Leitsatz (amtlich)
Ist ein Prozeßvergleich als solcher wegen formeller Mängel unwirksam, so kann die getroffene Vereinbarung gleichwohl als außergerichtlicher materiell-rechtlicher Vergleich Bestand haben, wenn dies dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht.
Normenkette
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1; BGB §§ 140, 779
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main |
OLG Frankfurt am Main |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 1983 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe ist die am 6. September 1965 geborene Tochter Ilona Martina hervorgegangen. In dem auf die Scheidungsklage der Klägerin anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 1977, der vor dem Kammervorsitzenden als Einzelrichter stattfand, war der Beklagte nur zeitweise anwaltlich vertreten. Da die Parteien eine Vereinbarung über die Scheidungsfolgen treffen wollten, wurde der Vorsitzende durch Beschluß „mit dem Abschluß der Vereinbarung beauftragt”. Sodann schlossen die Parteien – und zwar der Beklagte ohne anwaltliche Vertretung – folgende Vereinbarung, die nach dem ursprünglichen von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin formulierten Entwurf für den Fall einer Scheidung aus dem Verschulden des Beklagten, nach der endgültigen Fassung hingegen „für den Fall der rechtskräftigen Scheidung” der Ehe gelten sollte:
1. … (Vorschlag zur Übertragung der elterlichen Gewalt über die Tochter Ilona Martina auf die Klägerin.)
2. a) Der Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin für das gemeinsame Kind, die Tochter Ilona Martina geboren am 6.9.1965, vom 1.7.1977 an einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 300 DM, jeweils im voraus bis zum 5. des Monats zu zahlen. Der Beklagte verpflichtet sich weiter, das gemeinsame Kind in seiner Krankenversicherung mitversichern zu lassen. Dafür soll dem Beklagten das gesetzliche Kindergeld allein zustehen.
b) Der Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin vom 1.7.1977 an einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 900 DM, jeweils im voraus bis zum 5. des Monats zu zahlen. Der Beklagte verzichtet auf seine Rechte aus § 323 ZPO für den Fall seiner Wiederverheiratung. Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Klägerin zu dem an sie bezahlten Unterhaltsbeitrag so viel hinzuverdienen kann, daß sie 2.000 DM netto monatlich zur Verfügung hat. Im Augenblick kann die Klägerin also 1.100 DM netto monatlich hinzuverdienen, ohne daß dieser Betrag auf die Verpflichtung des Beklagten angerechnet wird. Eine Anrechnung soll erst dann stattfinden, wenn der Nettoverdienst der Klägerin dazu führt, daß der Betrag von 2.000 DM netto monatlich überschritten wird. In diesem Fall ist der Nettoverdienst der Klägerin, der über den Betrag von 2.000 DM hinausgeht, anzurechnen. Bis zum 31.12.1977 wird der Beklagte die Klägerin in ihrem Angestelltenverhältnis weiter führen. Solange das Angestelltenverhältnis der Klägerin fortbesteht, kann die Klägerin keinen Unterhalt für sich selbst verlangen, weil ihre Nettobezüge aus dem Angestelltenverhältnis höher sind als der Betrag von 900 DM.
c) Bei den Beträgen von 900 DM für die Klägerin und 300 DM für das gemeinsame Kind gehen die Parteien von den Angaben des Beklagten über sein Nettoeinkommen aus, das der Beklagte auf im Augenblick ca. 3.500 DM netto monatlich schätzt, das aber nach erfolgter Scheidung nur noch ca. 3.000 DM netto monatlich betragen dürfte.
3. … (Hausrat)
4. … (Zugewinnausgleich)
5. … (Kostenregelung)
6. …
Danach wurde die Ehe nach § 48 EheG ohne Schuldausspruch geschieden. Die Parteien erklärten Rechtsmittelverzicht.
In der Folgezeit zahlte der Beklagte bis Ende 1980 die vereinbarte Unterhaltsrente von monatlich 900 DM an die Klägerin. Anfang 1981 stellte er die Zahlungen ein. Er vertrat die Ansicht, der gesamte in der Vereinbarung vom 27. Juni 1977 zugesagte Unterhaltsbetrag habe letztlich der Tochter zukommen sollen und sei auf Anraten des damaligen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nur pro forma auf diese und die Tochter verteilt worden. Die Unterhaltsregelung zugunsten der Klägerin habe auslaufen sollen, wenn die Tochter eine Lehre beginne, spätestens mit Vollendung ihres 15. Lebensjahres. Inzwischen sei die Tochter selbständig und bedürfe keiner Betreuung mehr durch die Klägerin. Diese könne daher eine ganztägige Berufstätigkeit aufnehmen, um ihren Unterhalt zu verdienen.
