Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.11.2022; Aktenzeichen I-7 U 306/21)

LG Krefeld (Entscheidung vom 17.11.2021; Aktenzeichen 2 O 256/20)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb im Januar 2014 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten neuen VW Golf GTD, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außen-temperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermofenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine Fahrkurvenerkennung. Ein Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) ist nicht erfolgt.

Rz. 3

Der Kläger, der das Fahrzeug im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens veräußert hat, hat in den Vorinstanzen erfolglos beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 10.674,47 € nebst Prozesszinsen zu verurteilen und festzustellen, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt sei. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 6

Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Die in dem Fahrzeug eingesetzte Fahrkurvenerkennung biete weder für sich noch im Zusammenhang mit dem Thermofenster einen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte die damit verbundene Prüfstanderkennung eingesetzt habe, um das KBA zu täuschen. Auch in subjektiver Hinsicht könne der Beklagten kein sittenwidriger Schädigungsvorsatz angelastet werden. Die Rechtsauffassung der Beklagten, bei der Fahrkurvenerkennung in der im Fahrzeug verwendeten Ausgestaltung handele es sich nicht um eine Abschalteinrichtung, sei zumindest vertretbar. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

Rz. 7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

Rz. 8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

Rz. 9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

Rz. 10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Rz. 11

Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Insbesondere ist entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung die Geltendmachung eines Differenzschadens nicht ausgeschlossen, weil der Kläger das Fahrzeug vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz veräußert hat.

Rz. 12

Zu §§ 826, 31 BGB entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Weiterverkauf des Fahrzeugs den Vertragsabschlussschaden nicht ohne Weiteres entfallen lässt, sondern im Wege der Vorteilsausgleichung lediglich der erzielte marktgerechte Verkaufserlös anstelle des herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs wie erzielte Nutzungsvorteile mit dem dem Käufer zustehenden Schadensersatz zu verrechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 - VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594 Rn. 24 ff.; Urteil vom 23. Juni 2022 - VII ZR 442/21, juris Rn. 19). Für den Differenzschaden auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gilt nichts anderes, weil dem auf §§ 826, 31 BGB gestützten "großen" Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde liegen, die beide im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 45).

IV.

Rz. 13

Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Rz. 14

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Menges     

Möhring     

Götz

Rensen     

Vogt-Beheim     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15989238

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