Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnungsverbot des gewerblichen Mieters mit unbestrittenen Gegenforderungen ohne Zustimmung des Vermieters. Unwirksame Mietvertragsklausel
Leitsatz (amtlich)
Zur Unwirksamkeit einer formularmäßigen Beschränkung der Aufrechnung des gewerblichen Mieters (Unternehmers) auf Forderungen, die rechtskräftig festgestellt sind oder zu denen der Vermieter im Einzelfall jeweils seine Zustimmung erklärt.
Normenkette
BGB §§ 307, 309 Nr. 3, § 310
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen des Beklagten werden das Urteil des 22. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt vom 1.3.2005 und das Ergänzungsurteil vom 3.5.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin verlangt von dem Beklagten rückständige Miete aus einem Mietvertrag über Gewerberäume. Gegen die Klageforderung hat der Beklagte die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen erklärt.
[2] Die Klägerin hält die Aufrechnung im Hinblick auf folgende Klausel im Mietvertrag für unzulässig:
"§ 6.5 Der Mieter kann nur mit solchen Zahlungen aus dem Mietverhältnis aufrechnen oder die Zurückbehaltung erklären, die entweder rechtskräftig festgestellt sind oder zu denen die Vermieterin im Einzelfall jeweils ihre Zustimmung erklärt."
[3] Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 1.3.2005 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit Ergänzungsurteil vom 3.5.2005 hat es das Urteil vom 1.3.2005 dahin ergänzt, dass der Beklagte auch die der Streithelferin im Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu tragen hat. Gegen beide Urteile hat der Beklagte Revision eingelegt. Der Senat hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Entscheidungsgründe
[4] Die Revisionen führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
[5] Die Revisionen sind gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung erstreckt sich die Zulässigkeit der Revision gegen das Haupturteil auch auf das Ergänzungsurteil. Zwar ist das Ergänzungsurteil ein selbständiges Teilurteil, bei dem sich die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels in der Regel allein nach diesem Urteil richtet (BGH Beschl. v. 20.6.2000 - VI ZR 2/00, MDR 2000, 1209 = NJW 2000, 3008 m.w.N.). Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn das Ergänzungsurteil nur eine Kostenentscheidung enthält. Dann ist die Revision gegen das Ergänzungsurteil statthaft und zulässig, wenn auch Revision gegen das Haupturteil eingelegt worden und diese statthaft und zulässig ist (BGH, Urt. v. 4.4.1984 - VIII ZR 313/82, MDR 1985, 135 = ZIP 1984, 1107, 1113; Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl., § 321 Rz. 11; Musielak/Musielak ZPO 5. Aufl., § 321 Rz. 13, § 301 Rz. 27). Daran hat sich entgegen der Ansicht der Revisionsbeklagten durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 nichts geändert.
II.
[6] Die Revisionen sind auch begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[7] 1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Aufrechnung des Beklagten mit den streitigen Gegenforderungen sei bereits aufgrund des in § 6.5 des Mietvertrages vereinbarten Aufrechnungsausschlusses nicht zulässig.
[8] Gegen die Wirksamkeit dieser Vertragsklausel bestünden nach dem damals noch geltenden AGBG keine Bedenken. Zwar lasse die Klausel nach ihrem Wortlaut nur die Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Forderungen zu. Mit dem BGH (Urt. v. 27.1.1993 - XII ZR 141/91, NJW-RR 1993, 519, 520) sei jedoch davon auszugehen, dass die Zulassung der Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Forderungen bei zulässiger und gebotener Auslegung auch die Aufrechnung mit - nicht ausdrücklich erwähnten - unstreitigen Forderungen umfasse. Ausgehend von dieser Auslegung stelle der in § 6.5 des Mietvertrages enthaltene Zusatz "... oder zu denen die Vermieterin im Einzelfall jeweils ihre Zustimmung erklärt" keine Einschränkung, sondern eine Erweiterung der Aufrechnungsmöglichkeiten des Mieters dar, gegen die Wirksamkeitsbedenken nicht bestünden.
[9] 2. Diese Auslegung von § 6.5 des Mietvertrages hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Dabei ist der Senat an die tatrichterliche Auslegung nicht gebunden, sondern kann diese uneingeschränkt überprüfen.