Der Beklagte ist seit Oktober 1979 wieder verheiratet und hat aus der Ehe eine im Dezember 1980 geborene Tochter. Sein Einkommen ist nach der Darstellung der Klägerin inzwischen auf monatlich rund 10.000 DM netto gestiegen.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Weiterzahlung der ihr in der Vereinbarung vom 27. Juni 1977 zugesagten Unterhaltsrente von monatlich 900 DM ab Januar 1981 in Anspruch. Sie tritt dem Vorbringen des Beklagten über die behauptete Einschränkung der ihr erteilten Unterhaltszusage und über ihre angeblich nicht mehr bestehende Unterhaltsbedürftigkeit entgegen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat die Vereinbarung vom 27. Juni 1977 als Prozeßvergleich für unwirksam erklärt, weil der Beklagte bei ihrem Abschluß nicht anwaltlich vertreten gewesen sei; das in dem Prozeßvergleich gleichzeitig liegende materiell-rechtliche Rechtsgeschäft hat es jedoch für wirksam gehalten und auf dieser Grundlage den Beklagten verpflichtet, weiterhin die vereinbarte Unterhaltsrente an die Klägerin zu zahlen.
Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte Berufung eingelegt, mit der er sich in erster Linie auf die Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs berufen und als Folge hiervon auch die Unwirksamkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung behauptet hat. Einen außergerichtlichen Vergleich hätten die Klägerin und er nicht geschlossen, da zu keinem der geregelten Punkte ein Streit oder eine Ungewißheit bestanden habe.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Die Zulässigkeit der erhobenen Leistungsklage – und das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin – sind von den Vorinstanzen zu Recht bejaht worden. Die Parteien haben zwar in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 1977 im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens die Scheidungsfolgenvereinbarung in der Form eines Prozeßvergleichs geschlossen. Gegen dessen prozessuale Wirksamkeit bestehen jedoch (wie unten näher ausgeführt wird) Bedenken, da der Beklagte bei seinem Abschluß nicht anwaltlich vertreten war. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin ohne weiteres die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich betreiben könnte (§§ 794 Abs. 1 Nr. 1, 795 Satz 1 ZPO) und damit ein anderes, billigeres und leichter zum Erfolg führendes Rechtsschutzmittel zur Verfügung hätte als die erhobene Leistungsklage (vgl. Rosenberg/Schwab Zivilprozeßrecht 13. Aufl. § 93 IV 2 S. 523, 524). Der Beklagte hätte vielmehr die Möglichkeit, gestützt auf die von ihm behauptete Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs, Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel zu erheben (§ 732 ZPO vgl. BGHZ 15, 190, 191; Zöller/Stöber ZPO 14. Aufl. § 732 Rdnr. 6). Da sich auch in einem solchen Fall ein gerichtliches Verfahren nicht vermeiden ließe, ist das Rechtsschutzinteresse der Klägerin für die Durchführung der vorliegenden Leistungsklage zu bejahen, zumal im Rahmen dieses Rechtsstreits zugleich eine bindende Entscheidung über das Bestehen eines materiell-rechtlichen Unterhaltsanspruches der Klägerin zu treffen ist.
II.
1. Das Oberlandesgericht hat die Vereinbarung der Parteien vom 27. Juni 1977 als Prozeßvergleich im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für unwirksam gehalten, weil der Beklagte nicht in der Lage gewesen sei, im Verfahren vor dem Landgericht persönlich, ohne Mitwirkung eines Rechtsanwalts, prozessual wirksame Erklärungen abzugeben. Die Tatsache, daß der Einzelrichter die Verhandlung insoweit als beauftragter Richter geleitet habe, ändere hieran nichts; denn diese Maßnahme habe ersichtlich dazu gedient, dem Beklagten unter Ausschaltung des § 78 Abs. 1 ZPO nach Abs. 2 der Vorschrift die Möglichkeit zum Abschluß einer möglicherweise auch prozessual wirksamen Vereinbarung zu geben, ohne daß einer der gesetzlichen Gründe für die Tätigkeit eines beauftragten Richters vorgelegen habe. Ein solches mit den Gesetzesbestimmungen nicht vereinbares Verhalten sei nicht geeignet, einen wirksamen Schuldtitel zu schaffen.
