Leitsatz (amtlich)
Ein Kraftfahrer, der in einer plötzlichen Gefahrenlage sich selbst schädigt und dadurch einen anderen davor bewahrt, durch das Kraftfahrzeug überfahren zu werden, kann von dem Geretteten angemessenen Ersatz verlangen. Bei der Bemessung der Entschädigung ist auch die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr zu berücksichtigen. Der Anspruch setzt voraus, daß sich der Kraftfahrer nach StVG § 7 Abs. 2 entlasten kann.
Tatbestand
Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die auf sie übergegangenen Ansprüche des Motorenschlossers S. auf Ersatz von Schäden aus dem Unfall geltend, den S. am 29. April 1958 erlitten hat. S. befuhr an diesem Tage mit seinem Personenkraftwagen (Volkswagen) die H'er Landstraße von W. in Richtung H. und hielt dabei eine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h ein. Kurz vor dem Kilometerstein 3 kamen ihm auf der dort geraden und übersichtlichen Landstraße erster Ordnung auf Fahrrädern drei Schüler im Alter von 10 – 11 Jahren entgegen, die hintereinander auf der für sie rechten Fahrbahnseite fuhren. Als sich der Wagen dem als letzten fahrenden Beklagten bis auf etwa 6m genähert hatte, bog dieser plötzlich nach links in die Fahrbahn des Wagens ein. S. riß den Wagen vor dem Beklagten nach rechts und geriet mit seinem Fahrzeug auf einen Acker. Als er dort einen Baum umfuhr, schlug der Wagen auf die rechte Seite. S. brach sich einen Unterarm und erlitt Platzwunden am Kopf. Er war längere Zeit arbeitsunfähig.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen und aus dem Gesichtspunkt der Selbstaufopferung in Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 BGB) verpflichtet, die durch den Unfall entstandenen Aufwendungen zu ersetzen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, ihn treffe keine Schuld an dem Unfall. Soweit der Klageanspruch aus §§ 677, 683 BGB hergeleitet wird, ist er dem Zahlungsverlangen der Klägerin aus rechtlichen Gründen entgegengetreten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht den Klageanspruch dem Grunde nach insoweit für gerechtfertigt erklärt, als die Klägerin im Rahmen der von ihr zu erbringenden Leistungen die Erstattung der Hälfte der dem Maschinenschlosser S. durch den Unfall vom 29. April 1958 entstandenen Schäden begehrt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
I. Soweit die Klägerin ihre Ansprüche aus § 1542 RVO, § 823 BGB herleitet, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Beklagte unter diesem Gesichtspunkt nicht in Anspruch genommen werden kann, weil nicht bewiesen ist, daß ihn ein Verschulden trifft. Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts ist nicht auszuschließen, daß der Beklagte durch den vor ihm fahrenden J. überraschend behindert worden und deshalb mit seinem Fahrrad unverschuldet in die Fahrbahn des herankommenden Kraftwagens geraten ist. Die Anschlußrevision versucht zwar, gleichwohl ein Verschulden des Beklagten darzulegen. Sie geht dabei aber von einem Sachverhalt aus, der nicht bewiesen ist und nach der nicht zu beanstandenden Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht bewiesen werden kann. Es ist nichts dafür dargetan, daß der Beklagte das Ausbiegen nach links in die Fahrbahn des Kraftwagens bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte vermeiden können. Nur wenn das erwiesen wäre, könnte eine Deliktshaftung des Beklagten in Betracht kommen.
II. Das Berufungsgericht hat den Klageanspruch auf Grund der §§ 677, 683, 670 BGB bejaht. Nach diesen Bestimmungen kann derjenige, der für einen anderen, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst berechtigt zu sein, ein Geschäft besorgt, Ersatz auf Aufwendungen verlangen, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte, sofern die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse des Geschäftsherrn und seinem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entsprach. Das Berufungsgericht meint: S. habe dadurch, daß er den Wagen vor dem Beklagten nach rechts herumriß und auf den Acker lenkte, ein Geschäft des Beklagten geführt, das dessen Interesse und dessen Willen entsprochen habe, denn er habe den Beklagten davor bewahrt, überfahren und dabei verletzt, wenn nicht gar getötet zu werden. Die Schäden, die S. dadurch erlitten habe, seien Aufwendungen zum Zwecke der Geschäftsführung und daher vom Beklagten zu erstatten. Jedoch seien die Schäden nur zur Hälfte zu ersetzen, weil sie auch durch die Gefahr mitverursacht worden seien, die S. mit seinem Kraftwagen in den Verkehr getragen habe. Dieser Beurteilung ist im Ergebnis beizutreten.
1. Der Bundesgerichtshof hat die umstrittene Frage, ob ein Kraftfahrzeughalter in einem solchen Falle der Rettung eines anderen Ersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag stellen kann, bisher nicht abschließend entschieden, sondern nur ausgesprochen, daß solche Ansprüche jedenfalls dann zu verneinen sind, wenn der den Ersatz Fordernde den Entlastungsbeweis des § 7 Abs 2 StVG nicht führen kann (vgl Urteile des BGH v 19. März 1957 – VI ZR 29/56 – DAR 1957, 183 = VRS 12, 405 = VersR 1957, 340; v 17. Dezember 1957 – VI ZR 288/56 – VersR 1958, 168 und v 11. Juli 1956 – VI ZR 140/57 – VersR 1958, 646). In einem solchen Falle läßt das Gesetz den Kraftfahrzeughalter für den Schaden einstehen, der einem anderen durch den Betrieb des Kraftfahrzeuges entsteht. Dann mutet es ihm aber erst recht zu, den eigenen Schaden zu tragen, der dadurch entsteht, daß er versucht, den sonst ihm selbst zur Last fallenden fremden Schaden zu vermeiden. Hier wird ein Geschäft besorgt, das das Gesetz dem Rechtskreis des Kraftfahrzeughalters zurechnet. Es geht nicht an, diese vom Gesetz gewollte Risikoverteilung mit Hilfe der Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag beiseite zu schieben.
Die Revision irrt, soweit sie meint, der Unfall sei für S. kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs 2 StVG gewesen, so daß ein Ersatzanspruch der Klägerin aus §§ 677, 683 BGB schon aus diesem Grunde verneint werden müsse. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist S. mit seinem Wagen außerhalb einer Ortschaft auf einer freien und übersichtlichen Landstraße erster Ordnung gefahren. Seine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h war den Straßenverhältnissen angemessen. Das Verhalten der entgegenkommenden Radfahrer, die vorschriftsmäßig auf ihrer rechten Straßenseite hintereinander fuhren, bot keine Anzeichen dafür, daß sie sich bei einer weiteren Annäherung des Wagens verkehrswidrig verhalten würden. Der Beklagte bog, wie er selbst angibt, mit seinem Fahrrad plötzlich nach links, als der Wagen schon auf 6 m herangekommen war. Er wäre angefahren worden, wenn S. das Steuer seines Wagens nicht nach rechts gerissen hätte. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Wenn die Entfernung auch etwas mehr als 6 m betragen habe, so folge doch aus dem Vortrage des Beklagten, der mit den Behauptungen der Klägerin und dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens übereinstimme, daß S. äußerst schnell reagiert habe und daß der Unfall durch ein Bremsen nicht mehr habe vermieden werden können.
Legt man diese rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zugrunde, so ist die Ansicht des Berufungsgerichts zu billigen, daß S. nach § 7 Abs 2 StVG entlastet ist. Die Revision meint, S. habe sich bei der Annäherung an die ihm entgegenkommenden jugendlichen Radfahrer nicht richtig verhalten; er habe mit Unbesonnenheit der Jungen rechnen und deshalb die Geschwindigkeit seines Wagens weit unter 50 bis 60 km/h herabsetzen müssen. Mit diesem Verlangen überspannt sie die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Kraftfahrers. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, S. habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß einer der Radfahrer plötzlich ohne ersichtlichen Grund in die Gegenfahrbahn einbiegen werde. Auf ein so ungewöhnliches Verhalten braucht sich auch der besonders sorgfältige Kraftfahrer selbst gegenüber 10-bis 11jährigen Radfahrern nicht einzustellen, solange ihr Verhalten keinen Anlaß zu einer solchen Befürchtung bietet.
