Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.11.1999) |
LG Darmstadt (Urteil vom 25.11.1997) |
Tenor
Auf die Revisionen beider Parteien wird das Urteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 25. November 1997 bezüglich der Widerklage zurückgewiesen worden ist und die Beklagte unter Zurückweisung ihrer Berufung verurteilt worden ist, mehr als 216.038,25 DM zuzüglich Zinsen an die Klägerin zu zahlen.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Räumung gewerblich genutzter Räume und Zahlung restlichen Mietzinses bzw. Nutzungsentgelts. Die Beklagte hat gegen die Mietzinsansprüche mit angeblichen Ansprüchen aus überzahltem Mietzins die Aufrechnung erklärt. Hilfsweise erhebt sie Widerklage auf Rückzahlung des angeblich überzahlten Betrages.
Die Klägerin vermietete mit schriftlichem, bis 31. September 1999 befristeten Mietvertrag vom 12. Juli 1989 an die Beklagte „1.698 qm Büro- und Nebenfläche” und „233 qm Halle” (§ 1 des Mietvertrages) zu einem Mietzins von 24.000 DM incl. einer Umlage von 14 % und Mehrwertsteuer. Nach einer Änderungsvereinbarung vom gleichen Tag sollte dieser Mietzins bis zum 31. Dezember 1992 gelten. Vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 1995 wurde der Mietzins mit 13,50 DM/qm für die Büroräume und 8,75 DM/qm für die Lagerfläche zuzüglich einer Umlage von 14 % und Mehrwertsteuer festgelegt. Ab 1. Januar 1996 sollte der Mietzins „gemäß Indexermittlung” durch ein Sachverständigengutachten neu bestimmt werden (§ 23 Nr. 2 und 3 des Mietvertrages). Nach § 4 Abs. 2 des Mietvertrages sollte für den Fall, daß sich die Parteien ab dem 1. Januar 1996 nicht auf einen neuen Mietzins einigen, ein Sachverständiger als Schiedsgutachter gemäß § 317 BGB nach billigem Ermessen darüber entscheiden, ob und in welcher Höhe eine Änderung des Mietzinses eintritt. Am 5. Februar 1991 änderten die Parteien die Vereinbarung zur Miethöhe für die Zeit von März 1991 bis Dezember 1995 dahingehend ab, daß für Büro- und Lagerflächen zum Teil geringere Quadratmeterpreise zugrundegelegt und im Gegenzug die Umlagenpauschale erhöht wurden.
Die Parteien konnten sich auf keinen neuen Mietzins ab 1. Januar 1996 einigen. Der von ihnen mit der Bestimmung des Mietzinses nach billigem Ermessen beauftragte Sachverständige stellte den ab 1. Januar 1996 zu zahlenden neuen Mietzins mit 28.600 DM netto fest. Dabei legte er die von ihm anhand eines neuen Aufmaßes festgestellten Flächen von 1489,90 qm Büroraum und 279 qm Archiv- und Lagerraum zugrunde. Die Beklagte hat im Hinblick auf die von dem Sachverständigen festgestellten Flächenmaße ab Oktober 1996 die Mietzinszahlungen eingestellt und mit Rückzahlungsansprüchen die Aufrechnung erklärt, die sie auf eine Überzahlung des Mietzinses wegen geringerer Größe der vermieteten Bürofläche als vertraglich vereinbart stützt. Gemäß § 6 Nr. 1 Satz 3 des Mietvertrages war die Aufrechnung gegenüber dem Mietzins nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen zulässig.
Die Klägerin hat am 2. Dezember 1996 den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs fristlos gekündigt.
