Leitsatz (amtlich)
Zur Unzulässigkeit eines Grundurteils über einen Klageanspruch, der aus einem Zahlungs- und unbezifferten Feststellungsantrag besteht.
Zur haftungsausfüllenden Kausalität, wenn der Rechtsanwalt nicht rechtzeitig für seinen Mandanten Klage gegen eine Änderungskündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz erhoben hat.
Normenkette
ZPO §§ 301, 304 Abs. 1; BGB § 675; KSchG § 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Grundurteil des 4. Zivilsenats des Kammergerichts vom 5. Dezember 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt vom beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz wegen Verletzung einer Vertragspflicht anläßlich der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger hatte bei der R. AG (künftig: Arbeitgeberin), bei der er seit September 1976 beschäftigt ist, als Fleischaufhauer im Akkord einen monatlichen Bruttolohn von zuletzt etwa 7.000 DM. Anfang Mai 1994 erklärte die Arbeitgeberin dem Kläger unter Hinweis auf Fehlzeiten, sie beabsichtige, ihm im Wege einer Änderungskündigung einen geringer entlohnten Arbeitsplatz als Entvlieser anzubieten. In einem Schriftstück, das das Datum des 2. Mai 1994 trägt, nach Behauptung des Klägers aber erst nach Ausspruch der Änderungskündigung von ihm unterzeichnet wurde, erklärte der Kläger gegenüber seiner Arbeitgeberin:
„Ich nehme den mir neu angebotenen Arbeitsplatz ab 1.1.1995 (Entvlieserei) unter Vorbehalt an.”
Mitte Mai 1994 suchte der Kläger den Beklagten auf, um sich wegen der drohenden Änderungskündigung beraten zu lassen.
Am 17. Mai 1994 schrieb der Beklagte der Arbeitgeberin des Klägers u.a. folgendes:
„Unser Mandant teilt uns mit, daß Sie eine Änderungskündigung aussprechen wollen, da die krankheitsbedingten Fehlzeiten unseres Mandanten dies rechtfertigen würden.
Mit dieser Änderungskündigung ist unser Mandant nicht einverstanden und wir werden wegen der Änderungskündung gegebenenfalls Klage vor dem Arbeitsgericht Berlin erheben.”
Am 25. Mai 1994 kündigte die Arbeitgeberin – nach Anhörung des Betriebsrats – das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger als Fleischaufhauer „aus personenbedingten Gründen” zum 31. Dezember 1994 und bot ihm ab 1995 einen Arbeitsvertrag als Entvlieser an. Der Beklagte erhielt dieses Kündigungsschreiben auf seine Bitte vom 26. Mai 1994 vom Kläger am folgenden Tage.
Im November 1994 erhob der Beklagte im Namen des Klägers vor dem Arbeitsgericht Klage gegen seine Arbeitgeberin mit dem Antrag auf Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis als Fleischaufhauer nicht aufgelöst worden ist. Durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts vom 29. März 1995 wurde die Klage abgewiesen, weil der Kläger sein Klagerecht zu spät ausgeübt und deswegen verwirkt habe.
Der Kläger hat vom Beklagten Ersatz des Lohnunterschieds zwischen seiner früheren Tätigkeit als Fleischaufhauer und seiner jetzigen Arbeit als Entvlieser verlangt. Das Landgericht hat zunächst durch Versäumnisurteil den Beklagten verurteilt, an den Kläger 26.000 DM nebst Zinsen zu zahlen; außerdem wurde festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen ab 1. August 1995 entstehenden Schaden aus der verspäteten Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht zu ersetzen. Nach rechtzeitigem Einspruch hat das Landgericht – ohne Bezugnahme auf sein Versäumnisurteil – den Beklagten verurteilt, an den Kläger 36.431,52 DM nebst Zinsen zu zahlen, und zwar wegen monatlichen Lohnausfalls von 2.279,22 DM in der Zeit von Januar 1995 bis einschließlich April 1996; außerdem hat das Landgericht festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen ab 1. Mai 1996 entstehenden Schaden aus der verspäteten Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht zu ersetzen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger Ersatz eines monatlichen Lohnausfalls von 1.673,19 DM für die Zeit von Mai 1996 bis einschließlich Oktober 1997 in Höhe von insgesamt 28.444,23 DM – „mithin insgesamt 64.875,75 DM” – geltend gemacht; außerdem hat er beantragt festzustellen, daß der Beklagte zum Ersatz seines ab 1. November 1997 entstehenden Schadens infolge der verspäteten Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht verpflichtet ist. Das Berufungsgericht hat durch „Grundurteil” die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, „soweit sie sich gegen die Verurteilung dem Grunde nach richtet”, und den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision verfolgt der Beklagte weiter die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache (§§ 564, 565 Abs. 1 ZPO).
