Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldhafte Amtspflichtverletzung bei Beurkundung einer Aufhebung eines Erbvertrages bei Anwesenheit nur eines Vertragspartners
Leitsatz (amtlich)
- Zur Haftung des beurkundenden Notars für Nichterfüllung von Formvorschriften bei Protokollierung der Aufhebung eines Erbvertrags.
- Für den Beginn der Verjährung von Amtshaftungsansprüchen gegen Notare genügt eine Kenntnis des Verletzten von Schaden und Schädiger, die es ihm erlaubt, eine hinreichend aussichtsreiche - wenn auch nicht risikolose - Feststellungsklage zu erheben; diese Kenntnis muß sich auch auf das Fehlen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit erstrecken.
Normenkette
BNotO §§ 19, 46; BGB §§ 140, 839, 852, 2276, 2290, 2295
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. November 1980 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin wurde durch notarielles Testament vom 18. August 1970 von der am 2. Februar 1974 verstorbenen Witwe Wilhelmine M. zur Alleinerbin eingesetzt. Zuvor hatte die Erblasserin durch notariellen Erbvertrag vom 2. Dezember 1964 ihren Neffen Gerhard Mi. zum Erben bestimmt. Nachdem es zwischen ihr und dem Neffen zu Spannungen gekommen war, wollte sie den Erbvertrag aufheben. Ein hierauf gerichtetes Angebot machte sie ihrem Neffen in notarieller Urkunde vom 21. Juli 1970. Ihre Erklärung ist durch den Beklagten zu 1 als damaligen amtlich bestellten Vertreter des Beklagten zu 2 beurkundet worden. Der Neffe erklärte am 11. August 1970 zur Niederschrift eines anderen Notars die Annahme des Angebots.
Nach dem Tode der Erblasserin beantragten die Klägerin und Gerhard Mi. die Erteilung von Erbscheinen jeweils zu ihren Gunsten. Durch Beschluß vom 12. Januar 1975 kündigte das Amtsgericht an, Gerhard Mi. den Erbschein zu erteilen und den Antrag der Klägerin zurückzuweisen, weil der Aufhebungsvertrag nicht gemäß §§ 2290, 2276 BGB bei gleich zeitiger Anwesenheit beider Teile beurkundet worden und daher formnichtig sei. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Klägerin ist durch Beschluß des Landgerichts vom 19. März 1975 zurückgewiesen worden. Auf die weitere Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht durch Beschluß vom 14. Februar 1977 das Amtsgericht angewiesen, der Klägerin als Alleinerbin den Erbschein zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß das Angebot der Klägerin vom 21. Juli 1970 gemäß § 140 BGB in einen Rücktritt vom Erbvertrag (§ 2295 BGB) umzudeuten sei. Am 25. Juli 1977 hat das Amtsgericht der Klägerin den Erbschein erteilt.
Mit der am 17. August 1979 eingegangenen und am 27. August 1979 zugestellten Klage verlangt die Klägerin von den Beklagten Ersatz des Schadens, der ihr daraus entstanden sei, daß sie sich wegen der Unsicherheit der Rechtslage während des gesamten Erbscheinverfahrens nicht habe um das zum Nachlaß gehörende Hausgrundstück kümmern können; das Haus sei während dieser Zeit verwahrlost. Sie habe es am 6. Dezember 1977 verkauft, aber nur einen Kaufpreis von 133.000,00 DM erzielt, obwohl im Zeitpunkt des Erbfalls ein Preis von 160.000,00 DM hätte erreicht werden können. Die Wohnung der Erblasserin habe sie von April 1974 bis Juli 1977, die Wohnung im Obergeschoß habe sie von Juli 1975 bis Juli 1977 nicht vermieten können (Mietausfall: 13.750,00 DM). Von April 1974 bis Juli 1977 habe sie auf eine dinglich gesicherte Darlehensschuld der Erblasserin für Zinsen und Tilgung insgesamt 13.767,00 DM gezahlt. Außerdem habe sie, ohne das Grundstück inzwischen nutzen zu können, folgende Lasten getragen: Steuern (691,78 DM), Prämien für Feuer- (552,80 DM) und Haftpflichtversicherung (84,00 DM), Gebühren für die Mindestabnahme von Energie und Wasser (440,00 DM) sowie Kosten für Unkrautbeseitigung (667,11 DM).