2. Ist aber der Entlastungsbeweis des § 7 Abs 2 StVG geführt, so stellt sich jetzt die bisher nicht entschiedene Frage, ob im übrigen die Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag gegeben sind, wenn ein Kraftfahrer in einer kritischen Lage unter eigener Gefährdung einen Verkehrsunfall zu vermeiden sucht und dabei Schaden erleidet. Sie wird bejaht von R. Brüggemann, DAR 1954, 151ff; Erman, BGB 3. Aufl Vorbem 2c zu § 677; Körner, DAR 1962, 11; Pfleiderer, VersR 1961, 675; Roth-Sielow NJW 1957, 489; Staudinger/Nipperdey, BGB 11. Aufl § 677 Anm 5; Weimar, DRiZ 1956, 129; Landgericht Bückeburg in DAR 1954, 297 und mit anderer Begründung auch vom OLG Hamm in DR 1940, 1188. OLG Hamm in DR 1940, 188. OLG Koblenz NJW 1953, 1633; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts 5. Aufl Bd II S 230; Palandt/Gramm BGB 20. Aufl § 677 Anm 2b und Wussow, das Unfallhaftpflichtrecht, 6. Aufl S 330).
a) Die Geschäftsführung ohne Auftrag erfordert nach § 677 BGB als erstes eine Geschäftsbesorgung. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. S. hat durch das Herumreißen seines Wagens verhindert, daß der Beklagte überfahren wurde; er hat damit eine Angelegenheit besorgt, die im Interesse des Beklagten lag. Das erfüllt den Begriff der Geschäftsbesorgung, denn dieser Begriff ist im weiten Sinne zu verstehen und umfaßt auch Handlungen tatsächlicher Art. Es ist allgemein anerkannt, daß Hilfeleistungen im Falle einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit eines anderen hierher gehören.
b) S. hat durch sein Handeln auch ein objektiv fremdes Geschäft, also das Geschäft eines anderen besorgt, wie § 677 BGB weiter voraussetzt, denn er hat, wie schon erwähnt wurde, Belange des Beklagten wahrgenommen, indem er ihn davor bewahrte, verletzt oder gar getötet zu werden.
Das kann nicht mit der Erwägung angezweifelt werden, daß eine solche Selbstaufopferung dem eigenen Rechtskreis des Kraftfahrers zuzurechnen sei, weil dieser nach § 1 StVO die Pflicht habe, seinerseits alles zu tun, um einen Unfall zu vermeiden L. (vgl OLG Koblenz, Larenz und Werner Wussow aaO). Der Kraftfahrer ist nicht verpflichtet, sein Leben ernstlich zu gefährden, um von einem anderen Verkehrspartner eine Gefahr abzuwenden. Auch die Straßenverkehrsordnung sinnt ihm nicht an, daß er einen anderen schont und sich opfert, wenn er trotz Anwendung der äußersten Sorgfalt in die Lage gerät, entweder sich in Lebensgefahr zu begeben oder den anderen zu überfahren (so zutreffend Staudinger/Nipperdey aaO). Falls S. sich darauf beschränkt hätte, zu bremsen und auf der Straße auszuweichen, so hätte er schon damit seine Pflichten aus § 1 StVO erfüllt. Er könnte nicht nach § 7 StVG zur Verantwortung gezogen werden, wenn der Beklagte dabei angefahren worden wäre. Daß S. mehr getan und nicht nur sich sondern auch die anderen Insassen des Wagens in Gefahr gebracht hat, ist daher nicht als die Erfüllung einer Rechtspflicht, sondern als ein Akt der Menschenhilfe anzusehen, auf den die Bestimmungen der Geschäftsführung ohne Auftrag ihrem Zweck nach anzuwenden sind.
c) Den inneren Tatbestand der Geschäftsführung ohne Auftrag hat das Berufungsgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei bejaht. Hierzu genügt, daß S. in dem Bewußtsein gehandelt hat, das Geschäft als fremdes zu besorgen. Da die Rettung des Beklagten aus der Gefahrenlage schon seiner Natur nach in dessen Bereich fällt, spricht schon eine gewisse Vermutung dafür, daß das Geschäft für den anderen, den es angeht, besorgt worden ist.