Mit der Klage verlangt die Klägerin Räumung und restlichen Mietzins von insgesamt (54.802,89 DM + 81.376,22 DM =) 136.179,11 DM für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum Zugang der fristlosen Kündigung am 3. Dezember 1996, den sie ausgehend von dem Sachverständigengutachten mit 28.600 DM monatlich zuzüglich 18 % Umlagenpauschale und Umsatzsteuer in Ansatz bringt. Für die Zeit vom 4. Dezember 1996 bis 28. Februar 1997 verlangt sie Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 116.068,60 DM (monatlich 37.767,08 DM netto) unter Zugrundelegung des von dem Sachverständigen in seinem Gutachten als ortsüblich genannten Mietzinses von 22,60 DM/qm abzüglich geleisteter Zahlungen. Gegenansprüche der Beklagten hält sie für unbegründet, weil die im Vertrag genannte Quadratmeterzahl zutreffend sei. Der Sachverständige habe nämlich die Nettogrundfläche ermittelt, während im Vertrag die Bruttogrundfläche vereinbart worden sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Widerklage hatte in erster Instanz in Höhe von 117.842,76 DM nebst Zinsen Erfolg. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Widerklage nur in Höhe von 112.750,20 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin beantragt mit der angenommenen Revision, das Berufungsurteil aufzuheben, soweit es sie beschwert. Die Revision der Beklagten, mit der diese nur noch ihre Verurteilung zur Zahlung von Miete und Nutzungsentschädigung und die Abweisung der Widerklage angreift, hat der Senat nur insoweit angenommen, als die Beklagte verurteilt worden ist, für die Zeit vom 4. Dezember 1996 bis 28. Februar 1997 eine Nutzungsentschädigung von mehr als (116.068,60 DM – 36.209,46 DM =) 79.859,14 DM zuzüglich Zinsen – berechnet auf der Grundlage des vereinbarten Mietzinses – zu zahlen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen führen zur teilweisen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht führt aus, die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses sei wirksam gewesen, da die Aufrechnung mit streitigen und nicht rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen gemäß § 6 Nr. 1 Satz 3 des Mietvertrages wirksam ausgeschlossen worden sei. Der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch sei begründet. Die Klägerin habe gemäß § 4 Abs. 2 des Mietvertrages ab 1. Januar 1996 einen Anspruch auf Mietzins in der von dem Sachverständigen bestimmten Höhe von 28.600 DM netto zuzüglich der von den Parteien am 5. Februar 1991 vereinbarten Umlagenpauschale von 18 % zuzüglich Umsatzsteuer. Die Vereinbarung vom 5. Februar 1991 gelte über den 31. Dezember 1995 hinaus, denn sie enthalte keine zeitliche Begrenzung. Lediglich die Nettomiete habe zum 1. Januar 1996 neu festgelegt werden sollen. Ab Beendigung des Mietverhältnisses sei die Beklagte gemäß § 557 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB zur Zahlung der von dem Sachverständigen mit 22,60 DM/qm als ortsüblich festgestellten Miete verpflichtet gewesen. Die Feststellung des Sachverständigen sei für die Parteien bindend, weil sie in § 4 Abs. 2 des Mietvertrages für den Fall von Streitigkeiten über die Miethöhe ausdrücklich eine Entscheidung durch Schiedsgutachten vereinbart hätten.
Die Widerklage hat das Berufungsgericht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe von 112.750,20 DM für begründet gehalten. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Flächenangaben im Mietvertrag als zugesicherte Eigenschaften anzusehen seien. Auch komme es nicht darauf an, ob die Vertragsparteien bei Abschluß des Mietvertrages von der Brutto- oder der Nettogrundfläche ausgegangen seien. Denn den Parteien sei es bei Abschluß des Mietvertrages auf die genaue Fläche nicht angekommen. Die Fläche sei lediglich ein kalkulatorisches Element für den bis zum 31. Dezember 1992 pauschal vereinbarten Mietzins gewesen. Bedeutsam sei die Fläche der Mietsache erst mit Abschluß der Änderungsvereinbarung vom 5. Februar 1991 geworden, weil ab dem 1. März 1991 der Mietzins nach unterschiedlichen Quadratmeterpreisen für die Nutzbereiche Büro und Lager berechnet worden sei. Aus Sicht der Beklagten als Mieterin hätten die in die Änderungsvereinbarung aufgenommenen Flächenangaben nur im Sinne einer Nutzfläche verstanden werden können, denn der Beklagten sei es um die Fläche gegangen, die ihr zur Nutzung zur Verfügung stehe. Da diese Fläche tatsächlich geringer gewesen sei als von den Parteien angegeben, habe die Beklagte seit dem 1. März 1991 einen überhöhten Mietzins entrichtet. Um diesen Mehrerlös sei die Klägerin ohne rechtlichen Grund ungerechtfertigt bereichert. Die Klägerin könne mit dem Einwand, der Sachverständige habe die Flächen fehlerhaft ermittelt, nicht gehört werden. Denn die Klägerin müsse die von dem Sachverständigen als Schiedsgutachter getroffenen Feststellungen auch hinsichtlich des Aufmaßes hinnehmen.
Die von der Beklagten geltend gemachten Rückzahlungsansprüche für Zahlungen, die sie vor dem 1. Januar 1993 geleistet habe, seien zum Zeitpunkt der Geltendmachung analog § 197 BGB verjährt gewesen. Der seit dem 1. Januar 1993 durch Überzahlungen entstandene Bereicherungsanspruch der Beklagten sei von dem Landgericht falsch berechnet worden. Das Landgericht sei bei der Bürofläche von einem Quadratmeterpreis von 13,50 DM ausgegangen, obwohl nach der am 5. Februar 1991 zwischen den Parteien getroffenen Änderungsvereinbarung der Quadratmeterpreis ab dem 1. Januar 1993 13 DM betragen habe. Danach errechne sich der Bereicherungsanspruch der Beklagten mit 112.750,20 DM.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten Stand.
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet.
1. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht die von der Klägerin unter Beweis gestellte Frage, ob die Parteien bei Vertragsschluß von der Brutto- oder der Nettogrundfläche ausgegangen sind, nicht offen lassen durfte, weil diese Frage entscheidungserheblich ist. Das Berufungsgericht hat bei seiner Annahme, für die Parteien habe die genaue Fläche bei Vertragsschluß keine Rolle gespielt, erst bei Abschluß der Änderungsvereinbarung vom 5. Februar 1991 sei es auf die genaue Fläche angekommen, wesentlichen Prozeßstoff unbeachtet gelassen. Die Klägerin hat unter Beweisantritt vorgetragen, daß sie das Mietobjekt seinerzeit auf der Basis der Bruttogrundfläche angeboten und vermietet hat. Diesen Beweis hätte das Berufungsgericht erheben müssen. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, daß die Flächenangaben im Mietvertrag vom 12. Juli 1989 bei dessen Abschluß von gleicher Bedeutung waren, wie bei Abschluß der Vereinbarung vom 5. Februar 1991. Schon § 23 des ursprünglichen Mietvertrages regelt für die Zeit ab 1. Januar 1993 ebenso wie die Vereinbarung vom 5. Februar 1991 für die Zeit ab 1. März 1991 verbindlich, daß der Mietzins nach den in §§ 1, 23 des Mietvertrages genannten Quadratmetern von 1.698 Bürofläche und 233 qm Lagerfläche mit unterschiedlichen Quadratmeterpreisen berechnet wird. Deshalb ist die Annahme des Berufungsgerichts, die genaue Flächenangabe habe für die Parteien bei Vertragsschluß keine Rolle gespielt, nicht berechtigt. Vielmehr kam es den Parteien schon bei Vertragsabschluß auf die genaue Flächenangabe für die Berechnung des Mietzinses an. Deshalb ist die Frage, ob die Parteien bei Vertragsschluß die Flächenangaben als Brutto- oder Nettomietfläche verstanden haben, von entscheidender Bedeutung. Denn nur wenn die Parteien die Quadratmeterangaben im Mietvertrag als Nettogrundfläche vereinbart haben, kommt eine Differenz zwischen vereinbarter und tatsächlich überlassener Fläche und damit ein Rückforderungsanspruch wegen Überzahlung überhaupt in Betracht.
III.
Die Revision der Beklagten ist im Umfang der Annahme begründet.
Die Revision beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht, soweit es für die Zeit nach der fristlosen Kündigung ab 4. Dezember 1996 bis 28. Februar 1997 als Nutzungsentschädigung den über den vereinbarten Mietzins hinaus verlangten ortsüblichen Mietzins zugesprochen hat, diesen ortsüblichen Mietzins fehlerhaft ermittelt hat.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, der von dem Sachverständigen in seinem Gutachten genannte ortsübliche Mietzins sei für die Parteien bindend, weil die in § 4 Abs. 2 des Mietvertrages vereinbarte Bestimmungsbefugnis des Sachverständigen auch für die nach fristloser Kündigung an die Stelle des vereinbarten Mietzinses tretende Nutzungsentschädigung gelte, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Diese Auslegung von § 4 Abs. 2 des Mietvertrages läßt – wie die Revision zu Recht rügt – dessen Wortlaut und den sachlichen Zusammenhang der Regelung außer acht und hält sich damit nicht mehr im Rahmen einer rechtlich möglichen tatrichterlichen Wertung. § 4 Abs. 2 des Mietvertrages bestimmt: „Einigen sich die Vertragsparteien nicht über die Miethöhe, so entscheidet ein … Sachverständiger als Schiedsgutachter gemäß § 317 BGB nach billigem Ermessen…”. Der Sachverständige sollte danach nur den für den konkreten Einzelfall vertraglich angemessenen Mietzins, nicht aber den ortsüblichen Mietzins für die Parteien verbindlich festlegen. Eine Einigung dahin, daß eine Bestimmung des ortsüblichen Mietzinses durch den Sachverständigen erfolgen soll, haben die Parteien nicht getroffen. Das Schiedsgutachten ist somit hinsichtlich der Angabe des ortsüblichen Mietzinses für die Parteien nicht bindend. Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – über die von der Beklagten bestrittene Ortsüblichkeit der von der Klägerin geltend gemachten Nutzungsentschädigung den von der Klägerin angebotenen Sachverständigenbeweis nicht erhoben.
Das Urteil des Oberlandesgerichts kann daher nicht bestehen bleiben, soweit es die Beklagte zu einem den vereinbarten Mietzins übersteigenden Betrag auf der Grundlage des vom Sachverständigen festgestellten ortsüblichen Mietzinses verurteilt hat. Da die Klägerin nach § 557 BGB a.F. anstelle des vereinbarten Mietzinses den ortsüblichen Mietzins wählen kann und sie sich auch darauf beruft, daß dieser höher sei als der vereinbarte Mietzins, kommt es auf dessen Höhe an.
IV.
Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Beweise erheben kann.
Unterschriften
Hahne, Gerber, Sprick, Fuchs, Vézina
Fundstellen
Haufe-Index 905839 |
NJW-RR 2003, 727 |
NZM 2003, 358 |
IWR 2003, 65 |