Leitsatz (amtlich)

›1. Zur Garantenstellung von Beamten der Schutzpolizei bei außerdienstlich erlangter Kenntnis von der Förderung der Prostitution (§ 180 a Abs. 1 StGB).‹

2. Die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor Straftaten zu schützen, ist nicht nur Reflex- oder Nebenwirkung einer Berufspflicht anderen Inhalts, sondern sie ist wesentlicher Bestandteil der Berufspflicht des Polizeibeamten.

3. Da sich die Garantenstellung eines Polizeibeamten aus dessen Beruf herleitet, ergeben sich für seine Verpflichtung zur Verhinderung von Straftaten jedoch Einschränkungen: Zum einen muß der Beamte nach seiner konkreten Dienstpflicht örtlich und sachlich für das geschützte Rechtsgut verantwortlich sein. Zum anderen trifft eine Garantenstellung für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einen Polizeibeamten nur im Rahmen seiner Dienstausübung. Wird er in seiner Freizeit Zeuge einer Straftat, so haftet er wie jeder Bürger grundsätzlich nur im Rahmen der echten Unterlassungsdelikte. Ihm ist, wie dies für das Delikt der Strafvereitelung im Amt bereits anerkannt ist, im Rahmen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, 2 GG ein geschützter Bereich menschlicher Beziehungen zuzubilligen, der durch Berufspflichten jedenfalls nur begrenzt eingeschränkt werden kann.

4. Besonderheiten können sich jedoch ergeben, wenn ein Polizeibeamter außerdienstlich Kenntnis von Straftaten erlangt, die - wie Dauerdelikte, fortgesetzte oder auf ständige Wiederholung angelegte Handlungen - während fortgesetzte oder auf ständige Wiederholung angelegte Handlungen - während seiner Dienstausübung fortwirken. Hier entfällt die eine Garantenstellung auslösende Pflicht, bekanntgewordene Rechtsgutverletzungen zu unterbinden, nicht schlechthin. Insoweit bedarf es vielmehr der Abwägung im Einzelfall, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, ob durch die Straftat Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des einzelnen betroffen sind, denen jeweils ein besonderes Gewicht zukommt.

5. Beamte der Schutzpolizei sind zwar zur allgemeinen Gefahrenabwehr berufen und damit auch verpflichtet, gegen eine ihnen bekanntgewordene Förderung der Prostitution durch eine Barbetreiberin einzuschreiten. Dies gilt jedoch nicht, wenn sie von dem deliktischen Verhalten der Barbetreiberin außerdienstlich erfahren haben.

 

Verfahrensgang

LG Münster

 

Gründe

Die Angekl. sind Schutzpolizeibeamte in Gronau. In der Zeit von Spätsommer 1986 bis Frühjahr 1988 besuchten sie - wie andere Polizeibeamte auch - in ihrer Freizeit in Abständen von zwei bis drei Monaten die Bar ›P.‹ in Gronau, um dort gemeinsam mit Bekannten in geselliger Runde Bier zu trinken und sich mit den Bardamen zu unterhalten. Die Bar wurde von Angelika T. betrieben, mit der der Angekl. B. aufgrund nachbarschaftlicher Beziehungen gut bekannt war. Angelika T. beschäftigte mehrere Bardamen, zu deren vertraglichen Verpflichtungen es auch gehörte, mit Gästen in den der Bar angeschlossenen Séparées gegen Entgelt geschlechtlich zu verkehren. Sie bestimmte die Arbeitszeit der Prostituierten, legte die Preise für die sexuellen Leistungen fest, wies ihnen gelegentlich auf diskrete, für Außenstehende nicht ohne weiteres erkennbare Weisung in der Bar Kunden zu und behielt einen Teil des zentral kassierten Dirnenlohns für sich. Aus dem gemeinsamen Kommen und Gehen von Bardamen und Gästen schlossen die Angekl., die die Bar ohne sexuelle Absichten besuchten und die Séparées niemals betraten, daß im Zusammenhang mit dem Barbetrieb Prostitution ausgeübt wurde. Darüber hinaus bemerkten sie jedoch keine Vorgänge, die darauf hindeuteten, daß die Inhaberin der Bar Art, Zeit und Ausmaß der Prostitutionsausübung ihrer Angestellten überwachte und lenkte. Dienstlich war der Angeklagte Ba. mit dem Betrieb der ›P.-Bar‹ überhaupt nicht, der Angekl. B. lediglich bei zwei Gelegenheiten befaßt. In einem Fall nahm er an äußeren Absperrmaßnahmen im Rahmen einer Durchsuchung der Bar teil, in einem anderen Fall wies er anläßlich eines Streifengangs die Inhaberin auf die Nichteinhaltung der Sperrstunde hin. Straftaten nahm er bei diesen Gelegenheiten nicht wahr. Die Angekl. unternahmen weder Schritte, um die in Verbindung mit dem Barbetrieb stattfindende gewerbliche Prostitution zu verhindern, noch veranlaßten sie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Inhaberin der Bar.

