Entscheidungsstichwort (Thema)
Völkermord
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vorschrift des § 6 Nr. 1 StGB, nach der kraft des Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht für ein im Ausland begangenes Verbrechen des Völkermordes gilt, steht im Einklang mit den Regelungen der Völkermord-Konvention (Genozid-Konvention) vom 9. Dezember 1948, die die von jedem der Vertragsstaaten übernommene Verpflichtung, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen, nicht territorial begrenzt haben.
2. Die mit einem Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB tateinheitlich begangenen Verbrechen gemäß §§ 211, 212 StGB werden von dem nach § 6 Nr. 1 StGB geltenden Weltrechtsprinzip erfaßt (Annexkompetenz).
3. § 220a Abs. 1 StGB ist ein Straftatbestand, der nach seinem Wortlaut und auch nach seinem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn außer einmaligen Handlungen auch mehrere natürliche Handlungen oder ganze Handlungskomplexe umschreibt (tatbestandliche Handlungseinheit).
4. Eine einzige materiell-rechtliche Tat im Sinne des § 220a Abs. 1 StGB liegt vor, wenn sich die tatbestandlichen Handlungen auf eine bestimmte, etwa durch ihren Lebensraum näher konkretisierte nationale, rassische, religiöse oder ethnische (Teil)Gruppe beziehen und die mehreren Handlungen als ein einheitlicher örtlich und zeitlich begrenzter Lebenssachverhalt erscheinen.
Normenkette
StGB §§ 220a, 6 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 26.09.1997; Aktenzeichen IV - 26/96 2 StE 8/96) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf vom 26. September 1997 im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte wegen Völkermordes in Tateinheit mit Mord in 30 Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird.
Seine Schuld wiegt besonders schwer.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Angeklagten, einen bosnischen Serben, wegen Völkermordes in elf Fällen, und zwar in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in 20 Fällen (A II 8 a; Einzelstrafe: neun Jahre), mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in acht Fällen (A II 8 b; Einzelstrafe: neun Jahre), mit Freiheitsberaubung in 300 Fällen (A II 8 c; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe), zweimal in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in drei Fällen (A II 8 d und e; Einzelstrafen von sieben und acht Jahren), in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in 15 Fällen (A II 8 f; Einzelstrafe: neun Jahre), mit Freiheitsberaubung in zwölf Fällen (A II 8 g; Einzelstrafe: sieben Jahre), mit Mord in 22 Fällen (A II 8 h; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe), mit gefährlicher Körperverletzung (A II 8 i; Einzelstrafe: sieben Jahre), mit Mord in sieben Fällen (A II 8 j; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe) und mit Mord in einem Fall (A II 8 k; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Es hat festgestellt, daß die Schuld besonders schwer wiegt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Er beanstandet vor allem, daß die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die ihm zur Last gelegten, in Bosnien-Herzegowina begangenen Taten nicht begründet sei, im übrigen beanstandet er das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Senat hat bereits vor der Revisionshauptverhandlung die Verfolgung in den Fällen A.II.8.a.-g. und i. des angefochtenen Urteils gemäß § 154a Abs. 2 StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers auf den Vorwurf des Völkermordes (§ 220a StGB) beschränkt, also die tateinheitlich verwirklichten Delikte der Freiheitsberaubung und der gefährlichen Körperverletzung aus dem Verfahren ausgeschieden.
I. Verfahrensvoraussetzungen
Die Anwendung des deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 6 Nr. 1 und § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
1. Nach § 6 Nr. 1 StGB gilt kraft des Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht für ein im Ausland begangenes Verbrechen des Völkermordes. Voraussetzung der Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Straftaten, die von Ausländern im Ausland an Ausländern verübt worden sind, ist ferner, daß der Anwendung deutschen Strafrechts ein völkerrechtliches Verbot nicht entgegensteht (BGH NStZ 1994, 232, 233 - Ermittlungsrichter, mit zustimmender Anm. Oehler NStZ 1994, 485). Ferner bedarf es – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – eines legitimierenden Anknüpfungspunktes im Einzelfall, der einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt; nur dann ist die Anwendung innerstaatlicher (deutscher) Strafgewalt auf die Auslandstat eines Ausländers gerechtfertigt. Fehlt ein derartiger Inlandsbezug, verstößt die Strafverfolgung gegen das Nichteinmischungsprinzip, das aus der völkerrechtlich gebotenen Beachtung der Souveränität anderer Staaten folgt (vgl. BGHSt 27, 30, 32; 34, 334, 336; BGHR StGB § 6 Nr. 1 Völkermord 1; BGH NStZ 1994, 232, 233; BGH NStZ 1999, 236; a.A. Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 6 Rdn. 1).
a) Einer Verurteilung des Angeklagten durch die deutsche Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Weltrechtsprinzips steht ein völkerrechtliches Verbot nicht entgegen.
aa) Ein solches Verbot ist insbesondere nicht aus Art. VI der Völkermordkonvention (Genozid-Konvention) vom 9. Dezember 1948 (BGBl 1954 II 729) abzuleiten, der die Aburteilung durch ein Gericht des Tatortstaates oder einen internationalen Gerichtshof vorsieht (vgl. Jescheck GA 1981, 49, 58; Oehler NStZ 1994, 485, a.A. noch in Oehler, Internationales Strafrecht 2. Aufl. Rdn. 854, 892). Zwar mag das Absehen der Konvention von dem – im ersten Entwurf noch vorgesehenen – Universalprinzip darin begründet sein, daß sich einzelne Vertragsstaaten im Hinblick auf den politischen Charakter des geschützten Rechtsguts gegen jegliche internationale Strafgerichtsbarkeit verwahren wollten (vgl. Jescheck ZStW 66, 193, 202 f.). Dies hat jedoch nicht dazu geführt, daß ein entsprechendes Verbot aufgenommen wurde. Daß die Regelung nicht abschließend ist und sein sollte, also die Aburteilung durch ein anderes nationales Gericht als das des Tatorts nicht verbietet, ergibt sich nicht nur aus ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, S. 93, 101 f.); die Annahme, daß Völkermord nur durch das Tatortgericht oder einen Internationalen Gerichtshof geahndet werden dürfte, wäre vor allem mit der in Art. I der Konvention übernommenen Verpflichtung der Vertragsstaaten, das weltweit geächtete Verbrechen des Völkermords zu verhindern und zu bestrafen, nicht in Einklang zu bringen. Da die besonders schwer wiegenden Fälle des Völkermords häufig durch den Heimatstaat der Opfer oder wenigstens mit dessen Duldung begangen werden, ist in der Regel eine effektive Strafverfolgung im Tatortstaat nicht zu erwarten (vgl. Campbell, § 220a StGB - Der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid ? (1986), S. 141). An einem in der Genozid-Konvention vorgesehenen Internationalen Strafgerichtshof fehlte es bis zur Errichtung des Jugoslawien-Tribunals im Jahre 1993, des Ruanda-Tribunals im Jahre 1994 und des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs durch das – noch nicht in Kraft getretene – Römische Statut vom 15. Juli 1998. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien kann derzeit allenfalls zehn Fälle pro Jahr erledigen (Louise Arbour, Chefanklägerin der Internationalen Strafgerichtshöfe, in DRiZ 1998, 495, 497 f.), so daß die Verfolgung einer Vielzahl schwerer, im Rahmen sog. ethnischer Säuberungen begangener Verbrechen weiterhin den nationalen Gerichten obliegt.
bb) Diese Auslegung der Völkermordkonvention findet auch ihre Bestätigung in Art. 9 Abs. 1 des Statuts des Jugoslawien-Strafgerichtshofs (abgedruckt bei Schomburg/Lagodny IRG 3. Aufl. S. 1176, 1180), der unabhängig von Art. VI der Völkermordkonvention eine konkurrierende Gerichtsbarkeit nationaler Gerichte für die Verfolgung des Völkermordes vorsieht. Die zur Auslegung des Statuts neben den Kammern des Tribunals berufene Anklagebehörde beim Tribunal versteht unter nationalen Gerichten im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die Gerichtsbarkeit des Tatortstaates, sondern auch die Gerichtsbarkeit jedes anderen Staates (vgl. Louise Arbour aaO). Dies ergibt sich daraus, daß seitens der Anklagebehörde des Tribunals nicht nur im vorliegenden Verfahren, sondern auch in den gegen D. und K. in Deutschland geführten Verfahren auf eine Übernahme des Verfahrens verzichtet und die Verfolgung durch den Generalbundesanwalt und die nach § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG zuständigen Oberlandesgerichte begrüßt wurde. Hätte die internationale Staatengemeinschaft die Regelung des Art. VI der Völkermordkonvention als abschließend angesehen, hätte es nahegelegen, in Art. 9 des Statuts eine konkurrierende Gerichtsbarkeit des Tatortstaates Bosnien-Herzegowina bzw. weiterer aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangener Staaten und nicht eine solche nationaler Gerichte allgemein zu konstituieren. Ferner hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag im Rahmen eines von Bosnien-Herzegowina gegen die Bundesrepublik Jugoslawien angestrengten Klageverfahrens am 11. Juli 1996 ein Zwischenurteil erlassen und darin u.a. entschieden, daß die in die Genozid-Konvention aufgenommenen Rechte und Pflichten erga omnes (für und gegen alle) gelten und die Verpflichtung jedes Staates, das Verbrechen des Völkermordes zu verhüten und zu bestrafen, durch die Konvention nicht territorial begrenzt ist (vgl. International Court of Justice, Reports 1996, S. 595, 616).
