Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung eines Testaments wegen Motivirrtums

 

Normenkette

BGB § 2080

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Dezember 1985 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten das ihm ausgesetzte Vermächtnis. Die Erblasserin, eine deutsche Staatsangehörige, hat die Beklagte, eine nach dem Erbfall in der Schweiz konstituierte Stiftung, zu ihrer Alleinerbin eingesetzt. Bis zur Konstituierung der Beklagten war der jetzige Stiftungsrat Rechtsanwalt S. von der Erblasserin zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Rechtsanwalt S. hat das dem Kläger, einem Sohn der Schwester der Erblasserin, in Höhe von 50.000 DM ausgesetzte Barvermächtnis sowohl als Testamentsvollstrecker als auch als Stiftungsrat angefochten. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Die Erblasserin befürchtete, die deutschen Finanzbehörden würden wegen ihrer erheblichen Steuerschulden auf ihr Vermögen in der Schweiz zurückgreifen, wo sie ihren Wohnsitz begründet hatte. Im Oktober 1982 ließ sie ein Wertschriftendepot und den Mietvertrag über einen Banksafe mit wertvollem Schmuck, beide bei der schweizerischen Bankgesellschaft an ihrem Wohnsitz, auf den Namen der Mutter des Klägers umschreiben. Sie behielt jedoch Vollmachten bis zu ihrem Tod am 30. März 1984. Die Mutter der Klägerin beanspruchte Wertpapiere und Schmuck für sich. Sie und der Kläger behaupten, die Umschreibung sei eine schenkweise Zuwendung seitens der Erblasserin gewesen. Das bestreitet die Beklagte wie früher der Testamentsvollstrecker: Die Erblasserin habe nur nach außen den Anschein einer Rechtsübertragung auf die Mutter des Klägers schaffen wollen, um den befürchteten Zugriff der deutschen Finanzbehörden auf diesen Vermögensteil zu vereiteln. Deshalb sind in der Schweiz Straf- und Zivilverfahren anhängig.

Nach ihrer Konstituierung führt die Beklagte den Rechtsstreit an Stelle des Testamentsvollstreckers fort. Sie bringt vor, der Kläger habe seine Mutter dazu veranlaßt, der Wahrheit zuwider Schenkung zu behaupten und so die Alleinerbin geschädigt. Hätte die Erblasserin dieses spätere Verhalten des Klägers gekannt, dann würde sie ihm das Vermächtnis nicht zugewendet haben. Die Anfechtung wegen Motivirrtums sei weiter deshalb gerechtfertigt, weil davon auszugehen sei, daß der Kläger und seine Mutter sich widerrechtlich mehr als 55.000 DM von dem Geld angeeignet hätten, das die Erblasserin im Krankenhaus gehabt habe.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben den Vermächtnisanspruch bejaht. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision, die die Frage berührt, unter welchen Voraussetzungen der Erblasser zu seiner Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes bestimmt worden ist (§ 2078 Abs. 2 BGB), bleibt erfolglos.

I.

Mit Recht führt das Berufungsgericht aus, die Anfechtung könne nicht mehr an Förmlichkeiten scheitern, nachdem die beklagte Stiftung als Alleinerbin den Rechtsstreit fortgeführt und damit die vorangegangenen Erklärungen des Testamentsvollstreckers uneingeschränkt genehmigt habe. Bedenken nach §§ 50, 51 ZPO wegen der Rechtsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung der Beklagten sind ebenfalls nicht gegeben. Die Beklagte hat einen Registerauszug vorgelegt. Danach ist sie unter Nr. 1334 im Handelsregister des Stadtgerichts Locarno als Stiftung eingetragen.

II.