a. ›Voraussetzung für eine hier allein in Betracht kommende Beihilfe [zur Förderung der Prostitution] durch Unterlassen ist nach § 13 StGB eine Garantenstellung mit einer daraus abgeleiteten Handlungspflicht. Diese kann sich unter anderem aus der Verpflichtung zur Verteidigung bestimmter Rechtsgüter ergeben. Ob die öffentlich-rechtliche Pflichtenstellung von Polizeibeamten eine Garantenstellung für die durch Strafgesetze geschützten Rechtsgüter bewirkt, ist in Rechtspr. und Lehre umstritten (vgl. zum Meinungsstand Rudolphi, JR 1987, 336, 337). Nach den Polizeigesetzen der Länder obliegt Polizeibeamten die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Sicherheit und Ordnung sind jedoch nicht nur dann betroffen, wenn Rechtsgüter der Allgemeinheit gefährdet sind, sondern auch, wenn Individualrechtsgüter durch Straftaten bedroht werden (vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl., § 5 Rdn. 71, § 6 Rdn. 75; Wagner, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 1987, § 1 Rdn. 9, 31). Damit dient die öffentlich-rechtliche Pflicht des Polizeibeamten, Strafttaten zu verhindern, zumindest auch dem Zweck, das von dem jeweiligen Straftatbestand geschützte Rechtsgut vor der ihm konkret drohenden Gefahr zu bewahren (aA. Rudolphi, aaO.; Winkelbauer, JZ 1986, 1119, 1120). Beide Schutzzwecke - Verhinderung oder Beseitigung normwidriger Zustände im Interesse der Allgemeinheit und Sicherung von Individualrechtsgütern im Interesse des einzelnen - sind untrennbar miteinander verbunden. Die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor Straftaten zu schützen, ist damit nicht nur Reflex- oder Nebenwirkung einer Berufspflicht anderen Inhalts (so aber Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1975, S. 356; im Ergebnis auch Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 362, 363), sondern sie ist wesentlicher Bestandteil der Berufspflicht des Polzeibeamten (vgl. auch Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989, S. 606 ff.). Dies ergibt sich schon daraus, daß der Bürger Träger subjektiver Rechte gegen den Staat ist. Somit hat er einen Anspruch darauf, daß die Polizei zum Schutze seiner Rechtsgüter eingreift (vgl. Wagner, Amtsverbrechen, 1975, S. 250, 251; einschränkend im Sinne einer Schutzverpflichtung nur für ›hochwertige Rechtsgüter‹ Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 190 ff).

Da sich die Garantenstellung eines Polizeibeamten aus dessen Beruf herleitet, ergeben sich für seine Verpflichtung zur Verhinderung von Straftaten jedoch Einschränkungen: Zum einen muß der Beamte nach seiner konkreten Dienstpflicht örtlich und sachlich für das geschützte Rechtsgut verantwortlich sein. ... Zum anderen trifft eine Garantenstellung für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einen Polizeibeamten nur im Rahmen seiner Dienstausübung. Wird er in seiner Freizeit Zeuge einer Straftat - etwa einer Körperverletzung (§ 223 StGB) -, so haftet er wie jeder Bürger grundsätzlich nur im Rahmen der echten Unterlassungsdelikte, im Beispielsfall nach § 323 c StGB (so auch Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1957, S. 72; ders., JuS 1961, 181). Ihm ist, wie dies für das Delikt der Strafvereitelung im Amt bereits anerkannt ist, im Rahmen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, 2 GG ein geschützter Bereich menschlicher Beziehungen zuzubilligen, der durch Berufspflichten jedenfalls nur begrenzt eingeschränkt werden kann. ...

Besonderheiten können sich jedoch ergeben, wenn ein Polizeibeamter außerdienstlich Kenntnis von Straftaten erlangt, die - wie Dauerdelikte, fortgesetzte oder auf ständige Wiederholung angelegte Handlungen - während seiner Dienstausübung fortwirken. Hier entfällt die eine Garantenstellung auslösende Pflicht, bekanntgewordene Rechtsgutverletzungen zu unterbinden, nicht schlechthin. Insoweit bedarf es vielmehr der Abwägung im Einzelfall, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, ob durch die Straftat Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des einzelnen betroffen sind, denen jeweils ein besonderes Gewicht zukommt. Dies kann auch außerhalb des Katalogs des § 138 StGB bei schweren Straftaten wie z.B. schweren Körperverletzungen, erheblichen Straftaten gegen die Umwelt, Delikten mit hohem wirtschaftlichen Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt der Fall sein. So wird ein Polizeibeamter ungeachtet privater Interessen in der Regel zum Einschreiten verpflichtet sein, wenn er von schwerwiegenden Verstößen gegen das Waffengesetz mit Dauercharakter, nicht auf den Einzelfall beschränktem Handel mit harten Drogen oder Schutzgelderpressung erfährt. Gleiches gilt für Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, die erfahrungsgemäß auf Wiederholung angelegt sind. Verhindert der Polizeibeamte im Rahmen seiner Dienstausübung derartige Taten nicht, obwohl er hierzu aufgrund außerdienstlich erworbener Kenntnisse in der Lage wäre, so kann er wegen Teilnahme an dem jeweiligen Delikt belangt werden. Teilt ihm hingegen im Rahmen privater Kontakte ein Bekannter mit, daß er ständig ohne Fahrerlaubnis fahre, so bewirkt dies für den Beamten noch keine Garantenstellung im Sinne des Strafrechts.

Die Angekl. waren als Beamte der Schutzpolizei zur allgemeinen Gefahrenabwehr berufen und damit im Rahmen ihrer Dienstausübung grundsätzlich verpflichtet, zum Schutz der in der ›P.-Bar‹ beschäftigten Bardamen gegen eine ihnen bekanntgewordene Förderung der Prostitution durch die Barbetreiberin einzuschreiten. Eine strafrechtliche Garantenpflicht traf sie aber hier deshalb nicht, weil sie von dem deliktischen Verhalten der Angelika T. außerdienstlich erfahren hatten. Zwar stellt das Vergehen der Förderung der Prostitution ein Dauerdelikt dar, das während der Dienstausübung der Angekl. fortwirkte. Daß die von Angelika T. begangene Straftat, soweit sie den Angekl. bekanntgeworden ist, ihrem konkreten Tatbild nach besonders schwerwiegend war, ist nach den Urteilgründen jedoch zu verneinen. Ob dies auch für die dirigistische Zuhälterei zu gelten hätte, von der die Angekl. nach den Feststellungen keine Kenntnis hatten, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

Soweit den Angekl. im Zusammenhang mit der von ihnen wahrgenommenen Förderung der Prostitution Strafvereitelung im Amt vorgeworfen worden ist, sind sie ebenfalls zu Recht freigesprochen worden. Auch mit Blick auf das in § 258 a StGB geschützte Rechtsgut der staatlichen Strafrechtspflege bestand für die Angekl. aus den genannten Gründen im konkreten Fall keine Garantenstellung gemäß § 13 StGB (vgl. BGH, NJW 1989, 914, 916 m.w.N.).‹

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993161

BGHSt 38, 388

BGHSt, 388

NJW 1993, 544

DRsp III(310)218a

NStZ 1993, 383

JuS 1993, 907

MDR 1993, 252

MDR 1993, 254

HRSt StGB § 13 Nr. 2

Kriminalistik 1993, 344

StV 1993, 126

StV 1993, 517

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