Entscheidungsstichwort (Thema)
Nur ausnahmsweise Vorbehaltsurteil im Bauprozess bei Aufrechnung mit Anspruch auf Ersatz der Kosten der Mängelbeseitigung und Fertigstellungsmehrkosten gegen Werklohnanspruch. Vorbehaltsurteil über Werklohnforderung
Leitsatz (amtlich)
a) Ein Vorbehaltsurteil nach § 302 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Besteller ggü. der Werklohnforderung mit einem Anspruch aus demselben Vertragsverhältnis auf Ersatz der Kosten der Mängelbeseitigung oder der Fertigstellung aufrechnet.
b) Ein Vorbehaltsurteil kommt in einem solchen Fall ausnahmsweise in Betracht, wenn nach der auf der Grundlage des gesamten Streitstoffes vom Gericht vorzunehmenden Einschätzung die Gegenansprüche geringe Aussicht auf Erfolg haben und es unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen und der voraussichtlichen Dauer des weiteren Verfahrens angezeigt erscheint, dem Unternehmer durch einen Titel die Möglichkeit zu eröffnen, sich sofortige Liquidität zu verschaffen oder jedenfalls eine Sicherheit vom Besteller zu erlangen.
Normenkette
ZPO § 302 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 24.11.2004; Aktenzeichen 1 U 536/04) |
LG Mainz (Urteil vom 16.03.2004; Aktenzeichen 10 HKO 73/03) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 24.11.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Werklohn für Handwerkerleistungen bei zwei Bauvorhaben in H. und L. . Die Beklagte hat Mängel beanstandet, beide Aufträge entzogen und die Mängel anderweit beheben lassen. Sie verteidigt sich gegen die Klageforderung u.a. mit einer Gegenforderung in Höhe der Kosten der Ersatzvornahme (Mängelbeseitigungskosten für das Objekt H.). Hilfsweise macht sie einen Verzugsschaden geltend.
Das LG hat durch Teilend- und Teilvorbehaltsurteil entschieden und der Klage überwiegend stattgegeben. Die Entscheidung über die Aufrechnung mit den Mängelbeseitigungskosten und hilfsweise mit dem Verzugsschaden hat es dem Nachverfahren vorbehalten. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat die Revision zur Klärung des Anwendungsbereichs des § 302 Abs. 1 ZPO zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hält den Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung für zulässig. Zwar sei in § 302 ZPO von der Aufrechnung einer Gegenforderung die Rede. Demgegenüber mache die Beklagte nicht eine Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen geltend, sondern lediglich eine Verrechnung. Nach der Neufassung des § 302 ZPO und dem damit verfolgten gesetzgeberischen Anliegen gelte die Norm jedoch auch für Fälle der Verrechnung. Es seien alle Gegenforderungen aus demselben Vertragsverhältnis erfasst, die im Prozess zu einem Erlöschen oder zu einer Herabsetzung der Forderung führten, und zwar unabhängig davon, ob eine Aufrechnungserklärung erforderlich sei oder, wie bei der Verrechnung, nicht.
II.
Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsurteil ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil es nicht erkennen lässt, dass das Berufungsgericht sein Ermessen nach § 302 Abs. 1 ZPO erkannt und ausgeübt hat.
III.
Soweit es um den Vorbehalt der Aufrechnung mit einem Anspruch auf Ersatz von Mängelbeseitigungskosten ggü. der Werklohnforderung aus dem Objekt H. geht, gilt Folgendes:
1. Die von dem Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob § 302 Abs. 1 ZPO auch dann Anwendung finden kann, wenn zwischen einander gegenüber gestellten Forderungen eine Verrechnung stattfindet, stellt sich nicht. Der Senat hat klargestellt, dass eine Aufrechnung mit einem Anspruch, der dem Werklohnanspruch aufrechenbar gegenübersteht, nicht mit der Folge als Verrechnung behandelt werden kann, dass die gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen zur Aufrechnung umgangen werden können (BGH, Urt. v. 23.6.2005 - VII ZR 197/03, BGHReport 2005, 1240 m. Anm. Koenen = MDR 2005, 1344 = BauR 2005, 1477 = NZBau 2005, 582 = ZfBR 2005, 673, m.w.N.). Der Vergütungsanspruch der Klägerin und die Schadensersatzforderungen der Beklagten sind jeweils selbständige Forderungen. Sie stehen sich aufrechenbar gegenüber. Das hat der Senat für die Mehrkosten der Fertigstellung nach einer Kündigung entschieden (BGH, Urt. v. 23.6.2005 - VII ZR 197/03, BGHReport 2005, 1240 m. Anm. Koenen = MDR 2005, 1344 = BauR 2005, 1477 = NZBau 2005, 582 = ZfBR 2005, 673). Nichts Anderes gilt hinsichtlich der von der Beklagten geltend gemachten Mängelbeseitigungskosten.
