Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Zuständigkeit für Freistellungs- oder Erstattungsansprüche gegen den geschiedenen Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
Der Hilfsgerichtsstand des § 23a ZPO gilt auch für eine Klage, mit der ein Elternteil von dem anderen aufgrund einer Scheidungsvereinbarung die Befreiung von gesetzlichen Unterhaltsansprüchen eines gemeinsamen Kindes oder die Erstattung von Unterhaltsleistungen verlangt, die er dem Kind erbracht hat.
Normenkette
ZPO § 23a
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 09.03.1988) |
AG Delmenhorst |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats – 1. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 9. März 1988 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien waren miteinander verheiratet. Sie haben gemeinsam den am 21. Mai 1971 geborenen Sohn Kim. Am 16. Dezember 1983 schlossen sie unter der UR-Nr. 610 des Notars K. für den Fall der Scheidung einen Vertrag, der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
§ 3
Die Erschienene zu 2) erklärt, daß sie den Erschienenen zu 1) von allen Unterhaltsansprüchen des Kindes freistellt, weil auch diese in dem Abfindungsbetrag Berücksichtigung gefunden haben.
…
§ 6
Zur Abfindung aller möglichen Auseinandersetzungsansprüche einschließlich möglicher Zugewinnausgleichsansprüche zahlt der Erschienene zu 1) an die Erschienene zu 2) einen Betrag von 100.000 DM …
Zur Zeit des Vertragsschlusses hatte die Beklagte ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik. Jedenfalls seit der Scheidung, die im Frühjahr 1984 erfolgte und bei der ihr die elterliche Sorge für den Sohn übertragen wurde, wohnt die Beklagte mit Kim in Irland. Die im Vertrag zugesagten 100.000 DM hat der Kläger an die Beklagte gezahlt.
Im Sommer 1984 nahm der Sohn, vertreten durch die Beklagte, den Kläger auf Unterhalt in Anspruch. In dem Rechtsstreit wurde der Kläger rechtskräftig verurteilt, für die Zeit vom 1. Juli 1984 bis 31. Oktober 1985 einen Unterhaltsrückstand von 7.790 DM nebst 4% Zinsen seit 4. Oktober 1985 und ab 1. November 1985 einen monatlichen Unterhalt von 500 DM an Kim zu entrichten.
Der Kläger hat dementsprechende Unterhaltszahlungen erbracht und von der Beklagten die Erstattung der dafür aufgewendeten Beträge und der von ihm getragenen Verfahrenskosten sowie die Freistellung von weiteren Zahlungsverpflichtungen begehrt. Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, dem Kläger den für die Zeit vom 1. Juli 1984 bis 31. August 1987 an den Sohn geleisteten Unterhalt durch Zahlung von 19.361,27 DM nebst Zinsen zu erstatten und ihn vom 1. September 1987 an bis zur Volljährigkeit des Sohnes von seinen Unterhaltsverpflichtungen freizustellen. Auf die Berufung der Beklagten, mit der diese das Fehlen der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt hat, hat das Oberlandesgericht das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Kläger hat (zugelassene) Revision eingelegt, mit der er die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in FamRZ 1988, 631 veröffentlicht ist, hat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte für unzulässig erachtet.
1. Das Gericht hat angenommen, daß zwischenstaatliche Abkommen hier nicht eingreifen; insbesondere komme das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) nicht zum Zuge, weil die Beklagte ihren Wohnsitz in Irland habe und das EuGVÜ für Irland noch nicht gelte.
