Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung nachehelichen Unterhalts wegen eheähnlichen Zusammenlebens
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ist mittels Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen.
2. Die Abänderungsklage ist dagegen das zulässige und notwendige Mittel, um einen im ordentlichen Prozess geschlossenen Unterhaltsvergleich an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse anzupassen.
3. Ein Vergleich, der eine einstweilige Anordnung ersetzt, bildet dagegen keinen Rechtsgrund; gegen ihn findet eine Abänderungsklage nicht statt.
Normenkette
BGB §§ 812, 1579; ZPO §§ 767, 323 Abs. 3, § 794 Abs. 1 Nr. 1, § 620 S. 1 Nr. 6
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Senat für Familiensachen – vom 16. August 1990 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Unterhaltsleistungen in Anspruch.
Die Ehe der Parteien wurde am 5. Februar 1974 aus dem Verschulden des Klägers geschieden. Er betrieb damals ein Tabakwarengeschäft. Nach der Scheidung zahlte er an die Beklagte für sie und zwei in den Jahren 1961 und 1963 geborene gemeinsame Kinder zunächst monatlich 1.250 DM Unterhalt. Mit einer im Juli 1974 erhobenen Klage verlangten die Beklagte und die Kinder höhere Zahlungen. Der Rechtsstreit (2 C 411/74 AG Mannheim) endete mit einem gerichtlichen Vergleich vom 12. August 1975. Darin verpflichtete sich der Kläger, monatlich an die Beklagte 625 DM und an die beiden Kinder zu Händen der Beklagten je 312,50 DM zu zahlen; es blieb also – nunmehr unter Aufteilung und Titulierung – bei dem bisherigen Gesamtbetrag von 1.250 DM. In § 3 des Vergleichs verzichteten die Beklagte und der Kläger „auf das Recht, eine weitere Abänderungsklage gegeneinander zu erheben”.
Seit 1982 wird das ursprünglich vom Kläger geführte Tabakwarengeschäft in der Rechtsform einer GmbH betrieben. Alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin ist seine zweite Ehefrau.
Im Jahre 1988 hat der Kläger Vollstreckungsabwehrklage hinsichtlich des Unterhalts für die Monate September und Oktober 1988 erhoben. Er hat vorgetragen, als Angestellter im Geschäft seiner zweiten Ehefrau verdiene er monatlich nur noch netto 1.263,91 DM. Zudem sei er dieser und einem Kind aus der neuen Ehe unterhaltspflichtig. Die Beklagte hingegen, die für die seit langem volljährigen Kinder aus der Ehe der Parteien nicht mehr zu sorgen brauche, sei nunmehr berufstätig und erziele ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 1.200 DM. Der Kläger hat gemeint, damit sei die Geschäftsgrundlage des Prozeßvergleichs entfallen. Er hat weiter geltend gemacht, der Unterhaltsanspruch der Beklagten sei verwirkt, weil sie seit mindestens drei Jahren mit einem anderen Mann in eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Jedenfalls müsse sie sich für dessen Betreuung eine Vergütung von mindestens 400 DM monatlich anrechnen lassen.
Als die Beklagte Maßnahmen zur Vollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich ergriff, hat der Kläger zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die titulierten Unterhaltsbeträge gezahlt, und zwar 625 DM für September 1988 noch während des ersten Rechtszuges und weitere 625 DM für Oktober 1988 während des zweiten Rechtszuges. Von dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich hinsichtlich des Unterhalts für die Monate September und Oktober 1988 für unzulässig zu erklären, ist er auf einen Zahlungsanspruch in Höhe von 1.250 DM nebst Zinsen übergegangen.
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt der Kläger das Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung der 1.250 DM aus dem rechtlich allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht zu. Er hat nicht ohne rechtlichen Grund geleistet. Den rechtlichen Grund bildet die in dem gerichtlichen Vergleich festgelegte Verpflichtung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Höhe von monatlich 625 DM. Diese Verpflichtung ist weder durch Verwirkung gemäß § 66 EheG (unten 1.) noch durch einen der Erfüllung nahekommenden Vorgang (unten 2.) erloschen; der Vergleich ist auch nicht nach § 323 ZPO abgeändert worden (unten 3.).