[10] a) Bei der Klausel handelt es sich, wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgeht, um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Denn die Klägerin hat sie einseitig für eine Vielzahl von Verträgen vorgegeben. Allgemeine Geschäftsbedingungen können vom Revisionsgericht frei ausgelegt werden, wenn sie bestimmten Anforderungen in Bezug auf ihren räumlichen Geltungsbereich genügen. Der Grund dafür ist das Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung überörtlich geltender Vertragsklauseln (BGH v. 9.5.2000 - XI ZR 276/99, BGHZ 144, 245, 248 = MDR 2000, 1084). Dieses Bedürfnis gebietet es, immer dann, wenn gegen die Urteile verschiedener Berufungsgerichte die Revision zum BGH eröffnet ist, diesem die Auslegung zu übertragen. Da seit Geltung des neuen Revisionsrechts die Revision gegen die Urteile aller Berufungsgerichte, sei es das LG oder das OLG, möglich ist (), entscheidet je nach Streitwert der Klage im Berufungsverfahren das LG oder das OLG. Damit besteht, wenn wie hier das OLG als Berufungsgericht entscheidet, die Gefahr widerstreitender Entscheidungen zu Urteilen, die das LG als Berufungsgericht erlässt (BGH, Urt. v. 5.7.2005 - X ZR 60/04, BGHReport 2005, 1339 = MDR 2006, 14 = NJW 2005, 2919).
[11] b) Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen anerkannte Auslegungsregeln verstoßen hat, indem es bei seiner Auslegung nicht den Wortlaut der gesamten Klausel berücksichtigt und ihr dadurch einen zum Teil sinnlosen Inhalt gegeben hat.
[12] § 6.5 des Mietvertrages sieht die Zulässigkeit der Aufrechnung entweder mit rechtskräftig festgestellten oder mit solchen Forderungen vor, zu denen die Vermieterin im Einzelfall jeweils ihre Zustimmung erklärt.
[13] Bei der Auslegung der Klausel dahin, dass sie auch die Aufrechnung mit unbestrittenen Forderungen zulässt, hat das Berufungsgericht nur die erste Alternative der Klausel, nämlich die Zulässigkeit der Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Forderungen berücksichtigt und die zweite Alternative unbeachtet gelassen. Es ist davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit einer Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Forderungen auch unbestrittene Forderungen umfasse, weil bei unbestrittenen Forderungen Einwendungen gegen diese nicht erst, wie bei rechtskräftig festgestellten Forderungen, durch die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung abgeschnitten seien, sondern gar nicht erhoben würden. Dabei hat sich das Berufungsgericht auf das Senatsurteil vom 27.1.1993 (- XII ZR 141/91, NJW-RR 1993, 519) gestützt, dem eine Klausel zugrunde lag, in der der Pächter auf das Recht zur Aufrechnung verzichtet hatte, "soweit dies gesetzlich zulässig ist und soweit nicht mit rechtskräftig festgestellten Forderungen" die Aufrechnung geltend gemacht wird. Der Senat hatte jene Klausel unter zusätzlicher Berücksichtigung des dort enthaltenen Hinweises auf die zwingenden Bestimmungen des AGBG dahin ausgelegt, dass sie auch die Aufrechnung mit unbestrittenen Forderungen zulässt.
[14] Demgegenüber enthält die hier auszulegende Klausel einen derartigen Hinweis nicht. Sie lässt vielmehr neben der Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Forderungen nur die Aufrechnung mit solchen Forderungen zu, "zu denen die Vermieterin im Einzelfall jeweils ihre Zustimmung erklärt" hat. Bei diesen Forderungen kann es sich dem Sinn nach nur um unbestrittene, nicht aber um bestrittene Forderungen handeln. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Vermieterin die Aufrechnung mit von ihr bestrittenen Forderungen zulassen wollte. Unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien wäre ein solches Verständnis vielmehr sinnwidrig (vgl. auch BGH, Urt. v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, MDR 1994, 261 = CR 1994, 409 = NJW 1994, 657, 658).
[15] Danach kann die zweite Alternative der Klausel nicht als bloße Erweiterung der in der ersten Alternative nach Ansicht des Berufungsgerichts bereits enthaltenen Aufrechnungsmöglichkeit mit rechtskräftig festgestellten und unbestrittenen Forderungen verstanden werden. Vielmehr regelt die zweite Alternative ebenso wie § 11 Nr. 3 AGBG (jetzt: § 309 Nr. 3 BGB) neben der gesondert aufgeführten Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Forderungen die Aufrechnung mit unbestrittenen Forderungen, die hier aber nur zulässig sein soll, wenn die Vermieterin zustimmt. § 6.5 des Mietvertrages kann folglich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht dahin ausgelegt werden, dass die Aufrechnung mit unbestrittenen Forderungen uneingeschränkt zulässig sein soll.
[16] Der BGH hat vergleichbare Klauseln, nach denen die Aufrechnung nur mit solchen Forderungen zulässig sein sollte, die von dem Verwender anerkannt oder rechtskräftig festgestellt worden sind, wiederholt für unwirksam erklärt, weil sie dahin auszulegen sind, dass sie die Zulässigkeit der Aufrechnung mit unbestrittenen Gegenforderungen von deren Anerkennung durch den Verwender abhängig machen (BGH, Urt. v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, MDR 1994, 261 = CR 1994, 409 = NJW 1994, 657, 658; v. 16.3.2006 - I ZR 65/03, BGHReport 2006, 1083 = MDR 2006, 1300 = NJW-RR 2006, 1350).