cc) Aus dem Umstand, daß die Völkermordkonvention das Weltrechtsprinzip nicht vorschreibt, folgt deshalb nur, daß die Vertragsstaaten nicht verpflichtet sind, dieses Prinzip einzuführen (vgl. Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, S. 143) und einen von einem Ausländer an Ausländern im Ausland begangenen Völkermord zu verfolgen. Den Vertragsstaaten ist es aber völkerrechtlich nicht verwehrt, bei der Verfolgung des Völkermords, dessen internationaler Charakter kraft Völkergewohnheitsrechts (vgl. Roggemann NJW 1994, 1436, 1437) und durch internationalen Vertrag anerkannt ist, innerstaatlich mehr zu tun als das völkerrechtliche Minimum, das ihnen die Verfolgung von Auslandstaten nur unter einschränkenden Voraussetzungen zur Pflicht macht (Gribbohm in LK 11. Aufl. § 6 Rdn. 14; BGHSt 27, 30, 32 f.).
b) Ein legitimierender Anknüpfungspunkt wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu Recht darin erblickt, daß der Angeklagte von Mai 1969 bis Anfang 1992 seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte, er auch danach noch in B. amtlich gemeldet war, seine deutsche Ehefrau und seine Tochter, die er auch nach der Tat mehrfach besuchte, nach wie vor in Deutschland leben, und er im Inland verhaftet worden ist, nachdem er sich freiwillig auf deutschen Boden begeben hatte. Allein dieser Inlandsbezug rechtfertigt die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf die Tat des Angeklagten (BGHR StGB § 6 Nr. 1 Völkermord 1; Gribbohm aaO § 6 Rdn. 28; a.A. Oehler NStZ 1994, 485: Wohnsitz im Inland allein genügt nicht). Darüber hinaus steht die Strafverfolgung im Einklang mit den militärischen und humanitären Maßnahmen, an denen sich die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit anderen Staaten im Auftrag der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina beteiligt hat, um den serbischen Expansionsbestrebungen entgegenzuwirken und die Zivilbevölkerung, namentlich die muslimische Bevölkerungsgruppe, vor Verfolgung und Dezimierung durch Serbien zu schützen (BGH NStZ 1994, 232, 233; BayObLG JR 1998, 472, 475; Oehler NStZ 1994, 485). Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der nach dem Tatort zuständige Territorialstaat Bosnien-Herzegowina auf die Übernahme der Strafverfolgung verzichtet haben. Ob dann, wenn die Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht auf § 6 Nr. 1 StGB, sondern auf § 6 Nr. 9 StGB (Verfolgungspflicht aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen) gestützt wird, auf weitere legitimierende Anknüpfungstatsachen verzichtet werden kann (vgl. Ambos NStZ 1999, 226), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
2. Auch die tateinheitlich begangenen Verbrechen des Mordes werden vom Weltrechtsprinzip des § 6 Nr. 1 StGB erfaßt, so daß es nicht darauf ankommt, ob neben § 6 Nr. 1 StGB für tateinheitlich mit dem Völkermord verwirklichte Delikte § 6 Nr. 9 StGB eingreift, dessen Voraussetzungen das Oberlandesgericht, auch für die Zeit nach dem 19. Mai 1992 (vgl. dazu das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 16. November 1998 in Sachen [Ccaron]elebi[ccaron]i), angenommen hat. Der Senat ist der Auffassung, daß § 6 Nr. 1 StGB jedenfalls dann, wenn ein Verbrechen des Völkermordes nach § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegt, die Geltung des deutschen Strafrechts auch für die tateinheitlich verwirklichten Tatbestände des Mordes und des Totschlags gemäß §§ 211, 212 StGB begründet.
a) Die Annahme, § 6 Nr. 1 StGB erfasse auch tateinheitlich mit Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB begangene Verbrechen gemäß §§ 212, 211 StGB (Annexkompetenz), rechtfertigt sich daraus, daß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB ebenso wie § 212 StGB als Tatbestandsmerkmal die vorsätzliche Tötung eines Menschen voraussetzt, so daß der Sachverhalt, der für eine Verurteilung wegen Völkermordes nach § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB ermittelt und festgestellt werden muß, auch eine Verurteilung wegen Totschlags trägt. Handelt der Täter dabei in der Absicht, eine der durch § 220a Abs. 1 StGB geschützten Gruppen ganz oder teilweise zu zerstören, begeht er in aller Regel zugleich einen Mord aus niedrigen Beweggründen. Angesichts dieser inneren Verzahnung der drei Tatbestände, die über die durch bloße Identität der Ausführungshandlung begründete Tateinheit hinausgeht, ist es gerechtfertigt, den nach § 6 Nr. 1 StGB zur Aburteilung eines Völkermordes zuständigen deutschen Gerichten die Kompetenz zuzubilligen, nach § 6 Nr. 1 StGB das deutsche Strafrecht auch auf tateinheitlich verwirklichte vorsätzliche Tötungsdelikte anzuwenden, wenn die Voraussetzungen der Begehungsalternative des § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt sind. Wegen der engen Verknüpfung von § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB mit den vorsätzlichen Tötungsverbrechen der §§ 212, 211 StGB wird daher in der Literatur zum Teil die Auffassung vertreten, daß in den Fällen, in denen die Ermittlungen einen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage und einen Eröffnungsbeschluß wegen eines Verbrechens des § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB ergeben, eine Verurteilung gemäß §§ 211, 212 StGB auch dann auf § 6 Nr. 1 StGB gestützt werden kann, wenn die Völkermordabsicht letztlich nicht nachzuweisen ist und nur objektiv ein Völkermord feststellbar bleibt (vgl. Lagodny JR 1998, 475, 477 f.; zustimmend Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 6 Rdn. 1a). Ob dem insgesamt gefolgt werden kann, oder ob dann, wenn eine den Tatbestand des Völkermordes begründende Absicht letztlich nicht nachzuweisen ist, und auch andere, die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ermöglichende Vorschriften nicht eingreifen, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen ist, kann offen bleiben, da im vorliegenden Fall das Oberlandesgericht die Völkermordabsicht des Angeklagten auch in den Tötungsfällen für erwiesen erachtet hat.
b) Bei der vom Senat angenommenen Annexkompetenz handelt es sich nicht um eine entsprechende, sondern um eine unmittelbare Anwendung des § 6 Nr. 1 StGB, da der Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB nach seiner Definition eine vorsätzliche Tötung voraussetzt und eine solche damit notwendigerweise mit erfaßt wird. Das Verbot der strafbegründenden Analogie, das eine entsprechende Anwendung des § 6 StGB auf andere als die darin enumerativ aufgeführten Tatbestände auch in Fällen von Tateinheit ausschließt (vgl. hierzu Gribbohm aaO vor § 3 Rdn. 148 und § 6 Rdn. 18), steht der Annahme einer solchen Annexkompetenz deshalb nicht entgegen.
c) Die der Annahme einer Annexkompetenz zugrunde liegenden Erwägungen stehen auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Zwar ist bereits entschieden worden, daß das tateinheitliche Zusammentreffen des in § 6 Nr. 3 StGB genannten § 316c StGB (Angriff auf den Luft- und Seeverkehr) mit einem vorsätzlichen Tötungsdelikt für dieses ebensowenig die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts (BGH NJW 1991, 3104) begründet, wie das tateinheitliche Zusammentreffen des von § 6 Nr. 5 StGB erfaßten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mit dem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch (BGHSt 34, 1; BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 1; BGH, Beschl. vom 4. Juli 1995 - 1 StR 286/95), der für sich genommen nicht unter das Weltrechtsprinzip fällt. In diesen Fällen tateinheitlicher Begehung fehlt es aber an einer vergleichbaren engen tatbestandlichen Verknüpfung, wie sie zwischen § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB und §§ 211, 212 StGB typischerweise besteht, daß nämlich der nach dem Weltrechtsprinzip verfolgbare Tatbestand des Völkermordes in der Begehungsalternative des § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB stets zugleich die Erfüllung des Tatbestandes des § 212 StGB oder des § 211 StGB beinhaltet. Demgegenüber setzt der Tatbestand des § 316c StGB, der nach § 6 Nr. 3 StGB ebenfalls dem Weltrechtsprinzip unterfällt, nicht voraus, daß ein Mensch getötet wird, so daß eine Erstreckung dieser Vorschrift auf ein tateinheitlich begangenes Tötungsdelikt aus den oben ausgeführten Erwägungen nicht in Betracht kommt. Ebensowenig setzt eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln Feststellungen voraus, die auch eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Erwerbs von Betäubungsmitteln tragen könnten, nämlich daß der Täter neben der für einen gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Menge auch Betäubungsmittel zum Eigenbedarf erworben hat.