Die Annahme des Berufungsgerichts trifft im Ergebnis zu. Allerdings hat das EuGVÜ inzwischen auch für Irland Geltung erlangt, weil das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum EuGVÜ (BGBl 1983 II S. 802 ff.) für Irland am 1. Juni 1988 in Kraft getreten ist (vgl. die Bekanntmachung vom 20. Juni 1988, BGBl II S. 610) und damit das EuGVÜ auch im Verhältnis der Bundesrepublik zu Irland gilt. Indessen sieht die Übergangsregelung des Beitrittsübereinkommens in Art. 34 Abs. 1 vor, daß die Vorschriften des EuGVÜ im Verhältnis zu den neuen Mitgliedsstaaten nur auf Klagen anwendbar sind, die nach dem Inkrafttreten des Beitrittsübereinkommens erhoben werden (BGBl 1983 II S. 820 f.; vgl. auch Schlosser, Bericht zum Beitrittsübereinkommen vom 9. Oktober 1978, ABlEG 5.3.1979 Nr. C 59/71, 137; Kropholler, Europäisches ZPR 2. Aufl. Art. 54 Rdn. 2 f.). Damit sind sie auf die vorliegende Klage, die bereits am 12. März 1987 zugestellt worden ist, nicht anzuwenden.
2. Das Berufungsgericht hat weiter geprüft, ob die deutschen Gerichte nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit international zuständig sind. Das entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach die – in der ZPO nicht ausdrücklich geregelte – internationale Zuständigkeit sich zwar nach ihrem Wesen und ihrer Funktion von der örtlichen Zuständigkeit unterscheidet, jedoch grundsätzlich deren Regeln folgt. Soweit daher nach den Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO über den Gerichtsstand ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist, liegt, wenn wie hier keine abweichenden Vorschriften, insbesondere in zwischenstaatlichen Abkommen bestehen, gleichzeitig die erforderliche internationale Zuständigkeit vor (vgl. BGHZ 63, 219, 220; 69, 37, 44; 80, 1, 3; 94, 156, 157 sowie etwa Senatsurteil vom 9. April 1986 – IVb ZR 28/85 – FamRZ 1986, 665 m.w.N.).
a) Das Berufungsgericht hat die örtliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts aus § 29 ZPO verneint, weil der Erfüllungsort für die behauptete Freistellungsverpflichtung aus § 3 des Vertrages nach den Umständen in K./Irland liege, wo der Sohn lebe und auch die Barunterhaltspflicht des Klägers zu erfüllen sei.
Diese Beurteilung unterliegt rechtlichen Bedenken. Die vom Kläger geschuldete Unterhaltsrente ist eine Geldschuld. Nach § 270 Abs. 1 BGB hat der Kläger die laufenden Beträge auf seine Gefahr und Kosten an den Wohnsitz des Sohnes zu übermitteln. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich daraus jedoch nicht, daß dort auch der Leistungsort läge; denn die Geldschuld wird durch die Regelung des § 270 Abs. 1 BGB zwar der Bringschuld angenähert, sie unterscheidet sich von dieser jedoch dadurch, daß die Rechtzeitigkeit der Leistung von der Vornahme der Leistungshandlung am Wohnsitz des Schuldners abhängt und daß dort auch der Erfüllungsort liegt (Palandt/Heinrichs BGB 48. Aufl. § 270 Anm. 1 a; zur Unterhaltszahlung vgl. Göppinger Unterhaltsrecht 5. Aufl. Rdn. 337; MünchKomm/Richter § 1585 Rdn. 5; Rolland 1. EheRG 2. Aufl. § 1585 Rdn. 3; Hoffmann/Stephan EheG 2. Aufl. § 62 Rdn. 4). Das spricht dafür, daß auch die behauptete vertragliche Verpflichtung zur Befreiung des Klägers von seiner Unterhaltslast an seinem Wohnsitz zu erfüllen ist. Andererseits stellt sich die Frage, ob der Ort, an dem die Beklagte die zur Freistellung erforderlichen Leistungshandlungen vorzunehmen hat, nach den Umständen des Falles (§ 269 Abs. 1 BGB) deswegen in K./Irland liegt, weil der Sohn dort bei der Beklagten lebt und von ihr betreut wird, mithin die für seinen Bedarf erforderlichen Geldbeträge in K. benötigt und ausgegeben werden. Letztlich kann diese Frage jedoch offen bleiben, weil ihre Beantwortung auf das Ergebnis des Rechtsstreits keine Auswirkungen hat. Wenn die streitige Verpflichtung am Wohnsitz des Klägers zu erfüllen ist, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts aus § 29 ZPO. Liegt der Erfüllungsort in K./Irland, wird die Zuständigkeit des Gerichts, wie im folgenden dargelegt wird, durch § 23a ZPO begründet.
b) Nach Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich die Zuständigkeit nicht aus § 23a ZPO, weil das Klagebegehren keine „Unterhaltssache” sei.
Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision zu Recht.
Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß dieser Rechtsstreit keinen Unterhaltsanspruch zum Gegenstand hat. Wenn die Streitigkeit auch die gesetzliche Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Kinde betrifft und daher eine Familiensache darstellt, so ist der Unterhaltsanspruch des Sohnes doch nicht Streitgegenstand. Indessen ist die Anwendung des § 23a ZPO nicht auf den vom Berufungsgericht angegebenen Bereich beschränkt. Die Vorschrift wurde durch das Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern eingeführt (§ 12 des Ausführungsgesetzes vom 18. Juli 1961, BGBl I 1033). Durch sie sollte insbesondere den sozial schwachen Unterhaltsberechtigten die Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen erleichtert und eine Möglichkeit ausgeschöpft werden, die das genannte Haager Übereinkommen dadurch bietet, daß gemäß seinem Art. 3 Nr. 2 Unterhaltsentscheidungen im Klägergerichtsstand in den Vertragsstaaten anerkannt werden müssen (vgl. Begründung des Entwurfs des Ausführungsgesetzes, BT-Drucks. 3/2584 S. 12; Kropholler in Hdb. IZVR I Kapitel III Rdn. 415 f.). Trotz dieses Bezuges zu dem Haager Übereinkommen geht die Vorschrift über dessen Anwendungsbereich weit hinaus. Sie eröffnet den subsidiären Gerichtsstand nicht nur Kindern, sondern allen Unterhaltsberechtigten und steht auch für Klagen der Unterhaltsverpflichteten zur Verfügung (vgl. Senatsurteil vom 1. April 1987 – IVb ZR 41/86 – FamRZ 1987, 682). Ferner ist anerkannt, daß nicht nur gesetzliche Unterhaltsansprüche erfaßt werden, sondern auch solche vertraglicher Art, mithin auch durch Vertrag begründete Ansprüche, die vorher nicht bestanden haben. Außerdem fallen unter die Vorschrift auch auf Delikt beruhende Rentenansprüche Verletzter und Hinterbliebener (§§ 843, 844, 845 BGB usw.), obwohl es sich hierbei rechtssystematisch um Schadensersatzansprüche handelt und sich lediglich das Maß der Ansprüche nach den Unterhaltsbedürfnissen der Geschädigten oder der Anspruchsteller bemißt (vgl. Stein/Jonas/Schumann ZPO 20. Aufl. Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 47. Aufl. Anm. 1; Zöller/Vollkommer ZPO 15. Aufl. Rdn. 6; Röhl in AK ZPO Anm. 1, je zu § 23a). Ebensowenig hindert es das Eingreifen der Vorschrift, wenn in der Person des Verpflichteten oder des Berechtigten ein Wechsel eintritt (vgl. Stein/Jonas/Schumann a.a.O. Rdn. 7).
