos geworden. Daß aus dem Nachlaß des Erblassers Beträge auf die Grundstücksbelastung gezahlt worden seien, habe die Beklagte nicht substantiiert dargetan.
Auch ein angeblich dem Erblasser vom Ehemann der Beklagten gewährtes Darlehen könne nicht berücksichtigt werden. Der Höhe nach könne es sich allenfalls um einen Betrag von 276.559,24 DM handeln. Es spreche alles dafür, daß diese etwaige Forderung nicht dem Ehemann der Beklagten persönlich, sondern dessen Firma ART K. Hans-Jürgen D. GmbH & Co KG zugestanden habe. Da über das Vermögen dieser Firma das Konkursverfahren eröffnet worden sei, habe die Forderung als völlig ungewisse nach § 2313 BGB bei der Bewertung des Nachlasses auszuscheiden. Sie könnte nur den Gläubigern der Firma zugute kommen, auch sei ihre Einziehung nicht zu erwarten.
2.
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils in dem durch den Annahmebeschluß des Senates gezogenen Rahmen.
a)
Zwar konnte der Berufungsrichter ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß der Erblasser für die Monate Januar und Februar 1980 nicht mehr zur Einkommensteuer werde veranlagt werden, nachdem in den berichtigten Steuerbescheiden für die Jahre 1975 bis 1979 jeweils Verluste festgestellt worden waren. Es ist nichts dafür dargetan, daß in der Person des Erblassers ein Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG hätte anfallen können. Die Beklagte hat sich stets darauf berufen, die Einzelhandelsfirma des Erblassers sei vom Finanzamt als ruhender Betrieb behandelt worden, obwohl die Firma im Handelsregister längst gelöscht war (vgl. zum Begriff der "Aufgabe des Gewerbebetriebes": Ludwig Schmidt, EStG 4. Aufl. § 16 Anm. 29 ff.). Nach ihrer Darstellung hat das Finanzamt nicht geltend gemacht, der Erblasser habe noch zu Lebzeiten den Gewerbebetrieb aufgegeben. Kam es aber zur Betriebsaufgabe erst im Zusammenhang mit dem Erbfall, so konnte nach heute gefestigter Auffassung ein steuerbarer Veräußerungsgewinn nur in der Person der Erbin entstehen (Ludwig Schmidt a.a.O. § 16 Anm. 5; BGH Urt. v. 26. April 1972 - IV ZR 114/70 - NJW 1972, 1269).
b)
Das Berufungsgericht übersieht aber rechtsfehlerhaft, daß in der Person der Erbin ein zu versteuernder Veräußerungsgewinn entstehen konnte und daß das Rückwirkungen auf die Bewertung der Grundstücke haben kann. Die Beklagte hatte vorgetragen und durch den Antrag auf Einholung einer Auskunft des Finanzamtes unter Beweis gestellt, daß die Grundstücke zum Betriebsvermögen der Einzelfirma des Erblassers gehört hatten, daß sie in den Bilanzen der Einzelfirma mit keinen erheblichen Werten mehr erschienen seien und daß das Finanzamt die Auffassung vertrete, der ruhende Gewerbebetrieb sei mit dem Tode des Erblassers beendet, die stillen Reserven seien auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu versteuern; es falle deshalb eine Steuer in Höhe von 26 % (d.h. des halben Steuersatzes nach § 34 EStG) des Veräußerungsgewinnes, also des Grundstückswertes an. Danach kann nicht ausgeschlossen werden, daß eine mit dem Erbfall in unmittelbarem Zusammenhang stehende Betriebsaufgabe vorliegt, die zu einer entsprechenden Besteuerung der Beklagten als Erbin führt. Zwar ist diese Steuer keine Nachlaßverbindlichkeit und kann deshalb nicht einfach als Passivum vom Nachlaßwert abgesetzt werden. War mit ihr jedoch schon zur Zeit des Erbfalles zu rechnen, weil an eine Wiederaufnahme des Betriebes durch die Erbin nie gedacht war, so durften die zum Betriebsvermögen gehörenden Grundstücke nicht mit ihrem vollen Wert ohne Berücksichtigung der zu erwartenden Steuerbelastung angesetzt werden (BGH aaO). Das Berufungsurteil wird deshalb in dem Umfang aufgehoben, in dem sich das äußerstenfalls auf die Berechnung der geltend gemachten Pflichtteile auswirken kann. Der Berufungsrichter wird festzustellen haben, ob eine entsprechende Besteuerung der Beklagten inzwischen erfolgt oder zu erwarten ist, und wird gegebenenfalls den Wert des Nachlasses nach den Grundsätzen in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes neu schätzen müssen.
