Verfahrensgang

OLG Koblenz (Entscheidung vom 28.10.2021; Aktenzeichen 2 U 1835/20)

LG Trier (Entscheidung vom 18.11.2020; Aktenzeichen 5 O 67/20)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. Oktober 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. November 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 18. November 2020 abgeändert, soweit die Beklagte zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die Klage insoweit abgewiesen.

Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug.

Rz. 2

Der Kläger erwarb am 25. März 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgerüsteten Neuwagen als EU-Reimportfahrzeug zum Kaufpreis von 26.000 €. Die zur Steuerung des Motors eingesetzte Software sah eine Umschaltlogik vor. Das wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt.

Rz. 3

Mit seiner im Mai 2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat der Klage überwiegend, zu den Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 €, stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das angefochtene Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und die Verurteilung der Beklagten in der Hauptsache in Höhe von 7.092,04 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen aufrechterhalten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die uneingeschränkt statthafte (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.; Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 7) und auch im Übrigen zulässige Revision hat in der Sache Erfolg.

Rz. 5

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 6

Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB, der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs gerichtet sei. Der Schaden des Klägers belaufe sich auf 7.092,04 € (26.000 € Kaufpreis abzüglich 18.907,96 € Nutzungsentschädigung). Der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei aber verjährt. Indessen stehe dem Kläger gegen die Beklagte ein Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB zu. Diesem Anspruch stehe nicht entgegen, dass der Kläger das Neufahrzeug nicht direkt von der Beklagten, sondern von einem (End-)Händler erworben habe. Auch wenn die Beklagte beim Neuwagenverkauf über einen (Zwischen- und End-)Händler den Kaufpreis vom Händler erhalte, stelle sich dies bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung als Vermögensverschiebung auf Kosten des Käufers dar. Als aufgrund der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erlangt sei der aus der Veräußerung des Neufahrzeugs von der Beklagten erzielte Kaufpreis abzüglich der Händlermarge herauszugeben. Auf die konkrete Höhe der Händlermarge, zu der die Parteien nicht vorgetragen hätten, komme es nicht an. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass dem Händler auch nur annähernd eine Marge in Höhe der Nutzungsentschädigung, die etwa 73% des Kaufpreises betrage, zugeflossen sei, sodass das Erlangte der Höhe nach den Betrag des Schadensersatzes übersteige. Da der Restschadensersatzanspruch jedoch durch die Höhe des verjährten Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB von 7.092,04 € begrenzt sei, könne der Kläger nur diesen Betrag beanspruchen. Außerdem stehe dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

Rz. 7

II. Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

Rz. 8

1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht zunächst zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte jedoch die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff., 33 ff.). Ein etwaiger Anspruch des Klägers aus anderen deliktsrechtlichen Bestimmungen wäre ebenfalls verjährt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 23 ff.).

Rz. 9

2. Das Berufungsgericht, das dem Kläger vor den Entscheidungen des Senats vom 21. Februar 2022 (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 51 ff., 81 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 11 ff.) und vom 21. März 2022 (BGH, Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27 f.) Restschadensersatz zuerkannt hat, hat indessen keine hinreichenden Feststellungen zur Anwendbarkeit der §§ 826, 852 Satz 1 BGB getroffen. Es hat nicht festgestellt, der Kläger habe das Fahrzeug auf der Grundlage einer auch für den Erwerb als EU-Reimport maßgeblichen Absatzkette erworben (BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 19; Urteil vom 25. Juli 2022 - VIa ZR 31/22, juris Rn. 17).

Rz. 10

Das Berufungsgericht hat nur festgestellt, der Kläger habe das Fahrzeug bei einem Vertragshändler der Beklagten als Neufahrzeug gekauft. Daraus geht nicht hervor, ob die Beklagte, was Voraussetzung eines Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB wäre, das EU-Reimportfahrzeug an den ausländischen Zwischenhändler infolge der Bestellung des Klägers bei seinem Händler ausgeliefert hat. Unergiebig ist insoweit auch die vom Berufungsgericht konkret in Bezug genommene "Bestellung für EU-Reimport Fahrzeuge" (Anlage K1). Die bislang getroffenen Feststellungen lassen vielmehr - einen Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB ausschließend - die Möglichkeit zu, dass der (erste) Zwischenhändler und Käufer der Beklagten das Fahrzeug schon vor der Bestellung des Fahrzeugs durch den Kläger bei seinem Verkäufer auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben hatte.

Rz. 11

3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht im Übrigen bei der Ermittlung der Höhe eines Restschadensersatzanspruchs des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB übersehen, dass, was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16), der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis nicht lediglich im Wege einer Vergleichsbetrachtung zu berücksichtigen, sondern Ausgangspunkt für die Berechnung der Anspruchshöhe ist. Dementsprechend ist zunächst der Händlereinkaufspreis - im Falle des EU-Reimports: der vom ersten Zwischenhändler und Käufer der Beklagten geschuldete Kaufpreis (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 29) - konkret zu ermitteln. Anschließend sind von diesem - im Falle des EU-Reimports: ersten - Händlereinkaufspreis die vom Berufungsgericht nach § 287 ZPO geschätzten Nutzungsvorteile im Wege der Vorteilsausgleichung abzuziehen. Dabei obliegt es auch hier dem für den Umfang eines Restschadensersatzanspruchs nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB darlegungs- und beweispflichtigen Kläger, Vortrag zur Höhe dieses (ersten) Händlereinkaufspreises zu halten. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung trifft die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast jedenfalls nicht, falls der Kläger sich die erforderliche Information bei dem Endhändler als seinem Verkäufer beschaffen kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2022 - VIa ZR 122/22, juris Rn. 27; Urteil vom 10. Oktober 2022 - VIa ZR 716/21, juris Rn. 20).

Rz. 12

4. Die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kann der Kläger entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht verlangen. Die Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB erfasst auch diese Schadensposition. Ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB besteht nicht, weil die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zu keiner Mehrung des Vermögens der Beklagten geführt hat (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 77; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 21). Da sich die Beklagte bis zum Erhalt des anwaltlichen Aufforderungsschreibens vom 1. April 2020 nicht in Verzug befand, kann der Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auch nicht als Verzugsschaden beanspruchen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, aaO, Rn. 78; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 22).

Rz. 13

III. Das Berufungsurteil unterliegt mithin in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang der Aufhebung (§ 562 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, soweit das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen aufrechterhalten hat, und auf die Berufung der Beklagten die Klage insoweit abweisen, weil die Aufhebung des Berufungsurteils insoweit nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und danach die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen zu einem Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB treffen kann (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Menges     

Götz     

Rensen

Wille     

Liepin     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15513857

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