Dieser weite Anwendungsbereich der Vorschrift rechtfertigt es, auch den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch zwischen den Eltern wegen des Kindesunterhalts einzubeziehen. Der Ausgleichsanspruch hängt nach seinem tatsächlichen Grund eng mit der gesetzlichen Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind zusammen. Bestehen und Höhe des Ausgleichsanspruchs hängen davon ab, ob und inwieweit im Einzelfall eine Unterhaltspflicht des einen oder anderen Elternteils besteht und erfüllt worden ist. Wie schon in BGHZ 31, 329, 334 ausgeführt, handelt es sich bei den Beträgen, die einem Elternteil aufgrund eines derartigen Anspruchs zustehen, wirtschaftlich gesehen um „rückständige Unterhaltsleistungen”, weshalb der Bundesgerichtshof den Ausgleichsanspruch in der genannten Entscheidung praktisch einem Unterhaltsanspruch gleich behandelt hat (vgl. auch Senatsurteil vom 9. Mai 1984 – IVb ZR 84/82 – FamRZ 1984, 775, 776). Gegenstand des Anspruchs sind Geldleistungen, die anstelle der Unterhaltsleistungen dem Dritten zu erbringen sind, der die Unterhaltslast zunächst auf sich genommen hat. Der Ausgleichsberechtigte steht ähnlich da, wie wenn der Unterhaltsschuldner sonst nicht rechtzeitig leistet und ein subsidiär Verpflichteter einspringt und die Aufwendungen von dem Unterhaltsschuldner erstattet verlangt. Ob er diese Erstattung, wie im Falle des Eintritts der öffentlichen Hand, im Wege der Überleitung des Unterhaltsanspruchs erreicht oder mit Hilfe eines an sich gegenüber dem Unterhaltsanspruch eigenständigen Anspruchs, ist wirtschaftlich und vom Schutzzweck des § 23a ZPO her gleich. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, daß auch ein derartiger selbständiger Erstattungsanspruch – und mit ihm der Ausgleichsanspruch auf Freistellung von der Unterhaltslast – unter § 23a ZPO fällt.
Der vorliegende Rechtsstreit hat keinen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch, sondern einen Erstattungs- und Freistellungsanspruch aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung der Eltern zum Gegenstand. Von der Interessenlage der Beteiligten und dem Schutzzweck der gesetzlichen Regelung her sind diese Ansprüche jedoch nicht anders zu behandeln als der vorgenannte Ausgleichsanspruch. Deshalb gilt der Gerichtsstand des § 23a ZPO auch für sie.
Gegen dieses Verständnis der Bestimmung lassen sich aus den Vorschriften des § 23b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 GVG und des § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO keine Bedenken herleiten. Zwar hat der Bundesgerichtshof die Zugehörigkeit von Erstattungs- und Freistellungsansprüchen zu den Familiensachen im Sinne dieser Vorschriften vor allem mit dem Gesetzeswortlaut begründet und darauf abgestellt, daß derartige Rechtsstreitigkeiten zwar nicht unmittelbar den Unterhaltsanspruch ehelicher Kinder zum Gegenstand haben, daß sie aber gleichwohl die Unterhaltspflicht gegenüber solchen Kindern „betreffen” (vgl. BGHZ 71, 264 sowie Beschlüsse vom 14. Juni 1978 – IV ARZ 31/78 – FamRZ 1978, 672; 30. August 1978 – IV ARZ 45/78 – FamRZ 1978, 770 und 29. November 1978 – IV ARZ 99/78 – FamRZ 1979, 217). Das schließt jedoch nicht aus, die Bestimmung des § 23a ZPO – anders als § 200 Abs. 2 Nr. 5 a GVG (vgl. Senatsbeschluß vom 14. März 1984 – IVb ZB 142/83 – FamRZ 1984, 679) – in einem ähnlich ausgreifenden Sinne zu verstehen, auch wenn ihr Wortlaut von der Fassung des § 23b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 GVG, § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO abweicht (ebenso Baumbach/Lauterbach/Hartmann a.a.O. Anm. 1; vgl. auch Stein/Jonas/Schumann a.a.O. Rdn. 5).
3. Hiernach sind die deutschen Gerichte in dieser Sache auf jeden Fall international zuständig. Deshalb ist das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Lohmann, Portmann, Blumenröhr, Krohn, Nonnenkamp
Fundstellen
Haufe-Index 1127364 |
BGHZ, 300 |
BGHZ, ja zu 2 b der Entscheidungsgründe |
NJW 1989, 1356 |
Nachschlagewerk BGH |
IPRspr. 1989, 182 |