I.
Die vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende Frage, ob das Berufungsgericht ein Grundurteil gemäß § 304 ZPO erlassen durfte (vgl. BGH, Urt. v. 14. Oktober 1993 – III ZR 157/92, NJW–RR 1994, 319), ist im vorliegenden Fall zu verneinen.
1. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht durch sein „Grundurteil” nicht über den Feststellungsantrag entscheiden durfte (§ 304 Abs. 1 ZPO).
a) Das Berufungsurteil erstreckt sich auch auf diesen Antrag. Im Tenor und in den Gründen der Entscheidung wird „der Klageanspruch”, dessen Teil auch das Feststellungsbegehren ist, umfassend dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. In den Entscheidungsgründen wird zwischen dem Zahlungs- und Feststellungsantrag nicht unterschieden. Am Schluß der Entscheidungsgründe heißt es, „der Schadensersatzanspruch des Klägers” sei „deshalb dem Grunde nach gerechtfertigt”.
b) Nach § 304 Abs. 1 ZPO kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig und lediglich der Streit über den Anspruchsgrund entscheidungsreif ist. Eine entsprechende Trennung in Grund- und Betragsverfahren setzt einen Anspruch voraus, der auf Zahlung von Geld oder die Leistung vertretbarer, der Höhe nach summenmäßig bestimmter Sachen gerichtet ist (BGH, Urteil vom 19. Februar 1991 – X ZR 90/89, NJW 1991, 1896; v. 14. Oktober 1993, aaO).
Deswegen scheidet ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag wesensgemäß aus (BGH, Urt. v. 7. November 1991 – III ZR 118/90, WM 1992, 432; v. 14. Oktober 1993, aaO). Ausnahmsweise kann ein Grundurteil über eine Feststellungsklage ergehen, wenn damit ein bestimmter Betrag in der Weise geltend gemacht wird, daß die Klage auch zu einem Ausspruch über die Höhe des Anspruchs führen soll (BGH, Urt. v. 9. Juni 1994 – IX ZR 125/93, WM 1994, 2113, 2114). Diese Voraussetzung erfüllt der Feststellungsantrag des Klägers entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht. Zwar bezieht sich das gesamte Klagebegehren auf einen einheitlichen Anspruch auf Ersatz eines Verdienstausfalls infolge Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages. Selbst wenn die Feststellungsklage eine nach Grund und Betrag streitige Verpflichtung zum Gegenstand haben sollte, so soll der Antrag festzustellen, daß der Beklagte zum Ersatz des seit November 1997 entstandenen und noch entstehenden Schadens aus dem behaupteten Vertragsverstoß verpflichtet ist, aber nicht zu einem Ausspruch über die Höhe eines solchen Anspruchs führen (vgl. auch BGH, Urt. v. 19. Februar 1991, aaO). Dementsprechend fehlt eine Bezifferung im Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts.
2. Das angefochtene Urteil kann nicht, soweit über den Feststellungsantrag entschieden worden ist, als Teilendurteil (§ 301 ZPO) aufrechterhalten werden.
a) Das Berufungsgericht wollte darüber nicht abschließend entscheiden. Dies ergibt sich daraus, daß es nach Tenor und Gründen seines Urteils nur die „Verurteilung dem Grunde nach” durch das Landgericht bestätigen wollte.
b) Außerdem müßte in einem solchen Feststellungsurteil wegen der Rechtskraftwirkung entschieden werden, ob der Kläger seinen Schaden im Sinne des § 254 BGB mitverschuldet hat und deshalb zumindest einen Schadensteil selbst tragen muß (BGH, Urt. v. 25. November 1977 – I ZR 30/76, NJW 1978, 544; v. 17. Oktober 1991 – IX ZR 255/90, NJW 1992, 307, 309, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 115, 382). Der Beklagte hat dem Kläger vorgeworfen, er habe zu der schadensursächlichen verspäteten Klageerhebung im Arbeitsgerichtsprozeß beigetragen, weil er nicht rechtzeitig die Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers eingeholt habe, und seine Pflicht zur Schadensminderung verletzt, indem er sich nicht um einen anderen Arbeitsplatz als Fleischaufhauer im Akkord bemüht habe. Diese Einwände hat das Berufungsgericht in seinem Urteil nicht erörtert; bezüglich des letzten Einwands hat es sich eine Prüfung vorbehalten in seinem Beschluß, der gleichzeitig mit dem Berufungsurteil verkündet worden ist.