Das Oberlandesgericht Koblenz (aaO) meint in seinem Urteil, der Kraftfahrer wolle in dieser Lage eine eigene Pflicht erfüllen und lasse sich von dem Bestreben leiten, eine etwaige Verantwortlichkeit oder Unannehmlichkeit wie zB staatsanwaltliche Ermittlungen oder ein Verstricktwerden in eine Schadensersatzklage zu vermeiden. Das ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Ein Fahrer, der vor einem gefährdeten Menschen seinen Wagen herumreißt, tut dies in der Regel nicht in dem Gedanken, sich ein Ermittlungsverfahren oder eine Schadensersatzklage mit ihren Unannehmlichkeiten zu ersparen (ebenso Brüggemann aaO). Das Berufungsgericht bezweifelt mit Recht, ob es in der kurzen Zeit, die dem Fahrer bis zu seinem Entschluß zur Verfügung steht, überhaupt zu solchen Erwägungen kommt und ob der etwaige Gedanke an ein Strafverfahren oder an ein Zivilprozeß bei einem Kraftfahrer, der selbst verkehrsgerecht gefahren ist, ausreichen kann, um das eigene Leben, mindestens die eigene Gesundheit, und auch die Gesundheit und das Leben seiner Fahrgäste zu gefährden. Viel näher liegt die Annahme, daß ein Kraftfahrer in dieser kritischen Lage an den gefährdeten Menschen denkt und das Steuer seines Wagens in dem Bestreben herumreißt, den anderen nicht zu überfahren. In der Mehrzahl der Fälle ist davon auszugehen, daß die Handlungsweise des Fahrers von diesem Bestreben bestimmt, zum mindesten weitgehend mitbestimmt wird. Jedenfalls hat das Berufungsgericht in dem jetzt zu entscheidenden Falle festgestellt, daß dies für S. die Triebfeder seines Handelns war.
Die Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag darf auch nicht daran scheitern, daß S. spontan das zur Rettung des Beklagten Notwendige getan hat. Würde in einer ähnlichen Lage ein Straßenpassant das Kind im letzten Augenblick aus der Gefahrenzone des herannahenden Kraftwagens herausreißen, so wäre er ohne Zweifel auch dann Geschäftsführer ohne Auftrag, wenn er das Kind aus einem ganz spontan gefaßten Entschluß davor bewahrt hätte, überfahren zu werden. Das gleiche muß aber gelten, wenn unter den gleichen Umständen der Fahrer selbst das Kind aus der Gefahr, in die es geraten ist, zu retten unternimmt (vgl Weimar, DRiZ 1956, 129).
d) Daß bei einer mit Gefahren verbundenen Geschäftsführung ohne Auftrag auch Schäden des Geschäftsführers zu den nach § 683, 670 BGB zu ersetzenden Aufwendungen gehören, ist heute allgemein anerkannt und wird auch von der Revision nicht angezweifelt (vgl BGHZ 33, 251, 257).
3. Indes darf bei der Prüfung, in welchem Umfang der Gerettete Ersatz zu leisten hat, nicht verkannt werden, daß der erst in der Rechtsprechung entwickelte Ersatzanspruch des Geschäftsführers in solchen Rettungsfällen gegenüber dem im Gesetz ausdrücklich geregelten Ersatz für vermögensrechtliche Aufwendungen Besonderheiten zeigt, denen ein voller Schadenersatz nicht immer gerecht wird. Das zeigt sich gerade in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem sowohl das beklagte Kind – davon muß hier ausgegangen werden – wie auch S. schuldlos in eine plötzliche Gefahrenlage geraten sind, die nicht zu meistern war, ohne daß einer der beiden Schaden erlitt. Der Schaden ist also durch eine für beide Beteiligten zufällige Gefahrenlage ausgelöst worden, wie es in ähnlicher Weise im Seerecht bei der großen Haverie der Fall ist. Dort ist ausdrücklich geregelt, daß alle Schäden, die dem Schiff oder der Ladung oder beiden zum Zwecke der Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr zugefügt werden, von den Beteiligten gemeinschaftlich zu tragen sind (§ 7 HGB).