Die hiermit von dem Oberlandesgericht – auf der Grundlage der bis zum Inkrafttreten des 1. EheRG geltenden Vorschriften – im Sinne der Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs entschiedene Rechtsfrage war seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung und im Schrifttum erheblich umstritten. So wurde einerseits die Meinung vertreten, der Abschluß eines Prozeßvergleichs im Scheidungsverfahren unterliege grundsätzlich dem Anwaltszwang; wenn eine Partei nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten sei, könne kein prozessual wirksamer Vergleich zustande kommen (Brühl/Göppinger/Mutschler Unterhaltsrecht 3. Aufl. 2. Teil Rdnr. 1474; Rosenberg/Schwab a.a.O. § 132 III 2 g S. 779; Hoffmann/Stephan Ehegesetz 2. Aufl. § 72 Rdnr. 91; OLG München NJW 1962, 351; OLG Hamburg MDR 1950, 292 – Ausnahme bei Vergleichsabschluß in einem besonderen Sühnetermin). Andererseits wurde der Anwaltszwang für Prozeßvergleiche in Scheidungsverfahren auch generell verneint (BGB-RGRK/Wüstenberg 10./11. Aufl. § 72 EheG Anm. 126 m. N.; Soergel/Siebert/Donau BGB 10. Aufl. § 72 EheG Rdnr. 27; Blomeyer Zivilprozeßrecht § 65 V S. 327, 328; Bötticher MDR 1950, 294, 295; OLG Neustadt NJW 1964, 1329). Dies wurde vielfach mit der Erwägung begründet, Prozeßvergleiche in Ehesachen – die nicht der Erledigung des Ehestreits als solchen dienen könnten – enthielten überwiegend Regelungen, die Gegenstand von Verfahren nach §§ 627, 627 b ZPO a.F. sein könnten; diese Verfahren seien aber, jedenfalls bei der Antragstellung (Brühl/Göppinger/Mutschler a.a.O. Rdnr. 1474), vom Anwaltszwang befreit. Der für ein Verfahren nach § 627 b ZPO a.F. erforderliche Antrag sei im allgemeinen darin zu erblicken, daß die Parteien das Gericht des Ehescheidungsprozesses um Protokollierung des Vergleichs ersuchten (Hoffmann/Stephan a.a.O. § 72 Rdnr. 88; Soergel/Siebert/Donau a.a.O. § 72 Rdnr. 26, 27; BGHZ 15, 190, 192; BGH LM 826 (Fa) BGB Nr. 3; OLG Celle Rechtspfleger 1974, 319, 320). Eine weitverbreitete Meinung ging schließlich dahin zur Vermeidung der Unwirksamkeit von Prozeßvergleichen in Fällen, in denen die beklagte Partei nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten sei, solle ein Mitglied des Kollegiums mit der Entgegennahme der Vergleichserklärungen beauftragt werden (Nikisch Zivilprozeßrecht 1950 § 70 II 2 S. 274); die Verweisung an einen beauftragten Richter unter Anwendung des § 296 Abs. 1 ZPO a.F. könne bei fehlender anwaltlicher Vertretung einer Partei „Abhilfe bieten” (Stein/Jonas ZPO 19. Aufl. § 78 Anm. IV 4 – anders wohl Stein/Jonas/Schumann/Leipold 19. Aufl. § 296 Anm. I 3; Baumbach/Lauterbach ZPO 34. Aufl. § 296 Anm. 2 B; Thomas/Putzo ZPO 8. Aufl. § 296 Anm. 1; Göppinger, Vereinbarungen anläßlich der Ehescheidung 1969 Rdnr. 52; Jauernig NJW 1975, 2300, 2301; OLG Neustadt NJW 1958, 795; OLG Düsseldorf NJW 1975, 2298, 2299).
Die Streitfrage braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden; denn der geltend gemachte Unterhaltsanspruch der Klägerin hängt nicht ab von der prozessualen Wirksamkeit des Vergleichs vom 27. Juni 1977 als Vollstreckungstitel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sondern – nur – von der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der getroffenen Unterhaltsvereinbarung.