3. Das Grundurteil des Berufungsgerichts kann nicht allein bezüglich des Zahlungsanspruchs bestehenbleiben.
Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, nicht die erforderliche Feststellung getroffen, daß der Kläger einen mit diesem Anspruch geltend gemachten Schaden ab Januar 1995 mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe erlitten hat (vgl. BGHZ 53, 17, 23). Ein solcher Schaden kann entfallen, wenn die – vom Berufungsgericht nicht geprüfte – Behauptung des Beklagten richtig ist, der Kläger sei einer Akkordtätigkeit als Fleischaufhauer dauerhaft nicht gewachsen gewesen, wie sich aus seinen Fehlzeiten vor der Änderungskündigung ergebe. Außerdem hat das Berufungsgericht nicht erörtert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich die Mitverschuldenseinwände des Beklagten auf den Schadensersatzanspruch auswirken; insoweit darf die Entscheidung nur dann dem Betragsverfahren vorbehalten werden, wenn bereits endgültig feststeht, daß ein Mitverschulden nicht zu einer Beseitigung des Anspruchs führt (BGHZ 110, 323, 332).
II.
Das Landgericht, dem sich das Berufungsgericht insoweit angeschlossen hat, hat im Ergebnis ohne Rechtsverstoß angenommen, der Beklagte habe seine Vertragspflicht schuldhaft verletzt, weil er nicht rechtzeitig gegen die Änderungskündigung Klage nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erhoben habe. Dagegen wendet sich die Revision nicht.
III.
Mit Erfolg rügt die Revision jedoch, daß die Feststellung des Berufungsgerichts, einer rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage des Klägers wäre stattgegeben worden, in wesentlichen Punkten rechtsfehlerhaft ist.
1. Die mit dem Datum des 2. Mai 1994 versehene Erklärung des Klägers gegenüber seiner Arbeitgeberin, er nehme den neuen Arbeitsplatz unter Vorbehalt an, hätte dem Erfolg einer solchen Klage nicht entgegen gestanden. Nach rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Feststellung hat der Kläger diese Urkunde erst nach der Änderungskündigung unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung am 27. Mai 1994 unterzeichnet (vgl. § 4 KSchG). Dies wird von der Revision nicht beanstandet.
2. Zur haftungsausfüllenden Kausalität hat das Berufungsgericht weiterhin ausgeführt:
Die Kündigungsschutzklage hätte Erfolg gehabt, weil die Änderungskündigung nicht sozial gerechtfertigt gewesen sei.
Ob eine negative Gesundheitsprognose aufgrund der Fehlzeiten des Klägers in den Jahren vor der Kündigung gerechtfertigt sei, erscheine zweifelhaft. Zwar lägen für das Jahr 1989 59 Fehltage, für 1990 33 Fehltage, für 1991 53 Fehltage und für 1992 52 Fehltage vor. Hinsichtlich des Jahres 1993, in dem der Kläger insgesamt 70 Tage gefehlt habe, sei zu berücksichtigen, daß davon 42 Tage auf eine unfallbedingte Fehlzeit entfallen seien, die für eine Gesundheitsprognose ungeeignet sei. Ob aufgrund der verbleibenden Fehlzeiten in den Jahren 1989 bis 1992 und im Jahre 1994 eine negative Gesundheitsprognose bestehe, könne letztlich offen bleiben, da die weiteren Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung nicht vorlägen.
Der Beklagte, der die soziale Berechtigung der Kündigung darzulegen und zu beweisen habe, habe nicht dargetan, daß für den Arbeitgeber des Klägers durch die für die Zukunft zu erwartenden Fehlzeiten eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen eintreten würde. Für Betriebsablaufstörungen habe der Beklagte nur auf allgemeine Feststellungen der Arbeitgeberin verwiesen, nach denen die übrigen Arbeitskollegen aufgrund der häufigen unplanbaren Ausfälle kostenintensive Mehrarbeit miterledigen müßten, die Bereitschaft zu Mehrarbeiten begrenzt und die Produktivität in diesen Stunden weit geringer seien. Es fehlten konkrete Angaben zur Arbeitsorganisation bei krankheitsbedingten Ausfällen. Es könne auch nicht festgestellt werden, daß die Kündigung aufgrund einer wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers infolge außergewöhnlich hoher Lohnfortzahlungskosten gerechtfertigt gewesen wäre.