3. Die Geltung des deutschen Strafrechts und damit auch die deutsche Gerichtsbarkeit ergeben sich im vorliegenden Fall im übrigen auch aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
a) Der Angeklagte, der auch zur Tatzeit Ausländer war, hat die Tat im Ausland – auf dem Gebiet der am 6. April 1992 international anerkannten Republik Bosnien-Herzegowina – gegen muslimische Staatsangehörige dieses Staates begangen. Er wurde am 16. Dezember 1995 am Flughafen Düsseldorf festgenommen, also im Inland betroffen. Die Tat war nach dem zur Tatzeit in Bosnien-Herzegowina geltenden Strafrecht, nämlich nach Art. 141 des jugoslawischen Strafgesetzbuchs, der § 220a StGB entspricht, und nach Art. 36 des bosnisch-herzegowinischen Strafgesetzbuchs, der in Abs. 2 Nr. 4 eine dem Mord aus niedrigen Beweggründen entsprechende Regelung enthält, mit Strafe bedroht.
b) Die Auslieferung wäre nach der Art der Tat zulässig gewesen, weil in der Tat liegende Auslieferungshindernisse weder nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 und § 7 IRG noch nach den diesen Vorschriften im wesentlichen entsprechenden Regelungen der Art. 2 - 4 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrags vorliegen. Gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 IRG ist die Auslieferung auch bei einer politischen Tat zulässig, wenn der Angeklagte wegen Völkermordes, Mordes oder Totschlags verfolgt wird oder verurteilt worden ist. Nach Art. 3 Abs. 2 lit. a des Auslieferungsvertrags wird ein vorsätzliches Verbrechen gegen das Leben nicht als politische Tat angesehen, es sei denn, daß die Tat – was hier nicht der Fall ist – im offenen Kampf begangen worden ist. Gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b des Auslieferungsvertrags ist auch Völkermord keine politische Straftat, da Jugoslawien und die Bundesrepublik Deutschland zu seiner Verfolgung aufgrund der Völkermordkonvention verpflichtet sind.
c) Es steht auch – ohne daß geklärt werden muß, ob der Angeklagte nur Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina oder auch der Bundesrepublik Jugoslawien ist – zur Gewißheit des Senats fest, daß der Angeklagte weder an den Tatortstaat noch an seinen Heimatstaat ausgeliefert wird oder werden kann (BGHR StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Auslieferung 1 und Verfahrenshindernis 1; BGH NStZ 1985, 545; BGH NJW 1991, 3104). Ausweislich des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bundesminister der Justiz vom 19. Februar 1997 (Az: II B 5 - 9351 E - 2 C 997/98) hat das Außenministerium von Bosnien-Herzegowina mitgeteilt, daß nicht beabsichtigt sei, ein Auslieferungsersuchen für den Angeklagten zu stellen, so daß eine Auslieferung an diesen Staat mangels Auslieferungsersuchens nach § 2 Abs. 1 IRG bzw. nach Art. 1 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrags nicht in Betracht kommt. Der Angeklagte würde auch nicht an die Bundesrepublik Jugoslawien ausgeliefert, wenn diese als etwaiger Heimatstaat einen Auslieferungsantrag stellte. Das Bundesministerium der Justiz, also die nach § 74 IRG zuständige Stelle, hat auf Anfrage des Senats mit Schreiben vom 2. Februar 1999 (Az.: II B 5 - 9351 E - 2 C - 997/98) mitgeteilt, daß die Bundesregierung die Auslieferung des Angeklagten auf ein entsprechendes Ersuchen jugoslawischer Behörden nicht bewilligen würde.
II. Verfahrensrügen
Die Verfahrensrügen sind teils unzulässig, teils unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO. Der näheren Erörterung bedürfen nur die im folgenden dargelegten Rügen. Hinsichtlich der übrigen Rügen, insbesondere zu den behaupteten Verletzungen des § 338 Nr. 3 StPO und des § 338 Nr. 5 i.V.m. § 247 Satz 2 Alt. 2 StPO wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 6. Juli 1998 Bezug genommen.
1. Die auf die Verletzung des § 338 Nr. 8 i.V.m. § 141 Abs. 2 StPO gestützte Rüge, der Vorsitzende des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf habe den Antrag der Verteidigung auf Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers zu Unrecht zurückgewiesen, dadurch sei das Recht des Angeklagten auf eine effektive Verteidigung beeinträchtigt worden, hat keinen Erfolg.
Zwar unterliegt die Verfügung des Vorsitzenden, durch die ein Verteidiger bestellt oder eine Verteidigerbestellung abgelehnt wird (§ 142 Abs. 1 StPO), als Vorentscheidung gemäß § 336 StPO unmittelbar der Überprüfung durch das Revisionsgericht (BGHSt 43, 153, 154; BGH NStZ 1992, 292). Die Rüge ist aber unzulässig, da die Revision – worauf der Generalbundesanwalt schon zutreffend hingewiesen hat – nicht alle für die Überprüfung der Ermessensausübung des Vorsitzenden erforderlichen Umstände vorträgt, weil sie insbesondere den Beschluß des Vorsitzenden vom 3. März 1997, mit dem dieser die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers abgelehnt hat, in wesentlichen Teilen nicht wiedergibt. Der Senat kann deshalb nicht schon aufgrund der Revisionsbegründung überprüfen, ob der Vorsitzende von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.
2. Soweit die Revision beanstandet, die §§ 338 Nr. 7, 275 Abs. 1 Satz 2 StPO seien verletzt, weil der Angeklagte keine Ausfertigung des Urteils in serbischer Sprache erhalten habe, hierdurch seien seine Verteidigungsmöglichkeiten in unzulässiger Weise verkürzt worden, da eine effektive Absprache des Verteidigers mit dem Angeklagten zur Vorgehensweise im Revisionsverfahren nicht habe erfolgen können, greift auch diese Rüge nicht durch. Das vollständige Urteil wurde in deutscher Sprache (§ 184 GVG) innerhalb der sich aus § 275 Abs. 1 S. 2 StPO ergebenden Frist von 15 Wochen (nach 14 Wochen und drei Tagen) zu den Akten gebracht. Im übrigen entbehrt die Rüge schon deshalb der sachlichen Grundlage, weil der Angeklagte der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist. Zur Zeit der Hauptverhandlung lebte und arbeitete er bereits 28 Jahre in Deutschland; er ist seit 1984 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Seine Eingaben an das Gericht sind in einem verständlichen Deutsch gehalten. Gegenüber dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Angeklagte erklärt, er beherrsche die deutsche Sprache verhältnismäßig gut.
3. Die Rügen, das Oberlandesgericht habe die beantragte Vernehmung der im Ausland befindlichen Entlastungszeugen Z., P. und S. zu Unrecht abgelehnt (Verfahrensrügen II. 8. und 12.), sind schon deshalb unzulässig, weil sie den Beweisantrag und den Beschluß, mit dem das Oberlandesgericht mit näheren, jeweils auf § 244 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Begründungen die beantragten Zeugenladungen abgelehnt hat, nur in Auszügen mitteilt. Zudem genügen sie auch nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sich aus dem Revisionsvorbringen schon nicht ergibt, daß beiden Rügen derselbe in der Hauptverhandlung vom 11. September 1997 verlesene Beweisantrag zugrunde liegt und dieser durch denselben Beschluß in der Hauptverhandlung vom 12. September 1997 zurückgewiesen wurde. Daß es sich um einen einheitlichen Antrag und einen einheitlichen Beschluß handelt, in dem mehrere Rechtsgründe zur Ablehnung der Beweiserhebung dargelegt werden, ist erst nach Einsichtnahme in das Hauptverhandlungsprotokoll mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennbar. Durch den Revisionsvortrag allein wird der Senat nicht in die Lage versetzt zu prüfen, ob das Oberlandesgericht die beantragte Ladung und Vernehmung der Auslandszeugen ohne Rechtsfehler abgelehnt hat. Im übrigen ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge erforderlichen Vortrag aus verschiedenen Stellen einer umfangreichen Revisionsbegründung zusammenzusuchen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Beweisantragsrecht 1; BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Formerfordernis 1).
4. Schließlich beanstandet die Revision ohne Erfolg, das Oberlandesgericht habe § 59 StPO verletzt, weil es im einzelnen benannte moslemische Belastungszeugen zwar vereidigt habe, aber unter Verwendung der in § 66c StPO genannten Vereidigungsformel. Mit der Vereidigung auf den christlichen Gott sei verkannt worden, daß die Zeugen moslemischen Glaubens seien, die der Eid auf einen christlichen Gott nicht binde. Dahinstehen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensverstoß schon durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen ist, da als wesentliche Förmlichkeit lediglich die Tatsache der Vereidigung protokolliert werden muß, nicht aber, welche religiöse Beteuerungsformel verwendet worden ist (Dahs in Löwe/Rosenberg 25. Aufl. § 66c StPO Rdn. 5; Senge in KK 4. Aufl. § 66c StPO Rdn. 6; Rogall in SK-StPO § 66c Rdn. 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 66c Rdn. 1). Der Rüge müßte aber auch bei einem nachweislich richtigen Tatsachenvortrag der Erfolg versagt bleiben, selbst wenn man davon ausgeht, daß der Schwur auf den christlichen Gott einen Mohammedaner, der „bei Allah, dem Allmächtigen schwört”, nicht bindet (Leisten, MDR 1980, 636, 637). Der Eid dient der Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage. Angesichts der Gleichwertigkeit zwischen dem Eid mit oder ohne religiöse Beteuerung (§ 66c Abs. 1 und 2 StPO) ist dem Gesetz Rechnung getragen, wenn der über die Folgen eines Meineids belehrte Zeuge seine Aussage mit den Worten „ich schwöre es” beschwört. Der Schwur auf den für den Zeugen „falschen” Gott ist deshalb in seiner Wirkung einem Eid gemäß § 66c Abs. 2 StPO gleichzusetzen. Zwar mag bei einem gläubigen Zeugen der Wert der Aussage durch eine ihn bindende religiöse Beteuerung erhöht werden. Das Gesetz verlangt aber weder eine Belehrung über die Möglichkeiten einer abweichenden religiösen Beteuerung noch gar ein Hinwirken auf eine solche. § 66c Abs. 3 StPO erlaubt einem Zeugen zwar, eine Beteuerungsformel seiner Glaubensgemeinschaft dem Eid anzufügen. Die Angaben des Zeugen über die Zugehörigkeit zu einer solchen Gemeinschaft und die Üblichkeit der Formel sind aber vom Gericht nicht zu überprüfen (Dahs aaO § 66c Rdn. 7; Rogall aaO § 66c Rdn. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 66c Rdn. 3). Mängel der religiösen Beteuerung tangieren die Prozeßordnungsmäßigkeit einer Vereidigung daher nicht.