[17] c) Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, kann der Senat die Klausel selbst auslegen. Ausgehend vom Wortlaut und Sinn und Zweck der Klausel lässt sie die Aufrechnung nur mit rechtskräftig festgestellten und solchen unbestrittenen Forderungen zu, zu denen die Vermieterin im Einzelfall jeweils ihre Zustimmung erklärt hat. Die Aufrechnung mit unstreitigen Forderungen, der die Vermieterin nicht zustimmt, ist danach nicht zulässig. Für die Zulässigkeit der Aufrechnung bedarf es über das bloße Nichtbestreiten der Forderung hinaus einer ausdrücklichen Zustimmung der Vermieterin zu der Aufrechnung mit der unstreitigen Forderung.
[18] Für dieses Verständnis der Klausel spricht auch, dass die Klägerin ersichtlich von der Regelung in § 11 Nr. 3 AGBG, nach der der Ausschluss der Aufrechnung mit unstreitigen und rechtskräftig festgestellten Forderungen unwirksam ist, abgewichen ist, indem sie neben den rechtskräftig festgestellten Forderungen nicht alle unbestrittenen Forderungen zur Aufrechnung zugelassen hat, sondern deren Aufrechenbarkeit von ihrer ausdrücklichen Zustimmung im Einzelfall abhängig gemacht hat.
[19] 3. Mit diesem Inhalt hält die Klausel einer Inhaltskontrolle am Maßstab von § 9 AGBG (jetzt: § 307 BGB) nicht stand.
[20] Nach § 11 Nr. 3 AGBG (jetzt: § 309 Nr. 3 BGB) ist eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, durch die dem Vertragspartner des Verwenders die Befugnis genommen wird, mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung aufzurechnen. Diese Bestimmung ist zwar im vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil der Beklagte die Räume zum Betrieb seiner Zahnarztpraxis gemietet und somit als Unternehmer gehandelt hat (§ 24 AGBG, jetzt: § 310 Abs. 1 BGB, i.V.m. § 14 BGB). Sie stellt aber eine konkretisierte Ausgestaltung des Benachteiligungsverbots des § 9 AGBG (jetzt: § 307 BGB) dar, da es sich bei dem Ausschluss der Aufrechnung in den genannten Fällen um eine besonders schwerwiegende Verkürzung der Rechte des Vertragspartners handelt, die auch im Geschäftsverkehr nicht hingenommen werden kann (BGH v. 20.6.1984 - VIII ZR 337/82, BGHZ 91, 375, 383 = MDR 1985, 50; 92, 312, 316; BGH, Urt. v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, MDR 1994, 261 = CR 1994, 409 = NJW 1994, 657, 658).
[21] Der danach inhaltlich an § 11 Nr. 3 AGBG (jetzt: § 309 Nr. 3 BGB) auszurichtenden Inhaltskontrolle hält das in § 6.5 des Mietvertrages geregelte Aufrechnungsverbot nicht stand, denn es macht die Zulässigkeit der Aufrechnung auch mit unbestrittenen Gegenforderungen im Einzelfall jeweils von der Zustimmung der Vermieterin abhängig. Die Klausel stellt es damit in das Belieben der Klägerin, dem Beklagten die Aufrechnung selbst mit unbestrittenen Gegenforderungen zu versagen und dessen Aufrechnungsbefugnis im Ergebnis auf rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen zu beschränken. Eine derartige empfindliche Verkürzung der Gegenrechte des Beklagten benachteiligt diesen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher gem. § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt: § 307 BGB) unwirksam. Der Verstoß hat zur Folge, dass die Klausel insgesamt unwirksam ist. Eine geltungserhaltende Reduktion des Aufrechnungsverbots auf ein inhaltlich noch zulässiges Maß kommt nicht in Betracht (BGH v. 16.10.1984 - X ZR 97/83, BGHZ 92, 312, 315 = MDR 1985, 228; 115, 324, 326; BGH, Urt. v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, MDR 1994, 261 = CR 1994, 409 = NJW 1994, 657, 658; v. 16.3.2006 - I ZR 65/03, BGHReport 2006, 1083 = MDR 2006, 1300 = NJW-RR 2006, 1350).
[22] 4. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, da das Berufungsgericht zur Berechtigung der von dem Beklagten zur Aufrechnung gestellten Forderungen keine Feststellungen getroffen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1782108 |
NJW 2007, 3421 |
NWB 2007, 3115 |
BGHR 2007, 1012 |
DWW 2007, 392 |
EBE/BGH 2007 |
NZM 2007, 684 |
WM 2007, 1810 |
ZMR 2007, 854 |
ZfIR 2008, 385 |
JA 2008, 300 |
MDR 2007, 1364 |
WuM 2007, 718 |
GuT 2007, 294 |
Info M 2007, 263 |
MietRB 2008, 38 |
ZGS 2007, 325 |
IWR 2007, 79 |
LL 2008, 154 |
MK 2007, 173 |