Hinzu kommt, daß S. durch sein Kraftfahrzeug ebenfalls eine Ursache zu der Gefahr gesetzt hat, deren Auswirkung er durch eine ihn selbst schädigende Rettungshandlung verhinderte. Damit hebt sich der jetzt zu entscheidende Fall wesentlich von jenen Fällen ab, in denen der „Geschäftsführer” eine Gefahr übernimmt, ohne daß er mit der Entstehung dieser Gefahr irgend etwas zu tun hat. In dem oben genannten Beispiel, daß ein Straßenpassant das gefährdete Kind im letzten Augenblick vor einem herankommenden Kraftwagen zurückreißt und sich dabei Verletzungen zuzieht, mag es, da er in keiner Weise zum Entstehen der Gefahrenlage beigetragen hat, in der Regel gerechtfertigt sein, ihm im vollen Umfang Ersatz seiner Körperschäden zuzubilligen. Dagegen wäre es kein sachgerechtes Ergebnis, wenn man dem zur Rettung des Kindes handelnden Kraftfahrer, obwohl die konkrete Gefahrenlage durch sein Fahrzeug mit herbeigeführt worden ist, stets vollen Ausgleich seiner Schäden gewähren wollte.
Daß er den Entlastungsbeweis des § 7 Abs 2 StVG führen kann, hindert nicht, seine Ansprüche wegen der Mitverursachung des Schadens zu mindern. Auch der Beklagte wird entgegen dem allgemeinen Grundsatz des Haftpflichtrechts, daß ein Radfahrer nur bei Verschulden für die Folgen eines Verkehrsunfalls aufzukommen hat, nach den Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag allein auf Grund der Verursachung des Unfalls zum Aufwendungsersatz herangezogen. Dann ist es aber gerecht, bei der Verteilung des Schadens auch die vom Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr als eine der Ursachen des Unfalls zu berücksichtigen.
Wollte man in einem solchen Falle den § 683 BGB ohne jede Einschränkung anwenden, so müßte dem Kraftfahrer stets auch bei einem Mißlingen seiner Rettungshandlung der volle Ersatz seiner Aufwendungen zugebilligt werden. Dieses offenbar unbillige Ergebnis macht aber deutlich, daß es sich hier nicht um einen echten Schadensersatzanspruch handelt, daß dem Retter vielmehr nur eine angemessene Entschädigung zu gewähren ist und daß bei ihrer Bemessung die verschiedenartigen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen.
Die Eigenart dieser Fälle läßt es nicht zu, den Grundsatz der „Totalreparation”, der sonst unser Schadensrecht beherrscht, und das Prinzip des vollen Ersatzes aller sachgemäßen Aufwendungen, das im Auftragsrecht gilt, folgerichtig durchzuführen. Vielmehr muß dem Richter eine gewisse Freiheit bei der Bemessung des Ersatzanspruchs eingeräumt werden, damit er so der gemeinsamen Gefahrlage der Beteiligten und dem vom Kraftfahrer mit gesetzten Beitrag zum Entstehen der Gefahr Rechnung tragen kann. Da der Anspruch des Retters auf Ersatz von Körperschäden gegen den Begünstigten erst in der Rechtsprechung entwickelt und näher ausgestaltet worden ist, verstößt es nach Ansicht des Senats auch nicht gegen den Grundsatz der Bindung des Richters an das Gesetz, wenn die richterliche Rechtsfortbildung bei der Bemessung des Schadensersatzes den Besonderheiten Rechnung trägt, die der Gesetzgeber bei der Regelung des Aufwendungsersatzes (§§ 670, 683 BGB) offenbar nicht erwogen hat.
Von der gleichen Auffassung hat sich im Ergebnis auch das Oberlandesgericht leiten lassen, das ebenfalls den Anspruch des Kraftfahrers auf vollen Schadensersatz abgelehnt hat und ersichtlich davon ausgegangen ist, daß dem Beklagten ohne das herankommende Kraftfahrzeug und die von ihm ausgehende Gefahr nichts passiert wäre. Diesem Umstand hat es Rechnung getragen und so zugleich berücksichtigt, daß das Risiko der plötzlich für die beiden Beteiligten entstandenen Gefahrlage angemessen verteilt werden muß. Diese Lösung wird der Eigenart des Falles gerecht. Daß das Berufungsgericht bei der Bemessung der Entschädigung die Ansprüche auf die Hälfte gekürzt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (im Ergebnis ebenso Brüggemann, DAR 1954, 151, 153 und Roth/Stielau, NJW 1957, 489).