2. Auch wenn eine solche Aufrechnung der gesetzlichen Regelung des § 302 Abs. 1 ZPO unterliegt, kann im Regelfall ein Vorbehaltsurteil über die Werklohnforderung nicht ergehen. Zwar steht die Entscheidung darüber, ob nach § 302 Abs. 1 ZPO ein Urteil über die Forderung unter Vorbehalt der Aufrechnung mit einer Gegenforderung ergeht, im freien Ermessen des Gerichts. Die sich aus der gebotenen Auslegung der gesetzlichen Regelung ergebenden Grenzen dieses Ermessens lassen bei Fallkonstellationen, wie sie hier zu beurteilen sind, jedoch grundsätzlich den Erlass eines Vorbehaltsurteils nicht zu. Auf die Einhaltung dieser Grenzen, wie auch darauf, ob das Gericht von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, ist das Berufungsurteil im Revisionsverfahren zu überprüfen.
a) Die seit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen mit Wirkung zum 1.5.2000 geltende Neufassung des § 302 Abs. 1 ZPO (BGBl. I, 330) eröffnet dem Gericht im Gegensatz zur vorherigen Fassung die Möglichkeit, auch dann ein Vorbehaltsurteil zu erlassen, wenn die zur Aufrechnung gestellte Forderung in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Klageforderung steht. Die Gesetzesänderung sollte die Möglichkeit verbessern, fällige Ansprüche zügig zu titulieren (BT-Drucks. 14/2752, 2). Damit sollte u.a. dem Missstand begegnet werden können, dass ein Besteller mit unberechtigten Gegenforderungen die frühzeitige Titulierung einer Werklohnforderung von Bauunternehmern verhindert (BT-Drucks. 14/2752, 14 f.; Musielak in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 302 Rz. 3).
b) Daraus folgt nicht, dass in den Fällen, in denen der Besteller mit einer Gegenforderung aufrechnet, ohne Einschränkung ein Vorbehaltsurteil erlassen werden kann. Vielmehr sind die vom Gericht zu beachtenden Grenzen seines Ermessens durch die Art der Gegenforderung und den mit dem Gesetz verfolgten Zweck, den Unternehmer vor einer unberechtigten Verzögerung des Rechtsstreits zu schützen, vorgegeben.
aa) Das Vorbehaltsurteil führt zu einer vorübergehenden Aussetzung der Wirkung einer materiell-rechtlich begründeten Aufrechnung (Kessen, BauR 2005, 1691 [1696]). Es hat zur Folge, dass der Kläger einen Titel über eine Forderung erhält, die tatsächlich infolge der Aufrechnung nicht besteht. Diese Wirkung ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt, wenn der Besteller gegenüber einer Werklohnforderung mit Ansprüchen aufrechnet, die dazu dienen, das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung herzustellen. Dazu gehören die Forderung auf Zahlung der Mängelbeseitigungskosten (BGH, Urt. v. 22.9.2005 - VII ZR 117/03, z.V.b.; Beschl. v. 2.5.2002 - VII ZR 178/01, BGHReport 2002, 835 = BauR 2002, 1390 = NZBau 2002, 499 = ZfBR 2002, 671) und die Forderung auf Zahlung der Fertigstellungsmehrkosten (BGH, Urt. v. 23.6.2005 - VII ZR 197/03, BGHReport 2005, 1240 m. Anm. Koenen = MDR 2005, 1344 = BauR 2005, 1477 = NZBau 2005, 582 = ZfBR 2005, 673; v. 18.6.2002 - XI ZR 359/01, BGHZ 151, 147 = BGHReport 2002, 830 m. Anm. Blank = MDR 2002, 1299).
Die synallagmatische Verknüpfung der Werklohnforderung mit der Forderung auf mangelfreie Erfüllung des Vertrages findet zunächst ihren Ausdruck in einem Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers im Falle einer mangelhaften oder nicht fertig gestellten Leistung, § 320 Abs. 1 BGB. Der Besteller kann sich im Prozess mit dem Leistungsverweigerungsrecht verteidigen mit der Folge, dass die Werklohnforderung ganz oder teilweise nicht durchsetzbar ist. § 302 Abs. 1 ZPO ist in diesem Fall nicht anwendbar (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 302 Rz. 4).