2. Diese hat das Oberlandesgericht im Ergebnis zutreffend – auch – für den Fall bejaht, daß die Vereinbarung den formellen Erfordernissen eines Prozeßvergleichs nicht genügen sollte. Der Prozeßvergleich hat eine rechtliche Doppelnatur: Er ist einerseits Prozeßhandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt, und andererseits privates Rechtsgeschäft, für das die Regeln des materiellen Rechts gelten (BGHZ 79, 71, 74 m. N. – herrschende Meinung; vgl. auch Senatsbeschluß vom 18. Januar 1984 – IVb ZB 53/83 – FamRZ 1984, 372, 373). Als Folge der Doppelnatur beeinflussen sich der prozessuale und der materiell-rechtliche „Vergleich” in ihrer Wirksamkeit wechselseitig, allerdings in unterschiedlicher Weise. Da die Prozeßhandlung nur die „Begleitform” für einen materiell-rechtlichen Vergleich ist, verliert sie ihre Wirksamkeit, wenn der materielle Vergleich seinerseits unwirksam ist oder wird (BAGE 8, 228, 235, 236; 9, 172, 174; Zöller/Stöber a.a.O. § 794 Rdnr. 15); dem Vergleich wird die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozeßbeendigung entzogen, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen unwirksam ist (BGHZ 79 a.a.O.). Kommt hingegen wegen formeller Mängel ein wirksamer Prozeßvergleich nicht zustande, so führt das nicht ohne weiteres zur Ungültigkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung (BGB-RGRK/Steffen 12. Aufl. § 779 Rdnr. 57; BAGE 8 a.a.O.; 9 a.a.O.). Diese kann vielmehr als außergerichtlicher materiell-rechtlicher Vergleich im Sinne von § 779 BGB Bestand haben, wenn das dem hypothetischen Parteiwillen entspricht (BGB-RGRK/Steffen a.a.O.; BAGE 9 a.a.O.). Es ist daher in einem solchen Fall durch Auslegung zu ermitteln, ob ein Verfahrensmangel auch zur Nichtigkeit der materiell-rechtlichen Abrede führen sollte, oder ob die Parteien den Vergleich – wenn ihnen seine formelle Unwirksamkeit bekannt gewesen wäre jedenfalls als außergerichtlichen Vergleich hätten gelten lassen wollen (§ 140 BGB; vgl. Stein/Jonas/Münzberg ZPO 20. Aufl. § 794 Rdnr. 51). Dabei kann die Erwägung eine Rolle spielen, daß der Beklagte häufig nicht ohne den Vorteil der Beendigung des Prozesses und der Kläger nicht ohne den Erwerb eines Vollstreckungstitels im Vergleichsweg „nachgegeben” hätten (Stein/Jonas/Münzberg a.a.O.); andererseits kann der Abschluß eines Prozeßvergleichs auch von Gründen bestimmt gewesen sein, die im Fall seiner formellen Unwirksamkeit jedenfalls zur Aufrechterhaltung der materiell-rechtlichen Vereinbarung führen sollten, weil den Parteien entscheidend an einer verbindlichen materiell-rechtlichen Regelung ihrer Rechtsbeziehungen gelegen war.
Die hiernach gebotene Auslegung der Vereinbarung vom 27. Juni 1977 mit ihren Begleitumständen zum Zwecke der Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens für den Fall der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht hervorhebt, nicht vorgenommen. Es ist allerdings im Ergebnis davon ausgegangen, daß der Beklagte rechtswirksam eine bindende Unterhaltsverpflichtung zugunsten der Klägerin eingegangen ist, die dem beiderseitigen Parteiwillen entsprach. Soweit indessen eine das Revisionsgericht bindende tatrichterliche Auslegung nicht vorliegt, kann der Senat diese selbst vornehmen, da nach dem – ersichtlich erschöpfenden – Tatsachenvortrag der Parteien zum Zustandekommen und zum Inhalt des Vergleichs weitere für die Auslegung erhebliche Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1980 – IVb ZR 550/80 – FamRZ 1980, 1104, 1105 m. N.).