5. Soweit die Revision einen Verstoß gegen § 136a Abs. 1 i.V.m. § 163a Abs. 5 StPO darin erblickt, daß den unmittelbaren Tatzeugen im Ermittlungsverfahren eine Lichtbildmappe mit 50 Lichtbildern von verschiedenen Personen, u.a. mit einem Bild des Angeklagten, das mit einem Reststempel versehen war, vorgelegt wurde, ist diese Rüge schon deshalb unzulässig, weil eine Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung der Zeugen durch verbotene Mittel nicht schlüssig dargelegt ist. Der Umstand, daß nur das aus einem Personalausweis kopierte Bild des Angeklagten einen Reststempelaufdruck hatte, mag den Beweiswert der Identifizierung schmälern. Nach dem Revisionsvorbringen kann aber nicht beurteilt werden, ob die Zeugen hierdurch getäuscht, also bewußt irregeführt werden sollten, oder ob es sich nur um eine bloße Ungeschicklichkeit der Ermittlungsbehörden handelte. Gegen eine Täuschung spricht, daß es nur um das Wiedererkennen einer den Zeugen teilweise seit Jahren gut bekannten Person ging.
III. Sachrüge
Die Sachrüge führt lediglich zur Änderung des Schuldspruchs dahin, daß der Angeklagte statt wegen tatmehrheitlich begangener Straftaten des Völkermordes nur eines Verbrechens des Völkermordes (§ 220a StGB) schuldig ist; im übrigen ist auch die Sachrüge unbegründet.
1. Geschichtlicher und politischer Hintergrund der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten ist der ab Anfang 1989 ständig fortschreitende Zerfall der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien, die mit den Unabhängigkeitserklärungen der Republiken Slowenien und Kroatien im Juni 1991 und den kurz darauf in diesen Republiken beginnenden Kämpfen zwischen den Streitkräften der Republiken und der jugoslawischen Volksarmee (JNA) ihren ersten Höhepunkt fand. Im Oktober 1991 beschloß das Parlament in Bosnien-Herzegowina gegen die Stimmen der serbischen Abgeordneten, den beiden zuvor genannten Republiken in die Unabhängigkeit zu folgen. Am 6. April 1992 wurde Bosnien-Herzegowina, wie bereits zuvor Slowenien und Kroatien, von der Europäischen Union als selbständiger Staat anerkannt, alle drei ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken wurden am 22. Mai 1992 Mitglieder der Vereinten Nationen.
a) Währenddessen wurde Slobodan Milo[scaron]evi[cacute], seit 1989 Präsident der Republik Serbien, maßgebliche Führungsfigur der neu erweckten großserbischen Bewegung, die nunmehr das Ziel verfolgte, alle im ehemaligen Jugoslawien lebenden Serben politisch zu vereinen. Serbische Nationalisten begannen zunächst in Kroatien, später auch in Bosnien-Herzegowina, mit der Vorbereitung der Abspaltung der serbisch besiedelten Gebiete. Im September 1991 wurden von ihnen in Bosnien-Herzegowina erst vier, dann fünf autonome serbische Gebiete ausgerufen, darunter das autonome Gebiet Nordbosnien mit Sitz in Doboj. Am 9. Januar 1992 rief die „Versammlung des serbischen Volkes in Bosnien-Herzegowina” die „Serbische Republik Bosnien-Herzegowina”, die spätere „Republika Srpska” aus und gab sich wenig später eine eigene Verfassung, in der die autonomen Gebiete als rein serbische Gebiete definiert wurden.
b) Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils begann aber schon einige Zeit vorher eine gezielte und von den bosnischen Serben sowie dem serbischen Militär zentral gelenkte kompromißlose Politik der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung der sog. autonomen serbischen Gebiete, die sich in erster Linie gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung richtete. Ab April 1992 gingen die JNA (Jugoslawische Volksarmee) und paramilitärische Truppen in Abstimmung mit der politischen Führung der bosnischen Serben etwa gleichzeitig in verschiedenen Orten der Nord- und Ostgrenze Bosniens vor, um die von den Serben bewohnten Gebiete „ethnisch rein” zu bekommen. Mit Gewalt wurden die elementaren Grundlagen der Existenz der bosnischen Muslime in diesen Gebieten zerstört. Bei den bosnischen Muslimen handelt es sich um eine Bevölkerungsgruppe, die seit der Konversion vieler Bosnier zum Islam im 14. Jahrhundert schon innerhalb des früheren Osmanischen Reiches eine eigene, durch ihr Volkstum und ihre Religion bestimmte Identität entwickelt hatte, die sie bis in die Gegenwart bewahrt hat. Die Mittel waren Zerstörung der Wohnhäuser, kultureller und religiöser Bauwerke und ganzer Dörfer und Stadtteile, wahllose Tötungsakte, Plünderungen, Erpressungen und von den Behörden geduldeter Terror paramilitärischer Truppen. Ferner gehörte zu diesem Instrumentarium die Inhaftierung wehrfähiger Männer in Gefangenenlagern mit völlig unzureichender Versorgung, Zwangsarbeit und schwersten Mißhandlungen.
c) Ziel und Objekt einer solchen Säuberungsaktion wurde ab April 1992 bis in den Herbst 1992 hinein auch das Gebiet um die Stadt Doboj, die an den Hauptverbindungsstrecken in Nord-Süd-Richtung zwischen Sarajewo und Kroatien und in Ost-West-Richtung zwischen Serbien und serbischen Siedlungsgebieten in Bosnien bis zur Krajina und zur Adriaküste lag. Die Gemeinde Doboj, zweitgrößter Eisenbahnknotenpunkt Jugoslawiens, bestand aus der Stadt Doboj sowie aus den umliegenden Dörfern Bukovacke [Ccaron]iv[ccaron]ije, Mala Bukovica, Kostajnica, Svjetlièa und Grabska im Nordwesten bzw. Nordosten von Doboj, sowie Sevarlije im Süden. Am 3. Mai 1992 wurde das Zentrum der Stadt Doboj durch serbische Truppen besetzt, die muslimischen Wohnviertel mit schweren Waffen beschossen, die jüngeren Männer und Angehörige der Intelligenzschicht wurden verhaftet. Das Dorf Mala Bukovica wurde bereits im April 1992 von serbischen Soldaten und paramilitärischen Einheiten umzingelt. Der muslimischen Bevölkerung war es untersagt, den Ort zu verlassen. Im Juni 1992 begann der Terror im Ort selbst, in dem muslimische Männer aus ihren Häusern geholt und mißhandelt wurden; ihnen wurden Geld und Wertsachen abgenommen und sie wurden in Gefangenenlager verschleppt. Das Dorf Bukovacke [Ccaron]iv[ccaron]ije wurde am 4. Mai 1992 von der JNA eingenommen, es wurden mehrfach muslimische Männer aus den Häusern geholt, geschlagen und weggebracht. Mitte Juni 1992 wurde die Moschee in die Luft gesprengt und die bis dahin dort verbliebenen muslimischen Männer verschleppt. Das muslimische Dorf Grabska wurde am 10. Mai 1992 ab Mittag von Panzern, mit Flugabwehrraketen und aus Minenwerfern beschossen, weil die Bevölkerung den Befehl, ihre Waffen abzuliefern, nicht befolgt hatte. Dabei wurden die meisten Häuser zerstört oder in Brand gesetzt. Am Abend holten Soldaten und Angehörige paramilitärischer Truppen alle im Ort befindlichen Bewohner aus ihren Häusern heraus. Sie mußten sich am Ortsausgang versammeln, vorhandene Waffen abgeben und in einer Kolonne zu Fuß bis in das benachbarte, überwiegend serbisch bewohnte Kostajnica gehen, wo Frauen, Kinder, Alte und Behinderte ausgesondert, mit Bussen weggebracht und entfernt von ihrem Heimatort freigelassen wurden. Die arbeitsfähigen Männer wurden in Lager verbracht, wo sie lebensgefährdenden Leiden und Mißhandlungen ausgesetzt waren. Das im Süden gelegene Dorf evarlije blieb bis Juni 1992 verschont, so daß die meisten muslimischen Bewohner fliehen konnten. Am 17. oder 18. Juni 1992 wurden die verbliebenen, meist alten Bewohner von paramilitärischen Einheiten aus den Häusern geholt, Männer und Frauen getrennt, wobei sich die Männer außerhalb des Ortes versammeln mußten, wo sie gedemütigt, beleidigt, mißhandelt und einige von ihnen getötet wurden. Die übrigen Männer wurden in Gefangenenlager gebracht. In der Region Doboj waren mindestens vier Gefangenenlager eingerichtet worden, wo die muslimischen Insassen schweren körperlichen Mißhandlungen durch serbische Soldaten oder Mitglieder paramilitärischer Gruppen ausgesetzt waren und Zwangsarbeit verrichten mußten. Nach den Feststellungen beteiligte sich der aus dem Dorf Kostajnica stammende und dort als wohlhabend geltende serbische Angeklagte an diesen Vertreibungsmaßnahmen. Er hatte sich die Ideologie einer serbischen Großmacht zu eigen gemacht und eine Gruppe Freiwilliger um sich geschart, die uniformiert und mit Waffen wie Militär und Polizei ausgerüstet war. Diese paramilitärische Gruppe nahm in Abstimmung mit der serbischen Armee, der politischen Führung sowie den örtlichen Polizeibehörden Kontrollaufgaben an Straßen und bei Plünderungen der muslimischen Häuser durch hierzu gezwungene Gefangene wahr.
