Leitsatz (amtlich)
Sind in einem Scheidungsrechtsstreit die Parteien von dem Oberlandesgericht zu Beweiszwecken vernommen und ist der Inhalt der Aussagen weder in der Sitzungsniederschrift noch im Berufungsurteil noch in einem in dem Urteil in Bezug genommenen Vermerk wiedergegeben, so ist auf eine eingelegte Revision das Berufungsurteil grundsätzlich auch dann aufzuheben, wenn keine diesen Mangel im besonderen beanstandende Revisionsrüge erhoben ist.
Normenkette
ZPO §§ 160-161, 313 Abs. 1-2, §§ 554, 559, 619
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Entscheidung vom 20.09.1962) |
LG Kiel |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 20. September 1962 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien haben am 16. August 1955 die Ehe geschlossen. Diese ist kinderlos geblieben. Der letzte eheliche Verkehr hat nach der Behauptung des Klägers Anfang August 1958, nach der Behauptung der Beklagten am 19. September 1958 stattgefunden. Der Kläger hat die Beklagte im Oktober 1958 verlassen. Im Jahre 1959 hat er auf Aufhebung der Ehe geklagt. Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. Februar 1959 abgewiesen. Am 2. Juni 1959 hat der Kläger die von ihm eingelegte Berufung zurückgenommen.
Nunmehr erstrebt der Kläger die Scheidung der Ehe nach §48 EheG.
Er hat vorgetragen: Die Beklagte habe kein Kind empfangen wollen. Sie habe ihn wie einen großen Jungen behandelt und ihn mehrfach als krank und schizophren bezeichnet. Die Ehe sei tiefgreifend und unheilbar zerrüttet. Die Beklagte habe das selbst eingesehen, denn sie habe im Februar 1960 Verhandlungen über den Unterhalt eingeleitet. Zu einer Einigung sei es nur deshalb nicht gekommen, weil es ihm nicht möglich gewesen sei, die verlangten Beträge aufzubringen.
Die Beklagte hat der Scheidung widersprochen. Sie hat geltend gemacht: Die Ehe sei bis September 1958 glücklich gewesen. Dann habe der Kläger ein ehebrecherisches Verhältnis zu der Büroangestellten La. aufgenommen, die 10 Jahre jünger als die Parteien sei. Dadurch sei die Ehe zerrüttet worden. Sie, die Beklagte, sei bereit, die Ehe fortzusetzen, und sie hoffe, daß der Kläger zu ihr zurückfinden werde. Dieser Auffassung sei sie immer gewesen. Auf Verhandlungen wegen des Unterhalts habe sie sich nur eingelassen, weil sie eine Gelegenheit zur Aussprache mit dem Kläger gesucht habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat Berufung eingelegt. Er hat eingeräumt, daß er mit der La. zwei Kinder erzeugt habe und die Schuld an der Zerrüttung der Ehe trage.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht ausdrücklich zugelassen. Der Kläger hat Revision eingelegt und verfolgt mit diesem Rechtsmittel sein Klagebegehren weiter.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die häusliche Gemeinschaft der Parteien seit mehr als drei Jahren aufgehoben und ihre Ehe unheilbar zerrüttet ist.
2.
Nach den weiteren vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hat der Kläger die Zerrüttung der Ehe durch sein langjähriges Verhältnis zu der Büroangestellten La. verschuldet. Das Berufungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Briefe, die der Kläger an die Beklagte schrieb, bevor er sich von ihr abwendete. Ersichtlich will es damit sagen, aus diesen Briefen ergebe sich, daß die Beklagte ihm keinen Anlaß für die Abwendung gegeben habe und daß die Ehe bis dahin in Ordnung gewesen sei. Diese Feststellungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen.
3.
In dem angefochtenen Urteil wird weiter ausgeführt, daß bei der Beklagten die Bindung an die Ehe und eine zumutbare Bereitschaft, die Ehe fortzusetzen, vorhanden sei. Das Berufungsgericht habe die Beklagte angehört. Es habe aus ihren Darstellungen den sicheren Eindruck gewonnen, daß sie sich dem Kläger nach wie vor in Zuneigung verbunden fühle und die Hoffnung nicht aufgegeben habe, er werde einmal zu ihr zurückkehren. Sie sei davon überzeugt, daß das gegenwärtige Verhältnis des Klägers zur La. trotz der beiden vorhandenen Kinder nicht von langer Dauer sein werde. Ihre Angaben wirkten echt und es spreche nichts dafür, daß die Beklagte an der Ehe festhalten wolle, um ehefremde Zwecke zu erreichen. Dem stehe nicht entgegen, daß die Beklagte sich auf Unterhaltsverhandlungen eingelassen habe. Es sei dabei zu keiner Einigung gekommen, und aus den vorgelegten Briefen sei zu entnehmen, wie sehr die Beklagte dem Scheidungsgedanken gegenüber Hemmungen empfunden habe. Es sei ihr unter diesen Umständen jedenfalls nicht zu widerlegen, daß sie in erster Linie bestrebt gewesen sei, mit dem Kläger ins Gespräch zu kommen, abgesehen davon, daß es entscheidend auf ihre jetzige Einstellung ankomme. Danach aber müsse festgestellt werden, daß die Beklagte aus sittlich anzuerkennenden Gründen die Ehe fortsetzen wolle, und das müsse respektiert werden. Daran ändere es nichts, daß der Kläger durch eine Scheidung die Möglichkeit einer Wiederverheiratung erstrebe, um seinen beiden Kindern die Stellung von ehelichen Kindern zu geben.
Das Berufungsgericht hat, wie die vorstehenden Ausführungen ergeben, seine Annahme, es lasse sich nicht feststellen, daß der Beklagten die Bindung an die Ehe und die zumutbare Bereitschaft, sie fortzusetzen, fehle, wesentlich auf das Ergebnis der vor ihm erfolgten "Anhörung" der Beklagten gestützt. Bei dieser Anhörung handelte es sich nicht darum, daß die Beklagte ihren Parteivortrag ergänzen oder klarstellen sollte, vielmehr ist vor dem Berufungsgericht die Vernehmung der Parteien zum Zwecke des Beweises über die Einstellung der Beklagten zur Ehe erfolgt; das ist ausdrücklich in der berichtigten Niederschrift über die Sitzung des Oberlandesgerichts, in der die Vernehmung durchgeführt wurde, angegeben worden.
Was die Parteien bei der Vernehmung gesagt haben, ist weder in der Sitzungsniederschrift noch im Tatbestand des angefochtenen Urteils noch in einem in dem Urteil in Bezug genommenen Vermerk niedergelegt. Auch die Entscheidungsgründe lassen den Inhalt der von den Parteien, insbesondere der Beklagten, im einzelnen abgegebenen Erklärungen nicht hinreichend deutlich erkennen; vielmehr zeigen sie nur die Schlüsse auf, die das Berufungsgericht aus diesen Erklärungen gezogen hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist es unerläßlich, daß das Ergebnis der zu Beweiszwecken erfolgten Parteivernehmung in das Protokoll oder das Urteil, mindestens aber in einen Vermerk, auf den in dem Urteil Bezug genommen ist, aufgenommen wird (Urteil des Senats LM ZPO §619 Nr. 2 sowie Urteile vom 23. November 1962 - IV ZR 101/62 - und vom 20. Februar 1963 - IV ZR 125/62 -). Die Wiedergabe der Aussagen der Parteien muß so erfolgen, daß sie sich deutlich von der Würdigung abhebt und ihr gesamter Inhalt erkennbar ist, soweit er irgendwie für die Entscheidung von Bedeutung sein kann. Nur wenn die Aussagen in dieser Weise festgehalten werden, kann das Revisionsgericht prüfen, ob sie in allen erheblichen Teilen rechtlich zutreffend berücksichtigt worden sind, und nur dann können auch die Parteien durch Anträge auf Protokollierung oder Tatbestandsberichtigung darauf hinwirken, daß etwaige Irrtümer des Gerichts über den Inhalt der Aussagen rechtzeitig richtig gestellt werden. Ausnahmsweise hat der erkennende Senat eine besondere Niederlegung der Aussagen der Parteien dann als entbehrlich bezeichnet, wenn sich gleichwohl der gesamte Inhalt der Aussagen aus dem Urteil ergibt und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Partei bei der Vernehmung weitere Erklärungen, die erheblich sein könnten, abgegeben hat (Urteile vom 13. Februar 1963 - IV ZR 157/62 - und vom 29. Mai 1963 - IV ZR 73/62 -). Dieser Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.
Der aufgezeigte Verfahrensfehler nötigt dazu, das angefochtene Urteil aufzuheben, und zwar ungeachtet dessen, daß die Revision in dieser Richtung keine besondere Verfahrensrüge nach §554 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO erhoben hat. Es liegt, da infolge des Fehlens der Protokollierung der Aussagen die tatsächlichen Unterlagen des angefochtenen Urteils nicht in vollem Umfang ersichtlich sind, nicht nur ein Verfahrensverstoß vor, wie er in §559 Satz 1 ZPO verstanden wird, sondern ein Mangel im Tatbestand (§313 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), der vom Revisionsgericht auch ohne Verfahrensrüge berücksichtigt werden muß. Denn dieser Mangel macht es nicht nur unmöglich, daß geprüft wird, ob die auf Grund der Aussagen getroffenen tatsächlichen Feststellungen verfahrensrechtlich einwandfrei erfolgt sind, sondern er verhindert auch eine erschöpfende sachliche Nachprüfung des Berufungsurteils (RArbGE 14, 176, 179; 21, 58, 60). Insbesondere läßt hier die Ungewißheit über den Inhalt der von den Parteien abgegebenen Erklärungen bei der Parteivernehmung es nicht zu, ein abschließendes Urteil darüber zu gewinnen, ob das Berufungsgericht in seiner Entscheidung die Begriffe der Bindung an die Ehe und der zumutbaren Bereitschaft, die Ehe fortzusetzen, richtig angewendet und ausgelegt hat.
Das angefochtene Urteil kann mithin nicht bestehen bleiben, ohne daß noch weiter zu den in ihm enthaltenen sachlichen Ausführungen und zu den Darlegungen der Revision Stellung zu nehmen ist. Es ist vielmehr aus den angeführten Gründen unumgänglich, daß das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird.
Fundstellen
Haufe-Index 3018595 |
BGHZ 40, 84 - 87 |
BGHZ, 84 |
NJW 1963, 2070 |
NJW 1963, 2070-2071 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1963, 919 (Volltext mit amtl. LS) |