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten zur Zahlung von 64.952,69 DM nebst Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagten sind dem Klageanspruch entgegengetreten und haben u.a. die Einrede der Verjährung erhoben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin in Höhe von 18.750,00 DM nebst Zinsen (13.750,00 DM Mietausfall neben dem entgangenen Gewinn und 5.000,00 DM Schmerzensgeld für ein Nervenleiden, das sie sich infolge der langwierigen Auseinandersetzungen zugezogen habe) zurückgewiesen und im übrigen die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Mit der Revision verfolgen die Beklagten das Ziel der gänzlichen Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1.
Die Haftung des Beklagten zu 1 ergibt sich aus § 19 BNotO in der Fassung vom 24. Februar 1961 (BGBl I 98), die Haftung des Beklagten zu 2 aus § 46 BNotO, jeweils in Verbindung mit § 839 BGB (vgl. § 36 Staatshaftungsgesetz vom 26. Juni 1981 - BGBl I 553).
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Beklagte zu 1 als Vertreter des Beklagten zu 2 bei der Beurkundung des auf Aufhebung des Erbvertrages gerichteten Angebots vom 21. Juli 1970 eine Amtspflicht verletzt hat, die ihm auch der Klägerin gegenüber oblag. "Dritte" im Sinne des § 839 BGB sind nicht nur die bei dem Amtsgeschäft unmittelbar Beteiligten, sondern alle Personen, deren Interesse nach der besonderen Natur des Amtsgeschäfts durch dieses berührt wird und in deren Rechtskreis dadurch eingegriffen werden kann, auch wenn sie durch die Amtsausübung nur mittelbar und unbeabsichtigt betroffen werden (BGHZ 20, 53, 56;31, 5, 10; RGZ 138, 309, 313). Will ein Erblasser ein gemeinschaftliches Testament widerrufen, um die Freiheit der letztwilligen Verfügung wiederzugewinnen, so ergibt sich aus der Natur und dem Zweck des Widerrufs, daß das Rechtsgeschäft nicht allein dem Interesse des Erblassers dient, sondern auch die Interessen derjenigen berührt, denen er seinen Nachlaß - sei es im Wege der gesetzlichen oder der testamentarischen Erbfolge - zuwenden oder die er sonst bedenken will. Selbst wenn bei der Widerrufsverhandlung ein Begünstigter nicht genannt wird, ist es für den Notar aus der Sache heraus ersichtlich, daß er bei seiner Amtshandlung neben dem Interesse des widerrufenden Erblassers das Interesse "Dritter" zu bedenken und zu wahren hat, denen der Widerruf zugute kommen soll. Das sind die Personen, die beim Erbfall entweder als gesetzliche Erben (unmittelbar aufgrund des Widerrufs der letztwilligen Verfügung) oder als testamentarisch Bedachte (aufgrund einer nach dem Widerruf anderweitig getroffenen letztwilligen Verfügung) ein Erbrecht oder einen erbrechtlichen Anspruch haben würden, wenn der Widerruf wirksam wäre (BGHZ 31, 5, 10/11). Nicht anders liegt es, wenn der Erblasser - wie hier - seine durch einen Erbvertrag eingeschränkte Freiheit letztwilliger Verfügungen durch Aufhebung des Erbvertrages zurückgewinnen will, um einen anderen (hier: die Klägerin) letztwillig zu bedenken.
2.
Rechtsbedenkenfrei ist die Würdigung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte zu 1 seine Amtspflicht schuldhaft dadurch verletzt hat, daß er entgegen §§ 2290, 2276 BGB die Aufhebung des Erbvertrages nicht bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Vertragspartner beurkundete.
3.
Zu Unrecht zieht die Revision die Feststellung des Berufungsgerichts in Zweifel, daß die Amtspflichtverletzung für die von der Klägerin geltend gemachten Schäden ursächlich geworden ist. Wäre der von der Erblasserin gewünschte Vertrag über die Aufhebung des Erbvertrages formgerecht beurkundet worden, so hätte das Nachlaßgericht aufgrund des notariellen Testaments der Klägerin den beantragten Erbschein sogleich erteilt. Damit steht fest, daß die fehlerhafte Beurkundung für die Verzögerung des Erbscheinerteilungsverfahrens ursächlich geworden ist. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß bereits das Amtsgericht auf dem Wege der Umdeutung (§ 140 BGB) zu demselben Ergebnis wie später das Oberlandesgericht hätte gelangen und der Klägerin das Erbrecht hätte bescheinigen können. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt es nicht außerhalb der Lebenserfahrung, daß ein Beurkundungsfehler zu einer gerichtlichen Fehlentscheidung führt. Im übrigen fällt das Risiko einer auf Beurkundungsfehler zurückzuführenden falschen Gerichtsentscheidung auch unabhängig von einer Wahrscheinlichkeitsprüfung in den Bereich der Schäden, für den der beurkundende Notar einzustehen hat (BGH Urteil vom 8. Dezember 1981 VI ZR 164/80 - Übersehen der Heilungsmöglichkeit nach § 313 Satz 2 BGB).