d) Im einzelnen hat das Oberlandesgericht als strafbare Handlungen des Angeklagten für erwiesen erachtet:
Der Angeklagte wirkte persönlich bei jeweils näher festgestellten Festnahmen und anschließenden Internierungen männlicher Muslime aus den Dörfern Grabska, Mala Bukovica und evarlije am 3., 5. und 10. Mai und in der ersten Hälfte Juni 1992, sowie den bei dieser Gelegenheit und später teilweise mehrfach begangenen Mißhandlungen und Körperverletzungen einzelner Gefangener mit (Taten A II 8 a bis g und i der Urteilsgründe); ferner hat er eigenhändig oder im Zusammenwirken mit anderen auch Bewohner der Dörfer getötet. So hat er nach den Feststellungen Mitte Juni 1992 gemeinsam mit einer weiteren Person in Grabska 22 der dort zurückgebliebenen Einwohner – Frauen, Behinderte und ältere Männer – erschossen, die sich verängstigt durch Kampfhandlungen außerhalb des Dorfes im Freien versammelt hatten (Tat A II 8 h). Drei weitere gefangene Moslems, die dort Zwangsarbeit verrichten mußten, mußten anschließend die Leichen in ein Massengrab transportieren. Einige Tage später, am 17. oder 18. Juni 1992, trieb der Angeklagte mit Angehörigen seiner paramilitärischen Gruppe 40 bis 50 Männer aus dem Dorf evarlije heraus, ließ sie brutal mißhandeln, sechs von ihnen wurden auf seinen Befehl erschossen. Ein siebtes Opfer, das nur angeschossen war, starb, als es in einem Stall zusammen mit den sechs Leichen verbrannt wurde (Tat A II 8 j). An einem nicht näher feststellbaren Tag im September 1992 stülpte der Angeklagte einem Gefangenen, der zuvor von serbischen Soldaten durch Schläge mit Gewehrkolben und Stöcken mißhandelt worden war, auf dem Hof des Zentralgefängnisses in Doboj einen Blecheimer auf den Kopf, um den Soldaten eine neue Art der Folter und des Tötens zu demonstrieren. Sodann schlug er derart fest mit einem Holzknüppel auf den Eimer, daß das Opfer sofort hinfiel, bewegungslos liegenblieb und an den Folgen des Schlages starb (Tat A II 8 k).
2. Diese rechtsfehlerfrei festgestellten Handlungen des Angeklagten, die in die von serbischer Seite initiierten Ereignisse in der Region Doboj und in die quasi-staatliche Lenkung der systematischen Vernichtung und Vertreibung der muslimischen Bevölkerung in diesem Gebiet eingebunden waren, hat das Oberlandesgericht zutreffend als Handlungen gewertet, die die objektiven und subjektiven tatbestandlichen Voraussetzungen des Völkermordes gemäß § 220a Abs. 1 StGB erfüllen. Den Tatbestand des Völkermordes hat das Oberlandesgericht deshalb als gegeben angesehen, weil der Angeklagte in der Absicht, die durch Religion und Volkstum bestimmte Gruppe der Muslime in Nordbosnien, jedenfalls in der Region Doboj, als solche ganz oder teilweise zu zerstören, in den Fällen A II 8 h, j und k Mitglieder dieser Gruppe getötet (§ 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB) und in den übrigen Fällen (A II 8 a bis g und i) diese Gruppe unter Lebensbedingungen gestellt hat, die geeignet waren, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen (§ 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Dabei hat es das Oberlandesgericht zu Recht als für § 220a Abs. 1 StGB ausreichend angesehen, daß sich die Absicht des Angeklagten auf einen regional begrenzten Kreis der muslimischen Bevölkerung gerichtet hat, die im übrigen in ganz Bosnien-Herzegowina durch die radikalen und staatlich gelenkten Anhänger der großserbischen Idee aus den sog. autonomen serbischen Gebieten vertrieben werden sollte. Denn § 220a StGB läßt schon nach seinem Wortlaut neben der Absicht, eine der dort genannten Gruppen als solche ganz zu zerstören, auch die auf eine teilweise Zerstörung der Gruppe gerichtete Absicht genügen (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 220a Rdn. 13; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 220a Rdn. 5; vgl. auch Stillschweig, Das Abkommen zur Bekämpfung von Genocide, Die Friedens-Warte 1949, S. 93, 99). Auch die weitere Wertung des Oberlandesgerichts, der Angeklagte habe neben dem Verbrechen des Völkermordes durch die vorsätzliche Tötung von 22 Menschen in dem Dorf Grabska (A II 8 h), von sieben Männern aus dem Dorf evarlije (A II 8 j) sowie des muslimischen Gefangenen im September 1992 im Zentralgefängnis von Doboj (A II 8 k) tateinheitlich mehrfach den Tatbestand des Mordes gemäß § 211 StGB erfüllt, weil er diese Menschen jeweils aus niedrigen Beweggründen vorsätzlich getötet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
3. Das Oberlandesgericht hat jedoch im übrigen die Tatbestandsstruktur und die Schutzrichtung des § 220a StGB nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb die strafbaren Handlungen des Angeklagten – ausgehend von den an verschiedenen Tagen und Orten zum Nachteil verschiedener muslimischer Bevölkerungsmitglieder, aber auch zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten zum Nachteil derselben Personen begangenen Verletzungen höchstpersönlicher Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit – zu Unrecht als tatmehrheitlich begangene Verbrechen des Völkermordes gewertet. Die strafbaren Handlungen des Angeklagten sind vielmehr, was aus der Entstehungsgeschichte, dem Schutzzweck und der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung des § 220a StGB abzuleiten ist, als eine Tat im Rechtssinne (tatbestandliche Handlungseinheit) zu werten.
a) § 220a StGB ist durch Gesetz vom 9. August 1954 (BGBl II S. 729) über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Genozid-Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Dabei hat der Bundesgesetzgeber den Wortlaut des § 220a StGB bewußt an Artikel II der Genozid-Konvention angelehnt, in dem die objektiven und subjektiven Merkmale des – völkerstrafrechtlichen – Verbrechens des Völkermordes tatbestandlich umschrieben worden sind (vgl. zum Gesetzgebungsverfahren des § 220a StGB: Campbell, § 220a StGB, S. 160 ff., 166 ff.). Nach Artikel II der Konvention für die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes bedeutet Völkermord:
„eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:
(a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
(b) Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
(c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
(d) Verhängung von Maßnahmen, die auf Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
(e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.”
§ 220a StGB spiegelt als innerstaatliche Norm die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetriebene völkerrechtliche Entwicklung und das Verständnis des Genozids als Teil des Verbrechens gegen die Menschlichkeit wider (vgl. hierzu Dahm, Völkerrecht, Bd. III (1961) S. 301 f.; Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, S. 93; Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (1996), S. 40 ff., 179 ff.; Jescheck, Die internationale Genocidium-Konvention vom 9.12.1948, ZStW 66 (1954), S. 193, 195 f., 199 ff.; ders., Entwicklung, gegenwärtiger Stand und Zukunftsaussichten des internationalen Strafrechts, GA 1981, 49, 58; Jähnke in LK 10. Aufl. § 220a Rdn. 4; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 220a Rdn.1 f.; Jescheck/Weigend AT 5. Aufl. § 14 IV; Maurach/Schroeder/Maiwald BT/2, 7. Aufl. § 88 Rdn. 2 und 5). Kennzeichnend für das mit dem Begriff des „Völkermordes” hinsichtlich Schutzrichtung und Angriffshandlung nur unzureichend und mißverständlich übersetzte Verbrechen des Genozids (vgl. Jähnke aaO Rdn. 4; Stillschweig aaO S. 94; Maurach/Schroeder/Maiwald BT/1, 8. Aufl. § 1 I Rdn. 2) ist, daß der einzelne zwar als Tatobjekt, jedoch nicht in seiner Individualität, sondern in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Gruppe angegriffen oder verletzt wird, deren soziale Existenz zu zerstören der Täter beabsichtigt. Schutzgut des Verbrechens des Völkermordes sind deshalb nicht die Individualrechtsgüter der von den objektiven Tathandlungen betroffenen einzelnen Personen, sondern ist die Existenz der Gruppe als solche (Dahm, Völkerrecht aaO S. 300, 302; Stillschweig aaO S. 96; Jescheck ZStW 66, 193, 199 ff.; vgl. ferner Urteil des Ruanda-Tribunals vom 2. September 1998 gegen Akayesu Ziff. 6.3.1.), wobei das Unmenschliche, das gegenüber dem Verbrechen des Mordes besondere Unrechtsmerkmal darin liegt, daß der oder die Täter in dem Opfer nicht mehr den Menschen, sondern nur noch das Mitglied der verfolgten Gruppe sehen (vgl. Dahm aaO S. 300).