Die Klägerin hatte die Ehescheidungsklage am 23. Juni 1977 bei Gericht eingereicht mit dem Ziel, die beabsichtigte Scheidung noch vor Inkrafttreten des 1. EheRG auf der Grundlage des früher geltenden Rechts zu erreichen. Zuvor hatten sich die Klägerin und ihr damaliger Prozeßbevollmächtigter Anfang Juni 1977 mit dem Beklagten in Verbindung gesetzt, um die Einzelheiten des Scheidungsverfahrens mit ihm zu besprechen. Dabei hatte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin angeregt, eine Scheidungsfolgenvereinbarung zu treffen, weil das Gericht andernfalls die Scheidung möglicherweise nicht mehr kurzfristig, noch vor Anfang Juli 1977, aussprechen würde. Dem Beklagten war dies nach seiner eigenen Einlassung (Schriftsatz vom 26. November 1980) „nur recht; denn es war ihm „daran gelegen, im Scheidungsverfahren ohne großen Streit auseinanderzukommen”. Er äußerte deshalb gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, er sei „auch daran interessiert, eine Vereinbarung abzuschließen”. Diese wurde sodann inhaltlich besprochen und von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin entworfen. Die Hinzuziehung eines Prozeßbevollmächtigten auf seiner Seite hielt der Beklagte nicht für erforderlich. Er erklärte vielmehr nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin (Schriftsatz vom 1. Juni 1982) auf wiederholte Fragen ihres Bevollmächtigten, er brauche keinen eigenen Anwalt, „was er zu sagen habe, könne er alleine sagen”.
Der Beklagte verzichtete also für die Durchführung des Scheidungsverfahrens bewußt auf eine rechtliche Beratung durch einen von ihm hinzuzuziehenden Prozeßbevollmächtigten, weil er davon ausging, die Bedeutung und Tragweite seiner abzugebenden Erklärungen selbst zu überblicken. Soweit die unterhaltsrechtlichen, allgemein vermögensrechtlichen und sonstigen Folgen der Scheidung zu regeln waren, legte der Beklagte, ebenso wie die Klägerin, Wert auf den Abschluß einer Vereinbarung, durch die die regelungsbedürftigen Fragen verbindlich geklärt werden sollten. Dabei spielte die Form, in der die Vereinbarung zu treffen war, nach dem beiderseitigen Parteivorbringen ersichtlich keine ausschlaggebende Rolle. Das Verhältnis der Eheleute zueinander war erkennbar nicht so gespannt, daß die Klägerin aus diesem Grund auf den Erwerb eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels angewiesen gewesen wäre. Andererseits war die Scheidungsfolgenvereinbarung – anders als ein Prozeßvergleich in sonstigen Zivilprozessen – nicht Mittel zur Beendigung des Scheidungsprozesses, sondern sie diente nur der Regelung der im Zusammenhang mit der Scheidung zu lösenden ehe- und familienrechtlichen Fragen. Demgemäß hing die – möglichst reibungslose – Beendigung des Scheidungsprozesses auch für den Beklagten nicht von dem Zustandekommen eines formell wirksamen Prozeßvergleichs ab. Das Interesse beider Eheleute war vielmehr maßgeblich auf die inhaltliche Regelung und Festlegung der Scheidungsfolgen gerichtet. Das führt zu der Feststellung, daß die getroffene Vereinbarung für den Fall ihrer prozessualen Unwirksamkeit nach dem mutmaßlichen Willen der Parteien jedenfalls als materiell-rechtlicher Vertrag wirksam und verbindlich bleiben sollte.
Dem steht nicht entgegen, daß die Vereinbarung in Nr. 2 b einen Verzicht des Beklagten auf die Rechte aus § 323 ZPO für den Fall seiner Wiederverheiratung enthält. Mit dieser von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin formulierten Klausel wurde lediglich dem Umstand Rechnung getragen, daß die Scheidungsfolgenvereinbarung nach der Vorstellung der Parteien in der Form eines Prozeßvergleichs getroffen werden sollte. Darüber hinaus kann dem Hinweis auf § 323 ZPO kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, daß die Vereinbarung – etwa – nur im Fall ihrer formellen Wirksamkeit als Prozeßvergleich auch materiell-rechtlichen Bestand haben sollte. Diese Frage ist vielmehr, wie ausgeführt, nach den Umständen des Zustandekommens der Vereinbarung im Sinne einer jedenfalls beabsichtigten Aufrechterhaltung ihrer materiell-rechtlichen Wirkungen zu entscheiden. Die Geltendmachung veränderter Umstände richtete sich sodann gegebenenfalls nicht nach § 323 ZPO, sondern nach den allgemeinen Grundsätzen des materiellen Rechts (vgl. auch BGHZ – GSZ – 85, 64, 69 ff.).