1. Das Berufungsgericht hat geprüft, ob der Kläger die unter dem Druck der angedrohten Zwangsvollstreckung geleisteten Unterhaltszahlungen deshalb kondizieren könne, weil der Unterhaltsanspruch der Beklagten wegen eines eheähnlichen Verhältnisses mit ihrem neuen Partner verwirkt sei. Ob ein solches Erlöschen des Anspruchs mit der Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO hätte geltend gemacht werden Können, so daß sich dann nach den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Grundsätzen (Senatsurteil BGHZ 83, 278, 280 = FamRZ 1982, 470 f.) die rechtlichen Möglichkeiten der Vollstreckungsabwehrklage in der materiell-rechtlichen Bereicherungsklage fortsetzt, hat es offen gelassen. Auch wenn man mit dem Bundesgerichtshof (Senatsurteil vom 15. Oktober 1986 – IVb ZR 78/85 – FamRZ 1987, 259, 261) annehme, daß die Vollstreckungsabwehrklage das geeignete prozessuale Mittel gewesen sei, dringe die dann an ihre Stelle getretene Bereicherungsklage nicht durch. Denn der Unterhaltsanspruch der Beklagten sei nicht verwirkt. Maßgebend für diese Beurteilung sei im Falle der nach altem Recht geschiedenen Ehe der Parteien nicht § 1579 BGB, sondern § 66 EheG. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, daß nämlich der Berechtigte sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig mache oder gegen dessen Willen einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führe, würden durch das behauptete eheähnliche Zusammenleben der Beklagten mit ihrem neuen Partner nicht erfüllt. Daß sie ihn nicht heirate, um ihren Unterhaltsanspruch gegen den Kläger nicht zu verlieren, könne nicht festgestellt werden.
Diese Beurteilung geht rechtlich von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus (Urteil vom 26. September 1979 – IV ZR 87/79 – FamRZ 1980, 40, 41; Senatsurteile vom 26. Mai 1982 – IVb ZR 711/80 – FamRZ 1982, 896, 897; vom 26. September 1990 – XII ZR 87/89 – BGHR EheG § 66 Partnerschaft 1 und 2 sowie Verwirkung 1; zuletzt Senatsurteil vom 27. März 1991 – XII ZR 96/90) und ist rechtsfehlerfrei. Insoweit führt auch die Revision keinen Angriff.
2. Der weitere Vortrag des Klägers betrifft Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien gegenüber denjenigen zur Zeit des Abschlusses des gerichtlichen Vergleichs, und zwar bei ihm durch Absinken seines Einkommens und Entstehen neuer Unterhaltsverpflichtungen, bei der Beklagten durch jetzt erzieltes Arbeitseinkommen und eine für die Versorgung ihres neuen Partners anzurechnende Vergütung. Nach der Ansicht des Berufungsgerichts liegt insoweit kein Fall der zu 1. erörterten Bereicherungsklage nach unrechtmäßiger Vollstreckung vor, weil diese Veränderungen nicht mit der Vollstreckungsabwehrklage, sondern allein mit der Abänderungsklage des § 323 ZPO geltend zu machen gewesen seien. Das greift die Revision ohne Erfolg an.
Veränderungen des Unterhaltsanspruchs, die auf dem Einfluß der stets wandelbaren wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Unterhaltspflicht beruhen, können nur im Wege der Abänderungsklage geltend gemacht werden (BGHZ 70, 151, 156 f.; Senatsurteil vom 23. April 1986 – IVb ZR 29/85 – FamRZ 1986, 794, 795). Allein um solche handelt es sich hier. Es liegt kein Fall vor, in dem die Anrechnung eines feststehenden Geldbetrages einer Erfüllung des Unterhaltsanspruchs gleichzusetzen ist und daher eine Einwendung nach § 767 ZPO begründet (BGHZ 70 a.a.O. S. 157 f. – Kindergeldverrechnung) oder der Berechtigte aus im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Rentenanwartschaften eine Rente und damit erfüllungsähnlich ein Unterhaltssurrogat erwirbt (Senatsurteile vom 23. April 1986 a.a.O. und vor. 19. Oktober 1988 – IVb ZR 97/87 – FamRZ 1989, 159, 160 f.). Auch für eine Vollstreckungsabwehrklage, die darauf hätte gestützt werden können, daß die Beklagte sich durch die weitere Entgegennahme des titulierten Unterhalts nach § 826 BGB schadensersatzpflichtig gemacht hätte (Arglisteinwand oder Aufrechnung mit Schadensersatzanspruch), gibt der Vortrag des Klägers nichts her.
3. Der vom Oberlandesgericht Köln (FamRZ 1988, 1185, 1186) vertretenen Ansicht, auf einen gerichtlichen Unterhaltsvergleich gezahlte, materiell-rechtlich aber nicht geschuldete Leistungen könnten nach Bereicherungsrecht zurückgefordert werden, ohne daß es der vorherigen Abänderung des Titels gemäß § 323 BGB bedürfe, ist das Berufungsgericht nicht gefolgt. Auch das hält den Angriffen der Revision stand.
§ 323 Abs. 4 ZPO sieht für den Fall, daß in einem gerichtlichen Vergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) künftig fällig werdende, wiederkehrende Leistungen übernommen worden sind, bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse die Abänderungsklage vor. Diese Anpassung erfolgt wie bei sonstigen privatrechtlichen Rechtsgeschäften allein nach den Regeln des materiellen Rechts. Maßgebend sind die aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätze über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die Vorschrift des § 323 Abs. 3 ZPO, nach der das Urteil nur für die Zeit nach Erhebung der Abänderungsklage abgeändert werden darf, gilt nicht (BGHZ – GSZ – 85, 64; seither ständige Rechtsprechung auch des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 28. November 1990 – XII ZR 26/90 – FamRZ 1991, 542).