b) Entsprechend seiner völkerrechtlichen Wurzel ist auch § 220a StGB – anders als die Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte zum Nachteil der von den Straftaten unmittelbar betroffenen Opfer – keine dem Individualrechtsgüterschutz dienende Strafnorm. Rechtsgut des § 220a StGB ist vielmehr der Schutz der sozialen Existenz der verfolgten nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppe (Jähnke aaO Rdn. 8; Eser in Schönke/Schröder aaO Rdn. 3; mißverständlich Horn SK-StGB § 220a Rdn. 2). Entgegen dem vom Begriff des Völkermordes vorgespiegelten Sinngehalt setzt der Tatbestand des § 220a StGB nicht zwingend voraus, daß der Täter die körperliche Vernichtung, die physische Zerstörung der Gruppe anstrebt. Es reicht aus, daß er handelt, um die Gruppe in ihrer sozialen Existenz („als solche”), als soziale Einheit in ihrer Besonderheit und Eigenart und in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl zu zerstören (vgl. Jähnke aaO Rdn. 4 und 13; Eser in Schönke/Schröder aaO Rdn. 5; Jescheck ZStW 66 (1954) 193, 213; vgl. auch zum völkerrechtlichen Verbrechen des Völkermordes das Urteil des Ruanda-Tribunals vom 2. September 1998 gegen Akayesu unter Ziff. 6.3.1. der Urteilsgründe). Davon ist das Oberlandesgericht auch zu Recht ausgegangen (UA S. 161 f.). Die Zerstörungsabsicht wird zwar durch vorsätzliche Tötungshandlungen und durch Beibringen schwerer Körperverletzungen (§ 220a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) besonders deutlich manifestiert; jedoch reichen nach § 220a Abs. 1 StGB auch andere Maßnahmen aus, die zur Verwirklichung der Absicht bzw. des Ziels, die soziale Identität und Existenz der Gruppe zu zerstören, geeignet sind, indem etwa Kinder der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt (§ 220a Abs. 1 Nr. 5 StGB) oder Maßregeln verhängt werden, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen (§ 220a Abs. 1 Nr. 4 StGB). Das gilt bei entsprechender Völkermordabsicht des Täters auch für die Gefährdung der körperlichen Existenz der Gruppe, die dadurch erreicht wird, daß die Gruppe unter Lebensbedingungen gestellt wird, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen (§ 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Zu derartig geeigneten Lebensbedingungen zählen neben der Zufügung von körperlichen oder seelischen Schäden oder der vorsätzlichen Tötung von Gruppenmitgliedern auch die Schaffung unmenschlicher Lebensbedingungen, z.B. in Gefangenenlagern, das Verweigern von ausreichender Nahrung oder der notwendigen medizinischen Versorgung sowie die systematische Vertreibung der Gruppe aus ihrer Heimat (vgl. das Urteil des Ruanda-Tribunals vom 2. September 1998 aaO; Jähnke aaO Rdn. 11; Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, S. 97).
Der Schutzzweck des Tatbestandes ist zunächst für die Auslegung der einzelnen in § 220a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB abschließend aufgezählten objektiven Begehungsweisen maßgeblich. Durch den Zweck des § 220a StGB, nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppen vor der Zerstörung ihrer sozialen Identität und Existenz zu bewahren, wird aber auch das Verhältnis der einzelnen in § 220a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB abschließend aufgezählten Tathandlungen zueinander bestimmt. Die verschiedenen Begehungsweisen des § 220a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB stellen innerhalb des § 220a Abs. 1 StGB keine selbständigen Tatbestände, sondern Tatmodalitäten desselben von der Völkermordabsicht des Täters geprägten Verbrechens dar (vgl. Jähnke aaO Rdn. 14; in diesem Sinne wohl auch Stillschweig aaO S. 97 zu Art. II der Genozid-Konvention).
c) Das Oberlandesgericht hat die Taten des Angeklagten als elf rechtlich selbständige Taten gewertet, wobei jede der Taten neben der Identität der Gruppe der Muslime auch höchstpersönliche Rechtsgüter des Lebens, der Freiheit und/oder der körperlichen Unversehrtheit verletze und jede der Taten den Tatbestand des Völkermordes verwirkliche. Diese Einzeltaten werden nach Ansicht des Oberlandesgerichts durch den einheitlichen Vorsatz der Zerstörung der Gruppe der Muslime in der Region Doboj nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefaßt. An dieser rechtlichen Wertung trifft zunächst zu, daß die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit nicht vorliegen. Auch können höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen nur unter besonderen Umständen zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbunden werden. Die Annahme elf tatmehrheitlich begangener Straftaten trägt jedoch weder den Besonderheiten des objektiven Tatbestandes des § 220a Abs. 1, insbesondere des Abs. 1 Nr. 3 StGB, noch der Bedeutung des Absichtsmerkmals für den Völkermordtatbestand ausreichend Rechnung.
aa) Bei der Prüfung des Konkurrenzverhältnisses der einzelnen Tatkomplexe zueinander hat das Oberlandesgericht ersichtlich auf den Umstand abgestellt, daß der Angeklagte in den einzelnen Komplexen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen oder derselben Person bei verschiedenen Gelegenheiten verletzt hat. Dabei läßt es unberücksichtigt, daß der Tatbestand des § 220a StGB, wie bereits dargelegt, gerade nicht dem Schutz individueller Rechtsgüter dient, sondern dem überindividuellen Schutz der sozialen Existenz einer der in § 220a StGB näher bezeichneten Gruppen. Dieses Mißverständnis schon des objektiven Tatbestandes wird zumindest mittelbar auch durch das Zitat der Entscheidung BGH NJW 1969, 2056 belegt, die, wie auch weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, den Begriff des Massenverbrechens als denkbare rechtliche Handlungseinheit im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Vernichtungsprogrammen abgelehnt hat. Die in dieser wie auch in anderen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze können jedoch auf den Tatbestand des § 220a StGB nicht übertragen werden. Denn § 220a StGB bzw. eine vergleichbare Vorschrift gab es zur Tatzeit der im Rahmen von Vernichtungsprogrammen begangenen Tötungen, Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen nicht. Grundlage späterer Verurteilung der an diesen Vernichtungsprogrammen beteiligten Täter oder Teilnehmer konnten nur die jeweiligen Tatbestände der §§ 212 StGB ff., §§ 223 StGB a.F. ff. oder § 239 StGB usw. sein, mithin Rechtsnormen, die dem Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter des einzelnen dienen und deren Zusammenfassung zu einer Tat im Rechtssinne nur in engen Grenzen möglich ist (vgl. in diesem Zusammenhang BGH NStZ 1984, 229 f.). Gerade auch die Ereignisse während des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und die damit zusammenhängenden Massenvernichtungen und -vertreibungen waren aber für die internationale Völkergemeinschaft und den Bundesgesetzgeber Anlaß zur Anerkennung und Schaffung des (völkerstrafrechtlichen) Verbrechenstatbestandes des Völkermordes zum Schutz des in seiner Wertigkeit hoch anzusiedelnden Rechtsguts der sozialen Existenz von rassischen, religiösen oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppen.
bb) Das Oberlandesgericht hat durch seine Orientierung an den Individualrechtsgütern der Rechtsnatur des § 220a StGB nicht hinreichend Rechnung getragen und deshalb die Fälle A II 8 a bis k jeden für sich genommen als selbständige Tat gewertet. Soweit es die Fälle A II 8 a bis g unter die Begehungsalternative des § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB subsumiert hat, hat es zwar eingangs seiner rechtlichen Würdigung zutreffend dargelegt, daß der Angeklagte in diesen Fällen die Gruppe der in der Region Doboj lebenden bosnischen Muslime unter Lebensbedingungen gestellt hat, die geeignet waren, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Für die als Einzeltaten abgeurteilten Fälle hat es jedoch entscheidend auf den Umstand abgestellt, daß Einzelpersonen und Personengruppen bei verschiedenen Gelegenheiten gefangen genommen oder einzelne Gefangene mißhandelt worden sind. Diese Handlungen des Angeklagten erfüllen nach den getroffenen Feststellungen zwar die Tatbestände des § 223a StGB a.F. bzw. § 224 StGB n.F. oder des § 239 StGB, sie genügen jedoch den tatbestandlichen Voraussetzungen schwerer Körperverletzungen im Sinne der §§ 224, 225 StGB a.F. nicht und damit auch weder den Voraussetzungen der Begehungsalternative des § 220a Abs. 1 Nr. 2 StGB noch einer der anderen Begehungsweisen.
