Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Entscheidung vom 01.02.2022; Aktenzeichen 12 U 256/21)

LG Ellwangen (Entscheidung vom 25.08.2021; Aktenzeichen 5 O 492/20)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart - 12. Zivilsenat - vom 1. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen (Jagst) - 5. Zivilkammer - vom 25. August 2021 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.

Rz. 2

Aufgrund eines Kaufvertrags vom 10. Juli 2014 erwarb die Klägerin von einem Händler ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgerüstet. Die zur Steuerung des Motors eingesetzte Software sah die Erkennung des Betriebs im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) sowie für diesen Fall einen besonderen, mit - im Vergleich zum gewöhnlichen Fahrbetrieb - geringeren Stickoxidemissionen verbundenen Modus vor. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Rückruf auch des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs angeordnet hatte, wurde im Februar 2017 auf Veranlassung der Beklagten ein kostenloses, mit dem KBA abgestimmtes Software-Update aufgespielt.

Rz. 3

Die Klägerin hat von der Beklagten im Wesentlichen Schadensersatz in Höhe des Differenzbetrags zwischen dem gezahlten Kaufpreis einerseits und dem Wert der gezogenen Nutzungen andererseits nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe ihres Fahrzeugs und die Feststellung des Annahmeverzugs begehrt. Hilfsweise hat sie auf die Feststellung der Pflicht zur Herausgabe des Erlangten, äußerst hilfsweise auf Auskunft über den Umfang des Erlangten angetragen. Schließlich hat sie den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt.

Rz. 4

Das Landgericht hat die im Dezember 2020 anhängig gemachte Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte unter Berücksichtigung des Werts der gezogenen Nutzungen zur Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verurteilt. Ferner hat es den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt und der Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zugesprochen. Das weitergehende Rechtsmittel der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die unbeschränkt zugelassene (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 17; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 9 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 17) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.

Rz. 6

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 7

Der Klägerin stehe wegen der verwendeten Abschalteinrichtung ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. Dieser Anspruch sei nicht vor Ablauf des Jahres 2020 verjährt. Entsprechend sei der Ablauf der Verjährungsfrist durch die im Dezember 2020 beim Landgericht eingegangene Klage gehemmt worden (§ 167 ZPO). Die Klägerin sei bis in das Jahr 2017 von der Beklagten nicht von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal unterrichtet worden. Aus dem Umstand, dass sie eigene Nachforschungen unterlassen habe, erwachse der Klägerin auch nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Soweit die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen habe, dass sie mit Hochdruck an der Beseitigung der Abweichungen zwischen den Emissionswerten im Prüfstandsbetrieb einerseits und im Fahrbetrieb andererseits arbeite und deshalb mit den zuständigen Behörden sowie dem KBA in Kontakt stehe, habe die Klägerin auf eine Benachrichtigung der Beklagten, deren Zugang vor dem Jahr 2017 die Beklagte nicht nachgewiesen habe, und auf die Durchführung der angekündigten technischen Maßnahmen vertrauen können. Auch für das Jahr 2016 habe die Beklagte keine Umstände aufgezeigt, die die Annahme einer groben Fahrlässigkeit durch das Unterlassen von Nachforschungen rechtfertigen könnten.

Rz. 8

II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Rz. 9

1. Richtig und von der Revision nicht in Zweifel gezogen hat das Berufungsgericht allerdings die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB bejaht.

Rz. 10

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB seien für den im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB im Jahr 2014 entstandenen Anspruch nicht schon im Jahr 2016, sondern erst im Jahr 2017 erfüllt gewesen, ist dagegen von Rechtsfehlern beeinflusst. Zutreffend hätte das Berufungsgericht entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung zur Verjährung eines anders als aus § 852 Satz 1 BGB hergeleiteten deliktischen Anspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, WM 2022, 1604 Rn. 26) gelangen müssen.

Rz. 11

a) Dass die Klägerin aufgrund der Medienberichterstattung schon vor dem Jahr 2017 allgemeine Kenntnis vom sogenannten, die Beklagte betreffenden Dieselskandal hatte, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt und wird von der Revisionserwiderung nicht in Abrede gestellt.

Rz. 12

b) Unzutreffend ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht vor dem Jahr 2017 ohne grobe Fahrlässigkeit von der Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs Kenntnis erlangen müssen.

Rz. 13

Zwar unterliegt die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu machen ist, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 Rn. 32; Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 13; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 25; Urteil vom 9. Mai 2022 - VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 13). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts indessen rechtsfehlerhaft.

Rz. 14

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte schon im September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht, der sich jedenfalls im Zusammenhang mit der einschlägigen Medienberichterstattung Umstände entnehmen ließen, die eine Schadensersatzhaftung der Beklagten auch gegenüber der Klägerin und im Hinblick auf das seitens der Klägerin erworbene Fahrzeug zumindest möglich erscheinen ließen. Die Kenntnis der umfangreichen Medienberichterstattung über den sogenannten Dieselskandal hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei ihrer persönlichen Anhörung eingeräumt. Aus den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts ergibt sich außerdem, dass spätestens im Jahr 2016 ein Abfrageportal öffentlich zugänglich war, mit dem Fahrzeughalter die individuelle Betroffenheit ihres Fahrzeugs ohne weiteres in Erfahrung bringen konnten. Aufgrund dieser Umstände hatte die Klägerin nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils herausgearbeitet und näher dargelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 21 ff.; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 692/21, juris Rn. 22 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 34 ff.), jedenfalls bis Ende des Jahres 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Dass die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 kein Anschreiben der Beklagten erhielt, begründete kein berechtigtes Vertrauen darauf, ihr Fahrzeug sei nicht betroffen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, aaO, Rn. 32; Urteil vom 9. Mai 2022 - VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 14).

Rz. 15

c) Der Klägerin, die Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs ab dem Jahr 2016 grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 36; Urteil vom 9. Mai 2022 - VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 15).

Rz. 16

III. Das Berufungsurteil ist im Umfang der Beschwer der Beklagten aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere kann die Klägerin, die das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten gekauft hat, ihr Begehren auch nicht teilweise auf §§ 826, 852 Satz 1 BGB stützen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, WM 2022, 1444 Rn. 30). Da die Sache nach den vorstehenden Erwägungen zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und auf die Revision der Beklagten die Berufung der Klägerin insgesamt zurückweisen.

Menges     

Krüger     

Götz

Rensen     

Wille     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15686149

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