4. Zuzustimmen ist auch der Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Ersatzansprüche im vorliegenden Falle gegen den Beklagten selbst geltend gemacht werden können, weil S. im Interesse des Beklagten gehandelt hat und die Rettungshandlung dessen Rechtskreis zuzurechnen ist. Etwas anderes ist aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1957 (VI ZR 288/56, VersR 1958, 168) nicht zu entnehmen. Ob neben dem Beklagten auch seine Eltern in Anspruch genommen werden könnten, ist hier nicht zu entscheiden, da Ansprüche gegen die Eltern nicht erhoben worden sind.
5. Hans Joachim Wussow (VersR 1961, 319 und Werner Wussow (Inf zum Haftpflichtrecht 1962, 180) meinen in solchen Fällen der Hilfeleistung sei ein Anspruch des bei der Hilfeleistung Verletzten gegen den Begünstigten nach § 898 RVO ausgeschlossen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Allerdings genoß S. den Schutz der Sozialversicherung. Abgesehen davon, daß er den Unfall auf einer Berufsfahrt erlitten hat, war er auch durch § 537 Nr 5a RVO geschützt, denn nach dieser Bestimmung sind Personen, die ohne besondere rechtliche Verpflichtung einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr retten oder zu retten unternehmen, ebenfalls versichert. S. war also Versicherter im Sinne des § 898 RVO. Die Anwendung dieser Bestimmung muß aber daran scheitern, daß der Beklagte im Verhältnis zu S. kein Unternehmer (§ 633 RVO) war und daß auch kein Grund besteht, ihn wie einen Unternehmer zu behandeln. Das hat das Landgericht Arnsberg in seinem Urteil vom 15. September 1960 (VersR 1961, 209) zutreffend dargelegt. Seinen Ausführungen ist beizutreten.
Berücksichtigt man den Sinn und Zweck des § 898 RVO, so ist auch für eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung kein Raum. Sie stellt den Unternehmer von der Haftung frei, weil er durch seine Beiträge zur Sozialversicherung für den weitgehenden Unfallschutz des Versicherten sorgt. Auch sollte verhindert werden, daß Streitigkeiten über die Unfallverantwortung den Arbeitsfrieden stören (BGHZ 8, 330, 338 und 19, 114, 121). Diese Grundgedanken des Gesetzes treffen aber in einem Falle der Hilfeleistung aus Lebensgefahr, wie er hier zu entscheiden ist, nicht zu.
6. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Leistungen des Sozialversicherungsträgers zur Behebung der Unfallfolgen nicht auf den Ersatzanspruch des S. anzurechnen sind, daß dieser Anspruch vielmehr nach § 1542 RVO auf die klagende Berufsgenossenschaft übergegangen ist. Das entspricht der Rechtsprechung des Reichsgerichts – RGZ 167, 85 – und des Bundesgerichtshofs – BGHZ 33, 251, 257 –. Von ihr abzugehen besteht kein Anlaß. Durch den Versicherungsschutz, den die Reichsversicherungsordnung dem Retter gewährt, sollte dieser besser gestellt und damit die Opferbereitschaft gefördert werden. Dem Gesetz ist aber nichts dafür zu entnehmen, daß der durch die Rettung Begünstigte durch diese Regelung von seiner Haftung aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag freigestellt werden sollte. Der Anspruch des Retters ist unbeschadet seiner besonderen Eigenart doch auf Ausgleich eines Schadens gerichtet und gehört daher zu den Ansprüchen, die nach dem Grundgedanken des § 1542 RVO dem Sozialversicherungsträger als Ausgleich dafür zustehen sollen, daß er dem Schaden kongruente Leistungen gewährt.
IV. Zusammenfassend ergibt sich, daß das Berufungsgericht den mit der Klage geltend gemachten Anspruch der Klägerin ohne einen Rechtsfehler nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag in Verbindung mit § 1542 RVO zur Hälfte dem Grunde nach bejaht hat. Damit sind die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Klägerin unbegründet. Sie waren daher zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 650390 |
BGHZ, 270 |
NJW 1963, 390 |
JZ 1963, 547 |
MDR 1963, 209 |