Außerdem sei die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt gewesen, weil die abschließende Interessenabwägung zugunsten des Klägers hätte ausfallen müssen. Der Kläger habe seine Erkrankungen gegenüber seinem Arbeitgeber auf die klimatischen Verhältnisse im Kühlhaus zurückgeführt, so daß diese betriebliche Ursachen hätten. Ferner sei zu berücksichtigen, daß der Kläger bereits seit 1976 bei der R. AG beschäftigt sei, zwei Kinder habe und bis auf die dargelegten Fehlzeiten keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben habe. Mit Rücksicht auf diese Umstände sei es der Arbeitgeberin zuzumuten, den Kläger auch weiterhin als Fleischaufhauer mit dem entsprechenden Lohn zu beschäftigen.
3. Diese Erwägungen sind teilweise rechtsfehlerhaft, weil das Berufungsgericht entscheidungserhebliches Vorbringen des Beklagten außer acht gelassen hat (§ 287 ZPO).
Für den haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang zwischen der anwaltlichen Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden hat der Tatrichter gemäß § 287 ZPO festzustellen, was geschehen wäre, wenn der Rechtsanwalt sich vertragsgerecht verhalten hätte, und wie die Vermögenslage des Mandanten dann wäre. Dieser trägt insoweit die Beweislast, die durch den Beweis des ersten Anscheins und die – gegenüber § 286 ZPO – geringeren Anforderungen des § 287 ZPO an die Darlegungslast und an das Beweismaß erleichtert wird (BGHZ 123, 311, 315 ff; 126, 217, 222 ff; BGH, Urt. v. 5. November 1992 – IX ZR 12/92, NJW 1993, 734). Einen erstattungsfähigen Schaden hat der Mandant in der Regel dann erlitten, wenn er einen Prozeß verloren hat, den er bei sachgemäßer anwaltlicher Vertretung gewonnen hätte. Für diese hypothetische Beurteilung ist maßgeblich, wie der Vorprozeß nach Auffassung des Gerichts, das mit dem Regreßanspruch befaßt ist, richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Dabei ist auszugehen von dem Sachverhalt, der dem Gericht des Vorprozesses unterbreitet und von diesem aufgeklärt worden wäre. Die Beweislastregeln des Vorverfahrens gelten grundsätzlich auch für den Regreßprozeß (BGHZ 133, 110, 111 ff m.w.N.). Dies bedeutet im vorliegenden Rechtsstreit, daß der Beklagte, der sich zur Abwehr des Regreßanspruchs auf die Rechtswirksamkeit der Änderungskündigung beruft, die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat, die der Arbeitgeberin des Klägers in einem – rechtzeitig angestrengten – Kündigungsschutzprozeß oblegen hätte. Der Kläger hat die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die er in einem solchen Prozeß darzulegen und zu beweisen gehabt hätte, auch im Regreßprozeß gegen den Beklagten.
a) Das Berufungsgericht ist zu Recht von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht für die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung wegen Krankheit gemäß § 1 Abs. 2 KSchG aufgestellt hat (NZA 1989, 923; 1990, 307; NJW 1990, 2338, 2339 und 2341, 2342 f, NZA 1993, 497, 498). Danach ist diese Prüfung in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich; bei Zugang der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang begründen. Sind danach weitere krankheitsbedingte Fehlzeiten zu besorgen, so ist zu prüfen, ob sie die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigen. Ist das der Fall, so ist im Rahmen der Interessenabwägung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu untersuchen, ob die Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind oder ein solches Ausmaß erreicht haben, daß sie ihm nicht mehr zuzumuten sind. Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer Änderungskündigung (§ 2 KSchG).
b) aa) Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob bei Zugang der Änderungskündigung im Mai 1994 eine negative Gesundheitsprognose die Besorgnis weiterer Erkrankungen des Klägers im bisherigen Umfang begründete, ist im Revisionsverfahren zugunsten des Beklagten von einer solchen Prognose auszugehen.