Die bloße körperliche Mißhandlung oder Gefangennahme einzelner Personen kann insbesondere nicht schon jeweils für sich genommen unter die Begehungsalternative des § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB subsumiert werden. § 220a Abs. 1 StGB erfaßt nämlich ebenso wie Art. II der Genozid-Konvention als objektive Ausführungshandlungen nur die schwersten – aus dem großen Kreis möglicher – Angriffshandlungen gegen die Existenz einer Gruppe (vgl. Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, S. 97); dies spiegelt sich vor allem in der Strafdrohung – lebenslange Freiheitsstrafe – wider. Das hierfür erforderliche Gewicht kommt einfachen oder gefährlichen Körperverletzungen oder bloßen Freiheitsberaubungen zum Nachteil einzelner Gruppenmitglieder nicht zu. Demgemäß stellt das Gesetz in § 220a Abs. 1 Nr. 3, anders als in Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB, auch nicht auf „Mitglieder der Gruppe” ab, die getötet oder denen schwere körperliche oder seelische Leiden zugefügt werden, sondern setzt ausdrücklich voraus, daß die „Gruppe” unter Lebensbedingungen gestellt wird, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Das Tatbestandsmerkmal der Lebensbedingungen, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen, wird allerdings durch die insgesamt vom Angeklagten oder unter seiner Beteiligung begangenen Zerstörungen der Häuser und Dörfer in der Region Doboj, die Vertreibung und Inhaftierung der muslimischen Bewohner und die an ihnen bei diesen Gelegenheiten begangenen Mißhandlungen und Körperverletzungen erfüllt. Die Gesamtheit dieser Maßnahmen ist geeignet, die körperliche Existenz der Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, weil ihr das Lebensnotwendigste durch unmenschliche Lebensbedingungen – etwa in den Gefangenenlagern – genommen und ihr die Lebensgrundlage durch Zerstörung der Häuser, durch Einbehalt von Hab und Gut und durch systematische Vertreibung entzogen wurde (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 220a Rdn. 11; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 220a Rdn. 4; ferner Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, S. 93, 97). Die unter A II 8 a bis g und i festgestellten Taten erfüllen deshalb den objektiven Tatbestand des § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB nur in ihrer Gesamtheit und sind schon aus diesem Grund als eine Tat im Rechtssinne zu werten.
d) Soweit das Oberlandesgericht die vom Angeklagten eigenhändig oder im Zusammenwirken mit anderen begangenen Tötungshandlungen als unter § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB fallende Straftaten gewürdigt hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Anders als das Oberlandesgericht ist der Senat jedoch der Auffassung, daß diese Tötungshandlungen, unbeschadet der Tatsache, daß sie tateinheitlich zugleich den Straftatbestand des § 211 StGB verwirklichen, jedenfalls unter dem Blickwinkel des Verbrechens des Völkermordes zusammen mit den weiteren, unter § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB zu subsumierenden strafbaren Handlungen nur eine Tat im Sinne des § 220a Abs. 1 StGB darstellen.
aa) Für den Tatbestand des Völkermordes sind nicht nur objektive Tathandlungen von erheblichem Gewicht erforderlich, sie erhalten ihren besonderen Unrechtsgehalt als Völkermord, der sie etwa von gemeinen Tötungsverbrechen oder Körperverletzungsdelikten abhebt, vielmehr erst durch die von § 220a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht, eine der unter den Schutz des § 220a StGB fallenden Gruppen als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Damit liegt das Wesentliche des Verbrechens des Völkermordes, anders als bei den tateinheitlich verwirklichten Tatbeständen der §§ 211, 212 StGB, die höchstpersönliche Rechtsgüter schützen, weniger in den einzelnen Verletzungshandlungen, denn in der die völkerrechtliche Werteordnung mißachtenden Absicht des Täters, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 220a Rdn. 4; Triffterer in Hankel/Stuby, Strafgerichte gegen Menschlichkeitsverbrechen S. 176, 189; Becker aaO S. 179 f., 182 f.; vgl. auch Jescheck ZStW 66, 193, 212, 214). Daß einer solchen tatbestandskonstitutiven Absicht bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung mehrerer Einzelhandlungen, die für sich genommen schon den objektiven und subjektiven Tatbestand erfüllen, eine andere Bedeutung zukommt als einem einheitlichen, auf bloße Wiederholung strafbarer Handlungen gerichteten Vorsatz, liegt auf der Hand. Eine solche Absicht verbindet, wie dies im übrigen auch schon für die gewöhnlichen Absichtsdelikte des Strafgesetzbuches anerkannt ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 14; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Vor §§ 52 ff. Rdn. 21 m.w.Nachw.), die zur Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Absicht begangenen Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne. Hinzu kommt hier im objektiven Bereich, daß die Zerstörung einer Gruppe typischerweise ein durch wiederholte Einzelakte begangenes Verbrechen darstellt (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 220a Rdn. 14), dem ein gewisses Dauer- und Wiederholungselement aufgrund der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung zu eigen ist.
bb) Daß § 220a Abs. 1 StGB auch objektiv vor allem ein mehrfaches Handeln zum Nachteil derselben (Teil)Gruppe umfaßt und beschreibt und deshalb zu den Tatbeständen zählt, die in erster Linie auf die über den Einzelfall hinausreichende mehrfache Tatbestandsverwirklichung abzielen, deren rechtliche Zusammenfassung geboten erscheint, um das verwirklichte Unrecht und die Schuld des Täters sachgerecht erfassen zu können (vgl. BGHSt 40, 138, 164 f.), berücksichtigen einzelne Strafzumessungserwägungen des Oberlandesgerichts nicht, die so, wie sie im Urteil wiedergegeben werden, nicht frei von Rechtsbedenken sind; die Bedenken greifen jedoch wegen der vom Senat vorgenommenen Schuldspruchänderung nicht durch. So hat das Oberlandesgericht für den rechtlich als Völkermord in Tateinheit mit Freiheitsberaubung – begangen an mindestens 300 Menschen – gewerteten Fall A II 8 c auf lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe erkannt und zur Begründung ausgeführt, daß mit dem Überfall auf das Dorf Grabska an einem einzigen Tag ein ganzes Dorf als soziale Einheit vernichtet wurde, wobei mehrere Bewohner getötet, die Häuser zu einem großen Teil zerstört, sämtliche verbliebenen arbeitsfähigen Männer festgenommen und in unmenschliche Haft gebracht und die Frauen, Kinder und alten Männer bis auf wenige Ausnahmen vertrieben wurden. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts wurde in diesem Fall das ganze Vertreibungs- und Zerstörungsmuster der Serben konzentriert eingesetzt, um ein muslimisches Dorf auf einen Schlag zu vernichten (vgl. UA S. 170). Nach dieser strafrechtlichen Bewertung von Unrecht und Schuld des Angeklagten im Zusammenhang mit den Vorgehensweisen zum Nachteil des Dorfes Grabska und seiner Bewohner ist eigentlich kein Raum mehr für die Bewertung der nachfolgenden, unter A II 8 d, e, i und h abgeurteilten Taten als tateinheitlich mit §§ 211, 223a StGB begangene weitere Verbrechen des Völkermordes, da sich diese späteren Taten ebenfalls gegen Bewohner dieses Dorfes richten, dessen Zerstörung als soziale Einheit unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Völkermordes bereits Grundlage für die Verhängung der lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe im Fall A II 8 c war. Diese Beispiele belegen, daß in den Fällen, in denen der Täter mehrfach objektive, unter eine oder mehrere Begehungsalternativen des § 220a Abs. 1 StGB fallende Handlungen begeht, um eine konkret ins Auge gefaßte nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte (Teil)Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, sich die zusammenfassende Bewertung dieser Handlungen geradezu aufdrängt. Erst dann ist es möglich, den Unrechtsgehalt der unter § 220a StGB fallenden Handlungen voll zu erfassen und zugleich eine unzulässige Doppelverwertung straferhöhender Umstände zu vermeiden, soweit sie dem Unwerturteil des § 220a StGB zuzurechnen sind. Bei § 220a Abs. 1 StGB handelt es sich somit um einen Tatbestand, der nach seinem Wortlaut und auch nach seinem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn außer einmaligen Handlungen auch ganze Handlungskomplexe als eine Tat beschreibt (sog. tatbestandliche Handlungseinheit: vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 13 ff.; Samson/Günther in SK-StGB Vor § 52 Rdn. 42 ff.; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Vor §§ 52 ff. Rdn. 23).
cc) Der Senat verkennt nicht das Problem, daß beim Fehlen geeigneter objektiver Abgrenzungs- oder Eingrenzungskriterien überdimensionierte oder zeitlich uferlose Handlungseinheiten konstruktiv möglich werden, eine Gefahr, die immer dann besteht, wenn mehrere natürliche Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefaßt werden (zu der ähnlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen zeitliche oder sonstige Einschnitte in den Ablauf einer geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 StGB Einfluß auf die Beurteilung von Handlungskomplexen als tatbestandliche Handlungseinheiten haben können vgl. BGHSt 43, 1, 3 ff. = NStZ 1997, 487 m. Anm. Rudolphi; Paeffgen JR 1999, 89, 93 ff.).
Deshalb kann von einer Tat im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit, soll sie die Kennzeichnung als eine Tat noch rechtfertigen, immer nur unter engen Voraussetzungen ausgegangen werden, die sich nicht nur aus der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung ergeben, sondern auch davon abhängen, inwieweit sich die konkreten tatbestandlichen Ausführungshandlungen gegen ein bestimmtes geschütztes Rechtsgut bzw. dessen Träger oder gegen ein konkretes Tatobjekt richten. Das heißt, nicht nur die tatbestandliche Unrechtsumschreibung, sondern auch die Identität des Handlungsobjekts, an dem oder mit dem das tatbestandliche Unrecht verwirklicht wird, ist für die Bestimmung maßgebend, ob es sich (noch) um eine Tat im Rechtssinne handelt. Für den Tatbestand des § 220a Abs. 1 StGB bedeutet dies, daß eine materiell-rechtliche Tat immer dann, aber auch nur dann vorliegt, wenn die tatbestandlichen Handlungen sich auf eine bestimmte, etwa durch ihren Lebensraum näher konkretisierte nationale, rassische, religiöse oder ethnische (Teil)Gruppe beziehen und die mehreren Handlungen als ein einheitlicher örtlich und zeitlich begrenzter Lebenssachverhalt erscheinen.