3. Bei der materiell-rechtlichen Beurteilung der Vereinbarung hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen eines Vergleichs nach § 779 BGB bejaht, durch den die Parteien – in der hier interessierenden Nr. 2 der Vereinbarung – die Ungewißheit über die Höhe des der Klägerin (nach der ursprünglich beabsichtigten Scheidung aus dem Verschulden des Beklagten) zustehenden Unterhaltsanspruches durch beiderseitiges Nachgeben – insbesondere durch den Verzicht der Klägerin auf die Durchführung eines Scheidungsverfahrens nach § 43 EheG sowie auf eine Ermittlung des genauen Einkommens des Beklagten einerseits und den Verzicht des Beklagten auf die nähere Feststellung des Umfangs der Erwerbsmöglichkeiten der Klägerin andererseits – beseitigt haben. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang im übrigen ausgeführt hat, die Klägerin sei den Interessen des Beklagten auch insoweit entgegengekommen, als sie sich zu einer kurzfristig durchzuführenden Scheidung noch nach den Vorschriften des früher geltenden Rechts und damit ohne Durchführung eines Versorgungsausgleichs bereit erklärt habe, greift die Revision dies ohne Erfolg an. Sie macht dazu geltend, nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien vor dem Oberlandesgericht habe während der Ehe nur die Klägerin und nicht auch der Beklagte Versorgungsanwartschaften erworben; infolgedessen hätte die Klägerin ohnehin keinen Anspruch auf einen zu ihren Gunsten durchzuführenden Versorgungsausgleich erworben. Das steht jedoch nicht in Einklang mit dem eigenen Vorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren. Denn er hat dort lediglich (mit Schriftsatz vom 11. März 1982) – unwidersprochen – ausgeführt, nur die Klägerin habe in der Ehe „Rentenanwartschaften aufgrund abhängiger Tätigkeit” erlangt, er, der Beklagte, habe derartige Anwartschaftsrechte nicht besessen. Das schließt nicht aus, daß er nicht andere Versorgungsanwartschaften oder Aussichten im Sinne von § 1587 a Abs. 2 BGB, etwa aus Lebensversicherungsverträgen auf Rentenbasis oder auf Kapitalbasis mit ausgeübtem Rentenwahlrecht (vgl. dazu Senatsbeschluß BGHZ 88, 386) erworben hatte, die im Falle der Scheidung nach dem Inkrafttreten des 1. EheRG zur Durchführung eines Versorgungsausgleichs zugunsten der Klägerin geführt hätten.
4. Die von dem Beklagten erklärte Anfechtung des Vergleichs wegen Irrtums hat das Oberlandesgericht zu Recht nicht durchgreifen lassen. Ebenso ist es rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß kein Anhaltspunkt für die Annahme einer Sittenwidrigkeit der Vereinbarung bestehe. Insoweit erhebt auch die Revision keine Bedenken.
5. Soweit sich der Beklagte auf einen Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung berufen hat, weil die Klägerin nach Treu und Glauben verpflichtet sei, ihren vollen Unterhalt nunmehr selbst zu verdienen, ist das Oberlandesgericht dem nicht gefolgt. Es hat ausgeführt, nach dem Sinn der getroffenen Vereinbarung vom 27. Juni 1977 sei der Klägerin jedenfalls zur Zeit allenfalls eine Halbtagsbeschäftigung zuzumuten, bei der sie nicht mehr als monatlich 1.100 DM netto verdienen könne; im übrigen sei zu bedenken, daß das Nettoeinkommen des Beklagten inzwischen auf mehr als monatlich 10.000 DM gestiegen sei, während die Parteien bei Abschluß der Vereinbarung im Jahre 1977 von einem Einkommen des Beklagten von rund 3.000 DM netto ausgegangen seien.
Diese tatrichterliche Auslegung der Vereinbarung durch das Oberlandesgericht ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie wird auch von der Revision nicht angegriffen.
Nach alledem hat das Berufungsgericht den Beklagten zu Recht für verpflichtet erklärt, die in der Vereinbarung vom 27. Juni 1977 zugesagten Unterhaltsbeiträge nach wie vor an die Klägerin zu leisten.
Fundstellen
Haufe-Index 609561 |
NJW 1985, 1962 |