Die Erblasserin hat in ihrem vierseitigen, handschriftlichen Testament die Beklagte und ihre Organe beschrieben und als Erbin eingesetzt. Daneben hat sie mehrere Vermächtnisse, vor allem in Gestalt von lebenslangen Renten ausgesetzt. Die für den Kläger und seine beiden Geschwister bestimmten Barvermächtnisse werden erst an letzter Stelle genannt. Die Beklagte behauptet nicht etwa, die Erblasserin habe in diesem Zusammenhang bestimmte Erwartungen hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens dieser Vermächtnisnehmer gehabt oder gar geäußert. Demgemäß ist - das sieht das Berufungsgericht richtig - entscheidend, ob eine Anfechtung wegen eines Motivirrtums auch in den Fällen in Betracht kommen kann, in denen der Erblasser sich über die zur Anfechtung herangezogenen Umstände keine konkreten Gedanken gemacht hat. Das gilt in erster Linie für nicht (weiter)bedachte, zukünftige Umstände, die von dem gemäß § 2080 BGB zur Anfechtung Berechtigten nach dem Erbfall zur Rechtfertigung seiner Anfechtung herangezogen werden.

1.

Das Schrifttum (z.B. Schubert-Czub JA 1980, 257, 259 ff. und MünchKomm/Leipold, § 2078 Rdn. 29, jeweils m.w.N.) steht überwiegend auf dem Standpunkt, als Irrtum solle in offener Weise auch das Nichtbedenken von Umständen zugelassen werden, § 2078 Abs. 2 BGB müsse zumindest analog auch bei Fehlen jeglicher Vorstellungen angewendet werden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage wurde mehrfach geändert (vgl. Johannsen, WM 1972, 642, 645 f.; vor allem Pohl, Unbewußte Vorstellungen als erbrechtlicher Anfechtungsgrund, 1976).

a)

Nachdem das Reichsgericht zunächst ohne nähere Erörterung eine positive irrige Vorstellung gefordert hatte (RGZ 50, 240 und 59, 38), hielt es in einer Entscheidung aus dem Jahre 1911 (RGZ 77, 165) gerade das Nichtbedenken des dennoch später eingetretenen Umstandes für den Irrtum, kehrte 1915 aber wieder zur früheren Rechtsprechung unter ausführlicher Erörterung der Gesetzesmaterialien zurück (RGZ 86, 206). Diese Forderung nach einer positiven Vorstellung konnte aber angesichts der offensichtlich häufig nicht bedachten grundlegenden Änderung der bisherigen Wertverhältnisse in der Zeit der Inflation später nur noch äußerlich aufrechterhalten werden (RG Recht 1923 Nr. 1359 und 1926 Nr. 2146; vgl. auch Recht 1924 Nr. 649 und JW 1925, 356). Im Jahre 1930 bezog das Reichsgericht dann zum Erwartungsbegriff eine zwischen den Alternativen "positive Vorstellung" und "Nichtwissen" vermittelnde Stellung. Eine auf die Zukunft gerichtete Erwartung könne auch unbewußt bestehen, wenn sie zu den Vorstellungen gehöre, die dem Erblasser als selbstverständlich erschienen (RG HRR 1931 Nr. 744 = WarnR 1931 Nr. 50).

b)

Diese Mittelposition hat auch der Bundesgerichtshof eingenommen (Urteile vom 22.10.1953 und 18.1.1956 - IV ZR 67/53 und 199/55 - LM BGB § 2078 Nr. 3 und 4, vom 21.3. und 31.10.1962 - V ZR 157/61 und 129/62 - FamRZ 1962, 256 und LM BGB § 2078 Nr. 8, vom 27.5.1971 - III ZR 53/69 - WM 1971, 1153, zuletzt Senatsurteil vom 16.3.1983 - IVa ZR 216/81 - WM 1983, 567 = FamRZ 1983, 898 unter 2. d)). Er hat auch den damit erstmals 1930 in die Rechtspraxis eingeführten Begriff der "unbewußten Vorstellung" übernommen. Dieser Begriff sollte angesichts seiner Widersprüchlichkeit vermieden werden (dazu näher Pohl a.a.O. im zweiten Teil seiner Arbeit; zu Pohl Jung ACP 177, 269). Die Rechtsprechung meint Umstände, die in der Vorstellungswelt dessen, der seinen Willen bildet und äußert, ohne nähere Überlegung so selbstverständlich sind, daß er sie zwar nicht konkret im Bewußtsein hat, aber doch jederzeit abrufen und in sein Bewußtsein holen kann. Demgegenüber bezeichnet die Psychologie als "unbewußt" das, was für das Bewußtsein nicht erfaßbar ist.