4.
Die Schadensersatzpflicht der Beklagten ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin auf andere Weise hätte Ersatz ihres Schadens erlangen können (§§ 19 Abs. 1 Satz 2, 46 Satz 1 BNotO a.F.). Als eine solche anderweitige Ersatzmöglichkeit kommen allerdings nicht nur Ersatzansprüche im technischen Sinne, sondern auch Möglichkeiten der Schadloshaltung rein tatsächlicher Art in Frage, z.B. die Ausübung privatrechtlicher Gestaltungsrechte gegenüber Dritten (BGH Urteil vom 23. Mai 1960, III ZR 66/59, VersR 1960, 663, 665). Wäre das Erbscheinerteilungsverfahren zuungunsten der Klägerin ausgegangen, so hätte sie allerdings einen Teil ihres Schadens, nämlich die Aufwendungen für Tilgung der Grundstückslasten, von dem durch Erbschein als Erben Ausgewiesenen (Gerhard Mi.) ersetzt verlangen können. Für diesen Teil ihres Schadens kam also zwar zunächst ein anderweitiger Ersatz in Betracht, doch entfiel diese Ersatzmöglichkeit endgültig, als die Klägerin schließlich einen Erbschein zu ihren Gunsten erhielt.
5.
Der hiernach bestehende Schadensersatzanspruch ist auch nicht verjährt.
Gemäß § 852 BGB beginnt die dreijährige Verjährungsfrist auch für Amtshaftungsansprüche gegen Notare, sobald der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Für den Verjährungsbeginn ausreichend ist im allgemeinen eine solche Kenntnis, die es dem Verletzten erlaubt, eine hinreichend aussichtsreiche - wenn auch nicht risikolose - und ihm daher zumutbare Feststellungsklage zu erheben (vgl. BGH Urteile vom 20. September 1968, V ZR 50/67, VersR 1968, 1186 und vom 2. Oktober 1978, III ZR 9/77, NJW 1979, 34). Da der Notar für Fahrlässigkeit nur haftet, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag, muß sich die Kenntnis des Verletzten auf das Fehlen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit erstrecken (vgl. BGH Urteil vom 29. Oktober 1963, VI ZR 311/62, MDR 1964, 224 = LM BGB § 852 Nr. 20; Senatsurteil vom 18. Dezember 1981, V ZR 220/80). Anderenfalls beginnt die Verjährung in dem Zeitpunkt, in dem sich der Geschädigte im Prozeßwege oder auf sonstige Weise hinreichend Klarheit verschaffen konnte, ob und in welcher Höhe ihm ein anderweitiger Ersatzanspruch zustand (vgl. BGH Urteile vom 20. September 1968, V ZR 50/67, VersR 1968, 1186 - für Amtspflichtverletzungen des Grundbuchamts; vom 21. September 1976, VI ZR 69/75, NJW 1977, 198 und vom 12. Oktober 1978, III ZR 162/76, NJW 1979, 34).
Eine derartige Kenntnis der Höhe des Ausfalls, für den die Beklagten aufzukommen haben, ist hier nicht festgestellt. Zwar hat die Klägerin spätestens im April 1975 von dem Beurkundungsfehler des Beklagten zu 1 erfahren und war sich hiernach im klaren, daß sie eine auch formell gesicherte Erbenstellung allenfalls erst in einem unter Umständen langwierigen Erbscheinerteilungsverfahren erlangen werde. Sie wußte aber noch nicht, wie das Erbscheinerteilungsverfahren ausgehen und ob sie - bei ungünstigem Ausgang - jedenfalls die aufgewendeten Grundstückslasten auf Gerhard Mi. würde abwälzen können. Unter diesen Umständen waren die besonderen Voraussetzungen der maßgeblichen Kenntnis vom endgültigen Ausfall trotz anderweitiger Teilersatzmöglichkeit erst nach Abschluß des Erbscheinverfahrens gegeben. Die Klageforderung ist daher nicht verjährt, sondern dem Grunde nach begründet.
6.
Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Thumm
Dr. Eckstein
Hagen
Linden
Vogt
Fundstellen
Haufe-Index 1456508 |
DNotZ 1983, 776 |