3.
Dagegen enthält das Berufungsurteil entgegen der Auffassung der Revision keine weiteren Rechtsfehler.
a)
Es ist nicht zu beanstanden, daß der Berufungsrichter Verpflichtungen der Ehefrau des Erblassers, für die dieser die gesamtschuldnerische Mithaftung übernommen hatte, bei der Bewertung des Nachlasses nicht berücksichtigt. Haftet der Erblasser für eine Verbindlichkeit gesamtschuldnerisch mit, so ist für die Bewertung seines Nachlasses das Innenverhältnis maßgebend (BGH Urt. v. 6. Dezember 1978 - IV ZR 82/77 - NJW 1979, 546, 547). Haftet die Ehefrau im Innenverhältnis allein, weil die Beträge zum Bau ihres Hauses verwendet worden waren, so ist der Nachlaß durch die gesamtschuldnerische Mithaftung nicht belastet. Hatte der Verstorbene dagegen zur Alterssicherung seiner Ehefrau die Tilgung übernommen, so ist es naheliegend und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, mit dem Berufungsrichter anzunehmen, daß dies nur bis zu ihrem Tode gelten sollte. Sie starb zwar erst nach dem Erblasser. Es ist aber gerechtfertigt, hier die nachträgliche Entwicklung mitzuberücksichtigen, weil bis zu ihrem Tode ungewiß war, in welcher Höhe noch Beträge für diesen Zweck aufgewendet werden mußten. § 2313 gebietet für diesen Fall die Berücksichtigung auch der nachträglichen Entwicklung. Durch den Tod der Ehefrau ist der bis dahin bestehende Zweifel, wie lange eine Fortzahlung zu dauern hatte, behoben worden. Daß tatsächlich Beträge von der Erbin gezahlt worden wären, hat die Beklagte nicht behauptet.
Ohne Erfolg wendet die Revision gegen diese Betrachtungsweise ein, daß der Erblasser möglicherweise für den Bau des Hauses die erforderlichen Verträge mit Handwerkern eigenen Namens geschlossen hatte. Maßgeblich für seine Verpflichtung im Innenverhältnis des Gesamtschuldverhältnisses ist nur seine Abrede mit seiner Ehefrau. Verträge mit den Bauhandwerkern konnten nur im Verhältnis zu diesen eine Verpflichtung begründen.
b)
Auch die Beurteilung der angeblichen Darlehensforderung des Ehemannes der Beklagten durch den Tatrichter enthält keinen Rechtsfehler. Es war nach Sachlage gerechtfertigt, diese Forderung als zweifelhaft im Sinne des § 2313 Abs. 2 BGB unberücksichtigt zu lassen. Dem Tatrichter schienen sowohl der rechtliche Bestand der Forderung als auch die Wahrscheinlichkeit, daß sie durchgesetzt werden würde, als gänzlich ungewiß. Jeder dieser Umstände führt für sich allein zur Nichtberücksichtigung der Forderung nach § 2313 Abs. 2 BGB. Dabei übersieht der Tatrichter keineswegs die Vorschrift des § 166 Abs. 2 KO, wonach auch nach der Schlußverteilung im Konkursverfahren Ansprüche einer Firma durchgesetzt werden können. Etwa eingehende Gelder sind dann aber eben an die Gläubiger zu verteilen. Daß der Tatrichter im Hinblick darauf diese Forderung als dubios bewertet, ist mehr als naheliegend.
Unterschriften
Rottmüller Dr
. Lang
Dehner
Dr. Zopfs
Dr. Ritter
Fundstellen