2.

Unstreitig hat die Erblasserin sich nicht von einer positiv vorhandenen unrichtigen Vorstellung über das zukünftige Verhalten des Klägers - ihres Neffen - bestimmen lassen, als sie ihm wie seinen Geschwistern ein im Verhältnis zum Gesamtwert des Nachlasses kaum ins Gewicht fallendes Vermächtnis aussetzte. Deshalb muß für einen Erfolg der Anfechtung bewiesen werden, daß das Vermächtnis auf der - im oben dargelegten Sinne - selbstverständlichen Vorstellung beruhte, der Kläger werde niemals die Vermögensinteressen seiner Mutter denen der beklagten Stiftung vorziehen, zum Beispiel hinsichtlich der auf seine Mutter übertragenen Wertpapiere und Schmuckstücke.

Das Berufungsgericht meint, bereits nach dem Vortrag der Beklagten lasse sich kein zur Anfechtung berechtigendes Fehlverhalten des Klägers feststellen. Die von der Beklagten behaupteten Verhaltensweisen des Klägers lägen sämtlich erst nach dem Tode der Erblasserin. In Fällen der enttäuschten Wohlverhaltenserwartung müsse es sich aber stets um ein Fehlverhalten handeln, das zwar nach Errichtung des Testaments offenbar geworden sei, sich aber noch gegen den Erblasser selbst gerichtet habe.

Dem Berufungsurteil ist darin zu folgen, daß der Vortrag der Beklagten nicht ausreicht, um die genannte selbstverständliche Vorstellung und deren Maßgeblichkeit für das Vermächtnis bejahen zu können.

a)

Obwohl § 2078 Abs. 2 BGB die Anfechtbarkeit wegen Motivirrtums gegenüber der Regelung in § 119 Abs. 2 BGB erweitert, ist dem Wortlaut dieser Bestimmung die Absicht zu entnehmen, Schranken zu setzen. Nur besonders schwerwiegende Umstände, die gerade diesen Erblasser auch unter Berücksichtigung seiner ihm eigenen Vorstellungen mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren, sollen eine Anfechtung begründen können (vgl. BGH Urteile vom 21.3. und 31.10.1962 - V ZR 157/61 und 129/62 - FamRZ 1962, 256 unter II 2 und LM BGB § 2078 Nr. 8 unter 6). Als Anfechtungsgrund reicht keinesfalls, daß möglicherweise Vertrauen bestand und enttäuscht wurde (BGH Urteil vom 20.3.1967 - III ZR 101/66 - LM BGB § 2078 Nr. 11).

§ 2078 Abs. 2 BGB verlangt, daß der die Fehlvorstellung des Erblassers ausmachende und zur Anfechtung berechtigende Umstand nicht nur eine Ursache, sondern der bewegende Grund für seinen letzten Willen war; nur mit dem erheblichen Gewicht des Beweggrundes kann ein Umstand den Verfügenden zu seiner Verfügung im Sinne von § 2078 Abs. 2 BGB bestimmt haben (BGH Urteil vom 27.5.1971 - III ZR 53/69 - WM 1971, 1153, 1154 unter II. 1.). Nicht jede Ursache hat das Gewicht des Beweggrundes. Offensichtlich will das Gesetz mit diesem Wortlaut der Anfechtbarkeit letztwilliger Verfügungen Schranken setzen. Der Erblasserwillen selbst soll maßgeblich sein, nicht eine nachträgliche Spekulation über ihn.

b)

Die Revision rügt in diesem Zusammenhang lediglich, das Berufungsgericht sei nicht auf den Vortrag der Beklagten eingegangen, die Erblasserin würde in Kenntnis der Sachlage nach ihrer subjektiven Denk- und Anschauungsweise ohne jeden Zweifel dem Kläger und seiner Mutter nichts zugewendet haben. Dieser Vortrag ist zu allgemein gehalten, um den dargelegten besonderen Anforderungen genügen zu können.