Diese Voraussetzungen sind nach den Urteilsfeststellungen für die vom Angeklagten in der Zeit von April 1992 bis September 1992 zum Nachteil der bosnischen Muslime in der Region Doboj begangenen strafbaren Handlungen gegeben. Selbst wenn bei dem Angeklagten als Motiv seines Handelns die weiter reichende Absicht vorhanden war, die Gruppe aller bosnischen Muslime zu zerstören, reicht es für den Tatbestand des § 220a Abs. 1 StGB aus, wie schon dem Wortlaut des § 220a Abs. 1 1. Halbs. StGB („ganz oder teilweise” zu zerstören) zu entnehmen ist, daß sich seine Absicht bei den abgeurteilten objektiven Tathandlungen nur auf die Zerstörung eines Teils dieser Gruppe richtete; zugleich bestimmt sich der Umfang der einen materiell-rechtlichen Tat nach dieser in dem festgestellten örtlichen und zeitlichen Rahmen verwirklichten (Teil)Zerstörungsabsicht bezüglich eines regional begrenzten Gruppenteils der bosnischen Muslime.
4. Der Senat hatte weiter zu prüfen, ob auch die in den Fällen A II 8 h, j und k tateinheitlich verwirklichten Verbrechen des Mordes durch § 220a StGB zu einer Tat verklammert werden, oder ob die höchstpersönliche Rechtsgüter verletzenden Tötungshandlungen wegen ihres eigenen besonderen Unrechts- und Unwertgehalts als selbständige Taten zu werten sind, mit der Folge, daß die einheitliche Tat des § 220a StGB durch die auch nach § 211 StGB strafbaren vorsätzlichen Tötungshandlungen „entklammert” würde, so daß mehrere selbständige Taten des Völkermordes anzunehmen wären.
a) Daß die durch § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB zusammengefaßten strafbaren Handlungen des Angeklagten mehrfach tateinheitlich auch die Tatbestände der §§ 223a, 239 StGB a.F. erfüllt haben, ist für die Frage einer möglichen Entklammerung angesichts der gegenüber § 220a StGB geringeren Strafdrohung dieser Tatbestände und ihres geringeren Gewichts ohne Bedeutung.
b) Auch die in den Fällen A II 8 h, j und k begangenen vorsätzlichen Tötungen, die das Oberlandesgericht zutreffend unter § 211 StGB subsumiert hat, bieten im Ergebnis keinen Anlaß, das einheitliche Verbrechen des § 220a StGB in mehrere selbständige Taten aufzuspalten.
aa) Die Tötung eines Menschen unter Umständen, die ein oder mehrere Mordmerkmale des § 211 StGB erfüllt, ist besonders verwerflich und deshalb mit der absoluten Strafe, nämlich lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden. Straftaten gegen das menschliche Leben sind einer additiven Betrachtungsweise nicht zugänglich und können nur ausnahmsweise zu einer Tat zusammengefaßt werden (vgl. BGHSt 16, 397; BGH NStZ 1984, 311 und 1996, 129; NJW 1998, 619 f.). Ein solcher Ausnahmefall kommt auch dann in Betracht, wenn mehrere Mordtaten zum Nachteil mehrerer Menschen jeweils mit einem weiteren Verbrechen tateinheitlich zusammentreffen, das, wenn es zumindest wertgleich mit dem Verbrechen des Mordes ist, diese zu einer Tat verbindet. Denn es ist kein rechtlicher Grund ersichtlich, die Prinzipien der sog. Tateinheit durch Klammerwirkung (vgl. BGHSt 28, 18, 20; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 52 Rdn. 14 ff.; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 52 Rdn. 27 ff.; Lackner, StGB 22. Aufl. § 52 Rdn. 5; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. Vor § 52 Rdn. 5 ff.) nicht auch auf mehrere, an sich selbständige Mordtaten anzuwenden, wenn ein weiteres, ebenso schwerwiegendes Verbrechen vorliegt (vgl. BGHSt 2, 246). Das ist bei dem Verbrechen des Völkermordes gemäß § 220a Abs. 1 StGB der Fall. Es ist ein zumindest gleichwertiges Verbrechen, wie schon der Umstand zeigt, daß es mit derselben absoluten Strafdrohung, lebenslange Freiheitsstrafe, ausgestattet ist wie § 211 StGB. Hinzu kommt, daß Völkermord den Völkerstrafrechtstatbeständen, die von der Völkergemeinschaft inzwischen weitgehend anerkannt worden sind, zuzurechnen ist (vgl. Art. 4 des Statuts des Jugoslawien-StGH und Art. 2 des Ruanda-StGH-Statuts, abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, IRG 3. Aufl. S. 1178 f. sowie 1209 und 1212 f.; Art. 5 des Römischen Statuts vom 17. Juli 1998 für einen Internationalen Strafgerichtshof [Rome Statute of the International Criminal Court, UN Doc A/Conf. 183/9]; Urteil des Ruanda-Tribunals gegen Akayesu, Ziff. 6.3.1. der Urteilsgründe; so auch schon früher Jescheck ZStW 66, 193, 200 und GA 1981, 49, 58; Jescheck/Weigend AT 5. Aufl. § 14 IV) und somit über seine nationale Geltung in Form des § 220a StGB hinaus seine Bewertung als besonders schwerwiegendes Verbrechen Anerkennung durch die Völkergemeinschaft gefunden hat.
bb) Für eine Entklammerung des § 220a StGB durch die Verbrechen nach §§ 211, 212 StGB spricht auch nicht, daß das Gesetz in § 220a Abs. 2 StGB der Begehungsalternative der Tötung von Gruppenmitgliedern gegenüber den übrigen Begehungsformen des Völkermordes ein besonderes Gewicht beimißt, indem § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB ausdrücklich von der Möglichkeit ausgenommen wird, einen minder schweren Fall anzunehmen. Dies besagt jedoch nichts anderes, als daß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB der Tötung einzelner Gruppenmitglieder kein geringeres Gewicht als § 211 StGB einräumt. Daß durch die Tötung mehrer Menschen neben § 220a StGB jeweils neues, eigenständiges Unrecht gesetzt wurde, weil das höchstpersönliche Rechtsgut des Lebens der betroffenen Einzelpersonen verletzt wurde, führt demnach zwar zur Annahme von Tateinheit zwischen § 220a StGB und § 211 StGB, rechtfertigt aber keine Entklammerung der unter § 220a StGB zusammenzufassenden mehreren strafbaren Handlungen des Angeklagten.
5. Der Senat hat gemäß § 354 Abs. 1 StPO entsprechend dem schon vor der Revisionsverhandlung schriftlich erteilten rechtlichen Hinweis den Schuldspruch selbst geändert, da er ausschließt, daß ein anderer Tatrichter neue oder zusätzliche Feststellungen treffen kann, die zu einer anderen rechtlichen Wertung führen würden.
Die Schuldspruchänderung führt nicht zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang. Durch die Zusammenfassung der vom Oberlandesgericht angenommenen tatmehrheitlichen Straftaten zu einer Tat entfallen die für die Taten verhängten elf Einzelstrafen, darunter dreimal lebenslange Freiheitsstrafe für die jeweils in Tateinheit mit Mord begangenen Taten A II 8 h, j und k, für die das Oberlandesgericht auch jeweils die besonders schwere Schuld gemäß § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB festgestellt hat, sowie eine weitere lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe für die Tat A II 8 c. In den übrigen Fällen hat das Oberlandesgericht nach § 220a Abs. 2 StGB minder schwere Fälle angenommen und zeitige Freiheitsstrafen von sieben bis neun Jahren als Einzelstrafen verhängt. Als aus den elf Einzelstrafen zu bildende Gesamtstrafe hat es gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Diese lebenslange Freiheitsstrafe hat der Senat ebenfalls als die noch allein in Betracht kommende Strafe für das Gesamtgeschehen verhängt und ausgesprochen, daß die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt. Das Oberlandesgericht hat zwar schon selbst in Bezug auf die Gesamtstrafe ausdrücklich festgestellt, daß auch insoweit unter Berücksichtigung der Dauer und der Vielzahl der Taten, der Zahl der Opfer, der Stellung und des besonders brutalen Vorgehens des Angeklagten seine Schuld besonders schwer wiegt (§ 57b StGB). Um klarzustellen, daß diese rechtsfehlerfreie Wertung des Gesamtgeschehens durch das Oberlandesgericht von der Schuldspruchänderung nicht berührt wird, hat der Senat diese Feststellung in die Urteilsformel übernommen.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 540503 |
BGHSt, 64 |
NJW 2000, 2517 |
JR 2000, 202 |
NStZ 1999, 396 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1999, 611 |
JZ 1999, 1176 |
NJ 1999, 301 |
NJ 1999, 494 |
NJ 2001, 280 |
StV 1999, 604 |