Obwohl danach die Verweisung in § 323 Abs. 4 ZPO keine praktische Bedeutung mehr hat, die Vorschrift vielmehr nur noch klarstellt, daß die Eigenschaft eines gerichtlichen Vergleichs (oder einer sonstigen vollstreckbaren Urkunde) der Abänderbarkeit aus materiell-rechtlichen Gründen nicht entgegensteht (BGHZ – GSZ – a.a.O. S. 73), bleibt damit doch die Abänderungsklage das für die Geltendmachung einer Änderung der für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Verhältnisse vorgesehene verfahrensrechtliche Mittel. Erst das darauf ergehende Urteil verändert oder beseitigt den Rechtsgrund für die Unterhaltsleistung. Die Abänderungsklage ist also nicht entbehrlich; sie bietet vielmehr den prozessualen Rahmen, der dem Richter eine Anpassung der Leistungshöhe unter Bündelung der verschiedenen, für eine Änderung der Unterhaltsrente in beiden Richtungen sprechenden Umstände nach den differenzierten Regeln über die Änderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage ermöglicht. Daß die in § 323 Abs. 3 ZPO für die Abänderung von Urteilen aufgerichtete Zeitschranke nicht gilt, bedeutet mithin nicht, daß es der Abänderungsklage nicht mehr bedarf und eine nach materiellem Recht zuviel entrichtete Unterhaltsleistung ohne weiteres kondiziert werden kann.
Eine andere rechtliche Beurteilung ist für gerichtliche Vergleiche geboten, die in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung über den Ehegattenunterhalt abgeschlossen werden. Die einstweilige Anordnung (§ 620 Satz 1 Nr. 6 ZPO) trifft aufgrund einer summarischen Prüfung eine nur vorläufige Regelung, die jederzeit durch ein im ordentlichen Rechtsstreit ergehendes Urteil abgelöst werden kann (§ 620 f S. 1 ZPO; Senatsurteil vom 9. Februar 1983 – IVb ZR 343/81 – FamRZ 1983, 355, 356; s. etwa Göppinger/Wax Unterhaltsrecht 5. Aufl. Rdnr. 3287). Geht sie über Bestand oder Höhe des materiell-rechtlichen Unterhaltsanspruchs hinaus, so leistet der Schuldner insoweit „ohne rechtlichen Grund” i. S. des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil § 620 Satz 1 Nr. 6 ZPO rein prozessualer Natur ist und nur eine einstweilige Vollstreckungsmöglichkeit wegen eines vorläufig als bestehend angenommenen Anspruchs schafft (Senatsurteil vom 9. Mai 1984 – IVb ZR 7/83 – FamRZ 1984, 767, 768). Die einstweilige Anordnung stellt „also keinen Rechtsgrund zum Behaltendürfen” dar (Olzen FamRZ 1986, 1169, 1174).
Für einen Prozeßvergleich, durch den nichts anderes erreicht werden soll als eine der beantragten einstweiligen Anordnung entsprechende Regelung, gilt das gleiche. Ihm kann im Regelfall keine weitergehende Wirkung beigemessen werden, als sie die einstweilige Anordnung gehabt hätte (vgl. Senatsurteil vom 1. Juni 1983 – IVb ZR 365/81 – FamRZ 1983, 892, 893). Die Abänderungsklage des § 323 ZPO findet daher gegen einstweilige Anordnungen oder im Anordnungsverfahren geschlossene Vergleiche nicht statt; deren nur vorläufige Regelung bildet keine geeignete Grundlage für eine solche Klage.
Für die Abänderung im ordentlichen Verfahren geschlossener gerichtlicher Vergleiche treffen diese Erwägungen hingegen nicht zu. Bei ihnen bedarf es, wie dargelegt, vor einer Kondiktion der Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO. Davon sind ersichtlich auch die Parteien, deren Wille der alleinige Geltungsgrund des gerichtlichen Vergleichs ist und auf den es daher entscheidend ankommt, bei dem Abschluß des Vergleichs ausgegangen. Dadurch, daß sie in § 3 des Vergleichs beiderseits auf das Recht verzichtet haben, künftige Abänderungsklagen zu erheben, haben sie offenbar Unterhaltsveränderungen infolge späterer Änderungen der insoweit maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse ausschließen wollen. Dem darf nicht dadurch die Wirkung genommen werden, daß der Richter außerhalb des Verfahrens über eine Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO auf ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs wegen ebensolcher Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse erkennt.
Fundstellen