Es ist kein konkreter Umstand dafür behauptet, daß die Erblasserin ihre Schwester und gerade den Kläger - eines der drei Kinder ihrer Schwester - auf eine solche Weise einheitlich gesehen und behandelt haben würde. Nähere Anhaltspunkte dafür, wann, wem gegenüber und bei welchen Gelegenheiten die Erblasserin Äußerungen getan oder ein Verhalten gezeigt hat, die den von der Beklagten lediglich mit dürren Worten behaupteten Schluß auf ihre innere, selbstverständliche Einstellung zulassen, sind dem als übergangen gerügten Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. Unter Beweis gestellt hat die Beklagte nur die Vorstellung anderer Vermächtnisnehmer über eine mögliche Reaktion der Erblasserin, falls sie das behauptete Verhalten des Klägers gekannt hätte. Maßgeblich ist aber nicht, was Dritte nach ihrer Einschätzung der Persönlichkeit und Eigenheiten des Erblassers - "so, wie sie ihn kennen" - von diesem annehmen. Maßgeblich kann nur sein, was hinsichtlich der selbstverständlichen Einstellung des Erblassers nach dessen eigenen, objektiv feststellbaren Äusserungen und Verhaltensweisen zweifelsfrei feststeht.

Hier kommt hinzu, daß nach dem eigenen Vortrag der Beklagten gerade die Erblasserin bei der Durchsetzung von Vermögensinteressen vor Scheingeschäften oder sogar vor Steuerhinterziehung nicht zurückschreckte.

c)

Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob Umstände, die erst nach dem Erbfall eingetreten sind, als Anfechtungsgrund überhaupt herangezogen werden können (grundsätzlich verneinend MünchKomm/Leipold, § 2078 Rdn. 35 und Johannsen, WM 1972, 642, 646) braucht der Senat danach nicht zu entscheiden. Auch kommt es auf die Hilfsbegründung des Berufungsurteils nicht an, ein Anfechtungsrecht könne nicht durchgreifen, weil das etwaige spätere Verhalten des Klägers durch ein nach Treu und Glauben zu mißbilligendes Verhalten der Erblasserin mitverursacht worden sei, die in sittenwidriger Weise ihr Vermögen weitgehend dem Zugriff des Fiskus habe entziehen wollen.

III.

Auch die Rüge der Revision, das Berufungsurteil sei insoweit ohne Gründe (§ 551 Nr. 7 ZPO), als es den Vorwurf der Unterschlagung nicht behandelt habe, hat keinen Erfolg. Es setzt sich allerdings nicht ausdrücklich mit diesem in erster Instanz nachgeschobenen Anfechtungsgrund auseinander. Jedoch nimmt es auf das Urteil des Landgerichts Bezug und macht sich dessen Begründung ausdrücklich zu eigen. Nach § 543 Abs. 1 ZPO genügt diese Bezugnahme. Im erstinstanzlichen Urteil ist näher ausgeführt worden, daß und warum mit der pauschalen, nicht näher belegten Verdächtigung der Beklagten nicht schlüssig dargelegt ist, die Mutter des Klägers habe durch diesen unterstützt sich 55.000 DM des Geldes der Erblasserin angeeignet, das diese im Krankenhaus gehabt habe. Der diesbezügliche erstinstanzliche Vortrag ist in der Berufungsbegründung nicht substantiiert worden. In dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Oktober 1985 (S. 16 = GA 194) hat die Beklagte dann allerdings den Inhalt einer gegen die Mutter des Klägers erhobenen und vorgelegten Klage sich zu eigen gemacht, die sich unter anderem mit dieser angeblichen Unterschlagung befaßt. Darauf brauchte das Berufungsgericht nicht einzugehen, weil in dieser gegen die Mutter des Klägers gerichteten Klageschrift wiederum in der Person des Klägers liegende Anfechtungsgründe nicht schlüssig dargelegt worden sind.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Dr. Lang

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Zopfs

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456534

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