Grundsätzlich ist es ein nicht hinnehmbares Ergebnis, wenn eine aus dem Leistungsverweigerungsrecht erwachsene auf Zahlung gerichtete Gegenforderung dazu führen würde, dass der Werklohn - wenn auch nur vorübergehend - durchsetzbar wäre. Der Kläger würde in diesem Fall von einer doppelten Vertragswidrigkeit profitieren. Er erhielte ein vollstreckbares Urteil über seine Werklohnforderung, obwohl er den Vertrag nicht erfüllt hat und zudem der Aufforderung, die Erfüllungshandlung innerhalb einer Frist vorzunehmen, nicht nachgekommen ist. Der Senat hat wiederholt in anderem Zusammenhang entschieden, dass es grundsätzlich nicht interessengerecht ist, dem Unternehmer die Möglichkeit zu verschaffen, eine Werklohnforderung ohne Erbringung der Gegenleistung durchzusetzen (BGH, Urt. v. 23.6.2005 - VII ZR 197/03, BGHReport 2005, 1240 m. Anm. Koenen = MDR 2005, 1344 = BauR 2005, 1477 = NZBau 2005, 582 = ZfBR 2005, 673; Urt. v. 22.9.2005 - VII ZR 117/03, z.V.b.).
bb) Danach ist ein Vorbehaltsurteil grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Besteller ggü. der Werklohnforderung mit einem Anspruch auf Ersatz der Kosten der Mängelbeseitigung oder der Fertigstellung aus demselben Vertrag aufrechnet. Das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen bezweckt den Schutz des Klägers vor einer ungerechtfertigten Verzögerung des Verfahrens. Eine solche liegt nicht vor, wenn die Gegenforderung des Bestellers besteht, was allerdings in dem Zeitpunkt, in dem die Klage entscheidungsreif ist, nicht feststeht. Diese Unsicherheit geht grundsätzlich zu Lasten des Unternehmers, wenn der Besteller mit Ansprüchen in Höhe der Mängelbeseitigungskosten oder Fertigstellungsmehrkosten aufrechnet.
cc) Daraus folgt, dass § 302 Abs. 1 ZPO auch in der Neufassung nur wenige Ausnahmefälle zulässt, in denen der Richter die Grenzen seines Ermessens nicht überschreitet, wenn er trotz Aufrechnung mit Ansprüchen auf Ersatz von Mängelbeseitigungskosten und Fertigstellungsmehrkosten über den Werklohnanspruch durch Vorbehaltsurteil entscheidet. Die Ausnahmefälle haben sich an dem Zweck des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen zu orientieren. Ein Vorbehaltsurteil wird danach insb. dann in Betracht kommen, wenn nach der auf der Grundlage des gesamten Streitstoffes vom Gericht vorzunehmenden Einschätzung die Gegenansprüche geringe Aussicht auf Erfolg haben und es unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen und der voraussichtlichen Dauer des weiteren Verfahrens angezeigt erscheint, dem Unternehmer durch einen Titel die Möglichkeit zu eröffnen, sich sofortige Liquidität zu verschaffen oder jedenfalls eine Sicherheit vom Besteller zu erlangen. Ein solcher Fall kann z.B. dann vorliegen, wenn die Gegenforderung bei Würdigung des Parteivortrags oder der bisherigen Beweisergebnisse, z.B. eines überzeugenden Privatgutachtens oder der Ergebnisse eines selbständigen Beweisverfahrens, wahrscheinlich nicht besteht oder im Verhältnis zur Werklohnforderung wahrscheinlich geringes Gewicht hat und die weitere Aufklärung voraussichtlich so lange dauern wird, dass es nicht mehr hinnehmbar ist, dem Unternehmer die Möglichkeit einer Vollstreckung vorzuenthalten.
IV.
Soweit im Übrigen (Aufrechnung mit dem Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens ggü. den Werklohnforderungen sowie Aufrechnung mit dem Anspruch auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten aus dem Bauvorhaben in H. ggü. dem Werklohnanspruch aus dem Bauvorhaben in L.) aufgerechnet wird, gelten diese Grundsätze nicht, denn insoweit fehlt die erforderliche Verknüpfung von Forderung und Gegenforderung. Insoweit wird das Berufungsgericht ggf. sein freies Ermessen i.S.d. § 302 Abs. 1 ZPO ausüben und darlegen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 1471671 |
BGHZ 2006, 134 |