Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Gefangenen
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 17. Dezember 1997 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte „wegen sexuellen Mißbrauchs von Gefangenen in 13 Fällen und wegen veruntreuender Unterschlagung” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.
Die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt und das Verfahren beanstandet, hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Soweit es die Verurteilung der Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Gefangenen anbelangt, vermögen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht zu tragen.
Den Urteilsgründen läßt sich schon – das gilt vor allem (aber nicht nur) für die Taten, zu denen es in den Zellen der beiden Tatopfer gekommen ist – nicht entnehmen, ob diese der Angeklagten anvertraut waren. Das Tatbestandsmerkmal „anvertraut”, das wie bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Über- oder Unterordnungsverhältnis voraussetzt, ist bei § 174a StGB von besonderer Bedeutung, da der in Frage kommende Täterkreis – anders als in § 174 StGB – häufig nicht zur ganztägigen Betreuung verpflichtet ist, sondern nur im Rahmen eines begrenzten Auftrags tätig wird (Laufhütte in LK-StGB 11. Aufl. § 174a Rdn. 13). Von daher hätte es weiterer Darlegungen dazu bedurft, welche Aufgaben der Angeklagten als Krankenschwester in der Justizvollzugsanstalt im einzelnen oblagen, insbesondere inwieweit sie auch außerhalb des Bereichs der Krankenabteilung und während der Nachtzeiten mit der Betreuung oder Bewachung nicht kranker und nicht pflegebedürftiger Anstaltsinsassen beauftragt war. Der Umstand, daß die Angeklagte keinen Schlüssel zu den Zellen hatte, spricht eher dagegen, daß die Gefangenen Sch. und H. ihr umfassend oder jedenfalls auch für die Zeit ihres Aufenthalts in den geschlossenen Zellen anvertraut waren.
Im übrigen rechtfertigen die Feststellungen auch nicht die Annahme, daß die Angeklagte die Taten unter „Mißbrauch ihrer Stellung” vorgenommen hat. Allerdings setzt dieses Tatbestandsmerkmal des § 174a StGB – wie ein Vergleich mit dem Tatbestandsmerkmal „Mißbrauch der Abhängigkeit” in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 174b Abs. 1 StGB zeigt – keine Abhängigkeit des Gefangenen von dem Täter im konkreten Fall voraus. Umgekehrt genügt es, soll das Merkmal des „Mißbrauchs der Stellung” nicht jede Bedeutung verlieren, für die Verwirklichung des Tatbestandes aber nicht, wenn Täter und Opfer in einem der in § 174a StGB beschriebenen Obhutsverhältnisse stehen und es zwischen ihnen zu sexuellen Handlungen kommt.
Ob sexuelle Handlungen von dem Täter in tatbestandsmäßiger Weise „unter Mißbrauch seiner Stellung” vorgenommen werden, läßt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilen. Im allgemeinen gilt dabei:
Je ausgeprägter das Abhängigkeitsverhältnis des Gefangenen von dem Täter aufgrund der diesem obliegenden Aufgaben ist, je mehr Befugnisse und Weisungsrechte diesem gegenüber dem Gefangenen zustehen, um so weniger bedarf es in der Regel des Nachweises besonderer Umstände, aus denen sich ergibt, daß der Täter seine Stellung mißbraucht hat. So wird etwa bei Angehörigen des Wachpersonals, denen die Beaufsichtigung der Gefangenen obliegt, regelmäßig die Feststellung genügen, daß die Amtsstellung dem Täter die Gelegenheit zur Vornahme sexueller Handlungen geboten hat. Kommt es im Rahmen einer so geprägten Beziehung zu sexuellen Handlungen, so wird ein Mißbrauch der Amtsstellung nur in seltenen Ausnahmefällen zu verneinen sein (Laufhütte aaO Rdn. 14; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 174a Rdn. 6; Horn in SK-StGB § 174a Rdn. 7).
Umgekehrt sind, je geringer und schwächer die Befugnisse des Verantwortlichen gegenüber dem Gefangenen sind, je weniger deren Beziehungen durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis geprägt sind, um so eher Fälle denkbar, in denen die Stellung des Täters für die Mitwirkung des Gefangenen an den sexuellen Handlungen ohne Bedeutung ist oder in ihrer Bedeutung in den Hintergrund tritt, mit der Folge, daß die Annahme eines Mißbrauchs dieser Stellung ausscheidet oder jedenfalls näherer Begründung bedarf (vgl. auch BGHSt 8, 24, 26 f.). Auch unter diesem Gesichtspunkt reichen die sehr knappen Feststellungen zu den Aufgaben und Befugnissen der Angeklagten in der Vollzugsanstalt nicht aus.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen veruntreuender Unterschlagung hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand. Das Landgericht stützt den Schuldspruch insofern darauf, daß sich die Angeklagte nach dem Abbruch der Beziehung zu dem Gefangenen H. geweigert hat, den ihr von ihm zur Anlage auf einem Konto anvertrauten Betrag zurückzugeben, und das Geld „bis heute … nicht zurückgezahlt” hat. Diese Feststellungen belegen nicht, daß die Angeklagte sich fremde Sachen zugeeignet hat. Ohne Kenntnis, was die Angeklagte mit den ihr von H. anvertrauten Geldscheinen- oder stücken gemacht hat, läßt sich nicht beurteilen, ob sie sich einer Unterschlagung im Sinne des § 246 StGB schuldig gemacht hat. Sollte sie etwa das Geld – wie mit H. verabredet – auf ein Konto eingezahlt haben, so scheidet ein tatbestandsmäßiges Handeln aus. Die spätere Weigerung der Angeklagten, die überlassenen Beträge zurückzuzahlen, stellt sich – ungeachtet der naheliegenden Vertragswidrigkeit – nicht als Zueignung der früher überlassenen – auch nicht mehr im Besitz oder Gewahrsam der Angeklagten befindlichen – Geldscheine oder -stücke dar. Gegebenenfalls wird eine Strafbarkeit nach § 266 StGB zu prüfen sein.
3. Die dargestellten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils – einschließlich der Feststellungen – und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Tolksdorf, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen