Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Deliktszinsen, Annahmeverzug).
Normenkette
BGB §§ 295, 826, 849
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 12.03.2020; Aktenzeichen 14 U 271/19) |
LG Aurich (Entscheidung vom 13.09.2019; Aktenzeichen 5 O 1459/18) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 12. März 2020 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von vier Prozent auf 11.119,06 € für die Zeit vom 18. November 2011 bis zum 30. Januar 2019 verurteilt und festgestellt worden ist, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Pkw Audi Q5 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WAUZZZ8R4BA068221 in Verzug befinde.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 13. September 2019 auch insoweit abgeändert, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vom 27. Dezember 2018 bis zum 30. Januar 2019 verurteilt und festgestellt worden ist, dass sie sich mit der Rücknahme des vorgenannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird auch insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung von Zinsen für die Zeit vom 18. November 2011 bis 30. Januar 2019 wendet.
Die Kosten des landgerichtlichen Verfahrens trägt die Klägerin zu 74 %, die Beklagte zu 26 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 72 %, die Beklagte zu 28 %.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin erwarb am 18. November 2011 von einem Dritten einen Pkw der Marke Audi, Typ Q5, 2.0 TDI Quattro mit einem Kilometerstand von 11.150 km zum Preis von 39.500 €. Die Beklagte ist Herstellerin des in diesem Fahrzeug verbauten Dieselmotors des Typs EA189. Dessen Steuerungssoftware bewirkte, dass eine Prüfungssituation, in der der Abgasausstoß gemessen wird, erkannt und die Abgasaufbereitung für deren Dauer optimiert wurde (Fahrmodus 1). Im normalen Betrieb außerhalb des Prüfstands (Fahrmodus 0) war die genannte Abgasaufbereitung abgeschaltet. Das Kraftfahrt-Bundesamt beanstandete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete den Herstellerkonzern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge herzustellen. Das daraufhin entwickelte Software-Update ließ die Klägerin aufspielen.
Rz. 2
Im Wesentlichen mit der (auch Rechts-) Behauptung, von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden zu sein, hat die Klägerin die Beklagte in der ersten Instanz
• auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 39.500 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs,
• auf Zahlung von (Delikts-) Zinsen in ausgerechneter Höhe von 12.168,16 € sowie weiter in Höhe von vier Prozent aus einem Betrag von 39.500 € seit dem 27. Dezember 2018 bis zur Rechtshängigkeit sowie von (Prozess-) Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten aus 39.500 € über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
• auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,
• sowie auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten
in Anspruch genommen.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 10.966,73 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs verurteilt und die von der Klägerin begehrte Feststellung des Annahmeverzugs getroffen.
Rz. 4
Auf die Berufung der Klägerin, mit der diese die Verurteilung der Beklagten
• zur Zahlung von weiteren 28.533,27 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und
• zur Zahlung von (Delikts-) Zinsen in Höhe von 11.233,15 € sowie weiteren vier Prozent aus 39.500 € seit dem 28. Dezember 2018 bis zur Rechtshängigkeit sowie (Prozess-) Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
begehrt hat, hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass es die Beklagte zur Zahlung von 14.043,77 € nebst (Prozess-) Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2019 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung von (Delikts-) Zinsen in Höhe von vier Prozent auf 11.119,06 € für die Zeit vom 18. November 2011 bis zum 30. Januar 2019 verurteilt hat. Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von Zinsen für die Zeit vom 18. November 2011 bis zum 30. Januar 2019 sowie gegen die Feststellung des Annahmeverzugs. Die Klägerin hat ihre zunächst eingelegte Revision wieder zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - zur Begründung seiner Entscheidung, die unter BeckRS 2020, 6030 veröffentlicht ist, im Wesentlichen ausgeführt, der von der Klägerin gezahlte Kaufpreis sei gemäß § 849 BGB vom Zeitpunkt der Zahlung an mit vier Prozent zu verzinsen, wobei insoweit maßgeblich aber nicht der gesamte Kaufpreis sei, sondern jeweils nur der Entschädigungsbetrag, der sich im jeweiligen Berechnungszeitpunkt unter Berücksichtigung der jeweils zurückgelegten Kilometer ergeben würde; diesen schätze der (Berufungs-) Senat im Mittelwert auf 11.119,06 €.
Rz. 6
Zutreffend habe das Landgericht zudem festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befinde. Das wörtliche Angebot der Klägerin liege in ihrem Klageantrag. Zwar habe sie mit dem in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellten Antrag eine zu hohe Gegenleistung verlangt, weil sie die abzuziehende Nutzungsentschädigung unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km berechnet habe. Dies sei vorliegend aber unschädlich, weil sich die Beklagte mit ihrer Berufung auch gegen die Pflicht zur Rücknahme des Fahrzeugs gegen Zahlung eines Betrags von 10.966,73 € wende, dem die Berechnung einer Nutzungsentschädigung anhand einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu Grunde liege. Es würde - so das Berufungsgericht - "zumindest hier" eine reine "Frömmelei" darstellen, von der Klägerin zur Begründung des Annahmeverzugs die exakte Berechnung der von der Beklagten geschuldeten Gegenleistung zu verlangen, zumal sie auf einer Schätzung des Gerichts beruhe.
II.
Rz. 7
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin weder ein Anspruch auf Zahlung von (Delikts-) Zinsen für die Zeit vom 18. November 2011 bis zum 30. Januar 2019 zu noch befindet sich die Beklagte im Annahmeverzug.
Rz. 8
1. Nach ständiger, freilich erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung können Deliktszinsen nach § 849 BGB nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte - wie hier - für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält; in diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; - VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 20 ff.; vom 9. März 2021 - VI ZR 13/20, VersR 2021, 849 Rn. 12; vom 6. Juli 2021 - VI ZR 1146/20, VersR 2021, 1510 Rn. 11; vom 2. November 2021 - VI ZR 731/20, NJW 2022, 472 Rn. 7; vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 455/20, NJW 2022, 1093 Rn. 9; - VI ZR 212/20, VersR 2022, 393 Rn. 11; vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 1034/20, zVb).
Rz. 9
2. Für den vom Berufungsgericht angenommenen Annahmeverzug fehlt es an dem nach § 295 BGB erforderlichen wörtlichen Angebot. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung schließt die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus, wobei der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ist (vgl. nur Senatsurteile vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 467/20, zVb; vom 29. Juni 2021 - VI ZR 130/20, VersR 2021, 1178 Rn. 16 mwN). Zu diesem Zeitpunkt forderte die Klägerin in der unzutreffenden (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 64 ff.) Annahme, sich Nutzungsvorteile nicht auf ihren Schadensersatzanspruch anrechnen lassen zu müssen, noch die Erstattung des gesamten Kaufpreises in Höhe von 39.500 €, wohingegen die tatsächlich berechtigte Forderung, wie zwischen den Parteien inzwischen rechtskräftig feststeht, bei nur 14.043,77 € lag. Dass sich die Klägerin im Rahmen ihres "Hilfsantrags", mit dem sie immer noch insgesamt 25.869,66 € verlangt hat, "hilfsweise" Vorteile hat anrechnen lassen, ist dabei ohne Belang; zum einen übersteigt die Forderung der Klägerin auch hier den von der Beklagten tatsächlich geschuldeten Betrag immer noch deutlich, zum anderen ist sie in erster Linie bei ihrer ursprünglichen Forderung geblieben, hat der Beklagten also gerade nicht angeboten, ihr das Fahrzeug gegen Zahlung des reduzierten Schadensersatzbetrags zu übergeben und zu übereignen.
Rz. 10
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ändert daran auch der Umstand nichts, dass sich die Beklagte mit ihrer eigenen Berufung gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung von 10.966,73 € Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gewandt hat. Selbst wenn darin, was offenbleiben kann, die Erklärung der Beklagten liegen sollte, die Leistung der Klägerin nicht anzunehmen, führte dies - wie sich § 295 Satz 1 Alt. 1 BGB entnehmen lässt - nicht zur Entbehrlichkeit eines tauglichen wörtlichen Angebots, sondern allein dazu, dass die Klägerin als "Schuldnerin" von Besitz und Eigentum am Pkw eines tatsächlichen Angebots enthoben wäre (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1996 - V ZR 292/95, NJW 1997, 581, juris Rn. 10).
III.
Rz. 11
Da die Aufhebung des Urteils im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hatte der Senat in der Sache selbst zu entscheiden.
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