bb) In diesem Zusammenhang ist für das weitere Berufungsverfahren auf folgendes hinzuweisen:
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (NZA 1989, 923, 1990, 307) können häufige Kurzerkrankungen eine negative Gesundheitsprognose begründen; dann darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, die entsprechende Indizwirkung der krankheitsbedingten Fehlzeiten darzulegen. Dies hat der Beklagte getan. Insoweit weist die Revision zu Recht darauf hin, daß nach dem Vorbringen des Beklagten – über die vom Berufungsgericht berücksichtigten Fehlzeiten hinaus – 1994 bis zur Änderungskündigung 22 Krankheitstage angefallen sind. Für 1993 sind die Fehlzeiten, die nicht unfallbedingt waren, ins Verhältnis zu setzen zu der jährlichen Arbeitszeit abzüglich der 42 unfallbedingten Fehltage.
Der Kläger als Arbeitnehmer hat dann gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, warum mit seiner baldigen Genesung zu rechnen sei; kennt er seinen Gesundheitszustand nicht sicher, so genügt er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und seinen Arzt oder die Krankenkasse von der Schweigepflicht entbindet (BAG aaO). Der Kläger hat diese Darlegungslast erkannt, aber bisher nicht erfüllt.
Sollte der Kläger dies nachholen, so dürfte es – wie im Regelfall – erforderlich sein, auf einen entsprechenden Beweisantritt des insoweit beweispflichtigen Beklagten (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) den behandelnden Arzt als sachverständigen Zeugen zu vernehmen (§§ 373 ff, 377 Abs. 3, 414 ZPO) oder – gemäß dem Beweisantritt des Beklagten oder von Amts wegen (§ 144 ZPO) – ein Gutachten eines Arbeitsmediziners (§§ 402 ff ZPO) einzuholen (vgl. BAG NZA 1990, 307, 308; NJW 1990, 2341, 2343). In diesem Zusammenhang wird auch zu berücksichtigen sein, daß der Beklagte behauptet hat, der Kläger sei dauerhaft einer Akkordtätigkeit als Fleischaufhauer gesundheitlich nicht gewachsen (vgl. dazu BAG NJW 1990, 2953, 2954; NZA 1993, 497, 498 f).
c) aa) Die Frage, ob die negative Gesundheitsprognose zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führt, hat das Berufungsgericht insoweit rechtsfehlerfrei verneint, als eine solche Beeinträchtigung sich aus einer schwerwiegenden Störung des Betriebsablaufs ergeben kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine solche Störung im Produktionsprozeß nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch Überbrückungsmaßnahmen, etwa durch die Einstellung einer Ersatzkraft oder den Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer Personalreserve, vermieden werden kann (BAG NZA 1989, 923). Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß festgestellt, daß der darlegungs- und beweispflichtige Beklagte (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) dazu keine substantiierten Angaben gemacht hat. Insoweit beanstandet die Revision das Berufungsurteil nicht.
bb) Sie rügt jedoch mit Erfolg die tatrichterliche Feststellung, das Betriebsinteresse sei auch insoweit nicht beeinträchtigt, als keine erhebliche wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeberin vorliege. Insoweit hat das Berufungsgericht die Behauptung des Beklagten außer acht gelassen, der Kläger sei gesundheitlich außerstande, als Fleischaufhauer im Akkord zu arbeiten. Sollte dieses – vom Kläger bestrittene – Vorbringen richtig sein, so hätte eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung vorgelegen (BAG NZA 1987, 555, 556; NJW 1990, 2953, 2954; NZA 1993, 497, 499).
d) Da das Berufungsgericht nicht geklärt hat, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Fleischaufhauer im Akkord nicht erbringen konnte und infolgedessen eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Betriebsinteresses wegen einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung der Arbeitgeberin gegeben war, beanstandet die Revision auch zu Recht, daß die tatrichterliche Interessenabwägung unvollständig und deswegen rechtsfehlerhaft ist.
3. Eine neue Entscheidung im Berufungsverfahren wird das Versäumnisurteil des Landgerichts zumindest insoweit zu berücksichtigen haben, als der Feststellungsausspruch durch die Streitentscheidung des Landgerichts und den Berufungsantrag des Klägers teilweise gegenstandslos geworden ist.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.01.2000 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556425 |
BB 2000, 744 |
DB 2000, 1660 |
NJW 2000, 1572 |
NZA 2000, 478 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 966 |
AnwBl 2000, 318 |
JA 2000, 626 |
MDR 2000, 732 |
VersR 2001, 638 |
MittRKKöln 2000, 171 |
BRAK-Mitt. 2000, 128 |